Protocol of the Session on September 15, 2011

„Zwei Experten, drei Meinungen. … Ohne Frage ist das Thema schwierig, es gibt weder einfache noch gute Antworten und keine reine Lehre.“

Lieber Herr Kollege Habeck, das unterstreiche ich nachdrücklich. Es wäre nur schön gewesen, wenn Sie dieser Weisheit in Ihrer Rede auch irgendwelche Taten hätten folgen lassen.

(Björn Thoroe)

(Beifall bei CDU und FDP)

Im Gegenteil! Die Rede, die Sie hier abgelassen haben, war so, als hätten Sie gerade den Nobelpreis für Ökonomie bekommen. Sie war von oben herab, sie war besserwisserisch, und ich finde, sie ist auch Ihrem eigenen Anspruch in keiner Weise angemessen.

(Beifall bei CDU und FDP)

In diesen Tagen erinnere ich mich an eine Debatte, die ich 1997 am europarechtlichen Seminar der Universität Hamburg mit dem Oxford-Absolventen und Wirtschaftsrechtler Tibor Pataki hatte. Er sagte damals: Ihr macht in Europa im Augenblick einen strategischen Fehler. Ihr bildet eine Währungsunion, aber ihr habt keine Mechanismen für eine gemeinsame Finanz- oder Steuerpolitik. Ihr habt auch keine vernünftigen Sanktionsmechanismen.

Ich sagte damals: Die Sanktionsmechanismen, die wir haben, sind doch eigentlich sehr weitreichend. Sie gehen bis hin zur Strafzahlung. Er sagte: Glaubt ernsthaft irgendjemand in Europa, dass ein Land zum Beispiel Frankreich - dann, wenn es gegen die Kriterien verstößt, Strafzahlungen im Europäischen Rat akzeptieren würde? - Das sind Phrasen, das sind keine Dinge, die sich in der Wirklichkeit realisieren lassen.

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stegner?

Lieber Herr Kollege von Boetticher, darf ich aus dem Zitat des Oxford-Absolventen, das Sie sich zu eigen gemacht haben, wenn ich es richtig verstanden habe, schlussfolgern, dass Sie der politischen Forderung in unserem Antrag zustimmen können, denn genau dies wird in unserem Antrag gefordert?

Zweitens frage ich, weil Sie die Rede des Herrn Kollegen Habeck kritisiert haben: Finden Sie die Äußerungen von führenden FDPVertretern, insbesondere des Bundeswirtschaftsministers, geeignet, diesen Prozess zu befördern?

- Ich halte im Augenblick eine ganze Reihe von Beiträgen für geeignet, um die Debatte über die Sorgen und Nöte der Menschen zu führen, die diese

mittlerweile mit der Europäischen Union verbinden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich glaube, der große Fehler ist, dass wir jetzt anfangen, uns bei unserer Argumentation gegenseitig die Europafähigkeit oder das Europabewusstsein abzusprechen. Das wird der Sache erst recht nicht gerecht. Der Kollege Habeck kommt zu der Analyse, dass die Sache schwierig ist und dass es auch unter den Experten keine einheitliche Meinung gibt. Daher tun wir doch gut daran, wenn wir kontrovers diskutieren, uns aber gleichzeitig insofern respektieren, als dass wir alle derzeit Sorgen und Nöte um die Europäische Union habe. Ich muss sagen, dass erkenne ich zumindest von dieser Seite in der Debatte nicht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich würde Ihnen niemals die Europafähigkeit oder das Europabewusstsein absprechen, nur weil ich Ihre Argumente in der Sache am Ende nicht teile.

Was kam dann in der Folgezeit? In der Folgezeit kamen die blauen Briefe. Wir erinnern uns an die Debatte 2002, wo Herr Eichel das damals nicht besonders ernst genommen hat. Ich sage auch ganz deutlich, ob die Union in der Frage anders reagiert hätte, weiß ich nicht. Das ist für mich keine parteipolitische Frage, sondern die Erkenntnis, dass die Sanktionsmechanismen, die die Europäische Union selbst entwickelt hat, überhaupt nicht gegriffen haben. Bei der Aufnahme von Griechenland hat damals jeder schon gewusst, dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, man hat es trotzdem gemacht. Das ist keine parteipolitische Schuld, das ist die Erkenntnis, dass das, was wir an Recht und Rahmen in der Europäischen Union geschaffen haben, offensichtlich nicht so wirksam ist, wie wir das wollten.

Nun erkenne ich an, dass dieser Weg, der jetzt beschritten ist, nicht das ist, was ursprünglich verabredet war. Wenn wir gucken, was die Europäische Zentralbank macht, so ist das gegen all die Regeln, für die wir als Deutsche mit unserem Stabilitätsbewusstsein lange gekämpft haben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Auch gegen den Vertrag!)

Vielleicht ist der Weg der richtige; das weiß ich nicht. Aber eines macht mir große Sorgen. Ich habe die Sorge, dass, wenn wir in die Transferunion gehen, die Hausaufgaben, die man damals nach meinem Verständnis zu Recht analysiert hat, von niemandem angegangen werden. Ich höre von Herrn

(Dr. Christian von Boetticher)

Sarkozy nicht, dass wir jetzt eine europäische Finanz- und Steuerpolitik wollen. Ich höre auch nichts davon, dass wir harte Sanktionsmechanismen wollen. Im Gegenteil, sogar in unserer nationalen Debatte wären wir doch nicht ernsthaft bereit, wenn wir über Verschuldungspolitik reden, zu akzeptieren, dass wir dann, wenn wir unsere Kriterien auf dem Weg zur Entschuldung nicht einhalten, beispielsweise mit Stimmenverlust im Bundesrat sanktioniert würden.

Darum sage ich Ihnen noch einmal, und das ist, glaube ich, auch die Sorge der Bevölkerung: Ich habe die Sorge, dass es, wenn wir jetzt in die Transferunion gehen - das ist ja der Weg, der vorgezeichnet ist, vielleicht ist der sogar mal, obwohl ich das Wort hasse, alternativlos -, die Sanktionsmechnismen, die man braucht, um Disziplin in einem solchen Solidaritätsverbund zu wahren, nicht gibt und sich niemand ernsthaft um diese Dinge im Augenblick bemüht.

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ja, ich komme zum Schluss. - Ich glaube, das wäre die Aufgabe einer vernünftigen Debatte: Wie schaffen wir ein Europa, das diese beiden Kriterien vernünftig erfüllt?

(Beifall bei CDU und FDP)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat sich der Kollege Rolf Fischer gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn eine Sache nachholen, die wir sonst aus Tradition immer machen. Wenn über Berichte diskutiert wird, dann gilt es auch immer, den Mitarbeitern, die diese Berichte erstellt haben, zu danken. Das möchte ich gern an den Anfang meines Dreiminutenbeitrags stellen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich aber gleichzeitig sagen: Drei Minuten, um über den Europabericht zu sprechen darauf werde ich mich in weiten Teilen beschränken -, ist im Grunde genommen zu wenig. Ich würde mich freuen, wenn wir mehr Zeit dafür hätten.

Das wäre dem Bericht nämlich angemessen. Ich werde mich deshalb, was Sie nicht verwundern wird, auf einen Kritikpunkt beschränken und den zwar fundiert, aber in aller Kürze vortragen.

Zentraler Kritikpunkt ist: Dem sozialen Europa, diesem Leitbegriff moderner Europapolitik, gönnen Sie in Ihrem Bericht keine Überschrift, keinen Absatz, keine Zeile. Wenn ich es richtig gesehen habe, taucht dieser Begriff im gesamten Bericht überhaupt nicht auf. Deshalb der Eindruck: Das ist keine Nachlässigkeit, das scheint ein Fehler zu sein.

Herr Callsen, das, was wir vorhin von Ihnen in Richtung Europapolitik gehört haben, zeigt: Das ist das Ergebnis, die Folge einer eindimensionalen Europapolitik. Längst haben Sie die Europapolitik der Wirtschaftspolitik untergeordnet. Längst haben Sie Europapolitik auf den ökonomischen Bereich verkürzt. Egal, wohin man in dem Bericht schaut Dänemark-Strategie, Nord- und Ostseekooperation, Meerespolitik, Wirtschaftsförderung, Agrarpolitik, Strukturfonds, selbst die wenigen genannten Programme zur Verbesserung von Arbeit und Ausbildung -, alles dient zuerst der wirtschaftlichen Belebung. Meine Damen und Herren, diese Reduzierung ist kein akuter Schwächeanfall, das ist ein struktureller Mangel Ihrer Europapolitik, und zwar auf Bundes- wie auf Landesebene.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, gerade in der aktuellen Krise rächt sich diese Eindimensionalität. Schleswig-Holstein ist längst nicht mehr Motor in der Ostseepolitik. Wir sind Beobachter in der Nordseepolitik. Wir beginnen mit dem Abbau europapolitischer Kompetenzen in diesem Land, der sich rächen wird. Ich nenne als Beispiel den Verzicht auf eine Europe-direct-Informationsstelle und als ein weiteres Beispiel vor allem die mögliche Schließung der EVZ, der Europäischen Verbraucherzentrale.

Meine Damen und Herren, wenn wir über die Vertrauenskrise Europas sprechen, dann gibt es doch zwei Punkte, die da eine ganz große Rolle spielen. Wo empfinden die Menschen Europa? Sie empfinden Europa in ihrem Alltagsleben. Wenn man von ihnen Mobilität verlangt, wenn man verlangt, dass sie über die Grenzen gehen, dass sie sich europaweit bewegen, Handel treiben, einkaufen, dann muss es doch auch möglich sein, dass ihre Rechte als Verbraucher geschützt sind. Dazu gehört eine funktionierende, eine moderne, eine auf Perspektive angelegte Europäische Verbraucherzentrale. Wir haben eine in Kiel für den ganzen nordeuropäischen Bereich. Die wird sehr gut angenommen. Diese

(Dr. Christian von Boetticher)

Landesregierung schleift sie, kann man sagen. Das sind, glaube ich, Beispiele, die wir nicht gebrauchen können, wenn wir für ein Europa der Bürger sind. Das soziale Europa, das unser Ziel ist, ist ein Europa der Bürger.

Deswegen, Herr Callsen, am Ende noch eine grundsätzliche Bemerkung. Sie werden diese Probleme der europäischen Struktur- und Finanzkrise nicht lösen ausschließlich durch die Finanzpolitik. Hier ist mehrfach gesagt worden, dass es nur geht im Rahmen einer gemeinsamen Sozialpolitik, im Rahmen einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Ein so eindimensionaler Ansatz, den auch die Bundesregierung leider auf Bundesebene verfolgt, die sogar noch so weit geht, dass sie ihre Wirtschaftspolitik sozusagen auf Europa überträgt, ist etwas, was das Problem nicht lösen wird. Das wird das Problem eher vertiefen. Ich möchte Sie bitten, noch einmal darüber nachzudenken. Niemand spricht Ihnen die Europafähigkeit und die Europawilligkeit ab, aber diese Eindimensionalität, in der Sie sich bewegen, wird dieses Problem nicht lösen.

(Beifall bei der SPD)

Als nächsten Redner habe ich auf der Liste den Kollegen Jezewski von der Fraktion DIE LINKE. Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Ministerpräsident, Sie haben dankenswerterweise auf die lange Zeit des Friedens in Europa hingewiesen. Ich erinnere nur mal daran, dass ein Krieg nicht dadurch Frieden wird, dass er in Afghanistan und nicht in Kiel stattfindet. Wir haben schon lange keinen Frieden mehr in Deutschland.

Eurobonds, so haben Sie gesagt, Herr Ministerpräsident, führen zu höheren Zinsbelastungen des Landes. Das stimmt, und das ist zu Recht so.

Herr Kubicki, Sie haben auch zu Recht auf BundLänder-Anleihen hingewiesen. Was würden wir denn sagen, wenn wir Bund-Länder-Anleihen machen und Bayern sagen würde, können wir machen, aber bitte Schleswig-Holstein und Bremen vorher rausschmeißen, sonst werden die Zinsen höher? Natürlich muss, wenn man sich in einer Solidargemeinschaft befindet, einer für den anderen einstehen. Angesichts der Zahlen, die Herr Callsen genannt hat - 800 Millionen € globale Fördermittel, 44 Millionen € für die Schleswiger Region, 23 Mil

lionen € für die Fehmarn-Region, das sind 867 Millionen € -, müssten wir sehr lange kämpfen, bis die höheren Zinsen diese Fördermittel für das Land wieder ausgleichen würden.

Wir befinden uns meines Erachtens aber nicht in einer Finanzkrise, wir befinden uns in einer Legitimationskrise, und das hat auch einen Grund. Wir befanden uns in Deutschland schon einmal in einer solchen Krise, nämlich Anfang der 70er-Jahre, als man auch gedacht hat, es sei eine Finanzkrise, aber es war eine Legitimationskrise. Wo liegen die Ursachen? Wir haben 1948 eine Währung geschaffen und ein Jahr später versucht, auf diese Währung einen Staat zu bauen. Das hat sich Anfang der 70er-Jahre gerächt. Wir haben 2001 wieder eine Währung geschaffen und haben gesagt, das politische Zusammenwachsen werde dieser Währung schon folgen. Wir sehen jetzt, dass das nicht funktioniert.

Hauptgrund für die Einführung des Euro war es meines Erachtens, der deutschen Industrie zu ermöglichen, gute Geschäfte zu machen. Das ist nicht illegitim. Dazu zählt übrigens - das hat Herr Stegner zu Recht gesagt - auch die Waffenindustrie. Aber sobald es Probleme gibt, ist plötzlich die Solidarität am Ende. Dann sagt man: Jetzt müssen die Griechen raus, jetzt müssen die Griechen eine geordnete Insolvenz machen.

Die Frage ist doch: Was wäre passiert, wenn wir in Deutschland immer so argumentiert hätten? Dann wäre Bremen schon lange nicht mehr Deutschland, dann wäre Schleswig-Holstein nicht mehr Deutschland. Alle diese Punkte sollten wir weiter diskutieren.

Herr Stegner, Ihre Rede hat mir sehr gut gefallen. Sie hat mich an andere große sozialdemokratische Reden erinnert, die ich schon gehört habe. Es gab ja immer schon Vorsitzende in der SPD, die ich sehr bewundert habe. Es gab einen, der schon vor mehr als zehn Jahren zu Recht darauf hingewiesen hat, dass Euro-bonds eine Möglichkeit sein könnten. Mit welchem Recht wollen wir jetzt über den Vertrag reden und Griechenland rausschmeißen, sind aber überhaupt nicht willens, über den EZB-Vertrag zu reden und zu sagen, auch die EZB könnte Direktkredite an Länder vergeben? Dann wäre die Zinsbelastung für diese Länder längst nicht so hoch. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir zumindest über Eurobonds reden.