Protocol of the Session on May 25, 2011

Bericht zu den EHEC-Infektionen in SchleswigHolstein

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/1546

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich erteile das Wort für die Landesregierung dem Herrn Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit letzter Woche gibt es Erkenntnisse darüber, dass wir es mit einer Welle von Infektionskrankheiten, den sogenannten EHEC-Infektionen, zu tun haben. Der derzeitige Verbreitungsschwerpunkt liegt in den norddeutschen Bundesländern. Inzwischen werden aber auch Fälle in küstenferneren Ländern gemeldet.

Zuständige Stellen in Landesregierungen informieren seit dem vergangenen Freitag umfassend die Bevölkerung. Auf der gestrigen Pressekonferenz habe ich die Medien des Landes informiert. Ich bin - das will ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen dankbar für die Medienberichterstattung, dafür, in welcher sachlichen, unaufgeregten Art und Weise mit dazu beigetragen wird, die Bevölkerung aufzuklären.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich bin Ihnen, meine Damen und Herren, ausgesprochen dankbar, dass Sie mir zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Gelegenheit geben, das Parlament über die aktuelle Situation zu unterrichten und Sie über die von den zuständigen Stellen ergriffenen Maßnahmen zu informieren.

Ich kann Ihnen den aktuellen Stand von heute, Mittwochmittag, geben. In den fünf norddeutschen Bundesländern gibt es inzwischen über 400 Verdachtsfälle der Durchfallerkrankung, die mit dem EHEC-Bakterium in Verbindung gebracht werden. In Schleswig-Holstein sind es rund 200 Verdachtsfälle. Von diesen 200 Verdachtsfällen sind 59 bestätigt worden. Das heißt, bei 59 Patientinnen und Patienten wurde der Erreger festgestellt. Die Meldungen gehen von den Gesundheitsämtern an das Kompetenzzentrum für das Meldewesen, in Schleswig-Holstein am Institut für Infektionsmedizin am UK S-H.

Meine Damen und Herren, die derzeitige Ausbreitung ist alarmierend, weil die Erkrankung auffallend häufig auftritt und auch auffallend häufig einen schweren Verlauf mit Nierenversagen nimmt.

Das ist das, was Sie in den letzten Tagen unter dem hämolytisch-urämischen Syndrom, kurz HUS genannt, erfahren haben. Aktuell gibt es in SchleswigHolstein 21 beim Kompetenzzentrum gemeldete und bestätigte Fälle mit dem HU-Syndrom. Das ist der Stand von heute 9:30 Uhr.

Hier der Vergleich, warum wir das so ernst nehmen: Im gesamten Jahr 2010 gab es lediglich sechs bestätigte HUS-Fälle in Schleswig-Holstein. Mittlerweile gibt es bedauerlicherweise in Deutschland auch bereits bestätigte Todesfälle. Für SchleswigHolstein teile ich Ihnen mit, dass der gemeldete Todesfall einer mit EHEC infizierten Patientin in Bad Oldesloe nach Information des Krankenhauses nicht ursächlich auf die EHEC-Infektion zurückzuführen ist. Aktuell haben wir allerdings bedauerlicherweise die Information über einen Todesfall im Kreis Ostholstein erhalten. Dort ist im Zusammenhang mit einer EHEC-bedingten HUS-Erkrankung eine 89-jährige Frau verstorben.

Nach aktueller Abfrage in den Krankenhäusern des Landes haben einige Krankenhäuser aufgrund der dort steigenden Fallzahlen von EHEC-Erkrankungen weiter gehende Maßnahmen ergriffen. Dies sind beispielsweise zusätzliche Raumkapazitäten für erkrankte und zu isolierende Patienten oder beispielsweise die Aufstockung der Personalressourcen.

Alle angefragten Krankenhäuser beobachten das Krankheitsgeschehen mit erhöhter Aufmerksamkeit und sind jederzeit in der Lage, Personal- und Strukturressourcen aufzustocken. Dies ist im Moment das sage ich deutlich - nicht erforderlich.

Die Krankenhäuser des Landes stehen in kontinuierlicher Verbindung mit dem Gesundheitsministe

(Vizepräsidentin Anita Klahn)

rium. Folgende Maßnahmen werden derzeit durchgeführt, um der Infektion beziehungsweise ihrer weiteren Ausbreitung bis zur Identifikation des Herdes entgegenwirken zu können:

Eine umfassende Information der Bevölkerung insgesamt insbesondere derjenigen, die von der Krankheit betroffen sind. Sie haben es in den vergangenen Tagen alle mitbekommen. Wir informieren über Internet und über die Medien über Ansteckungswege, über Risiken und über Schutzmöglichkeiten. Die Hauptbotschaft lautet nach wie vor, bis der Herd identifiziert wurde: Hygienemaßnahmen beachten!

Menschen mit Krankheitssymptomen müssen schnellstmöglich einen Arzt aufsuchen und im Übrigen Kontakte zu anderen Menschen vermeiden. In häuslicher Gemeinschaft mit Erkrankten Lebende sollen nach Möglichkeit keine Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas oder Schulen besuchen. Die Einzelheiten hierzu regeln die Gesundheitsämter vor Ort in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich.

Ärztinnen und Ärzte sind informiert. Laborärzte sind nach dem Infektionsschutzgesetz verpflichtet, sowohl mikrobiologisch nachgewiesene EHEC-Infektionen als auch das Krankheitsbild des HUS, und zwar auch bereits bei Krankheitsverdacht, unverzüglich an das örtliche Gesundheitsamt zu melden. Die Meldungen werden über die Landesmeldestelle, das sogenannte Kompetenzzentrum beim Robert-Koch-Institut, zusammengeführt.

Selbstverständlich geht die Forschung nach der Infektionsquelle weiter. Dies geschieht bundesweit. Dies geschieht natürlich auch in SchleswigHolstein. Basierend auf der Befragung der Betroffenen werden die Informationen durch die Gesundheitsämter an das RKI übermittelt. Beteiligt ist seitens des Landes auch die Lebensmittelkontrolle. Betroffene werden zu ihren Essgewohnheiten der Vergangenheit sowie zu ihren Einkaufsgewohnheiten befragt. Dies geschieht entweder bereits bei der Aufnahme in einem Krankenhaus oder durch die Gesundheitsämter, die Erkrankte aufsuchen. Selbstverständlich werden laufend Proben gezogen. Es wird laufend beprobt.

Zur Kooperation und Koordination auf Landesebene sowie überregional. Es findet bereits jetzt ein ressortübergreifender Austausch statt. Das Lagezentrum des Landes ist informiert. In Kürze wird es eine Ressortinformation mit allen Landesministerien geben. Am Montag haben wir im Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit eine Koordinierungsstelle eingerichtet, deren Aufgabe ist zu

nächst die Sicherstellung von laufenden Kontakten mit allen Kliniken des Landes mit Dialyseplätzen sowie die Sicherstellung von laufenden Kontakten mit allen Kliniken mit intensivmedizinischen Betten, die Herstellung eines aktualisierten Überblicks über die jeweilige Auslastung an zentraler Stelle und die Hilfestellung bei erforderlichen Platzverteilungen beziehungsweise Verlegungen von Patienten sowie der laufende Austausch mit dem RobertKoch-Institut. Darüber hinaus steht das Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit auf der Fachebene in regelmäßigem Austausch in erster Linie mit den norddeutschen Bundesländern sowie auf Abteilungsleiter-, Krankenhausreferenten- und Hygienereferentenebene mit allen anderen Bundesländern.

Nach dem jetzigen Stand gehen wir davon aus, dass die medizinischen Kapazitäten des Landes ausreichen werden, um alle Erkrankte zu versorgen.

So schlimm es auch ist, es muss mit weiteren schweren Krankheitsverläufen gerechnet werden. Wie schnell der Anstieg von Neuerkrankungen sein wird, hängt selbstverständlich auch davon ab, wie schnell es gelingt, die Infektionsquelle zu identifizieren. Es muss - nach Einschätzung des RobertKoch-Institutes - auch mit weiteren Todesfällen gerechnet werden.

Ich bedanke mich für die Gelegenheit, Ihnen heute einen ersten Überblick geben zu dürfen. Ungeachtet des heutigen Berichts biete ich Ihnen gern an, bereits morgen in der Sondersitzung des Sozialausschusses mit Fachleuten, auch aus meinem Haus, weiter zu berichten und Ihnen selbstverständlich auch für Fragen zur Verfügung zu stehen.

(Beifall bei FDP, CDU, SPD, DIE LINKE und SSW)

Vielen Dank, Herr Minister. - Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich Sie, mit mir gemeinsam Herrn Professor Peter Herzig, den Direktor des IFM-GEOMAR, auf der Tribüne zu begrüßen. Herzlich willkommen im Landeshaus in Kiel!

(Beifall)

Der Minister hat seine Redezeit um 3 Minuten überzogen. Diese Zeit steht jetzt allen Fraktionen zusätzlich zur Verfügung.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU hat Frau Abgeordnete Ursula Sassen das Wort.

(Minister Dr. Heiner Garg)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der gefährliche Darmkeim EHEC ist besorgniserregend, da er sich mit außergewöhnlich großer Geschwindigkeit ausbreitet und wir seine Quelle noch nicht kennen. Die EHEC-Infektion wurde Anfang der 80er-Jahre in den Vereinigten Staaten als Hamburger Disease bekannt und durch nicht ganz durchgebratene Hamburger ausgelöst.

Die hohe Zahl schwerer Verläufe bei dem derzeitigen Ausbruch sei ungewöhnlich, auch die betroffenen Altersgruppen seien untypisch, heißt es beim Robert-Koch-Institut. Im Jahr 2010 wurden 65 Fälle des hämolytisch-urämischen Syndroms gemeldet, wobei nur sechs Betroffene älter als 18 Jahre waren.

In der Vergangenheit lag die Ursache für solche Infektionen meistens im Verzehr von Fleisch und Fleischprodukten von Wiederkäuern, da sich in deren Darm das Bakterium befinden kann. Als aktuelle Infektionsquelle wurden zunächst auch Milchprodukte genannt, was aber nicht der Fall zu sein scheint. Es verdichtet sich die Annahme, dass diesmal ungewaschenes Gemüse der Grund für die Ansteckung sein könnte.

Einige Experten vermuten, dass der aggressive Erreger in vorportionierten Salatmischungen zu finden sei. Das könnte auch eine Erklärung dafür sein, dass diesmal ein vorwiegend anderer Personenkreis betroffen ist als in der Vergangenheit.

Sollte sich herausstellen, dass sich des Rätsels Lösung in Salatbars oder vorbereiteten Salatteilen liegt, könnte dies ein Anzeichen eines neuen Skandals sein. Wer kennt sie nicht, die verlockend angerichteten Salatbars im Supermarkt oder die vorproportionierten Verpackungen, derer sich Singles, berufstätige Frauen oder Hausfrauen, die in Eile sind oder aus praktischen Erwägungen heraus schnell noch einen Salat mitnehmen, bedienen und glauben, sich und der Familie damit etwas Gesundes zukommen zu lassen. Eine unvorstellbare Sache, wenn dieses zuträfe, aber wie gesagt, es sind Spekulationen.

Mit unserem Dringlichkeitsantrag werden wir zwar selbst nichts zur schnelleren Aufklärung beitragen können, aber daran arbeiten, wie wir es von Herrn Minister Dr. Garg gehört haben, andere Kräfte mit Hochdruck. Uns liegt am Herzen, deutlich zu machen, dass die Landesregierung das Problem sehr ernst nimmt und unterstützend dazu beitragen muss, Infektionsquellen zu vermeiden, Vorsorge zu tref

fen und eventuelles schuldhaftes Verhalten - wenn es so sein sollte - zu ahnden.

Dass wir es aktuell mit einem besonders aggressiven Erreger zu tun haben, wird bei 200 Verdachtsfällen allein im Norden innerhalb eines Monats im Vergleich zu früheren Jahren deutlich. Bei zwei größeren Epidemien in den Jahren 1996 und 2002 waren jeweils etwa 30 Kinder betroffen. Es bleibt zu wünschen, dass die Ursache schnell gefunden wird; im Sinne der Betroffenen, und auch damit die Ernährungswirtschaft keinen Ansehensverlust erleidet und damit das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht erneut beeinträchtigt wird.

Trotz aller Bemühungen seitens der Politik sind Lebensmittelskandale nicht vollkommen auszuschließen. Daher geht unser Appell sowohl an Erzeuger und Händler als auch an Verbraucherinnen und Verbraucher, sich ihrer Eigenverantwortung bewusst zu sein, Hygienevorschriften einzuhalten und bei der Zubereitung von Speisen Sorgfalt walten zu lassen. Eine sachliche Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher ist erforderlich. Daher sage ich Dank an Herrn Minister Dr. Garg, der heute aufgezeigt hat, dass alle in Alarmbereitschaft stehen und dass niemand in Panik verfallen muss, obgleich das Ereignis sehr traurig ist. Weder Panikmache noch Gleichgültigkeit sind geeignet, das Problem in den Griff zu bekommen.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Abgeordneten Bernd Heinemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank für Ihren Bericht, Herr Minister. Wir werden uns in der nächsten Zeit regelmäßig mit dem aktuellen Stand der Enterohämorrhagischen Escherichia-coli-Bakterie auseinandersetzen, die zu allem Überfluss auch noch das Gift ShigaToxin produziert und damit Nierenversagen provoziert. Wir werden uns damit im Gesundheitsausschuss auseinandersetzen. Sie haben angekündigt, dass wir schon morgen in das Thema einsteigen werden.

Die Spurensuche kann nicht verhindern, dass sich Verbände und Organisationen der Lebensmittelproduktion an den Pranger gestellt fühlen. Ermittlungen und die Fahndung nach dem Ursprung eines zweifelsohne bedrohlichen Bakteriums stehen

aber über allen anderen Interessen. Es geht schlicht um Leben und Tod. Wir Sozialdemokraten wünschen uns keine Abwehrbewegung von Interessenverbänden, sondern wir wünschen uns Unterstützung. Die Gesundheitsfahnder müssen in alle Richtungen ermitteln, und schwarze Schafe gibt es überall. Wir nehmen jede Bedrohung der Bevölkerung ernst und erwarten statt Abwehr eine aktive Beteiligung sowohl vonseiten der Lebensmittelindustrie als auch vonseiten der Landwirtschaft.

Die schlimmsten Bakterien sind allerdings nur schwer in den Griff zu bekommen, nämlich die Bakterien der Gleichgültigkeit und der Panik. Wir wissen aus der Virendebatte über H1N1, also der Schweinegrippediskussion, aus der Diskussion über A/H5N1, also aus der Vogelgrippediskussion, und aus der BSE-Debatte, dass beide Bakterien schaden. Wir sind an der Seite des Gesundheitsministers und seines Teams, wenn es um die sachliche Einbeziehung aller nur denkbaren Quellen geht und wenn es um die Beschaffung einer umfassenden, qualifizierten Technik bei der Hilfe und bei der Behandlung geht. Wir brauchen aber mehr politische Interventionen, wenn wir nicht in einen Strudel der Hilflosigkeit geraten wollen.

Bei der Krankenhaushygiene hinken wir im Vergleich zu den Niederlanden schon heute weit hinterher. Jetzt gibt es Hygienesorgen in den Krankenhäusern. Operationen werden verschoben, wie wir gerade aus Schleswig erfahren haben.

Wir haben noch ganz andere Probleme, zum Beispiel bei den Viren. Laut Berufsverband der Hygieneinspektoren hat sich in den letzten fünf Jahren die Verordnung von Antibiotika um 25 % erhöht, und die Tendenz ist weiter steigend, vor allem in der Tiermedizin. Diese Medizin wurde uns als Endverbrauchern noch nicht einmal verschrieben. Wir nehmen sie trotzdem mit unseren Nahrungsmitteln ein. Unser Immunsystem leidet unter dieser Entwicklung, und wir werden noch ganz andere Probleme bekommen, wenn wir hier nicht bald regulierend einwirken, denn wir werden jedes Jahr ein neues epidemisches Problem bekommen; ob in Form von Viren oder in Form von Bakterien. Es wird sich immer wieder und zu Recht öffentliches Interesse daran entzünden.

Wir müssen mehr denn je Leitplanken entwickeln; sowohl bei der Krankenhaushygiene als auch bei jeder variablen Form epidemischer Erregungszustände, die sich zur Pandemie ausweiten können. Wir können von anderen Ländern lernen. In Holland gilt die Anschnallpflicht auch gegenüber bakteriellen und virulenten Lebensrisiken.

Wir werden den Gesundheitsminister nach Kräften bei der Suche nach Antworten unterstützen. Diese Antworten dürfen jedoch nicht vordergründig und reflexhaft daherkommen, sondern sie müssen umfassend und nachhaltig sein. Zum Glück sehen Sie in der Prävention Ihre Stärke, also sind wir auf einem richtigen Weg, Herr Minister. Wir sind gespannt auf einen roten Faden Ihrer Vorschläge.