Protocol of the Session on May 25, 2011

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Dann können wir jetzt 10 Minuten Kaffee trinken gehen!)

Ich eröffne jetzt die Aussprache. Das Wort für die Fraktion DIE LINKE hat der Herr Abgeordnete Björn Thoroe.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was ist der ei- gentlich von Beruf?)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ganz zum Anfang möchte ich klarstellen: Nicht 69 % der Auszubildenden im Hotel- und Gaststättengewerbe sind mit ihrer Ausbildung zufrieden, sondern 69 % von allen Auszubildenden in Schleswig-Holstein. Es war mir wichtig, das am Anfang klarzustellen, weil ich glaube, dass Herr de Jager das gerade in einem anderen Zusammenhang gesagt hat.

Wir reden hier heute über Jugendliche in Ausbildung und damit über Jugendliche, die am Anfang ihres Berufslebens stehen. Das ist immer ein Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt und ist mit großen Umstellungen verbunden. Unsere Große Anfrage und der Ausbildungsreport der DGB-Jugend Nord haben besonders für den Bereich der Ausbildungsbedingungen im Hotel- und Gast

(Minister Jost de Jager)

stättengewerbe erschreckende Ergebnisse hervorgebracht. Die Ausbildungsbedingungen im Hotelund Gaststättengewerbe sind eklatant schlechter als in anderen Bereichen.

Die Vergütung ist deutlich geringer als in anderen Branchen. 89 % der Azubis erhalten weniger als 500 € im Monat. In anderen Branchen sind es nur 38 %.

Es arbeiten 63 % der Azubis über 40 Wochenstunden. In anderen Branchen sind es nur 20 %.

Nur 20 % der Azubis im Hotel- und Gaststättengewerbe haben mehr als 25 Urlaubstage. In anderen Branchen sind das 55 %.

48 % bekommen keinen Überstundenausgleich. In anderen Branchen sind dies nur 19 %.

Hinzu kommt oft eine menschlich herabwürdigende Haltung von Vorgesetzten gegenüber Auszubildenden. Auch dies konnte man im DGB-Ausbildungsreport lesen.

Im Jahr 2009 standen 1.062 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen 492 Verträge gegenüber, die wieder gelöst wurden. Das entspricht einem Anteil von 38,8 %. Im Durchschnitt aller Ausbildungsberufe wurde im selben Jahr etwa ein Viertel aller Verträge wieder gelöst. 2008 gab es im Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes sogar eine Auflösungsquote von 42,6 % bei allen Ausbildungsverträgen. Damit nimmt Schleswig-Holstein im Vergleich zu anderen Bundesländern eine Spitzenposition ein.

Ein weiterer Beleg für das Verheizen junger Menschen sind die Antworten der Landesregierung für den Ausbildungsgang Koch. Von 600 jungen Menschen, die eine Ausbildung zum Koch aufnehmen, schafft es ungefähr die Hälfte zu einem Berufsabschluss. Von diesen 300 Jungköchen gelingt etwas mehr als einem Drittel der direkte Übergang in den Beruf. Das sind gerade einmal 100 Jungköche von ehemals 600 Einsteigerrinnen und Einsteigern. Auf ein einzigartiges duales Ausbildungssystem zu schwören und gleichzeitig etwa 80 % der Koch-Azubis auf der Strecke zu lassen, das passt nicht zusammen.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Konsequenz dieser Zustände hat der DGB Jugendliche nun vor einer Ausbildung im Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes ausdrücklich gewarnt. Das ist für Schleswig-Holstein, ein Land das von der Tourismusbranche lebt, eine Katastrophe. Unerklärlich bleibt mir und meiner Fraktion, dass

die Landesregierung sich weigert, die Situation zur Kenntnis zu nehmen. Die Landesregierung verschließt die Augen und spricht - wir haben es gerade eben wieder gehört - von schwarzen Schafen. Die Landesregierung laviert herum. Ich zitiere aus der Antwort:

„Nach Mitteilung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Schleswig-Holstein […] entgeht es dem Verband durchaus nicht, dass es in der Branche schwarze Schafe gibt. Die überwiegende Mehrheit der Ausbildungsbetriebe sei sich der Notwendigkeit von Ethikstandards, die über das bloße Einhalten des Rechtsrahmens hinausgehen, gerade vor dem Hintergrund des Bewerberrückganges durchaus bewusst. Es sei nicht zutreffend, dass die Arbeitsbedingungen des Gastgewerbes per se […] durch harte Arbeit, Überstunden und rauen Ton geprägt sind. Beispielsweise stelle der Verband im Bereich der Begabtenförderung, deren Teilnehmer auch aus der Sternegastronomie kommen, fest, dass die Arbeitsbedingungen seitens der Auszubildenden zwar als Herausforderung, aber vor allem als Chance gesehen werden, wertvolle Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben.“

So geht es nicht. Ein winziger Bruchteil der Azubis im Hotel- und Gaststättengewerbe profitiert von Begabtenförderung in der Sternegastronomie. Auch Spitzenköche kann es nur auf einer breiten Basis von durchschnittlich Ausgebildeten geben. Zudem reicht es nach den Ergebnissen der Großen Anfrage als auch des Ausbildungsreports nicht, sich allein auf die Angaben des Arbeitgeberverbandes zu stützen. Die Landesregierung sieht nur, was sie sehen will. Die Landesregierung handelt unverantwortlich gegenüber betroffenen Jugendlichen und unverantwortlich gegenüber dem Land SchleswigHolstein.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Großen Anfrage ist der Bereich Jugendarbeitsschutzgesetz. Oft wird so getan, als ob im Ausbildungsbereich der Anteil von unter 18-Jährigen verschwindend gering sei. Die Antwort der Landesregierung zeigt: Die Realität sieht anders aus. Ein gutes Viertel der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge wird mit Minderjährigen geschlossen. Eine Aufweichung des Jugendarbeitsschutzes ist unverantwortlich. Unter 18-Jährige länger als bis 22 Uhr arbeiten zu lassen, lehnt DIE LINKE ab.

(Björn Thoroe)

(Beifall bei der LINKEN)

Die Begründungen der Landesregierung dafür, den Jugendarbeitsschutz zu lockern, sind fadenscheinig. Mehrgängige Bankette finden nicht nur abends, sondern gerade am Wochenende auch tagsüber statt. Auch Kassenabschlüsse finden nicht nur nach 22 Uhr, sondern nach jeder Schicht statt. Es geht hier um bessere Ausbeutungsbedingungen bei Minderjährigen.

Hinzu kommt, dass die Landesregierung als Rechtsaufsicht die Kontrolle, ob Recht eingehalten wird, für nicht nötig befindet. Ich zitiere aus der Anfrage:

„Das Hotel- und Gaststättengewerbe ist im Rahmen der Vollzugsstrategie für den staatlichen Arbeitsschutz unter Risiko- und Prioritätsaspekten in eine niedrige Gefahrenklasse eingestuft, sodass auch Besichtigungen im Hotel- und Gaststättengewerbe nur in geringem Maße stattfinden.“

Nach den vorliegenden Ergebnissen kann ich nur heftig an Sie appellieren: Sorgen Sie dafür, dass die Einhaltung von Gesetzen auch kontrolliert wird, Herr de Jager! Ich bin gespannt, was aus der Zusage, die Sie gerade gemacht haben, wird. Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung. DIE LINKE fordert unabhängige wirksame Kontrollen und die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle. Nur so können im Betrieb auftretende Konflikte auf annähernd gleicher Augenhöhe behandelt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun zur Situation auf dem Ausbildungsmarkt insgesamt und zum Bündnis für Ausbildung! Es ist schlicht und ergreifend ein Märchen, dass es zu wenig Jugendliche für zu viele Ausbildungsplätze gäbe. Es ist umgekehrt. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist für Jugendliche mit einem schlechteren Schulabschluss noch immer oft aussichtslos. Der direkte Übergang von der Hauptschule in die Lehre liegt bei ungefähr 5 %. Nur fünf von 100 Hauptschülern schaffen den direkten Übergang. In Schleswig-Holstein gibt es laut Ausbildungsreport der DGB-Jugend rund 5.000 junge Menschen, die länger als ein Jahr nach einer Ausbildung suchen. Die von den Kammern verbreiteten Zahlen sind irreführend, weil sie nur die aktuellen Schulabgänger berücksichtigen, aber nicht die Bugwelle, die immer noch vorhanden ist.

Zur vermeintlichen Zahl unbesetzter Stellen! Es gibt das bekannte Problem, dass Betriebe seit Jahren Stellen ausschreiben, aber nicht besetzen. Um alle Altbewerberinnen und Altbewerber zu berück

sichtigen und jedem Jugendlichen eine Auswahlmöglichkeit zuzugestehen, müssten einmalig rund 40.000 Ausbildungsplätze von den Betrieben in Schleswig-Holstein angeboten werden. DGB-Vize und CDU-Mitglied Ingrid Sehrbrock kommentiert dies so: Diese Zahlen zeigen: Der Fachkräftemangel ist hausgemacht. Schuld ist die Wirtschaft. Diese wählt die besten Schulabgänger aus und schreibt den Rest als „nicht ausbildungsfähig“ ab.

Wir brauchen ehrliche Zahlen. DIE LINKE hat schon vor über einem Jahr die schnelle Einführung einer integrierten Ausbildungsstatistik gefordert. Die Landesregierung verschleppt die Einführung ohne Not immer weiter in die Zukunft.

Der Antrag der SPD ist deutlich zu kurz gesprungen. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht. Soll das Bündnis für Ausbildung wirklich Sinn machen, darf es nicht auf freiwilligen Selbstverpflichtungen beruhen. Die Forderung der LINKEN nach einer Ausbildungsplatzumlage bleibt aktuell und richtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Betriebe, die nicht ausbilden, müssen zahlen.

In die Landesverfassung gehört ein Recht auf Ausbildung. DIE LINKE wird dazu noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf einbringen. DIE LINKE streitet für gute Ausbildung für alle.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die SPD-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Anette Langner das Wort.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle nur kurz auf die Beantwortung der Großen Anfrage zur Ausbildungssituation im Hotel- und Gaststättenbereich eingehen, da wir über dieses Thema auf der Grundlage eines Antrags unserer Fraktion im Dezember 2010 bereits ausführlich diskutiert haben.

Nach wie vor bleibt festzustellen: Auch wenn es sich vielleicht nur um wenige schwarze Schafe handelt, in deren Betrieben die Ausbildung unter schwierigen, zum Teil auch nicht rechtmäßigen Bedingungen stattfindet, muss es im Interesse aller Betriebe in Schleswig-Holstein sein, die eine qualitativ gute Ausbildung anbieten, diese Missstände zu beseitigen.

(Björn Thoroe)

(Beifall bei der SPD)

Hier sind die Ausbildungsbetriebe, die Kammern, die Aufsichtsbehörden, die beruflichen Schulen und nicht zuletzt die Landesregierung gemeinsam gefordert, in diesem für das Touristikland SchleswigHolstein so wichtigen Ausbildungsbereichen attraktive Ausbildungsbedingungen zu schaffen. Ich danke dem Minister, dass dort schon Gespräche gelaufen sind und es dort insgesamt Verständigungen über Maßnahmen gibt, um das auch zu gewährleisten.

(Beifall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

Insgesamt, und das gilt für den gesamten Ausbildungsstellenmarkt, muss neben der quantitativen Bewertung die Diskussion über die Qualität der Ausbildung eine größere Rolle spielen. Der Anteil der Ausbildungsabbrüche in den Hotel- und Gaststättenberufen ist natürlich besonders hoch, aber auch für alle anderen Ausbildungsberufe gilt: 20 bis 25 % aller Ausbildungsverhältnisse werden während der Laufzeit des Vertrages gekündigt oder aufgelöst. Das sind einerseits verschwendete Ressourcen bei den Ausbildungsbetrieben und andererseits ein demotivierender Start ins Berufsleben für die Auszubildenden. Deshalb müssen wir alle ein Interesse daran haben, die Auflösungsquote in der Ausbildung deutlich zu senken.

Damit komme ich zu unserem Antrag. Seit der Gründung des Bündnisses für Ausbildung haben sich die Rahmenbedingungen am Ausbildungsstellenmarkt verändert. Hatten wir in den letzten Jahren noch eine deutliche Lücke zwischen angebotenen Lehrstellen und Bewerbern, ging es natürlich vor allem darum, Betriebe und Unternehmen zu motivieren, mehr Ausbildungsstellen zur Verfügung zu stellen, neue Formen der Ausbildung wie Ausbildungsverbünde und Teilzeitausbildungen zu entwickeln oder Ausbildungsplätze für Migrantinnen und Migranten zu akquirieren.

In dieser Hinsicht ist und war das Bündnis für Ausbildung mit seinen Partnern in Schleswig-Holstein eine Erfolgsgeschichte. Heute sind die Herausforderungen andere: Viele Betriebe können ihre Ausbildungsstellen nicht besetzen, und in verschiedenen Berufen droht ein Fachkräftemangel. Daneben steigt die Zahl der Jugendlichen im sogenannten Übergangsbereich seit 2005 um mehr als 20 %.

Diese Maßnahmen sollen eine Integration in Ausbildung zum Ziel haben, aber in vielen Fällen wird dieses Ziel leider nicht erreicht. Deswegen muss im

Bündnis für Ausbildung eine neue Schwerpunktsetzung gelegt werden, die nicht allein mit der Frage der Ausbildungswilligkeit und der Ausbildungsfähigkeit von Jugendlichen zu beantworten ist, die zurzeit - wie wir aus Gesprächen erfahren haben im Bündnis für Ausbildung sehr kontrovers diskutiert wird.

Es bleibt die gemeinsame Verantwortung der Bündnispartner hier in Schleswig-Holstein, möglichst jedem jungen Menschen, der die Schule mit dem Wunsch einer beruflichen Ausbildung verlässt, ein Angebot zu machen. Nach der integrierten Ausbildungsstatistik für 2010 - Herr Thoroe, es gibt mittlerweile eine integrierte Ausbildungsstatistik des Statistischen Bundesamts - befinden sich über 18.000 Jugendliche in dem sogenannten Übergangsbereich, der nicht immer eine erfolgreiche Vermittlung in die Ausbildung gewährleistet.

Potenziale konsequent entfalten und Benachteiligte zu Fachkräften machen, ist deshalb die notwendige Forderung, die sich im Übrigen auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in ihren Handlungsempfehlungen zur Fachkräftesicherung zu eigen gemacht hat. Andere Länder wie Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben auf diese Situation beispielsweise so reagiert: Das Übergangssystem wird gestrafft und umgestaltet. Die Bündnispartner gewährleisten eine ausreichende Anzahl betrieblicher, schulischer und außerbetrieblicher Ausbildungsplätze unter Berücksichtigung der Anforderungen der regionalen Wirtschaft und des Arbeitsmarkts.