Das ist auch die Bedeutung dieser Debatte, die nicht hoch genug anzusiedeln ist. Wir haben in Deutschland historische Fehlentscheidungen getroffen. Wir haben uns auf einen Bologna-Prozess geeinigt, und Europa rückt zusammen. Wir überlegen gemeinsame Standards in der Hochschulbildung. Parallel dazu entscheiden wir im Rahmen der Föderalismusreform II, dass es keine einheitlichen Standards geben kann und dass der Bund sich noch nicht einmal einmischen darf. Völlig gegen die europäische Laufrichtung haben wir einen historischen Fehler gemacht.
Unser Antrag will, diesen Fehler umzudrehen. Es wäre super, wenn wir uns in Schleswig-Holstein darauf einigen könnten. Dazu müssen wir das Rad nicht komplett neu erfinden. Die Schweiz, die kein zentralistisch regiertes Land ist, macht uns vor, wie es sein könnte. Es gibt dort einen Verfassungsartikel, den Bildungsföderalismus frei zu betreiben. Vorweg gesetzt wurde jedoch ein Bildungsrahmenartikel, der Kriterien regelt und die Inhalte aufzählt, bei denen sich die Kantone einigen müssen. Die Kantone haben die Freiheit, dies allein hinzubekommen, aber wenn sie dies nicht hinbekommen, dann hat die Schweizerische Zentralregierung das Recht, die Entscheidungskompetenz an sich zu ziehen und eine Einigung umzusetzen.
Ich meine, so weit müssen wir denken. So weit sollten wir gehen. Wenn wir den Mumm dazu haben, dann senden wir ein Signal aus, um die - wie ich finde - historische Fehlentscheidung in der Bildungspolitik jetzt umzudrehen. Das bedeutet, nicht vor bestehenden Strukturen haltzumachen, sondern mutig und weitsichtig die Anforderungen im Bildungsbereich für die Zukunft zu lösen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist von einer sehr populären Erlösungsphantasie beseelt. Es geht um die Erlösung von föderaler Bildungspolitik durch bundesweite Regelungen. Diese Heilserwartung knüpft sich an die Vision einer bunt zusammengesetzten Kommission, die aus Vertretern von Bund und Ländern, der Wissenschaft und diverser gesellschaftlicher Gruppen ein
berufen werden soll. Sie soll die Aufgabe haben, die Grundlagen für ein einheitliches Schulsystem von Flensburg bis Konstanz zu schaffen; eine Art „Loga Dschirga“, eine große Stammesversammlung für die Bildungspolitik in Deutschland.
Ich muss offen sagen, ich finde den Ansatz, mit einer solchen Kommission voranzukommen, reichlich naiv. Richtig sind wohl der Grundgedanke und der Hintergedanke, die Sie motiviert haben, diesen Antrag zu stellen. Dies ist auch aus den Reden Ihrer beiden Vertreter deutlich geworden. Der Grundgedanke ist sicherlich richtig. Die Schulentwicklung in den deutschen Bundesländern muss wieder stärker auf die Ziele der Kompatibilität und der Anschlussfähigkeit und damit auch auf die Erleichterung von Mobilität im Bundesgebiet ausgerichtet werden. Das ist ein ganz wichtiges Anliegen, dem wir uns stellen müssen, auf dessen Verwirklichung wir hinarbeiten müssen.
Wenn die Grünen das nun auch so sehen, dann ist das sehr gut; denn die kürzlich erst in Hamburg gescheiterte grüne Idee einer Primarschule - Frau Kollegin Erdmann, eine sechsjährige Primarschule war jedenfalls noch ein Beitrag zur Auseinanderentwicklung der Schullandschaft in Deutschland.
Meine Damen und Herren, es gibt bereits in mehreren Bereichen erhebliche Anstrengungen der Länder mit dem Ziel, verbindliche gemeinsame Regelungen zu verankern. Dazu gehören beispielsweise gemeinsame Lehrstandserhebungen, die in den Schulen in bestimmten Jahrgangsstufen vorgenommen werden, und die Vereinbarung verbindlicher Bildungsstandards, wie sie schon vor einiger Zeit für die Sekundarstufe I und deren Abschlüsse festgelegt worden sind. Entsprechende Standards für die Sekundarstufe II sind in Vorbereitung.
Mehrere Bundesländer, nämlich Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen, arbeiten gemeinsam an der Entwicklung eines Aufgabenpools mit normierten, das heißt von den Anforderungen her vergleichbaren schriftlichen Abituraufgaben. Ich bin sehr froh darüber, dass Hamburg auch nach dem Regierungswechsel, der ja kürzlich stattgefunden hat, also auch unter dem Kollegen Ties Rabe, dem neuen Hamburger Schulsenator, seine Mitarbeit an dieser gemeinsamen Länderinitiative festhält. Ich halte das für ein wichtiges Zeichen im Sinne parteiübergreifender Bemü
Lassen Sie mich noch einen Satz sagen; wenn Sie eine Frage stellen wollen, dann anschließend, sofern die Präsidentin das erlaubt.
Es ist sehr schade, dass sich Baden-Württemberg jetzt nach dem letzten Regierungswechsel unter einem grünen Ministerpräsidenten aus dieser gemeinsamen Länderzusammenarbeit zur Entwicklung eines Aufgabenpools für das schriftliche Abitur verabschiedet hat. Insoweit würde ich mich sehr freuen, wenn Sie auch in Ihre Reihen, in Ihre Partei, in andere Landesverbände diese Zielsetzung, mehr Vergleichbarkeit und Kompatibilität zwischen den Ländern zu erreichen, hineintragen und dort vertreten würden.
Das passt jetzt nicht mehr ganz auf den Punkt. Herr Minister, ich habe eine Frage. Sie haben gesagt, die Grünen würden Heilserwartungen in gewisser Weise an ein Stammesgremium richten. Ich hatte ja meine Heilserwartung im letzten Jahr auf die Landesregierung gerichtet. Als wir über das Kooperationsverbot gesprochen hatten, waren wir uns alle einig: Hier muss jetzt Zug reingebracht werden. Wie weit ist es denn mit dem Kooperationsverbot? Einige Monate sind jetzt ja schon ins Land gezogen. Wann fällt es denn?
Darüber werden wir Ihnen im Bildungsausschuss eingehend berichten. Wissenschaftsministerium und Bildungsministerium werden Ihnen dazu gemeinsam unsere Überlegungen darlegen. Nachdem der Kollege de Jager ja für den Bereich Wissenschaft seine Vorstellungen in einer früheren Landtagsrede erläutert hat, werde ich gleich noch in meiner Rede meine Überlegungen zum Thema Koope
rationsverbot für den Schulbereich darlegen. Wenn Sie gestatten, will ich das gern hier ausführen. Dann sollten Sie über den Weg dahin und die Initiativen, die wir vorbereiten, im Bildungsausschuss gemeinsam beraten.
Auch ich halte das gegenwärtige weitgehende Kooperationsverbot im Bildungsbereich für falsch. Das wirkt sich ganz besonders zum Nachteil finanzschwacher Länder aus. Um hier zu einer Änderung zu kommen, ist es erforderlich, den Artikel 91 b des Grundgesetzes, der ja zurzeit kaum Möglichkeiten für ein Zusammengehen von Bund und Ländern im Bildungsbereich bietet, wieder zu ändern, um neue Handlungsfelder zu erweitern. Ich halte es allerdings für falsch, hier so vorzugehen, wie es die SPD-Bundestagsfraktion in einem Entschließungsantrag vom 25. Mai 2011 vorgeschlagen hat. Das ist die Bundestagsdrucksache 17/5911; der Kollege Weber schreibt schon mit. Dabei geht es darum, eine Zusammenarbeit, also gemeinsame Länderaktivitäten im Bildungsbereich jedweder Art zuzulassen. Konkret heißt es in diesem Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion, dass Bund und Ländern durch eine Grundgesetzänderung die Möglichkeit eröffnet werden soll, bei den notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens zusammenwirken zu können. Was als notwendig erkannt wird, ist in der Tat sehr interpretationsfähig. Das öffnet Tür und Tor für alle möglichen als wichtig eingeschätzten Bereiche, die dann natürlich von der Bundesregierung vorgegeben werden.
Ich sehe dabei die große Gefahr, dass es zu demselben Effekt kommt, den wir in der Vergangenheit hatten, und zwar durchaus bei parteipolitisch unterschiedlich zusammengesetzten Bundesregierungen, nämlich dass es immer wieder zu befristeten, mehrjährigen Programmen kommt, die dann vermutlich auch noch komplementär zu finanzieren sind, also von Landesseite einer Mitfinanzierung bedürfen. Wenn dann die paar Jahre um sind, stehen wir da und müssen allein in dem Bereich, der mal für eine gewisse Zeit gefördert worden ist, weitermachen. Eine solche allgemeine Regelung verlockt gerade dazu, dass es für die politische Profilierung natürlich sehr wirksame zeitlich befristete Sonderprogramme gibt, nach deren Auslaufen dann in den verschiedenen wichtigen Bereichen des Bildungswesens die Finanzierung fehlt. Länder und Kommunen sind dann auf sich allein gestellt.
Ich will das Beispiel des Ausbaus von Ganztagsschulen mit Baumaßnahmen nennen. Mit der Ausgestaltung dieses Ganztagsangebots waren an
schließend Länder und Kommunen auf sich gestellt. Und auch die Vereinbarung, die kürzlich zum Bildungs- und Teilhabepaket geschlossen worden ist, nämlich bis 2013 einschließlich den Kommunen erkleckliche Mittel für Schulsozialarbeit zur Verfügung zu stellen, ist ein weiteres Beispiel. Wie es dann ab 2014 weitergeht, ist ja nach wie vor offen.
Wir brauchen in wesentlichen Bereichen der Bildungspolitik, vor allem im Schulbereich, aber auch im vorschulischen Bereich, dort, wo es um Qualität der Schulen und der Bildungseinrichtungen insgesamt geht, Lösungen, die für eine nachhaltige, dauerhafte finanzielle Absicherung wichtiger Aufgaben sorgen. Mein Vorschlag ist deshalb, dass man sich über konkrete Änderungen, Erweiterungen des Artikels 91 b des Grundgesetzes unterhalten sollte, also nicht eine allgemeine Klausel, die alles Mögliche zulässt, sondern konkrete Aufgabenbereiche definiert, in denen Bund und Länder zusammenwirken können und sollen. Mein Vorschlag wäre, dass es der Bereich der frühkindlichen Bildung, also Qualitätsverbesserungen in Krippen und Kindertageseinrichtungen, sein sollte, ferner die Schulsozialarbeit, die Förderung von Ganztagsangeboten in Schulen und die Entwicklung eines inklusiven Bildungswesens im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Das wären Bereiche, von denen wir wissen, es kostet eine Menge Geld, um dort Neues auf die Beine zu stellen. Sowohl Länder als auch Kommunen sind hier allein auf sich gestellt überfordert mit den mittelfristig und langfristig auftretenden Forderungen. Wenn es gelingt, die Zusammenarbeit langfristig über das Grundgesetz abzusichern, dann wäre wirklich eine Menge für die Bildungsqualität in Deutschland erreicht. Und dies ohne dabei die föderale Bildungsverantwortung aus der Hand zu geben.
Die Redezeit des Ministers wurde um 3,5 Minuten überzogen. Ich frage die Fraktionen, ob sie davon Gebrauch machen wollen. - Das ist der Fall. Dann erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Jürgen Weber von der SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Klug hat noch einmal die Diskussion um den Artikel 91 b aufgemacht. Deshalb kann ich das natürlich so nicht im Raum stehen lassen. Lieber Ekkehard Klug, ich will aber auch zu den vor
hergehenden Dingen noch ein paar Sätze sagen. Mir scheinen ein paar Klarstellungen notwendig zu sein, weil wir, glaube ich, aufpassen müssen, dass die Diskussion nicht in die falsche Richtung läuft.
Bei dem Antrag der Grünen - deswegen ist der gut, aber nicht hinreichend - handelt es sich um einen Antrag, der im Wesentlichen zu der Instrumentendebatte passt; die Diskussion hat das heute wieder relativ deutlich gemacht. Es wird über Instrumente, über Gremien oder Formen geredet. Ausgangspunkt ist aber doch die Frage, was wir eigentlich mit dem Bildungssystem in Deutschland machen wollen. Damit müssen wir auch über die Bildungsinhalte reden, darüber, die Bildungsstandards bundesweit auf ein qualitatives Niveau hin zu entwickeln.
Zweitens. Es geht um Artikel 91 b des Grundgesetzes. Sie haben, Herr Klug, die Punkte benannt, die die Länder im besonderen Maße drücken, weil sie besonders teuer sind und wir Schwierigkeiten haben, sie zu finanzieren. Also brauchen wir den Bund. Moderner Föderalismus ist aber nicht, zu sagen, das können wir nicht bezahlen, das soll der Bund bezahlen.
Primär wollen wir eine Öffnung, eine Zuständigkeit aller, um die Entwicklung gemeinsam voranzutreiben. Vor der Föderalismuskommission I hatten wir Restelemente eines kooperativen Föderalismus. Er ist Anfang der 70er nicht erfunden worden, weil die Länder es klasse fanden, sondern weil wir damals schon einmal einen Bildungsnotstand und eine Bildungskatastrophe in den Ländern hatten und gesagt haben: Berlin - damals Bonn -, hilf! Dann ist das entwickelt worden. Dieselbe Situation besteht jetzt. Wir wollen nicht nur über Finanzströme, Kofinanzierungen und Modellversuche reden, sondern über Bildungspolitik aus einem Guss in dieser Republik. Das ist der zentrale Ansatz.
Ein anderes Beispiel. Sie haben Baden-Württemberg genannt, sie haben auch eine Gruppe von Ländern genannt, ich weiß aus dem Kopf gar nicht mehr, welche Länder Sie nannten, die in einer Arbeitsgruppe zur Vorbereitung von Prüfungsaufgaben sind. Auch das hilft nicht. Das Zusammenkom
men einzelner Länder, die einmal eine gemeinsame Idee haben, hilft nicht. Sie erinnern sich, wir haben zu Zeiten anderer politischer Mehrheiten die Situation mit den VERA-Vergleichsprüfungen gehabt, wo die unionsregierten Länder schon aus Trotz nicht dabei waren, weil sie es sich nicht überlegt hatten, und dann im Grundschulbereich Vergleichsprüfungen nur in einigen Ländern gelaufen sind, in anderen nicht. Es geht nicht darum, dass einige sich etwas überlegen und andere sich etwas überlegen und man dann aus einem Gefühl von Freiwilligkeit und „Man könnte einmal“ die Sachen regelt. Vielmehr muss eine Verbindlichkeit her.
Deswegen ist die Öffnung des Artikels 91 b des Grundgesetzes nicht die Zielsetzung, sondern die notwendige Voraussetzung, um überhaupt ein gemeinsames Bildungssystem in dieser Republik vernünftig zu entfalten. Darüber zu diskutieren, lohnt sich allemal. Es ist ein Déjà-vu. Alles, was schiefgelaufen ist, haben wir vor der Föderalismusreform I ausführlich diskutiert, und wir haben davor gewarnt. Nun ist es da, nun müssen wir den Schaden begrenzen. Das sollten wir gemeinsam tun. Vielleicht schaffen wir es.
Für einen weiteren Redebeitrag im Rahmen des erweiterten Zeitkontingents erteile ich der Fraktionsvorsitzenden des SSW, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausführungen des Herrn Bildungsministers veranlassen mich dazu, noch einmal das Wort zu ergreifen. Wir kommen nicht weiter, wenn wir sagen: Gut, jetzt machen wir die Zusammenarbeit auf dieser konkreten Ebene, die aus dem Redebeitrag des Ministers hervorging: gemeinsame Abiturprüfungsaufgaben, gemeinsame Bereitstellung von Hilfen und so weiter. Diese Art von Bildungspolitik mag wünschenswert sein, aber das ist nicht das, was eigentlich Kern der Diskussion sein sollte. Damit bin ich bei dem, was Kollege Weber vorhin ansprach.
Wir haben uns, als es um die Föderalismusreform ging, mehrfach mit der Zukunft unseres Föderalismus beschäftigt. Wir haben uns damit auseinandergesetzt, was die Funktion der Landesparlamente sein sollte. Es gab damals und gibt auch weiterhin
viele negative Aussagen über die Arbeit von Landesparlamenten unter der Überschrift „Zukunft des deutschen Föderalismus“.
Der Föderalismus ist nicht nur historisch gewachsen, sondern es gibt gute Gründe für ihn. Herr Kollege Habersaat hat es historisch dargestellt. Der Kernpunkt muss der solidarische Föderalismus sein, den wir vor der Föderalismusreform I gehabt haben, und darum muss es gehen. Das heißt, wir schaffen die Weiterentwicklung unseres Bildungsföderalismus nur, wenn wir diese Solidarität unter den Ländern und zwischen Bund und Ländern einfordern.
Wir brauchen eine gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern. Wir haben sie schon einmal gehabt. Wir brauchen auch Ressourcen für den Bildungsbereich, weil nur so die Ziele des Bildungsgipfels umgesetzt werden können. Das ist das Mindeste. Das erreichen wir aber nicht, indem wir sagen, wir machen gemeinsame Abiturprüfungsaufgaben. Das ist nicht der Kernpunkt.