Protocol of the Session on November 17, 2011

(Beifall bei SPD und SSW)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstens. Herr Kollege Magnussen, es ist ja schön, dass Sie in Ihrem Unternehmen übertariflich bezahlen. Genau solche guten Unternehmer wie Sie wollen wir dadurch schützen, dass wir Mindestlöhne einführen,

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

(Serpil Midyatli)

damit nicht andere mit Dumpinglöhnen Ihnen und Ihren Beschäftigten die Arbeit wegnehmen können.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

- Da Sie gerade reden, Herr von Boetticher: Sie haben - zweitens - das Aufstocken sehr gelobt. Dem Antrag von CDU und FDP kann ich entnehmen, dass Sie die Lohnfindung an marktwirtschaftlichen Gegebenheiten orientieren wollen. So steht es darin. Können Sie mir einmal sagen, was es mit Marktwirtschaft zu tun hat, wenn der Staat Löhne für Arbeitnehmer ganz oder teilweise an Unternehmen zahlt? Das hat gar nichts mit Marktwirtschaft zu tun. Es ist nicht Aufgabe des Staates, Löhne für Unternehmen zu zahlen, sondern die Unternehmen haben dies selbst zu tun.

(Beifall bei SSW und SPD - Zurufe von der CDU)

Es kann nicht anders laufen, lieber Kollege von Boetticher.

Drittens. Schauen Sie nicht nur auf heute oder auf morgen, sondern auch einmal auf übermorgen. Die Menschen, die jetzt mies bezahlt werden, zahlen auch wenig in die Rentenkasse ein. Sie werden keine vernünftige Rente bekommen und werden deshalb auch wieder auf Grundsicherungsleistungen des Staates angewiesen sein. Es kann doch nicht Ziel der Politik sein, dieses Problem zugunsten der Unternehmen, aber zulasten der Arbeitnehmer und der Rentner und des Staates zu verschieben und dafür Sorge zu tragen, dass der Staat in 20 oder 30 Jahren für die Fehler, die Sie heute machen, wieder den Kopf hinhalten muss. Das kann doch nicht angehen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Letztes, um vielleicht ein bisschen Einigkeit zu erzielen; denn der Vorschlag, den Herr Kollege Baasch vorhin gemacht hat, ist ja nicht schlecht. Wenn man das Aufstocken verhindern will - ich habe den Eindruck, das ist auch die Intention des Kollegen Kalinka -, dann kommt man irgendwann an ein bestimmtes Niveau heran. Man muss dieses Niveau aber nicht unbedingt gleich in einer Zahl ausdrücken, denn dann bekommen wir immer diese ideologischen Debatten, die wir gerade auch wieder geführt haben. Einigen wir uns doch auf Kriterien, nach denen eine Expertenkommission diesen Lohn später festlegt. Warum sollen wir das politisch tun, wenn dies eine Expertenkommission nachhaltig, dauerhaft gesichert machen kann? Das Idiotische,

was wir immer machen, ist, dass wir Forderungen aufstellen und uns dann gegenseitig die Köpfe einschlagen, anstatt zu sagen: Unabhängige Menschen machen das nach sachlichen Kriterien. Wenn das festgelegt ist, dann ist es egal, wie die Mehrheiten in diesem Parlament oder im Bundestag sind. Dann orientiert sich das, was als Mindestlohn festgelegt worden ist, an sachlichen Maßstäben. Das ist allemal besser, als wenn sich der Mindestlohn ständig nach oben oder unten bewegt, je nachdem, wie die politischen Mehrheiten sind.

Deswegen haben wir unseren Vorschlag so formuliert, wie wir ihn formuliert haben. Wir wollen, dass die Expertenkommission das macht. Ich denke, Sie müssten auch als CDU und als FDP keine Angst vor einer Expertenkommission haben, die paritätisch besetzt ist. Sie wird schon zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Ich bin davon überzeugt, es wird genau da liegen, wo alle anderen es immer sehen, bei 8,50 €, vielleicht auch bei 9 €; aber auch das wäre gerecht.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Für die Landesregierung hat nun der Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herr Dr. Heiner Garg, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst will ich deutlich meiner Erschütterung darüber Ausdruck verleihen, wie verächtlich der Kollege von der LINKEN hier über ein Grundrecht gesprochen hat.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Tarifautonomie ist ein Grundrecht. Sich hier mit einem Beitrag zu profilieren und zu sagen: Das Zeug von der Tarifautonomie kann ich nicht mehr hören, finde ich ausgesprochen gefährlich.

(Ulrich Schippels [DIE LINKE]: Lesen Sie es einmal nach!)

- Das zeugt auch von einem merkwürdigen Rechtsstaatsverständnis, sehr geehrter Herr Kollege Schippels.

(Beifall bei FDP und CDU)

Zweitens. Lieber Lars Harms, ich bin völlig bei Ihnen: Es ist Aufgabe der Unternehmen, Löhne zu

(Lars Harms)

zahlen. Dann ist es aber nicht Aufgabe des Staates, die Höhe dieser Löhne vorzuschreiben. Der Staat diktiert schließlich auch keine Preise.

(Beifall bei FDP und CDU)

Drittens. Wir werden morgen darüber diskutieren, dass das mit Abstand größte Armutsrisiko das Nichtbesitzen eines Arbeitsplatzes ist. Das mit Abstand größte Armutsrisiko besteht darin, dass man keinen Job hat. Deswegen fand ich es merkwürdig, wie manche hier einfach über die Arbeitsmarktentwicklung des Landes hinweggehen, so als sei es kein Gewinn, im Übrigens auch kein Gewinn für die Armutsprävention, dass wir in diesem Land so viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse wie noch nie haben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich diskutiere dieses Thema ja auch in meiner eigenen Partei sehr emotional und auch nicht immer Spaß bringend, wie Sie sich vorstellen können. Aber bei aller Emotionalität - wer sich hier hinstellt, Kollege Tietze oder auch Kollege Kalinka, und unter Applaus, weil sehr emotional, Mindestlöhne fordert, von denen Menschen und ihre Familien, wenn wir einmal das Kindergeld ausnehmen, ohne weitere Sozialtransfers leben können, der muss wissen und auch ganz deutlich sagen, dass er Mindestlöhne von über 14 € die Stunde fordert. Denn anders wäre dieser Anspruch überhaupt nicht zu gewährleisten. Auch das gehört zur Redlichkeit dazu.

(Beifall bei FDP und CDU)

- Ich sage nur: Das gehört dazu, und das muss man dann diskutieren.

Zur Arbeitsmarktentwicklung! Meine Damen und Herren, Gutachten hin oder her - ich sage mit gutem Gewissen, weil ich die Diskussion in meiner Partei ja mit angestoßen habe: Es lohnt ein Blick nach Europa, in die Länder ohne Mindestlohn

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Gibt’s kaum wel- che!)

und in die Länder mit Mindestlohn.

- Der größte Twitterer aller Zeiten ruft gerade dazwischen: „Gibt’s kaum welche!“ - In Deutschland, dem einen Land ohne Mindestlohn, hat sich die Arbeitslosigkeit von 12 % auf 6 % halbiert; in Österreich, dem anderen Land ohne Mindestlohn, ist sie von 4,5 auf 3,7 % gesunken. In den Ländern mit Mindestlohn sieht es wie folgt aus: In Luxemburg ist sie von 1,5 % auf 5,5 % gestiegen. In Großbritannien hat sie sich von 4 % auf 8 % verdoppelt. In

Portugal ist sie von 4 % auf 13 % gestiegen, in Frankreich von 7 % auf 10 % und in Irland von 3,7 % auf 15 %.

Herr Kollege Stegner, Sie können sich die Gebühren für Ihren nächsten Twitter-Account sparen:

(Christopher Vogt [FDP]: Das kostet nichts!)

Das hat mitnichten ausschließlich mit der Einführung von Mindestlöhnen zu tun. Aber es lohnt sich, einmal hinzuschauen, warum sich die Arbeitsmarktdaten in diesen Ländern so entwickelt haben, welche -

(Zurufe von der SPD)

- Halten Sie doch einfach mal die Klappe!

(Widerspruch bei der SPD)

- Ich entschuldige mich bei Ihnen. Das war ein unparlamentarischer Ausdruck. Ich nehme ihn mit größtem Bedauern zurück. Lassen Sie mich einfach meinen Gedanken entwickeln, sehr geehrter Herr Kollege Oppositionsführer.

(Zurufe)

Ich will einfach den Blick darauf lenken, dass es sich lohnt, sich die sehr unterschiedliche Arbeitsmarktentwicklung in diesen Ländern anzusehen.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass ich den Umstand der gesellschaftlichen Entwicklung als völlig unbefriedigend kritisiert habe, dass es auf der einen Seite Menschen gibt, die an fünf Tagen in der Woche acht Stunden arbeiten und mit Niedrigstlöhnen abgespeist werden. Auf der anderen Seite gibt es mittlerweile Unternehmen, die das zum Geschäftsmodell erhoben haben. Diese Unternehmen hängen der Philosophie an, dass der Steuerzahler schon so dumm sein wird, deren Niedrigstlöhne dauerhaft durch Steuern zu subventionieren. Das ist ein Geschäftsmodell, das nicht in die soziale Marktwirtschaft passt. Hier muss mit einem entsprechenden Instrument gegengelenkt werden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich glaube auch, dass die Philosophie und das Prinzip des Aufstockens, eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen, nach wir vor richtig sind. Diese Philosophie wird nur dann in ihr Gegenteil verkehrt, wenn daraus dauerhafte Wettbewerbsnachteile zulasten von Handwerksbetrieben und Betrieben des kleinen Mittelstands entstehen. Genau da müssen wir eingreifen, davon bin jedenfalls ich überzeugt.

(Minister Dr. Heiner Garg)

(Beifall bei FDP, SSW und vereinzelt bei der CDU)