Protocol of the Session on September 15, 2011

Für den heutigen Nachmittag habe ich noch eine Krankmeldung erhalten. Erkrankt ist Frau Kollegin Ranka Prante. Wir wünschen ihr von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 38 auf:

Verfassungsschutzbericht 2010

Bericht der Landesregierung Drucksache 17/1494

Ich erteile dem Herrn Innenminister Klaus Schlie das Wort.

(Minister Jost de Jager)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich ganz herzlich bei denjenigen, die hier sind und sich anhören wollen, was ich zum Verfassungsschutzbericht zu sagen habe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beobachtung des Rechtsextremismus bildet nach wie vor einen Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes. Die im Bericht beschriebene Stagnation bei der schleswig-holsteinischen NPD und die Veränderungen in der rechtsextremistisch orientieren Subkultur zeigen zwar, dass sich der Rechtsextremismus im Berichtsjahr nicht im Aufschwung befand. Für eine Entwarnung besteht aber überhaupt kein Anlass.

Der Bericht beschreibt eindringlich die neonazistischen Tendenzen in der hiesigen NPD. Darüber hinaus gibt es in Schleswig-Holstein eine besonders ausgeprägte Zusammenarbeit dieser Partei mit den aktionistisch geprägten, nicht selten neonazistisch orientierten Rechtsextremisten. Die Unberechenbarkeit dieser Szene und die latente Gewaltbereitschaft dieser oft in sogenannten Aktionsgruppen organisierten Rechtsextremisten erfordern nach wie vor die ständige Aufmerksamkeit von Verfassungsschutz und Polizei.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die linksextremistische Szene in Schleswig-Holstein hat ihre Ablehnung gegenüber unserem demokratischen Verfassungsstaat auch 2010 in einer Vielzahl von Aktionen zum Ausdruck gebracht. Dabei fiel die Szene auch im vergangenen Jahr durch eine weiterhin hohe Gewaltorientierung auf. Die Anzahl der Gewalttaten lag im Jahr 2010 bei 64, das sind lediglich drei weniger als 2009.

Neben Rechtsextremisten als Ziel richtet sich linksextremistische Gewalt heute leider immer häufiger gegen Polizeibeamte. Diese Einschätzung hat sich bisher leider auch für 2011 bestätigt. Die Szene ist anlassbezogen in der Lage, sich rasch zu organisieren und zu mobilisieren. Weiterhin versucht sie, für Kampagnen immer wieder Bündnisse mit Personengruppen einzugehen, die nicht zum extremistischen Spektrum gehören; hauptsächliche Aktionsfelder waren in Schleswig-Holstein die Bereiche Antifaschismus, Antirepression und Anti-Atom.

Zu den größten Bedrohungen für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und damit auch für Schleswig-Holstein gehören allerdings immer noch der Islamismus und der islamistische Terrorismus. Dies wurde insbesondere zum Ende des letzten Jahres hin deutlich. Aufgrund einer stärkeren Bedrohungslage durch mutmaßliche islami

stische Terroristen wurde eine Reihe von öffentlich sichtbaren Maßnahmen zur Gefahrenabwehr durchgeführt. Bundesweit werden weiterhin etwa 1.100 Personen zum gewaltbereiten islamistischen Spektrum gezählt, von denen einzelne auch in Schleswig-Holstein ansässig sind.

Erkennbare terroristische Strukturen oder Netzwerke existieren in Schleswig-Holstein nach wie vor jedoch nicht.

Dem Internet kommt weiterhin eine besondere Bedeutung als Kommunikations- und Informationsmedium für islamistische Terroristen zu. Zudem besteht die Gefahr, dass hier Radikalisierungsprozesse befördert werden. So wurde die bereits 2008 begonnene Propagandaoffensive der El Kaida und anderer terroristischer Gruppierungen gegen Deutschland auch im vergangenen Jahr im Internet fortgesetzt.

Allen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zum Trotz kam es am 2. März 2011 zu einem Anschlag mit mutmaßlichem islamistischen Hintergrund auf deutschem Boden. Ein Mann - es war vermutlich ein Einzeltäter - erschoss am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verwundete zwei weitere. Es wird davon ausgegangen, dass sich der Täter selbst insbesondere im Internet radikalisierte. Angesichts dieser individualisierten Form der Radikalisierung ist es natürlich besonders schwierig, mit den Sicherheitsbehörden bereits im Vorfeld Erkenntnisse zu bekommen.

Im Bereich des Islamismus spielen Salafisten, also Personen, die einen ursprünglichen und wortgetreuen Islam propagieren, eine zentrale Rolle. Sie sind auch in Schleswig-Holstein aktiv. Auf ihren Internetseiten in sozialen Netzwerken und in Islam-Seminaren verbreiten sie ihr rigides Islamverständnis. Dabei lehnen Salafisten demokratische Strukturen und andere Bestandteile unserer Rechtsordnung ab.

Im legalistisch-islamistischen Bereich ist vor allem die türkisch geprägte Islamische Gemeinde Milli Görüs mit mehreren Hundert Mitgliedern auch in Schleswig-Holstein aktiv. Nach dem Tod des Gründers Necmettin Erbakan Anfang 2011 bleibt die Entwicklung der Organisation abzuwarten.

Zu den ausländischen extremistischen Gruppierungen zählt die marxistisch-leninistisch geprägte Arbeiterpartei Kurdistan PKK. Die Deutsch-Kurdische Gesellschaft e. V. in Kiel stellt auch weiterhin eine bedeutende Anlaufstelle dar und ist Ausgangspunkt für vielfältige Aktivitäten der PKK in Schleswig-Holstein.

Sie sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Arbeit des Verfassungsschutzes ist nach wie vor auch in unserem Bundesland Schleswig-Holstein notwendig.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 1 Minute überzogen. Diese Zeit steht nun auch allen Fraktionen zur Verfügung.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDUFraktion erteile ich dem Herrn Kollegen Werner Kalinka.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem kürzlich ausgeschiedenen Leiter des Verfassungsschutzes in Schleswig-Holstein, Horst Eger, auch von diesem Platz aus herzlich für die geleistete Arbeit danken.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich verbinde dies mit dem Wunsch, dass die Arbeit so fortgesetzt wird. Der Verfassungsschutzbericht 2010 trägt auch seine Handschrift. Ich möchte ausdrücklich sagen: Es ist ein guter und informativer Bericht.

Der Extremismus ist und bleibt die größte Gefahr für die demokratische Grundordnung. Er ist geprägt durch Intoleranz, durch Ausgrenzung, zum Teil durch Hassbereitschaft. Dies sind keine Werte der Demokratie, und deshalb stehen sie im Gegensatz zu ihr.

Die Gefahren durch den Extremismus, vor allem auch durch den islamischen Terrorismus - Extremismus kann in Terror übergehen; das ist nach wie vor die größte Gefahr - ist eine Gefahr, die weltweit gegeben ist. Sie hat weltweite Strukturen, und diese reichen in fast jedes Land. Schleswig-Holstein ist bislang von Terror verschont geblieben. Dafür sind wir dankbar. Dies ist aber keine Garantie für die Zukunft. Terror kann von jedem Ort aus geschehen, von jedem Bahnhof. Terroristen kennen keine Grenzen.

Afghanistan, Pakistan, Irak, die kaukasische Region, zum Teil auch der Nahe Osten - das sind die weltweiten Brennpunkte. Auch Vernetzungen sind zu beobachten. Verdachtsmomente gibt es auch gegen einzelne Personen in Schleswig-Holstein.

Die Aufklärungsarbeit ist für die Sicherheitsbehörden schwer. Bei mehr als 1.000 Personen in Deutschland müssen wir davon ausgehen, dass sie zu Gewaltbereitschaft bis hin zum Terrorismus neigen. Etwa 250 Personen mit Deutschlandbezug haben eine paramilitärische Ausbildung erhalten beziehungsweise beabsichtigen eine solche; ein kleiner Teil ist bereit, gegebenenfalls terroristische Aktionen durchzuführen. Deswegen bleibt Wachsamkeit das Gebot für alle.

Die Übergänge - ich habe es gesagt - sind fließend. Sie drücken sich manchmal auch durch äußere Zeichen aus. Vor der Teilnahme an Ausbildungslagern sind nicht selten Koranschulen besucht worden. Darauf geht Verfassungsschutzbericht intensiv ein. Ich empfehle nochmals, ihn intensiv zu lesen.

Die Entwicklungen im rechts- und im linksextremistischen Bereich geben nach wie vor nicht zu Entspannung Anlass; der Herr Innenminister hat einiges dazu gesagt. Wir verzeichnen in SchleswigHolstein einen ganz leichten Rückgang der Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen: Im Jahr 2008 waren es 1.420, im Jahr 2010 1.340. Obwohl die Entwicklung rückläufig ist, sind die Zahlen doch nach wie vor beachtlich.

Dem linksextremistischen Spektrum hat der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein im Jahr 2010 830 - darunter rund 330 gewaltbereite - Personen zugerechnet. Das sind Zahlen, die man gleichfalls nicht unterschätzen sollte.

Links- und Rechtsextreme sagen in ihren äußersten Ausprägungen Nein zu unserer Demokratie, Nein zu unserem Staat. Sie sind in ihrer Ablehnung unseres Staates interessanterweise nahe bei den Rockern, über deren Kriminalität wir schon gesprochen haben. Auch die Rocker versuchen, eigene Gesetze zu setzen. Der Staat wird selbst dann, wenn es um das Regulieren von Problemen geht, konsequent abgelehnt.

Die links- und die rechtsextremistischen Strukturen sind jeweils gut vernetzt. Sie treten mit Publikationen in Erscheinung. Das Internet ist genannt worden. Sie versuchen, mit billigen Parolen wie „Antisozialabbau“ aus bestimmten Entwicklungen Kapital zu schlagen und für ihre Gruppierungen zu werben. Das muss man in aller Deutlichkeit sehen.

In diesem Zusammenhang eine Anmerkung zur Wahl in Mecklenburg-Vorpommern: Die NPD ist nachweisbar in den Regionen stark gewesen, in denen es soziale Probleme mit hoher Arbeitslosigkeit gibt. Das ist nicht zu leugnen. Wir müssen diese Er

(Minister Klaus Schlie)

kenntnis in unsere Betrachtung einbeziehen. Die innenpolitische Komponente ist die eine Seite; wir müssen aber auch die Ursachen angehen.

Damit bin ich beim Thema Terrorgruppen. In dem Bericht wird klar nachgewiesen, dass manche Konflikte - auch militärische -, die vor 30 Jahren stattgefunden haben, Ursache für die Bildung von terroristischen Gruppierungen sind. Auch diesen Zusammenhang muss man mit Ernsthaftigkeit analysieren. Das darf nicht überlesen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf abschließend einen Aspekt des Berichts beleuchten, der es mir wert ist, angesprochen zu werden. Es geht um die DKP. Sie erinnern sich: Die DKP, 1968 gegründet, war bis 1989 Steigbügelhalter der SED. Auf Seite 56 des Verfassungsschutzberichts heißt es dazu:

„In Schleswig-Holstein sind der DKP weniger als 180 Personen zuzuordnen.“

Ich füge hinzu: Leider! Es sind immer noch 180 zu viel. Sie haben aus der Geschichte nichts gelernt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Serpil Midyatli.

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich im Namen meiner Fraktion für die von Horst Eger geleistete Arbeit bedanken. Ich wünsche ihm viel Spaß in seinem wohlverdienten Ruhestand.

(Beifall bei der SPD)

Ferner bedanke ich mich für den Bericht. Er hat mir sehr gut gefallen, gerade in der Art und Weise, wie er auf einzelne Punkte eingeht.

Ich möchte mich in meiner Rede auf zwei Schwerpunkte beschränken, weil ich finde, dass sie inhaltlich den größten Anteil des Berichts ausmachen: Rechtsextremismus und Islamismus.

Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Rechtsextremisten sowie der rechtsextremistischen Aktionen und Straftaten zurückgegangen. Auch rückläufig war die öffentliche Präsenz des Rechtsextremismus. Die NPD befindet sich auch in SchleswigHolstein weiter im Niedergang und hat außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums keinen politischen Einfluss.

Ein Grund zur Freude? - Nein. Denn die rechtsextremistische Szene in Schleswig-Holstein befindet sich im Wandel. Feste Strukturen von sogenannten Kameradschaften oder Bindungen von Skinheads beziehungsweise Neonazis an die NPD werden durch rechtsautonome Aktionsgruppen ersetzt, die zahlenmäßig zwar schwächer, dafür aber radikaler und gewaltbereiter auftraten. Hinzu kommen gewaltbereite Einzelpersonen, die aktionistisch ausgerichtet sind und mit ihrer Gefolgschaft provozierend bis aggressiv in Erscheinung treten, beispielsweise diverse Mitglieder selbst ernannter Aktionsgruppen, die zuletzt bei der Kundgebung zum 1. Mai in Husum ein Feld der Verwüstung und Schrecken hinterlassen haben.