Protocol of the Session on November 17, 2011

Im Rahmen der gemeinsamen Beratung sind zu dieser Thematik zwei Tagesordnungspunkte aufgerufen worden. Die in dem einen Antrag geforderten verbesserten Rahmenbedingungen in der Pflege kommen in der heutigen Debatte etwas zu kurz. Aber CDU und FDP haben zeitgleich einen Berichtsantrag zu den pflegepolitischen Perspektiven des Landes Schleswig-Holstein gestellt. Wir gehen davon aus, dass die Landesregierung die in den Anträgen der Oppositionsparteien enthaltenen wesentlichen Punkte in ihren Bericht in der 24. Tagung aufnehmen wird.

Einen Satz aus meiner Landtagsrede vom 13. September 2007 möchte ich heute wiederholen:

„Aktionspläne und schöne Worte nützen nichts, wenn nicht … Taten folgen.“

Die Bundesregierung hat gestern mit dem Beschluss von Eckpunkten etwas Positives auf den Weg gebracht. Ziel sind eine bessere Hilfe für Demenzkranke und mehr Unterstützung für pflegende Angehörige. Das ist ein wichtiger, richtiger Schritt.

Auch wir schließen uns der Überweisung der Anträge in die Ausschüsse an.

(Beifall bei der CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Birte Pauls das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Pflegekräfte sind die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen. Sie werden aber leider kaum

in politische Entscheidungen eingebunden und finden sich in der typisch deutschen Hierarchie immer noch weit hinter den anderen Gesundheitsberufen wieder. Wenn wir auch in Zukunft eine professionelle, menschenwürdige Pflege sichern wollen, wie wir es den Menschen in Artikel 5 a unserer Landesverfassung zugesichert haben, dann müssen wir die Pflegeberufe stärken und attraktiver gestalten.

(Beifall des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

Der Gleichklang von Haupt- und Ehrenamtlichkeit oder eine Wertediskussion, wie wir sie von der CDU kennen, aber auch dem Grünen-Antrag entnehmen können - Marret, das ist der Grund, warum wir einen Änderungsantrag gestellt haben -, werden der professionellen Pflege und auch der Vorgabe der Landesverfassung absolut nicht gerecht. Deshalb wollen wir die Wichtigkeit des Berufsstandes unterstreichen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Das Ehrenamt ist in vielen Bereichen der Pflege von unschätzbarem Wert. Aber Ehrenamtlichkeit darf und kann professionelle Pflege nicht ersetzen.

(Beifall bei der SPD)

Damit in Zukunft jeder Mensch die Pflege erhält, die er benötigt, brauchen wir eine Systemveränderung. Ich kann Ihnen sagen, was wir tun müssen: Die Landesregierung muss den zu erwartenden Pflegebedarf errechnen und daran die Zahl der notwendigen Ausbildungsplätze in den Pflegeberufen anpassen. Wir müssen die Ausbildung der Altenund Krankenpflege zusammenlegen. Diese Ausbildung wird zukünftig in Modulen organisiert. Wir schaffen innerhalb dieser Module Zugangs- und auch Abschlussmöglichkeiten für Menschen mit geringerem Schulabschluss, aber auch für Quereinsteiger, um sie aus der Minijobfalle oder der Ehrenamtlichkeit zu holen und an den Beruf zu binden.

Wir organisieren die dreijährige Ausbildung in der Kranken- und Altenpflege gemeinsam mit einer Differenzierungsmöglichkeit innerhalb dieser Ausbildung. Die Ausbildung wird kostenfrei sein, wie es auch in allen anderen Berufen selbstverständlich ist. Selbst Einrichtungen und Träger fordern mittlerweile eine faire Umlagefinanzierung. Daran können Sie erkennen, wie hoch der Druck durch den Fachkräftemangel heute schon ist. Die Kostenfreiheit gilt selbstverständlich auch für Umschulungen.

Zusätzlich werden wir die Pflege akademisieren; auch insoweit unterscheiden wir uns in unseren An

(Ursula Sassen)

trägen. Wir führen Pflegestudiengänge ein, auch um überhaupt dem Niveau der europäischen Bildungsqualifikationen standhalten zu können, die gegenwärtig verglichen werden. Hier gibt es natürlich Empfindlichkeiten. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, zitiere ich den Präsidenten der Ärztekammer Westfalen-Lippe, der folgende Stammtischparole veröffentlichen ließ:

„Stecken Sie das viele Geld lieber in die Ausbildung anständiger Ärzte als in ein akademisches Proletariat!“

Sie sehen daran: Wir haben noch einen verdammt langen - Entschuldigung: einen langen - Weg vor uns.

Wichtig für die Modernisierung der Ausbildung ist es, dass ein durchlässiger Qualifizierungsaufstieg möglich ist. Auch das steigert die Attraktivität des Berufes und macht ihn für Menschen mit unterschiedlichen Bildungsniveaus zugänglich. Fort- und Weiterbildung werden durch eine Berufsordnung geregelt. Neben der Aus- und Weiterbildung müssen wir auch die Rahmenbedingungen des Berufsfeldes verbessern; denn wir wollen natürlich, dass die Menschen möglichst lange in ihrem Beruf bleiben, bleiben wollen und auch bleiben können.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dazu gehören unter anderem -

Frau Kollegin!

Das war ein Komma, kein Punkt. Sprechen Sie Ihren Satz zu Ende; dann frage ich Sie, ob Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Bohn zulassen.

Okay. - Frau Bohn bitte.

Liebe Frau Kollegin Pauls, teilen Sie meine Einschätzung, dass es erfreulich ist, dass wir in Schleswig-Holstein andere Ver

hältnisse haben und dass die Ärztekammer Schleswig-Holstein die Einrichtung einer Pflegekammer ausdrücklich unterstützt?

Das finde ich auch gut, ja.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Die Auffassung teile ich. Es gibt jedoch auch unter den Ärzten unterschiedliche Auffassungen. Einige Chirurgen sagen: „Ich brauche am OP-Tisch eine Krankenschwester, die den Haken und den Mund hält“, sehen also die Bemühungen zur Stärkung des Pflegeberufs nicht so gern. Solche Meinungen gibt es, aber generell gebe ich Ihnen Recht, Frau Bohn.

Dazu gehören unter anderem die Reduzierung der Dokumentationspflichten und anderer berufsfremder Tätigkeiten. Wir brauchen endlich einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff - weg von der Minutenpflege, hin zur patientenorientierten Pflege -, familienfreundliche und verlässliche Arbeitszeiten sowie angepasste Kinderbetreuungsangebote.

Die vereinbarten Mindestlöhne von 8,50 € müssen erhöht werden, und es bedarf in allen Bereichen einer tariflichen Absicherung. Anderen Ausbeutungsmechanismen, zum Beispiel die Anfahrtszeiten in ambulanten Diensten von und zu den einzelnen Patienten als Freizeit zu deklarieren, ist sofort Einhalt zu gebieten. Eine bessere Akzeptanz in der Gesellschaft ist nur durch die Aufwertung des Berufes zu erreichen. Präsenz und Sprachrohr werden durch eine Pflegekammer gewährleistet.

(Unruhe bei der SPD)

- Frau Präsidentin, ist es möglich, dass Sie die Kollegen bitten, ruhig zu sein? Das nervt mich.

(Zuruf von der CDU: Es sind doch Ihre eige- nen Kollegen!)

- Das sage ich, die eigenen Kollegen.

Eine bessere Akzeptanz in der Gesellschaft ist nur durch die Aufwertung des Berufes zu erreichen. Präsenz und Sprachrohr werden durch eine Pflegekammer gewährleistet. Es freut mich, dass die Grünen diesen Punkt nachträglich in ihren Antrag aufgenommen haben.

(Beifall bei der SPD)

Der Demenzerkrankung müssen wir besondere Aufmerksamkeit schenken. Viel zu lange haben wir Demente, Angehörige, aber auch Pflegepersonal in ihrer jeweiligen Situation alleingelassen. Als Voraussetzung - zur Finanzierung all dessen, was wir

(Birte Pauls)

vorhaben - brauchen wir selbstverständlich eine solidarische Bürgerversicherung.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Viel Lärm um wenig - so kann man den gestrigen Tag wohl betiteln. Die großen - angeblichen - Reformen sind mit den Ankündigungen von Gesundheitsminister Bahr wieder auf ein Trostpflästerchen reduziert worden.

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Oder glauben Sie ernsthaft, dass 2,15 € am Tag für die Rundumbetreuung eines Dementen wirklich weiterhelfen?

Aber nein; stattdessen werden auf Bundes- und auf Landesebene noch ein Beirat und noch ein Runder Tisch einberufen. Privatinstitute werden beauftragt und bezahlt. Wichtige politische Entscheidungen werden auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben.

Sie drücken sich an dieser Stelle vor der Verantwortung. Wir haben hier nämlich kein Wissensdefizit - alle Fakten liegen eigentlich auf dem Tisch -, sondern wir haben ein Handlungsdefizit. Jeder so vergeudete Tag ist ein schlechter Tag für die Pflege. Herr Garg, Sie haben noch 172 Tage Zeit. Tun Sie endlich etwas!