Protocol of the Session on December 16, 2009

Herr Kollege Stegner, das, was ich nicht verstehe, ist: Das alte Altersteilzeitgesetz haben zu 90 % Menschen aus Dienstleistungsberufen - Beamte, Büroleute, Versicherungsfachangestellte, Bankangestellte - in Anspruch genommen. Zu dem, was Sie anführen, beweist die Praxis genau das Gegenteil. Das kriege ich nicht überein. Vielleicht können Sie mir das erklären.

- Das will ich Ihnen gern erklären. Wir haben überhaupt nichts dagegen - so wie es der Kollege Flemming Meyer hier gesagt hat -, über die Ausführungsbestimmungen, über die Details der Dinge zu reden, wobei es manchmal die Frage ist, ob man sich das leisten kann oder nicht. Das ist der Punkt, über den wir reden müssen. Aber zu sagen, weil es viele andere wahrnehmen, machen wir die Möglichkeit gerade zu, ist jedenfalls nicht mein Freiheitsverständnis, sondern das ist das Gegenteil. Das ist die Form nach dem Motto: „Der Sozialstaat kann auch erdrücken!“, wie der Herr Ministerpräsident sich auszudrücken beliebt. Das ist nicht meine Vorstellung von Sozialstaat. Lassen Sie uns das in der Praxis verbessern, aber nicht die Freiheit denjenigen nehmen, von denen viele sehr viel schwierigere Arbeitsbedingungen haben als die, über die wir hier vorhin gesprochen haben. Für mich heißt Sozialstaat schon auch, dass man sich auf die Praxis der Menschen einlässt, die es wirklich hart im Leben haben, die keine hohen Nettogehälter haben, die hart arbeiten müssen. Fragen Sie die einmal, was die davon halten, wenn Sie so über Freiheit reden, wie Sie es hier tun!

(Beifall bei der SPD)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Jezewski von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Es wird auch schneller gehen. Herr Tietze, Sie brauchen gar nicht in die schwer arbeitenden Bevölkerungsschichten zu gehen. Gehen Sie doch einfach einmal an eine Schule und unterhalten Sie sich mit einer Hauptschul- oder einer Grundschullehrerin von 63 Jahren, die seit 40 Jahren im Dienst ist! Unterhalten Sie sich doch bitte einmal in der Kita mit Erziehrinnen, und unterhalten Sie sich doch bitte einmal mit Altenpflegerinnen mit 64 Jahren, wie die ihren Job machen! Dann ist einfach die Frage, ob das so schöne Jobs sind. Und wenn wir mit dieser Landesregierung etwas weiter sind, unterhalten Sie sich in fünf Jahren mit den Leuten der Landesverwaltung, in der noch einmal 10 % abgebaut werden sollen und in der die Arbeitsintensität noch einmal steigen soll, ob die alle mit 65 noch die französische Lebensart „Wir leben nicht, um zu arbeiten, sondern wir arbeiten, um zu leben!“, ob die das überhaupt verwirklichen können. Kommen Sie doch einmal in der Lebenswirklichkeit der Menschen in diesem Land an, Herr Tietze! Das wäre einfach meine Empfehlung. Dann würden Sie auch nicht mehr so einen Quatsch erzählen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Für die Landesregierung hat der Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herr Dr. Heiner Garg, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will den letzten Begriff nicht aufnehmen, aber ich frage einmal, wie eine 63-jährige, verbeamtete Lehrerin 40 Dienstjahre als Lehrerin geleistet haben kann.

(Zuruf des Abgeordneten Heinz-Werner Je- zewski [DIE LINKE])

Wenn Sie Beiträge von Kollegen entsprechend abqualifizieren, sollten Sie sich das auch einmal fragen.

Vielleicht hilft es auch einmal, Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Es ist nun einmal so, dass man über 90 % derjenigen, für die dieses Modell einmal gedacht war, schlicht und ergreifend nicht erreicht hat, sondern dass man andere erreicht hat. Wenn man ernsthaft darüber diskutiert, wie man eine Brücke schlägt, sollte man sich in Zukunft Gedanken darüber machen, dass man diejenigen erreicht, die man auch erreichen will, und dass über diese Brücke beide Generationen gehen können, die Älteren und die Jüngeren. Auch das gehört dazu.

(Beifall bei FDP und CDU sowie des Abge- ordneten Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist doch völlig unstrittig - da gibt es wohl auch Einigkeit in diesem Haus -, dass die Wirtschaftsund Finanzkrise natürlich auch in Schleswig-Holstein am Arbeitsmarkt Spuren hinterlässt. Natürlich haben wir dank eines starken Mittelstandes und eines hohen Anteils an Dienstleistungsunternehmen das haben etliche Kollegen vor mir bereits ausgeführt -, die von diesem Modell nicht oder fast nicht profitieren, die Krise bisher deutlich besser durchgestanden, als das in manch anderen Bundesländern der Fall ist.

Die Zahl der Arbeitslosen in Schleswig-Holstein nur zur Erinnerung - ist im November 2009 um rund 1.000 gegenüber Oktober gestiegen. Im Vergleich zum November 2008 hat sich die Anzahl damit um knapp 4.200 erhöht. Die Arbeitslosenquote lag damit bei 7,4 % gegenüber 7,1 % im Vorjahr.

Natürlich steht Schleswig-Holstein mit diesen Zahlen gegenwärtig relativ stabil da. Ich warne allerdings, das nächste Jahr kommt, und im nächsten Jahr werden auch wir am Arbeitsmarkt die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise spüren.

Bei den jüngeren Arbeitslosen bis 25 Jahren, bei älteren Arbeitslosen von 55 bis 65 Jahren sind im November im Vorjahresvergleich ebenfalls Anstiege der Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen.

Lieber Kollege Baasch, statt sich hier für ein Modell einzusetzen, das sehr kurzfristig ausgerichtet ist und dessen Erfolg nachdrücklich bezweifelt werden muss aufgrund der Erkenntnisse, die wir haben, gilt es doch die längerfristigen Trends auch für kurzfristige Maßnahmen zugrunde zu legen. Längerfristige Trends, das ist der demografische Wandel un

(Dr. Ralf Stegner)

serer Gesellschaft. Den endlich einmal in der politischen Realität und im politischen Alltag zur Kenntnis zu nehmen, das würde ich mir bei einer ernst gemeinten Diskussion zu diesem Thema wünschen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Seit Mitte der 70-er Jahre diskutiert die Politik über demografischen Wandel. Mitte der 70-er Jahre gab es eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zum demografischen Wandel. Die wenigsten Politiker haben bedauerlicherweise bis heute kapiert, was das auf vielen Feldern der Politik tatsächlich bedeutet und welche Maßnahmen nötig sind, um dem demografischen Wandel zu begegnen.

Der demografische Wandel hat inzwischen auch die Betriebe und Belegschaften erreicht. Sinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartung verändern die Zusammensetzung der Altersstruktur in unserer gesamten Gesellschaft. Längere Sicherung der Beschäftigungsmöglichkeit, Bemühungen, mit flexiblen Arbeitszeitmodellen zu einer länger Einbindung der Kompetenz älterer Arbeitnehmer beizutragen, oder auch - ich kann es Ihnen nicht ersparen - die Rente mit 67 gehören dazu. Muss ich Sozialdemokraten wirklich daran erinnern, dass die demografische Realität auch in sozialdemokratischen Programmen und in sozialdemokratischen Parteibeschlüssen vorkommt? Jedenfalls war das bis vor kurzer Zeit sehr wohl der Fall, Herr Kollege Stegner.

Genau wegen dieser Realität muss es jetzt darum gehen, ältere Arbeitnehmer solange wie möglich im Erwerbsleben zu halten, muss es um humane und altersgerechte Arbeitsbedingungen sowie gezielte Qualifikationssicherung bei älteren Arbeitnehmern gehen. Das muss in der Krise gelten statt Ausmustern auf Kosten der Solidargemeinschaft. Das findet in ganz vielen Fällen statt. Ich sage es noch einmal: Es wird ausgemustert auf Kosten der Solidargemeinschaft. Das hat nichts mit einer humanen Arbeitsmarktpolitik zu tun.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Realität der geförderten Altersteilzeit ist hier von vielen Kollegen angesprochen worden. Ich sage es trotzdem noch einmal: Die Realität sieht so aus, dass bisher überwiegend das sogenannte Blockmodell vereinbart wird. Das heißt, Altersteilzeit wird zu einem großen Teil als Vorruhestandsmodell missbraucht. Ich formuliere bewusst „missbraucht“. Staatliche Anreize zur faktischen, das Sozialsystem überfordernden Frühverrentung müssen beseitigt und dürfen nicht verlängert wer

den. Es ist daher konsequent, dieses Altersteilzeitmodell zum Jahresende auslaufen zu lassen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Im Übrigen ist es auch eine Frage der Generationengerechtigkeit, und es ist zugleich eine Frage der Akzeptanz insgesamt umlagefinanzierter sozialer Sicherungssysteme, wenn wir es nicht schaffen, eine Brücke zu schlagen, die für beide Generationen gilt, für jüngere und ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Wenn es darum geht, arbeitsmarktpolitische Instrumente zu bewerten, dann sage ich Ihnen: Wir haben bessere Arbeitsmarktinstrumente für die derzeitige Situation. Insbesondere die geförderte Kurzarbeit hilft, Entlassung zu vermeiden. Die derzeitigen Arbeitsmarktdaten zeigen - deswegen habe ich sie noch einmal genannt -, dass dieses Instrument tatsächlich greift. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können mithilfe des Kurzarbeitergeldes weiterbeschäftigt werden. Wenn die Konjunktur anzieht, kann sofort auf erfahrene und eingespielte Belegschaften zurückgegriffen werden.

In Zeiten eines zunehmenden Fachkräftemangels ist dies ein handfester Wettbewerbsvorteil. Ich fordere Sie auf, den gemeinsam zu nutzen und gestärkt aus der Wirtschaftskrise hervorzugehen. Das, was Sie wollen - ich will gar nicht sagen, dass das von gestern ist -, ist nicht erfolgreich gewesen. Deswegen muss man es auch nicht fortsetzen. Das hat gar nichts mit französischer Lebensart zu tun, wie hier wie ich finde - relativ respektlos gesagt wurde, sondern es hat etwas damit zu tun, dass hier Realitäten anerkannt wurden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Es ist Abstimmung in der Sache beantragt worden.

(Peter Eichstädt [SPD]: Redet der Minister nicht noch? - Heiterkeit)

- Es ist beantragt worden, über den Antrag in der Sache abzustimmen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag Drucksache 17/86 mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW gegen die Stimmen der Fraktionen von SPD und der LINKEN -

(Zurufe)

(Minister Dr. Heiner Garg)

- Wir üben jetzt nicht mehr das Abstimmen, wir üben jetzt, wie man das ansagt. - Der Antrag Drucksache 17/86 ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen von SPD, der LINKEN und SSW abgelehnt worden.

In Abstimmung mit den Parlamentarischen Geschäftsführern schließe ich die heutige Sitzung. Ich

wünsche Ihnen einen schönen Abend. Bis morgen früh!

Schluss: 17:48 Uhr

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst