Protocol of the Session on August 26, 2011

(Beifall)

Ich bitte um Nachsicht, dass ich Sie nicht vor Beginn der Debatte erspäht habe. Wir freuen uns sehr, dass Sie da sind. - Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Baasch das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tätigkeitsbericht 2010 der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten macht deutlich, dass im vorliegenden Berichtszeitraum wieder zahlreiche Bürgerinnen und Bürger von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, sich mit Wünschen, Anliegen, Vorschlägen und Problemen an die Bürgerbeauftragte zu wenden.

Die Bürgerbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Frau Wille, und ihr Team stehen für Bürgernähe und für ein auf Kooperation ausgerichtetes Service- und Dienstleistungsangebot des Staates. Die Vermittlungsaufgabe, die die Bürgerbeauftragte dabei einnimmt, wird durch die hohe Zahl der positiv abgearbeiteten Eingaben belegt. Mit über 88 % positiv erledigter Eingaben, in denen Verwaltungsentscheidungen verändert worden sind oder aber in denen die Bürgerinnen und Bürger durch Auskunft und Beratung Hilfe und Unterstützung bekommen haben, zeigt die Bürgerbeauftragte die hohe Leistungsfähigkeit ihrer kleinen, aber sehr effektiven Behörde. Frau Wille, Ihnen und Ihrem Team sagen wir auch in diesem Jahr ein herzliches Dankeschön für die geleistete Arbeit.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, über 3.600 Eingaben bei der Bürgerbeauftragten bedeuten aber auch, dass der Service- und Dienstleistungsgedanke an anderer Stelle noch erheblich verbessert werden kann. Bescheide und Erläuterungen sind nach wie vor zu umständlich, zu unverständlich und zu kompliziert. Viele Veränderungen in der Sozialgesetzgebung sind mit heißer Nadel gestrickt worden, sodass sie eine Masse an Interpretationen zulassen. Dies gehört leider immer noch dazu, sodass die Anzahl der Klagen bei den Sozialgerichten steigt. Wir können auch heute noch nicht von einer einheitlichen, überall gleichen Sozialgesetzgebung und Auslegung der Sozialgesetze sprechen.

So schildert die Bürgerbeauftragte in ihrem Bericht auf den Seiten 16 bis 18 unter der Überschrift Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen des SGB II, dass das Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit seiner Rechtsaufsicht nur ungenügend nachkommt. Verwundert ist die Bürgerbeauftragte darüber, dass die Landesregierung, das heißt das MASG, nicht endlich mit einer internen Weisung im Zusammenhang mit grundlegenden Fragen bei der Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung eingreift, denn eine Musterweisung, in der grundlegende Fragen geregelt werden und die sich auf ermittelte Richtwerte beziehen würde, könnte dazu führen, dass Bescheide Bestand vor den Sozialgerichten haben und von den Sozialgerichten bestätigt werden. Damit würden Sozialgerichte auf Dauer entlastet werden. Das ist ein Punkt, der für mehr Rechtsklarheit sorgen würde. Auch der Justizminister des Landes würde vielleicht daran Gefallen finden, wenn seine Sozialgerichte entlastet würden. Anscheinend ist aber innerhalb der Landesregierung darüber noch keine Absprache getroffen worden.

Ein weiterer Punkt, in dem die Untätigkeit der Landesregierung aufgeführt wird, ist die Rücknahme der 85-%-Regelung im Kindertagesstättengesetz. Im Landtag haben wir im September 2009 beschlossen, die Landesregierung möge diesen Passus aus dem Kindertagesstättengesetz streichen. Hier ist bisher nichts passiert. Genauso wenig ist im Übrigen mit dem Beschluss passiert, eine landeseinheitliche Sozialstaffelregelung für Kindertageseinrichtungen zu erarbeiten. Auch hier wird deutlich: Selbst wenn - wie diese Landesregierung - man nichts tut, vergrößert man den Bedarf von Menschen an Beratung und Unterstützung, weil sie bestehende Ungerechtigkeiten oder Entscheidungen nicht akzeptieren können.

(Beifall bei der SPD)

Durch eine beitragsfreie Kita könnte man alle Probleme automatisch lösen, aber auch hier hat die Landesregierung andere Wege eingeschlagen. 120.000 Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein sollten mit dem Bildungs- und Teilhabepaket direkt und unbürokratisch unterstützt werden. Mittagsverpflegungen für Schülerinnen und Schüler und Kinder in Kindertagesstätten sollten damit ebenso finanziert werden wie Teilhabeleistungen durch Beiträge für Sportvereine, Musikschulen oder Jugendfreizeiten. Bisher haben aber nur etwa 30 % der antragsberechtigten Kinder und Jugendlichen beziehungsweise ihre Eltern entsprechende Unter

stützungsleistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket beantragt.

Das heißt, auch hier besteht noch viel Luft, um Menschen zu motivieren, ihr gutes Recht auf finanzielle Leistungen zur Unterstützung ihrer Kinder und Jugendlichen in Anspruch zu nehmen. Aber auch hier sind seitens der Landesregierung nur gelegentliche Appelle zu hören. Dabei brauchten wir konstruktive Ansätze wie zum Beispiel in Nordfriesland. Frau Kollegin Sassen hat diese erwähnt. Dort ist es möglich, die Teilhabeleistungen, die nicht eingelöst werden können, weil es vor Ort keine Musikschule oder keinen Sportverein gibt, in Gutscheinen anzusammeln, um diese dann in Form eines höheren Betrags zum Beispiel für eine Ferienfreizeit zu investieren. Ich finde, das ist ein ausgesprochen pragmatischer und schlauer Weg.

Aber auch der Lübecker Bildungsfonds, mit dem Kinder und Jugendliche unbürokratisch und ohne großen Prüf- und Abwicklungsaufwand Unterstützungsleistungen erhalten, ist ein Punkt, der von dieser Landesregierung zumindest einmal aufgegriffen und propagiert werden könnte. Aber auch hier gibt es - wie gesagt - keine Anstrengungen seitens der Landesregierung für eine erfolgreiche Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets.

Ich möchte noch einen letzten Punkt auf Seite 78 des Berichts der Bürgerbeauftragten im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe aufgreifen. Dort wird beschrieben, dass es erst eines Verwaltungsgerichts bedurfte, um einer behinderten Schülerin die Teilnahme an einer Klassenfahrt zu ermöglichen. Das Jugendamt hatte die Begleitung des Integrationshelfers abgelehnt und wollte diese Kosten für die Schülerin nicht übernehmen. Diese Schülerin hätte dann nicht an der Klassenfahrt teilnehmen können. In Zeiten von Inklusion ist dies undenkbar. Das Urteil ist in diesem Fall eine Ohrfeige für das Kreisjugendamt, das sich so stur gestellt hat. Es ist aber auch ein Beispiel für die gute und intensive Arbeit der Bürgerbeauftragten, die hier gezielte Unterstützungsleistungen, Hilfe und Beratung erbracht hat.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Wille! Zuerst möchte ich mich im Namen der FDP-Fraktion bei Ihnen und bei Ihren zehn Mitarbeitern für die im Jahr 2010 geleistete Arbeit ganz herzlich bedanken.

(Beifall bei FDP und CDU)

- Genau, Applaus bitte. Ihr Engagement spiegelt sich in dem uns vorliegenden Bericht deutlich wider. Insgesamt erreichten das Büro der Bürgerbeauftragten 3.593 Eingaben. Davon entfielen 44,1 % in den Bereich des seit 2005 gültigen SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende. In klarer, kritischer und zugleich konstruktiver Art und Weise zeigen Sie als Bürgerbeauftragte die Schwachstellen der Gesetzgebung auf. Unübersichtlichkeit, Unverständlichkeit der gesetzlichen Regelungen sowie ein eigener schwer verständlicher bürokratischer Sprachstil führen wiederholt zu einer mangelnden Nachvollziehbarkeit der Bescheide und in der Folge zu Beschwerden.

Frau Wille, zu Recht mahnen Sie an, dass dies fünf Jahre nach Einführung des SGB II nicht mehr sein dürfte. Von daher gratuliere ich Ihnen auch zu einem kleinen Erfolg bei der Bundesagentur für Arbeit, bei der durch Ihre Intervention eine Dienstanweisung klarer formuliert wurde und zukünftig Fahrtkostenerstattungen zu Meldeterminen, die unterhalb der Bagatellgrenze liegen, nicht mehr zu langwierigen Prozessen führen müssen.

Mutig finde ich, Ihren Appell aus dem Jahr 2008 zu wiederholen. Damals wie heute fordern Sie vom Gesetzgeber ein richtungweisendes Konzept zur Bekämpfung von Kinderarmut. Sie fordern, die Regelleistungen für Kinder im SGB II und im SGB XII den realen Bedürfnissen anzupassen. Im Gegenzug schlagen Sie vor, den bürokratischen und fast wirkungslosen Kinderzuschlag abzuschaffen.

Ich sage Ihnen an dieser Stelle aber auch ganz ehrlich: Gleich wer versuchen würde, diesen guten Vorschlag umzusetzen, würde vom politischen Gegner als kalt und unsozial betitelt und zermürbt werden. Dies könnten wir vielleicht aber im Konsens erreichen. Daher freue ich mich, dass es der CDU/FDP-Koalition in Berlin schon einmal gelungen ist, im Rahmen der aktuellen SGB-II-Reform das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder auf den Weg zu bringen, sodass auch atypische Bedarfe zukünftig berücksichtigt werden.

Hinsichtlich der Schülerbeförderungskosten mahnen Sie eine gesetzliche Härtefallregelung an. Da

(Wolfgang Baasch)

sind wir Liberale allerdings der Auffassung, dass dies die Kreise in ihren Satzungen selbst gestalten können und, soweit ich weiß, auch getan haben.

Als besonders bürgernah möchte ich die Außensprechtage der Bürgerbeauftragten hervorheben. Auf diese Art und Weise konnte ich selber eine Anregung zu einer solchen Sprechstunde im Kreis Stormarn geben. Ich möchte mich ganz herzlich dafür bedanken, Frau Wille, dass das damals so schnell, so zügig und letztendlich auch so erfolgreich vonstattengehen konnte. Die Gruppe von Arbeitsuchenden, die eine erhebliche Menge an Fragen hatte, auch zu den hier schon genannten Problemen, hat sich im Nachgang noch einmal dafür bedankt, wie kompetent Sie ihnen damals zur Seite gestanden haben.

Ich wünsche mir weiterhin eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen, und ich freue mich auf die weitere Beratung des Berichts im Sozialausschuss.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst das Wichtigste: Im Namen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bedanke auch ich mich ganz herzlich bei Frau Wille und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die geleistete Arbeit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gut, dass die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein dieses Angebot haben und auch in sehr hohem Maße annehmen und dass Sie ihnen helfen können, die Bescheide, die erteilt werden, besser zu verstehen.

Der Bericht, der uns vorliegt, ist jedoch ein Auftrag an die Politik. Für uns Grüne ist es wichtig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden besser geschult werden. Sinnvoll ist aus unserer Sicht auch ein Beschwerdemanagement. Die Bescheide müssen verständlicher werden; das haben wir eben schon gehört. Deswegen versuche ich, das jetzt ein bisschen zusammenzufassen.

Ein anderer Teil ist das Bildungs- und Teilhabepaket. Das hat der Kollege Baasch eben schon ausführlich dargestellt. Nordfriesland zeigt, dass es auch anders geht. Wir Grüne haben von Anfang an

darauf hingewiesen, dass es unbürokratisch, transparent und einfach sein sollte. Aus dem Bericht geht jetzt schon hervor, dass es da noch einen erheblichen Nachbesserungsbedarf gibt. Ich denke, es ist auch unsere Sache, dass wir uns dafür einsetzen, dass es da zu Verbesserungen kommt, wenn das möglich ist. Leider ist jedoch bei einigen Fällen ganz deutlich geworden, dass Handlungsaufträge noch nicht so umgesetzt worden sind, wie sich die Betroffenen das wünschen. Auf die Pflegestützpunkte ist schon hingewiesen worden. Auch da ist eine weitere Initiative erforderlich.

Für uns Grüne sehr wichtig und auch immer wieder ein Thema ist die einheitliche Sozialstaffel. Hier gibt es auch einen deutlichen Handlungsauftrag; hier besteht Nachbesserungsbedarf.

Was mir auch noch sehr, sehr wichtig ist, sind die Anmerkungen im Bericht der Bürgerbeauftragten zum persönlichen Budget. Ich denke, dass wir gerade dieses Thema im Sozialausschuss einmal ganz ausführlich beleuchten sollten. Einige Kolleginnen und Kollegen waren neulich bei der Veranstaltung des Berufsverbandes der Betreuer. Auch da haben wir die Rückmeldung bekommen, dass beim persönlichen Budget ganz erheblicher Nachbesserungsbedarf besteht.

Aus meiner Sicht steht fest, wenn wir die Bürgerbeauftragte nicht hätten, müssten wir mit noch viel mehr Beschwerden rechnen, die vor den Sozialgerichten landen. Das kann niemand von uns Abgeordneten und niemand hier in Schleswig-Holstein wollen. Deswegen nehmen wir das Ganze als Auftrag an uns. Ich freue mich auf die weitere Beratung im Sozialausschuss.

Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abgeordnete Antje Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der jährlich vorgelegte Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten ist ein engagiertes und präzises Abbild der sozialen Problemlagen im Lande, wie sie von den Bürgerinnen und Bürgern erlebt werden. Das gilt auch für den Tätigkeitsbericht für das Jahr 2010. Meine Fraktion bedankt sich an dieser Stelle für den Bericht.

(Beifall bei der LINKEN)

(Anita Klahn)

Auch wir müssen uns für die Arbeit der Bürgerbeauftragten und ihres Büros bedanken, die den eigentlichen Gegenstand dieses Berichts bildet.

Ansonsten ist es leider auch in diesem Jahr so, dass uns der Tätigkeitsbericht wenig Freude macht. Wenn 44 % aller Eingaben den Komplex Hartz IV betreffen und damit ein neuer unrühmlicher Höhepunkt erreicht wird, dann kann die Ursache nicht bei den Menschen gesucht werden, die auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen sind. Dann steckt der Fehler im System.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bürgerbeauftragte stellt - ich zitiere - „keine wesentliche konkrete Verbesserung der kritikwürdigen Zustände bei der Leistungsgewährung“ fest.

Weiterhin bestehen die allseits bekannten Probleme und Missstände im Verwaltungshandeln. Der Bericht stellt den Hartz-IV-Gesetzen und ihrer praktischen Übersetzung in den Umgang mit Menschen nichts anderes als ein Armutszeugnis aus, und zwar ein Armutszeugnis, das sich nicht einfach wegwischen lässt; das wird durch die Tätigkeit des Büros der Bürgerbeauftragten akribisch belegt.

Die Spannweite der Probleme reicht, wie schon in den Vorjahren, von der Erreichbarkeit der Jobcenter über Bearbeitungszeiten, Berechnungsfehler, fehlende Transparenz und Verständlichkeit der Bescheide bis hin zu mangelnden Fachkenntnissen der Mitarbeiter in den Jobcentern. Das alles hatten wir schon; das kennen wir. DIE LINKE kritisiert diese unveränderte Situation schon seit Inkrafttreten der Hartz-IV-Gesetze.

Es wäre völlig unsinnig und illusorisch, eine deutliche Verbesserung der Situation von den inzwischen in Kraft getretenen Änderungen des SGB II zu erwarten. Im Gegenteil, die Ausgangslage bleibt gleich, und sie wird auch weiterhin so bleiben, wenn wir diese Gesetze nicht abschaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun werden wir im nächsten Tätigkeitsbericht mit dem neuen Bildungs- und Teilhabepaket ein weiteres Themenfeld finden. Meine Vorredner haben schon ausgeführt, dass es in der Umsetzung unsäglich ist. Wenn es in Nordfriesland so gut läuft, finde ich das gut, wie es dort gehandhabt wird. In anderen Kreisen läuft das ganz, ganz mühsam an. Viele Eltern wissen überhaupt nicht, wie sie das einreichen sollen oder nehmen es gar nicht in Anspruch.