Protocol of the Session on November 17, 2011

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

Herr Carstensen, Sie haben das gründlich verseppelt. Was ist denn Ihr Realproblem? - Natürlich bekommen wir im Land eine vernünftige Konversion hin. Dafür muss man Geld in die Hand nehmen. Mit den Kommunen müssen außerdem neue Konzepte entwickelt werden. Aber mit der Einführung der Schuldenbremse haben Sie sich praktisch die Hand abgehackt.

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE] - Unruhe)

Da reden Sie drumherum, dass Sie mit der Einführung der Schuldenbremse den Ruin des Landes vorprogrammiert haben.

Die Standortschließungen in Schleswig-Holstein, mit denen wir uns heute befassen, sind Teil der strukturellen Neuausrichtung der Bundeswehr. DIE LINKE lehnt den beschlossenen Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundeswehr, die wir wollen, ist strukturell nicht angriffsfähig. Die Bundeswehr, die wir wollen, ist auf eine reine Verteidigungsaufgabe beschränkt.

(Beifall bei der LINKEN)

Und die Bundeswehr, die wir wollen, ist nicht größer als das reale Bedrohungspotenzial, das uns umgibt. Deshalb gilt für DIE LINKE: Wir begrüßen jeden Rückbau der Bundeswehr.

Am 26. Oktober 2011 hat der Bundesverteidigungsminister seine Pläne für die Standortschließungen bekannt gegeben. Danach werden in Schleswig-Holstein rund 10.000 Dienstposten wegfallen. Das sind etwa 40 % der bisherigen Stellen. Acht Standorte werden ganz aufgegeben, an weiteren vier Orten werden die Stellen so weit reduziert, dass sie nicht mehr als Standort geführt

werden. Wir rüsten jetzt ab. Und das - sagt DIE LINKE - ist gut so. Leider erfolgt das nicht im erforderlichen Ausmaß. Das liegt schlicht und einfach daran, dass eine Berufsarmee, die weltweit bewaffnet intervenieren kann, eher kostspieliger ist als eine Wehrpflichtarmee. Aber wir sehen einen Anfang. Die Schließung von acht Standorten in Schleswig-Holstein und der Abbau von über 10.000 militärischen Dienststellen markieren die Fortsetzung eines Rückbauprozesses der Bundeswehr, der vor knapp zwei Jahren begonnen wurde. Allerdings müssen wir sowohl der CDU als auch der SPD vorwerfen, dass sie diesen Prozess verzögert haben. Sie haben ihn eben nicht in angemessener Zeit umgesetzt. Im Aktionsplan der Landesregierung lesen wir dazu:

„Weitere Stationierungsentscheidungen … werden sukzessive bis 2017 umgesetzt.“

Das alles hätte schneller gehen können, da hätte energischer gehandelt werden müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Überhaupt ist der sogenannte Aktionsplan der schleswig-holsteinischen Landesregierung zur Unterstützung der vom Stationierungskonzept betroffenen Standorte ein einziges Dokument der Dürftigkeit. Unsere beiden Regierungsfraktionen CDU und FDP wollen diesen Aktionsplan im Landtag begrüßen lassen, weil die Landesregierung mit diesem Plan „umgehend Angebote beschlossen“ habe, um die betroffenen Kommunen zu unterstützen. Welche sind das, meine Damen und Herren? - Das bleibt Ihr Geheimnis. In Ihren ganzen Reden, Herr Carstensen, auch in Ihrer Regierungserklärung, haben Sie kein einziges konkretes Beispiel genannt, wie Sie die Kommunen hier letztlich unterstützen wollen, um das umzusetzen.

Der Aktionsplan hat keine Substanz. Er enthält nichts anderes als eine Aufzählung der Förderprogramme, die es bisher schon gibt, sozialer Wohnungsbau, strukturelle Umschichtungen. Das haben wir alles schon. Es gibt nichts Neues, was Sie in diesem Aktionsplan verankert haben. Das ist nur heiße Luft, und Sie klopfen sich auf die Schulter und halten es für wunderbar, was Sie bis jetzt auf den Weg gebracht haben. Das meinen wir nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Wirklichkeit des Föderalismus gehört: Niemand kann sparen, ohne bei den anderen Kosten zu erzeugen. Mit den rund 10.000 Stellen, die jetzt wegfallen, spart der Bund etwas weniger als eine

(Antje Jansen)

halbe Milliarde €. Wir fordern, dass das Geld, das der Bund hier einspart, ins Land fließt und uns der Bund mit diesem Geld bei der Konversion unterstützt.

(Beifall bei der LINKEN)

Eigenes Geld will die Landesregierung offensichtlich nicht in die Hand nehmen. Sie sagen hier auch immer, Sie hätten keines. Damit greift die Schuldenbremse gleichzeitig als Politikbremse. Es genügt eben nicht, sich mit einer höflichen Forderung nach einem Konversionsprogramm des Bundes und dem Hinweis auf eine „strukturpolitische Verantwortung der Bundeswehr“ aus der Verantwortung zu ziehen. So funktioniert die Welt nicht.

Der Abbau von Bundeswehrstandorten insbesondere in strukturschwachen Regionen stellt die betroffenen Kommunen zweifelslos vor gewaltige Herausforderungen, die sie aus eigener Kraft nicht bewältigen werden. Deshalb bleibt es selbstverständlich die Verantwortung der Bundesregierung, den Abbau sozialverträglich zu gestalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Es erweist sich gerade einmal wieder als ein kurzsichtiger Irrtum zu glauben, dass Bundeswehrstandorte Arbeitsplätze schaffen und sichern. Bundeswehrstandorte sind keine wesentliche und unwiederbringliche Steuerquelle und Überlebenschance für Kommunen. Es ist richtig, dass die Abhängigkeit der Städte und Kreise von den dort befindlichen Militäreinrichtungen sehr groß ist. Diese Erfahrung haben wir gemacht. Da haben wir in den letzten zehn Jahren einen großen Fehler gemacht, dass wir nicht eher mit der Konversion begonnen haben, die Familien und die Wirtschaft darauf vorbereitet haben, dass Bundeswehrstandorte einmal wegfallen werden. Das ist auch ein großer Fehler der Landesregierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass viele Arbeitsplätze durch die Standortschließungen gefährdet sind, habe ich eben gesagt. Deshalb sind Bund und Land in der Pflicht, durch finanzielle Hilfen sicherzustellen, dass die Kommunen nicht alleingelassen werden. Es geht nicht nur darum, Konzepte zu entwickeln, sondern die Kommunen müssen vornehmlich finanzielle Unterstützung erhalten, sonst werden sie den Konversionskraftakt nicht wuppen.

Militärische Standorte stellen nur in begrenztem Umfang einen Wirtschaftsfaktor dar, der kaum zur lokalen ökonomischen Entwicklung beiträgt. Nachhaltig ist dieser Faktor schon gar nicht. Bundeswei

te Untersuchungen haben gezeigt: Durch Standortschließungen fanden zwar Strukturveränderungen statt, aber negative Auswirkungen werden nicht festgestellt. Im Gegenteil, zivile Nutzungen, Nachnutzungen sind ökonomisch und regional häufig besser eingebunden und bewirken einen Anstieg der Steuereinnahmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Gefragt ist ein Politikwechsel mit zukunftsweisenden Antworten. Sie brauchen nur einmal einen vergleichenden Blick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den Bundesländern zu werfen: Bis 2006 lagen wir in Schleswig-Holstein beim Rückgang der Arbeitslosigkeit immer im oberen Drittel der Bundesländer, jetzt liegt das Land bei jungen Arbeitslosen im Oktober 2011 auf dem 15. Platz.

(Johannes Callsen [CDU]: Jetzt drehen Sie die Statistik aber um!)

Die Arbeitsmarktreform des Landes wird nur noch von Berlin untertunnelt. Das ist das reale Problem. Es gibt keine Arbeitsmarktpolitik der Landesregierung in Schleswig-Holstein. Es gibt auch keine Wirtschaftspolitik, die über die gezielte Förderung Ihrer eigenen Klientel hinausgeht. Die aber bräuchte das Land, um die Konversion zu bewältigen.

(Christopher Vogt [FDP]: Glauben Sie den Unsinn eigentlich selbst?)

Es gibt inzwischen langjährige Erfahrungen mit Standortschließungen. Mit einem langfristig angelegten, finanziell abgesicherten Konversionsprogramm können neue soziale, ökologische Perspektiven für die betroffenen Kommunen entstehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ehemalige militärische Liegenschaften wurden gewinnbringend umfunktioniert. Es gibt Beispiele sowohl für die privatwirtschaftliche Nutzung durch Ansiedlung von produzierendem oder dienstleistendem Gewerbe, genauso gibt es Beispiele für gelungene kommunale Nutzungen durch Kultur- und Bildungseinrichtungen oder die Schaffung von Naturreservaten, die wiederum touristische Nutzungen nach sich ziehen können.

Die Bundesregierung ist bisher offensichtlich nicht bereit, die Verantwortung für eine nachhaltige Konversionspolitik im Zuge der Schließung von militärischen Liegenschaften zu übernehmen. Soziale, ökologische und wirtschaftspolitische Aspekte spielen in der aktuellen Reform der Bundeswehr keine Rolle.

(Antje Jansen)

Die Landesregierung stellt sich in dieser Situation an den Straßenrand und verbindet maximale Betroffenheitsgefühle mit minimalen politischen Antworten. Auch ich finde es ein bisschen dürftig, nur zu sagen: Wir sind traurig für die Menschen, die jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren, wir sind traurig, traurig, traurig. Das reicht einfach nicht. Wir hätten erwartet, dass Sie in Ihrer Regierungserklärung heute auch Antworten geben und den Menschen Mut machen, dass wir es wuppen, die betroffenen Standorte umzuwandeln. Das haben Sie nicht gemacht.

Ich möchte noch einmal auf Ihren „Aktionsplan Konversion“ eingehen, der jede Karnevalszeitung veredeln würde. Er ist kein Beitrag zu einer politischen Lösung, insbesondere im Bereich der sogenannten langfristig geplanten Maßnahmen.

Beim Ministerium für Bildung und Kultur „bestünde ab 2013 theoretisch die Möglichkeit“, und es ist „zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar“, etwas zu machen. Das Innenministerium sieht derzeit eine „grundsätzliche Möglichkeit“, städtebauliche Gesamtmaßnahmen zu fördern. Die Fördermaßnahmen haben wir ja alle schon, Neues gibt es da gar nicht. Im einschlägigen Programm ist aber kaum Geld. Über soziale Wohnraumförderung werde man „zu gegebener Zeit entscheiden“. Bei den Ministerien für Landwirtschaft, Wirtschaft und Verkehr lassen sich „noch keine konkreten Angaben zu den inhaltlichen und finanziellen Rahmenbedingungen“ machen, und das ist „derzeit nicht absehbar“. Im Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit gibt es „noch keine konkreten Planungen“. - Das mag alles ehrlich sein, aber ein konkreter Plan sieht anders aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir erwarten, dass im „Aktionsplan Konversion“ auch neue Vorschläge gemacht werden. Das hätte uns geholfen, auch heute in der Diskussion. Wir erwarten von der Landesregierung deutlich mehr. Insbesondere fordern wir Sie auf, sich bei der Bundesregierung nachhaltig für ein Konversionsprogramm einzusetzen, das einen fairen, dauerhaften Lastenausgleich zwischen Bund, Ländern und Kommunen entwickelt.

Herr Ministerpräsident Carstensen, Sie haben ja gesagt, Sie würden sich im Bund dafür einsetzen. Ich hoffe, dass Sie jetzt mehr Erfolg haben als vorher, dass das tatsächlich etwas für Schleswig-Holstein bringt, und zwar so, dass soziale, wirtschaftliche und ökologische Folgen von Standortschließungen berücksichtigt werden. Wir fordern Sie auf, sich bei der Bundesregierung dafür starkzumachen, dass ein

Konversionsprogramm finanziell ausreichend ausgestattet wird. Das ist das Wenn und Aber jeder Umstrukturierung.

Das bedeutet das Auflegen eines Konversionsfonds, und zwar aus Mitteln des Verteidigungshaushalts. Wir wollen, dass das Geld, das im Verteidigungshaushalt eingespart wird, an SchleswigHolstein zurückgegeben und hier in die Konversion gesteckt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses Geld soll zur Finanzierung von Planungsund Machbarkeitsstudien für Wirtschafts- und Städtebauförderung dienen. Wir wollen konkrete Schritte für die Ermöglichung nachhaltiger Konversionsprogramme sehen. Bei der jetzigen Hilf- und Tatenlosigkeit der Landesregierung können wir nicht stehen bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich hoffe, Sie werden durch die Debatte im Landtag so viel Rückhalt und neue Ideen bekommen, sich auf Bundesebene mit Bundeskanzlerin Merkel darüber zu unterhalten und auszuhandeln, was für Schleswig-Holstein wichtig ist: hoffentlich viel, viel Geld.