Protocol of the Session on May 26, 2011

(Vereinzelter Beifall bei SPD und der LIN- KEN)

Das sehen wir im Nahen Osten, das sehen wir überall. Da ist ein reiches Land wie die Bundesrepublik Deutschland wirklich in der Pflicht, etwas zu tun. Ich frage mich manchmal, wo die christliche Gesinnung bleibt oder auch das Verantwortungsgefühl, damit dieses reiche Deutschland überall mit dabei ist und hilft. Uns ist übrigens auch geholfen worden, wenn ich an unsere Geschichte denke. Viele mussten aus unserem Land flüchten und haben anderswo Aufnahme gefunden. Wir sind deshalb besonders in der Pflicht, alles, was wir nur in dieser Frage tun können, zu tun.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Herr Kollege Stegner, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Damerow zu?

Sehr gern.

Herr Kollege Stegner, ist Ihnen bewusst, dass die Bundesrepublik in die Transformationsgesellschaften von Tunesien und Ägypten über 40 Millionen € investiert, um den sozialen Wandel in Tunesien und Ägypten zu unterstützen?

- Ich finde jeden dieser Beiträge sinnvoll. Wenn ich aber höre, wie viel Flüchtlinge wir angeblich in Deutschland nur aufnehmen können - wir haben ganz andere Verhältnisse als früher -, dann finde ich das peinlich und beschämend. Wenn das auch noch mit Hinweisen auf angebliche Schleuserkriminalität kommentiert wird, um Grenzkontrollen wieder einzuführen, ist das, muss ich sagen, an Provinzialität nicht zu überbieten. Das habe ich kritisiert, nicht die Hilfen, die es an anderer Stelle gibt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin Mitglied einer Partei, die fast 150 Jahre alt ist und die aus dem Bewusstsein heraus gegründet worden ist, dass internationale Solidarität wichtig ist. Unsere Generation lebt hier heute glücklicherweise in Frieden. Das ist ein großes Privileg und eine große Freude, aber wir haben auch Verantwor

(Dr. Ralf Stegner)

tung für die Länder, wo das anders ist. Dazu sollten wir unseren Beitrag leisten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und DIE LINKE)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Gerrit Koch das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer, wenn nicht wir hier in Deutschland, kann gut nachvollziehen, welchen Mut, welche Kraft, welche Ausdauer und welches Engagement es bedeutet, für Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit einzutreten! 1989 brachte uns die friedliche Revolution in der DDR genau dies auch in dem anderen Teil Deutschlands - nach 40 Jahren Trennung und Unfreiheit. Danach, wonach damals in der DDR gestrebt wurde, streben nun auch die Bürgerinnen und Bürger vieler Länder in Nordafrika und der arabischen Welt. Sie wollen nicht länger die Allwissenheit einer Partei oder weniger Menschen akzeptieren, sie wollen nicht länger über sich bestimmen lassen, sondern selbst handeln.

In Ägypten und Tunesien ist der Weg in die Freiheit und Demokratie zwar beschwerlich, aber zum Glück schon absehbar. In anderen Staaten wie Libyen und Syrien kämpfen die machthabenden Tyrannen gegen den wachsenden Widerstand der eigenen Bevölkerung. Unfassbar für jeden von uns, dass sich diejenigen, die sich an die Spitze eines Staates gestellt haben, mit Waffengewalt gegen die Menschen wenden, deren Wohlergehen ihnen eigentlich anvertraut ist.

Meine Damen und Herren, jeder hier im Haus wird die friedlichen Demokratiebewegungen weltweit unterstützen und diese Menschen um ihren Mut bewundern. Dies ist für jeden Demokraten eine unabdingbare Selbstverständlichkeit. Deutschland ist und bleibt ein weltoffenes Land. Unser Grundgesetz verpflichtet uns dazu. Bei jedem Menschen, der in Deutschland um Hilfe bittet, kommen unsere Behörden dieser Pflicht auch verantwortungsvoll nach. Sowohl der Bundes- als auch der Landesregierung ist deshalb unsere Unterstützung gewiss, wenn besondere Lagen besondere Maßnahmen erfordern.

Der Bundesinnenminister hat den Ländern geraten, bis zur Klärung der Verhältnisse in Syrien von Abschiebungen abzusehen. Sofort hat unser Justiz

minister alle zuständigen Behörden angewiesen, Wege zu finden, Abschiebungen nach Syrien zu vermeiden - sei es dadurch, die betroffenen Menschen auf ihre Rechte bezüglich eines Asylantrags oder eines Asylfolgeantrages hinzuweisen, sei es dadurch, dem Ministerium vor einer Abschiebung den Einzelfall zur Prüfung vorzulegen. Des Weiteren sind syrische Staatsangehörige gegenwärtig nicht in Abschiebehaft zu nehmen beziehungsweise eine etwaige Abschiebehaft ist zu beenden. De facto findet somit keine Abschiebung nach Syrien statt.

Auch wenn ich Jurist bin, halte ich es nicht für erforderlich, einen förmlichen Abschiebestopp zu erlassen, der nur von kurzer Dauer sein könnte, nämlich maximal sechs Monate. Der aktuelle Erlass hilft den Syriern bis auf Weiteres, womöglich auch länger als sechs Monate. Dieses Vorgehen ist human und im Sinne der Betroffenen, die hier bleiben können, bis sich die politische Lage in Syrien beruhigt hat.

CDU und FDP lehnen deshalb den Antrag der Grünen, Drucksache 17/1511, wegen zwischenzeitlicher Erledigung ab, ebenso den SPD-Änderungsantrag; den Berichtsantrag haben wir bereits in unseren Änderungsantrag aufgenommen. Auch den Antrag der LINKEN lehnen wir ab. Deutschland als einen Garanten für die Stabilität autoritärer Systeme zu bezeichnen, der den Diktatoren freie Hand bei der Unterdrückung der Opposition gegeben habe, ist völlig abwegig und verdreht die Zusammenhänge. Das klingt ja so, als ob wir den Grund für die Gewaltherrschaften in der Welt gesetzt hätten. Sie haben diesen Absatz inzwischen dankenswerterweise aus Ihrem Antrag gestrichen. Aber allein, auf diese Idee zu kommen, ist doch unmöglich.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die Einrichtung Frontex abzulehnen, hieße, dass Deutschland sich aus seiner grundlegenden europäischen Verpflichtung verabschiedet. Selbstverständlich muss auch die Arbeit der Frontex, da es sich um Menschenschicksale handelt, stets kontrolliert werden. Die Sicherung der EU-Außengrenze ist aber eine Gemeinschaftsaufgabe, aus der sich einzelne EU-Staaten nicht einfach verabschieden können. Eine solche Forderung ist deshalb absolut realitätsfern.

Im Antrag der Grünen finden wir die Zusammenstellung der gesamten grünen Ausländerrechtsprogrammatik. Auch der Syrien-Antrag wird darin noch einmal verarbeitet, liegt also quasi doppelt

(Dr. Ralf Stegner)

vor. Dabei schießen Sie leider über das Ziel hinaus. Gerade bei diesem Themenspektrum ist ein gemeinsames und möglichst einheitliches Vorgehen in der Bundesrepublik und in der EU nicht nur sinnvoll, sondern dringend geboten. Eine gemeinsame Vorgehensweise wird in der EU - Frau Damerow hat schon darauf hingewiesen - zurzeit abgestimmt. Dies sollten wir abwarten und unsere Bundesrepublik darin bestärken, eine humanitäre Lösung zu finden, die auf den Schultern aller EU-Staaten ruht.

Sie mahnen die einheitliche Stimme Europas an. Ein Alleingang Deutschlands würde aber zu einer disharmonischen Vielstimmigkeit führen, die den Betroffenen am wenigsten nützt.

Meine Damen und Herren, ich bitte deshalb auch um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag, zum Änderungsantrag von CDU und FDP.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Asyl ist ein Menschenrecht. Das gilt nicht nur für politisch Verfolgte. Auch Menschen, die in ihrer Heimat vor dem Hungertod fliehen, müssen in Europa ankommen dürfen.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] und Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE])

Wir brauchen eine europäische Strategie zur geregelten Zuwanderung. Wir haben zurzeit aber eine militärisch gefärbte Diskussion um Grenzsicherung. Das muss sich ändern. Unsere eigene Glaubwürdigkeit steht dabei auf dem Spiel. Demokratie leben heißt auch, Demokratie zu ermöglichen - hier und bei den Nachbarn Europas.

Angesichts der komplexen Herausforderungen der Demokratiebestrebungen in Nordafrika und vielen arabischen Ländern muss Schleswig-Holstein seinen Beitrag leisten. Schleswig-Holstein ist ebenso wie andere verpflichtet, diese Demokratiebewegungen zu unterstützen - allein per Landtagsabstimmung ist dies jedoch zu einfach. Schleswig-Holstein ist ein Bundesland und hat als Teil der Bundesrepublik Mitverantwortung zu tragen, soweit es

um die Verstrickung des europaweiten Systems in der Asylpolitik geht. Noch vor ein paar Monaten hat die Landesregierung beispielsweise Abschiebungen nach Syrien grundsätzlich nicht infrage gestellt. Dabei wussten wir bereits seit letztem Jahr, was uns heute per Twitter und Internetfilmen und -fotos täglich bestätigt wird,

(Beifall der Abgeordneten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

wie nämlich das Assad-Regime mit Kritikern umgeht. Sie werden verhaftet und misshandelt; Demonstranten werden erschossen. Deshalb ist ein Abschiebestopp wirklich notwendig. Dieser darf nicht sozusagen unter der Hand gewährt werden, sondern es ist notwendig, dass der auch offiziell verhängt wird.

Darüber hinaus ist es für uns auch noch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Kooperationen mit undemokratischen Regimen bestehen. Der Grad dafür ist sehr schmal. Schleswig-Holstein kooperiert mit vielen Ländern und eben auch mit einer Reihe von Staaten, die ihren Bürgerinnen und Bürgern keine oder kaum Rechte einräumen. Ein Beispiel ist China. Wirtschaftliche Zusammenarbeit kann eine Brücke werden, auf der neben wirtschaftlichen Waren auch demokratische Werte Einzug halten können. Das ist allerdings kein Automatismus. Auch Schleswig-Holstein hat schon, denke ich, ab und zu ein Auge zugedrückt, wenn es um wirtschaftliche Vorteile ging.

Eine Resolution im Landtag wird die Situationen in den Ländern vor Ort nicht verändern. Die Menschen im Jemen, in Syrien oder im Iran demonstrieren und kämpfen gegen ihre korrupten Regime. Sie wollen in Frieden und Freiheit leben. Tatsächlich kamen aber Europa die autoritären Unrechtsregime in seiner Nachbarschaft in der Vergangenheit ab und zu auch sehr gelegen. Schließlich verhinderte das Militär dieser Staaten, unter anderem in Tunesien, mit vorgehaltener Waffe die Massenausreise seiner Bürgerinnen und Bürger. Die europäische Agentur Frontex suchte Kontakt mit den sogenannten Partnerstaaten, unter ihnen Tunesien und Marokko. Europa hat bis vor kurzer Zeit tatsächlich die „Festung Europa“ verteidigt. Frontex hat jedoch nur für den Schutz der europäischen Außengrenzen zu sorgen, um illegale Einwanderungen nach Europa zu verhindern. Es ist nicht Teil der Mission, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, das Seerecht und/oder die Genfer Flüchtlingskonvention zu verstoßen.

(Gerrit Koch)

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das darf nicht sein. Es ist aber die Kritik, die gerade die Flüchtlingsorganisationen gegenüber Frontex äußern. Die EU-Flüchtlingspolitik ist eine der Schwachstellen der europäischen Außenpolitik. Die Frontex-Mission klammert Menschenrechtsbelange wohl völlig aus. Hier muss grundsätzlich umgedacht werden. Der SSW unterstützt deshalb den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Darüber hinaus hat die Kollegin Amtsberg in ihrem Antrag über den Non-Refoulement-Grundsatz gesprochen. Das ist etwas, was gerade auch in Deutschland eingehalten werden sollte. Es ist nämlich das Verbot, Personen zwangsweise in einen Staat zu befördern, in welchem sie in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgt oder gefoltert wurden, unmenschlicher Behandlung oder anderen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt waren. Es ist ganz wichtig, im Rahmen der heutigen Debatte darüber zu sprechen, dass dies nicht passieren darf - weder durch Frontex noch durch andere. Es ist wichtig, dass niemand an diesen Grenzen zurückgewiesen wird, der in seinem eigenen Staaten verfolgt und tatsächlich auch erschossen werden würde oder anderes Übel erleiden könnte, was wir im Moment leider häufig auch im Fernsehen erleben. Das ist im Rahmen der Flüchtlingspolitik im Moment zu diskutieren.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Für einen Dreiminutenbeitrag erteile ich der Frau Abgeordneten Anke Erdmann von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Damerow, es tut mir Leid, dass ich gerade dazwischengerufen habe. Ich war wirklich erbost, und darum ist es sinnvoller, dass ich mich jetzt noch einmal geordnet äußere. Zu Ihrem Vorwurf, die Grünen glaubten, es würde sich nichts ändern: Frau Amtsberg hat erklärt, dass wir diesen Abschiebestopp für sechs Monate gefordert haben. Wir gehen also davon aus, dass sich etwas ändert, und wir sagen: Jetzt ist es untragbar, Flüchtlinge nach Syrien abzuschieben. Deshalb fordern wir ein halbes Jahr, und dann können wir weitersehen. Sie führen Ihre eigene Argumentation ad absurdum.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Sie haben mich gefragt, ob ich mit der griechischen und italienischen Regierung gesprochen habe. Das habe ich nicht. Ich habe zwei sehr beeindruckende Gespräche geführt. Zum einen mit Elias Bierdel, der als Beobachter in einem der Flüchtlingslager in Lampedusa war. Er hat beschrieben, wie die Flüchtlinge dort ohne humanitäre Begleitung zusammengepfercht sind. Als Europäerin schäme ich mich dafür. Das ist eine zynische Sache.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Heute Morgen reden wir auch über die Grenzkontrollen zu Dänemark, und wir sehen gleichzeitig nicht, was an den Außengrenzen Europas geschieht. Das wirft auch ein schlechtes Licht auf uns zurück. Das, was in Lampedusa geschieht - auch im Namen Europas - stellt uns alle infrage.

Das zweite Gespräch habe ich mit einem Lübecker Kapitän geführt, Stefan Schmidt. Er ist als Kapitän auf dem Rettungsschiff „Cap Anamur“ mitgefahren. Er stand fünf Jahre in Italien vor Gericht, weil er 35 Menschen aus Seenot gerettet hat. So etwas passiert inzwischen schon gar nicht mehr, weil sich die kleinen Fischer vor Ort nicht mehr trauen, die Ertrinkenden aufzunehmen. Sie wissen, dass ihre Existenz davon abhängt. - Herr Arp, als Mittelstandsbeauftragter könnte das für Sie durchaus interessant sein. Ein wirklich wichtiger Punkt ist, dass dort eine ganz strategische Politik gemacht wird, um diesen Menschen eben nicht zu helfen.

Frau Damerow, man kann in Schleswig-Holstein nicht die Flüchtlinge der ganzen Welt retten, das ist klar. Wir können aber einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass es etwas besser wird. Wenn ich sehe, dass jeder Zehnte, der momentan aus Libyen kommt, stirbt, im Mittelmeer ertrinkt - das sind die Zahlen, die wir im Moment haben, denn sie sind sehr schwer zu bekommen -, müssen wir uns alle auch wenn es jetzt pathetisch klingt - in 40, 50 Jahren fragen: Was haben wir dagegen getan? Man muss sich fragen, wie man als Europäer zulassen konnte, dass das Mittelmeer zu einer Grabesstätte für die Menschen an unseren Grenzen wird. Das ist pathetisch. Es ist aber ein wichtiger Punkt. Wir leisten deshalb nur einen ganz kleinen Beitrag mit den Punkten, die Frau Amtsberg hier vorgestellt hat. Das ist nicht übertrieben, sondern es ist das mindestens Gebotene in der Situation, in der wir uns befinden.