Protocol of the Session on September 15, 2011

Drucksache 17/1614

Für die Landesregierung erteile ich dem Herrn Innenminister Klaus Schlie das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zur Umsetzung des Landtagsbeschlusses vom 18. März 2010 zur Bekämpfung der Jugendkriminalität hat die Landesregierung eine interdisziplinäre Expertengruppe beim Rat für Kriminalitätsverhütung in Schleswig-Holstein eingerichtet.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Diese hatte den Auftrag, eine detaillierte Sachstandsanalyse der präventiven und repressiven Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendkriminalität in Schleswig-Holstein vorzunehmen.

Den ersten Berichtsteil zur Kooperation öffentlicher und nicht öffentlicher Stellen beim Umgang mit ju

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

gendlichen Mehrfach- und Intensivtätern sowie zu Programmen und Konzepten zur Prävention von Kinder- und Jugendkriminalität hat die Landesregierung im Juli 2010 vorgelegt. Die Ihnen nunmehr vorliegende Stellungnahme der Landesregierung bezieht sich insbesondere auf den beigefügten zweiten Berichtsteil. Darin hat die Expertengruppe die erkennbaren Schwachstellen bei der Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität sowie beim Umgang mit jugendlichen Mehrfach- und Intensivtätern identifiziert und Vorschläge für deren Beseitigung herausgearbeitet.

Insgesamt stützt die Landesregierung die Empfehlung der Expertengruppe, das Prinzip der frühen Prävention und Intervention konsequent umzusetzen und damit der Kumulation von Risikofaktoren entgegenzuwirken. So hat die Expertengruppe nachdrücklich den Ausbau der Maßnahmen für Kinder und junge Familien empfohlen. Die frühzeitige und nachhaltige Vermeidung kognitiver und sozialer Kompetenzen schafft die Grundlage für schulischen Erfolg, erhöht die Wahrscheinlichkeit auf geringere Delinquenz und eröffnet perspektivisch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Zugleich aber wird die Notwendigkeit für einen besonderen Umgang mit jungen Mehrfach- und Intensivtätern betont, und es wird empfohlen, für die Definition dieser Gruppe von Straftätern nachvollziehbare Kriterien festzulegen.

(Beifall der Abgeordneten Serpil Midyatli [SPD])

Zudem gilt es, die Zusammenarbeit der beteiligten Behörden und Institutionen, deren vernetztes Vorgehen für eine durchgreifende Eindämmung von Jugendkriminalität zwingend erforderlich ist, noch weiter zu verbessern.

Die Landesregierung hat diese Empfehlungen bereits aufgegriffen. Unter Federführung des Innenministeriums und unter Beteiligung der weiteren betroffenen Ministerien wird aktuell ein ressortübergreifendes Landesrahmenkonzept für den Umgang mit Mehrfach- und Intensivtätern entwickelt. Darin werden alle Interventionsmaßnahmen der vorrangig eingebundenen Akteure, namentlich von Polizei, Justiz, Jugendhilfe und - bei Bedarf - der Schule - gebündelt.

In einem ersten Schritt haben sich das Innenministerium und das Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Integration auf eine neue Definition für Mehrfach- und Intensivtäter verständigt. Dabei spielt nicht mehr nur die Anzahl der begangenen Straftaten eine Rolle, sondern auch Kriterien wie

zum Beispiel die Schwere der Taten, die Gewaltbereitschaft, die Sozialschädlichkeit und die kriminelle Energie sowie die Täterpersönlichkeit und ihr soziales Umfeld werden berücksichtigt. Wir versuchen übrigens auch, uns im norddeutschen Raum auf einer gemeinsamen Basis zu bewegen. Vereinbart ist, diese neue Definition nach einem Jahr auf ihre Praxistauglichkeit hin zu überprüfen und bei Bedarf natürlich auch anzupassen.

Bereits am 19. September 2011 wird sich eine Arbeitsgruppe der Staatssekretäre des Innen-, Justiz-, Sozial- und Bildungsressorts unter Leitung des Innenstaatssekretärs konstituieren, um unter Beteiligung der kommunalen Landesverbände ein gemeinsames Handlungskonzept „Jugendkriminalprävention“ zu erarbeiten. Ziel ist eine verbindliche Vereinbarung, deren Umsetzung durch eine aus den Staatssekretären der beteiligenden Ressorts zu bildenden Lenkungsgruppe koordiniert wird. Diese Vereinbarung muss auch zum Ausdruck bringen, dass Schule, Jugendhilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft das gemeinsame Ziel haben, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit durch Informationsaustausch und Verfahrensabstimmung eine frühestmögliche Hilfestellung und Intervention unter besonderer Berücksichtigung kinder- und jugendspezifischer Instrumente zu gewährleisten. Dies ist die Voraussetzung, um kriminelle Karrieren frühzeitig zu erkennen und beenden zu können.

In jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt, also bei den Trägern der Jugendhilfe, soll eine sogenannte Jugend-Taskforce eingerichtet werden. Diese setzt sich aus den bereits genannten Akteuren von Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und gegebenenfalls Schule zusammen. Dabei soll auf bereits vor Ort bestehende Strukturen zurückgegriffen werden, die zum Teil schon ganz herausragende Arbeit leisten.

Aber auch wenn an vielen Stellen des Landes die Zusammenarbeit bereits gut funktioniert, gilt es, durch die Stärkung der Kommunikation sicherzustellen, dass der Staat auf eine Tat sowohl schnell als auch mit einer spürbaren Konsequenz für den Täter reagiert. Es müssen in allen Kreisen und kreisfreien Städten die gleichen Strukturen vorhanden sein. Die gemeinsame Aufgabe besteht daher darin, Maßnahmen der Prävention und Intervention miteinander zu verzahnen und im Einzelfall aufeinander abzustimmen. Diese Maßnahmen müssen konkret auf die Probleme vor Ort zugeschnitten sein, und sie müssen schnell umgesetzt werden. Wir brauchen keine neuen Theorien, sondern praktisches Handeln.

(Minister Klaus Schlie)

Ich bin davon überzeugt, dass die Jugend-Taskforce mit diesen neuen Strukturen auf dieses Phänomen insgesamt im Land Antworten finden und schnell, zügig und wirksam eingreifen kann. Ich bin allen beteiligten Ressorts für die Mitarbeit und für die Gestaltung dieses gemeinsamen Konzepts sehr dankbar.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die CDU-Landtagsfraktion erteile ich dem Herrn Kollegen Werner Kalinka das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Staat darf nicht zuschauen, wenn Menschen attackiert, geschlagen oder verletzt werden. Und wenn dies schon von jungen Leuten geschieht - einfach weil sie Bock darauf haben, anderen Menschen wehzutun -, dann müssen wir energisch und deutlich einschreiten.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Bei- fall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

Wir haben eine Zahl X - je nach Definition - von jungen Leuten in Schleswig-Holstein, die bereit sind, ohne Schranken kompromisslos zuzuschlagen. So darf es nicht weitergehen. Die Gruppe, über die wir uns hier unterhalten, begeht 58 % aller Raubdelikte und 48 % aller Körperverletzungen. 41 % der Gewalt- und Raubdelikte geschehen unter Alkoholeinfluss. Ich glaube, das sind Zahlen, die man sich erst einmal vergegenwärtigen muss. Das sind alles Delikte, die von unter 21-Jährigen hier im Land begangen werden. Da ist ein deutliches Einschreiten unabdingbar.

Deutlicher als durch die Zahlen kann man das Problem doch gar nicht beschreiben. Es gibt keine rechtsfreien Räume, dies gilt auch für jugendliche Intensiv- und Gewalttäter. Unsere Bürger und unsere Jugend haben ein Recht darauf, vor Gewalttaten geschützt zu werden. Ich setze einen Satz hinzu: Jeder kann betroffen sein, jeder kann Opfer sein. Das kann schneller passieren, als man sich das manchmal vorstellt. Was wir in Berlin oder auch woanders auf Bahnhöfen erlebt haben, ist nicht so weit weg. Das könnte an jedem Ort, auch bei uns, sein. Wir haben dazu genug erschreckende Botschaften und Zeitungsmeldungen.

Nötig sind Sanktion und Prävention. Das eine geht nicht ohne das andere. Wir brauchen eine eingebet

tete Struktur aus Schule, Polizei und Justiz sowie dem Elternhaus.

Meine Damen und Herren, der Kollege Dr. Christian von Boetticher und ich haben im Juni ein Programm der Landtagsfraktion hierzu vorgestellt. Ich möchte einige der Punkte daraus in Erinnerung rufen.

Es geht zum einen um die Frage, inwieweit man zum Beispiel die Geeignetheitsprüfung beim Führerschein mit einbeziehen kann. Das geschieht schon in einigen Städten in Deutschland. Wenn man merkt, die Geeignetheit und Zuverlässigkeit könnte infrage stehen, dann reagieren auch welche, die sonst nicht reagieren. Hier wäre beispielsweise ein Handlungsansatz. Es nennt sich das Gelbe-Karten-Modell.

Zweiter Punkt: Die Strafe muss der Tat auf dem Fuß folgen. Wir haben das Vorrangige Jugendverfahren in Schleswig-Holstein. Dazu liegen folgende Zahlen für 2009 vor: Flensburg 14, Itzehoe 12, Kiel 75 und Lübeck 7. Dies zeigt das uns bekannte Gefälle, lieber Kollege Peter Lehnert. Das ist ein Bereich, in dem wir uns in starkem Maße engagiert haben, ich denke, das ist auch ein wichtiger Punkt, damit Strafe schnell erfolgen kann.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Axel Bern- stein [CDU])

Die Möglichkeit der geschlossenen Heimunterbringung sollte als Chance verstanden werden. Wir können die Diskussion emotional führen, und wir können die Diskussion rational führen. Ich führe sie rational. In der Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss haben die Praktiker gesagt, es gebe junge Leute, die müssten Zeit haben, wieder zu sich selbst zu kommen. Die Situation ist viel zu ernst und zu dramatisch. Deshalb appelliere ich auch an Sie, in dieser Frage praktisch zu denken und das nicht nur aus einer bestimmten Sichtweise zu sehen. Es gibt gar keine andere Möglichkeit, als manche für eine bestimmte Zeit aus dem Verkehr zu ziehen, um sie gegebenenfalls vor sich selbst und die Allgemeinheit vor ihnen zu schützen.

(Zuruf der Abgeordneten Serpil Midyatli [SPD])

- Sie können das anders sehen, aber ich bleibe bei meiner sehr sicheren Meinung - gerade auch nach der Anhörung. Bei der Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss hat diese Position ein deutliches Ja bekommen.

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Auch im Jugend- Taskforce-Bericht?)

(Minister Klaus Schlie)

- Ich trage die Beschlusslage der CDU-Landtagsfraktion vor.

Wir als CDU-Landtagsfraktion haben vorgeschlagen zu überlegen, inwieweit man den jugendlichen Intensivtätern eine stärkere personelle Betreuung zukommen lassen kann. Das Projekt „100 Helfer“ sei hier als Beispiel genannt.

Wichtig ist der Ausbau der Schulsozialarbeit. Hierzu sind bereits einige Ausführungen gemacht worden, und sie werden sicher auch noch länger in der Diskussion sein. Die sozialen Probleme, die wir an den Schulen haben, sind nicht zwischen Stadt und Land zu unterscheiden, sondern sie bestehen überall. Sie tauchen überall auf, alles andere wäre ein Irrtum.

Wir werden uns mit dem Thema Alkoholmissbrauch stärker beschäftigen müssen, ob durch Aufklärung oder andere Instrumente an den Schulen. Das ist ein wichtiger Faktor, der in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben darf.

Lassen Sie mich den vorletzten Punkt angesichts der begrenzten Zeit hinzusetzen: 98 % der 18- bis 21-Jährigen werden in Schleswig-Holstein nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. Dies ist in anderen Bundesländern ganz erheblich anders. Ich glaube, auch mit diesem Thema müssen wir uns beschäftigen.

Die Neudefinition der Skala jugendlicher Intensivtäter ist vom Innenminister vorgetragen worden. Dies findet unsere Unterstützung.

Lassen Sie mich abschließend festhalten: Die Jugend-Taskforce ist - so wie sie vorgeschlagen worden ist - ein Handlungsinstrument, was von uns unterstützt wird und auch unserem Vorschlag entspricht. Da sind wir uns völlig einig. Wir führen diese Diskussion seit zwei Jahren, seit 2009, wir haben sie aber auch in den Jahren davor schon geführt. Ich denke, es ist an der Zeit, deutliche Maßnahmen in Gang zu setzen, damit jugendliche Intensiv- und Gewalttäter in Schleswig-Holstein möglichst wenig zur Entfaltung kommen können.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Serpil Midyatli.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dieser Bericht macht so rich

tig viel Spaß. Eigentlich hätte ich meine gesamte Rede nur mit Zitaten aus und Verweisen auf Seiten des Berichtes bestücken können. Ich habe mich aber dann doch entschieden, das anders zu machen.

Auch im Namen meiner Fraktion möchte ich mich zunächst recht herzlich für diesen Bericht bedanken. Für zwei Kollegen hier im Haus dürfte dieser Bericht wohl sehr ernüchternd sein. Ich möchte gern vorwegnehmen, dass es im Gesamtergebnis keinen Anstieg der Jugendkriminalität in Schleswig-Holstein gibt. Dieses wird im Bericht mehrfach wiederholt und herausgestellt, lieber Herr Kollege Kalinka.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Die üblichen Verdächtigen bei diesem Thema sollten endlich aufhören, hier Populismus zu betreiben. Damit sind sie in Hessen bereits einmal böse auf die Nase gefallen. Ich komme noch einmal darauf zurück.