Protocol of the Session on March 25, 2011

Sechstens: Der Runde Tisch empfiehlt bis zur endgültigen Beschlussfassung in den Ländern, auf der Bundesebene eine Anlaufstelle für ehemalige Heimkinder einzurichten. Die Fraktionen in diesem Haus teilen die Bewertung der damaligen Sachverhalte in der Heimerziehung als Unrecht. Daher forderten wir auch in der letzten Tagung des Landtags mit unserem gemeinsamen Beschlussantrag die Landesregierung auf, sich auf der Bundesebene dafür einzusetzen, dass sich die Bundesländer an der Umsetzung des gefundenen Kompromisses beteiligen. Das sollte nach unserer Auffassung auch möglichst einheitlich geschehen. Für uns ist das eine länderübergreifende Aufgabe, die gemeinsam gestaltet werden muss.

Darüber hinaus bitten wir die Landesregierung, einen Fahrplan für das weitere Vorgehen aufzustellen. Wir haben uns darauf verständigt, die Umsetzung der Vorschläge des Runden Tisches in Schleswig-Holstein interfraktionell zu begleiten. Wir sind gemeinschaftlich der Auffassung, dass dieses Thema für politische Auseinandersetzungen völlig ungeeignet ist.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Serpil Midyatli das Wort.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Herr Minis

ter, für den Bericht. In der Bewertung des Runden Tisches „Heimerziehung“ auf Bundesebene kommt klar zum Ausdruck, dass Leid und Unrecht in den 50er- und 60er-Jahren vielfach zugefügt und zugelassen wurden, und dass dieses Leid und Unrecht besondere Anerkennung und Rehabilitierung, auch durch den Einsatz von finanziellen Ressourcen, erfordern.

Schleswig-Holstein hat früh die Aufarbeitung des Unrechts in der Heimerziehung vorangetrieben. Nun treten wir gemeinsam zügige Konsequenzen aus dem vorliegenden Abschlussbericht an. So haben wir als Landtag mit unserem gemeinsam im Februar beschlossenen Antrag ein klares Bekenntnis zu den Ergebnissen des Runden Tisches abgegeben und fordern Minister Garg auf, sich mit uns gemeinsam auf den Weg zu machen, die Vorschläge in die Tat umzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Die alleinige Arbeitsebene, Minister Garg, wird uns da nicht ausreichen. Wir möchten ganz gern, dass die Lösungsvorschläge mit uns gemeinsam erarbeitet werden und wir da auch einbezogen werden. Seit der letzten Debatte im Oktober sind war da einen Schritt weiter, und ich bin auch sehr froh darüber.

Zu den Lösungsvorschlägen des Runden Tisches „Heimerziehung“ wurde hier schon einiges gesagt. Ich möchte das nicht alles wiederholen. Aber ich möchte doch einen Punkt noch einmal erwähnen, nämlich dass die individuellen Leistungen, wie zum Beispiel die Therapiekosten, auch mit diskutiert werden müssen. Der Abschlussbericht beinhaltet sehr gute und konkrete Lösungsvorschläge. Jetzt liegt es an uns, ein passgenaues Konzept zu erarbeiten, denn die Vorschläge müssen auf unser Land heruntergebrochen werden. Der SPD-Fraktion liegt sehr viel daran, dabei mitzuarbeiten. Denn wir finden, dass es das Interesse aller Parlamentarier sein sollte, uns dieser Aufgabe zu stellen und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir hoffen und werden auch einfordern, dass alle Fraktionen dieses Hauses gemeinsam mit dem Ministerium diese Aufgabe zügig angehen. Zügig ist auch deshalb wichtig, weil im Abschlussbericht festgestellt wird, dass die Arbeit der Geschäfts- und Infostelle des Runden Tisches „Heimerziehung“ im Februar 2011 geendet hat. Bis über die Vorschläge des Runden Tisches beraten und entschieden sein wird, wird einige Zeit vergehen. Der Runde Tisch

(Katja Rathje-Hoffmann)

spricht sich dringend dafür aus, für diese Übergangszeit eine Stelle einzurichten, die als Anlaufstelle für ehemalige Heimkinder dient und sonstige interessierte Personen über die Entwicklung informiert. Bund und Länder werden gebeten, eine entsprechende Finanzierung zu sichern - ich bin froh, dass wir uns auch da jetzt alle einig sind - und die Einrichtung dieser Stelle zu initiieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Runde Tisch mahnt auch an, dass die Aufarbeitung mit dem Runden Tisch nicht abgeschlossen ist. Er schreibt ich zitiere mit Erlaubnis, Frau Präsidentin -:

„Insbesondere die individuelle und lokale Aufarbeitung, aber auch die Aufarbeitung in den Ländern muss fortgesetzt werden.“

(Beifall bei der SPD)

Dies hat die SPD schon im letzten Antrag zur Heimerziehung gefordert. Ich hoffe, dass die Aufarbeitung auch weitergeführt wird. Wir haben viel zu tun. Packen wir es an, schnell und gemeinsam!

(Beifall)

Für die FDP-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich bei allen Fraktionen dafür bedanken, dass wir bislang bei diesem Thema sehr konstruktiv und sehr sachlich miteinander umgehen konnten und uns auch einigen konnten.

(Beifall bei FDP, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Der Runde Tisch zur Heimerziehung in den 50erund 60er-Jahren hat in seiner zweijährigen Arbeit die Heimerziehung der Bundesrepublik Deutschland untersucht und hinterfragt. Die umfangreichen Ergebnisse sind auf vielen Berichtsseiten zusammengetragen worden. Wer sich da wirklich einen Einblick verschaffen möchte, dem empfehle ich ernsthaft, sich die Internetseiten anzuschauen und sie zu lesen. Das ist aus meiner Sicht sehr beeindruckend und sehr aufschlussreich und zeigt uns auch, wie wichtig es ist, dass wir hier angemessen handeln.

Für eine rechtliche oder ethische Bewertung der Geschehnisse in der Heimerziehung als Unrecht

mussten Kriterien gefunden werden, die über das subjektive Erleben hinausgehen. Das Hinterfragen der damaligen Bedingungen zur Heimerziehung und die Darstellung der Strukturen, der Verantwortlichkeiten und der rechtlichen Grundlage geben dafür eine sachliche Basis, genauso auch die Bewertung der Heimerziehung der 50er- und 60er-Jahre aus juristischer, pädagogischer, psychologischer und gesellschaftlicher Sicht. Sie sehen allein an der Aufzählung dieser Begriffe, wie vielschichtig das Thema ist.

Aber die Berichte und Statistiken der ehemaligen Heimkinder ergeben einen erschütternden Einblick in die damalige Erziehungspraxis. Dies wiegt umso schwerer - Frau Rathje-Hoffmann hat das eben auch schon formuliert -, da deutlich wird: Es gab damals ein Züchtigungsverbot. Die Erzieherinnen und Erzieher haben das auch gewusst und haben trotzdem zuwidergehandelt. Sie konnten sich auch noch sicher sein, dass dies nicht geahndet würde. Es wurde also bewusst gegen das Züchtigungsverbot verstoßen. Das daraus resultierende persönliche Leid ist für jeden individuell für sein weiteres Leben prägend gewesen. Ich denke, dass kann man nicht mit sachlich festgestellten Kriterien so einfach bewerten.

(Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU)

Auf die Frage, wer die Verantwortung für das Leid und Unrecht zu übernehmen hat - darum geht es hier letztendlich -, gibt es keinen alleinigen Schuldigen. Vielmehr ist es eine gemeinschaftliche Verantwortung von Eltern, Vormündern, Pflegern, Landesjugendämtern, Vormundschaftsgerichten, Trägern der öffentlichen oder freien Einrichtungen, Heimleitungen und -personal. Insofern finde ich es nur richtig, dass der Bund, die Länder und die Kirchen sich jetzt gemeinsam dieser Verantwortung stellen. Die Einrichtung eines bundesweiten Fonds oder einer Stiftung halten wir Liberale für sinnvoll. Getragen werden soll der Fonds - das hat Dr. Garg hier ausgeführt - zu jeweils einem Drittel von Bund, Ländern und Kommunen sowie katholischer und evangelischer Kirche, Wohlfahrtsverbänden und Ordensgemeinschaften.

Meine Damen und Herren, aus unserer Sicht scheint es wichtig, dass sich die Landesregierung bei anderen betroffenen Landesregierungen dafür einsetzt, dass das gefundene Ergebnis auch von allen Ländern umgesetzt wird. Wir können nur gemeinsam diese Maßnahmen leisten und den Betroffenen helfen. Wir müssen auch darauf hinwirken, dass die Träger sich ihrer Verantwortung stellen.

(Serpil Midyatli)

Wir müssen auch klären, wie wir im Land selbst damit umgehen wollen. Wir sind der Auffassung der interfraktionelle Antrag bringt das zum Ausdruck, und ich bin sehr dankbar dafür, dass wir das so hinbekommen haben; es war nicht ganz einfach -, dass diese Ergebnisse auf Landesebene eine übergreifende Aufgabe darstellen.

Hier stellt sich wieder die Frage nach der kommunalen Beteiligung. Da möchte ich gern zum Ausdruck bringen, dass ich und auch wir Liberale die Auffassung vertreten, dass wir die Einbindung der Kommunen nicht für sinnvoll halten, sondern dass wir der Meinung sind, dass der finanzielle Beitrag vom Land Schleswig-Holstein allein zu tragen ist.

Meine Damen und Herren, wir können geschehenes Unrecht und Leid nicht mit Geld aufwiegen. Wir können aus diesem Prozess aber lernen, ja, er ermahnt uns gerade, dass wir im Bereich der Jugendhilfe genau hinsehen müssen, damit sich so etwas nicht wiederholt. Ich bin froh, dass es heute in der Gesellschaft einen breiten Konsens über eine gewaltfreie Erziehung gibt.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal hervorheben: Dieses Thema darf nicht zur parteipolitischen Profilierung führen. Es ist ein wichtiges Signal, dass wir hier weiterhin fraktionsübergreifend zusammenarbeiten.

(Beifall bei FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in der Debatte fortfahren, begrüßen Sie mit mir gemeinsam Polizeianwärterinnen und -anwärter der PDAFB, der Polizeidirektion für Aus- und Fortbildung, aus Eutin! - Herzlich willkommen hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns einig: Manche Themen eignen sich zum politischen Debattieren und Streiten, manche nicht. Das Thema Heimerziehung in Schleswig-Holstein eignet sich aus meiner Sicht nicht für öffentliche Streitigkeiten. Da sind wir uns ja einig. Vielen Dank, Herr Minister, für den Be

richt, den Sie uns gerade eben vorgetragen haben. Streitereien bei diesem Thema verbietet der Respekt vor denjenigen, die Opfer von Gewalt und Unrecht geworden sind.

Daher begrüße ich es im Namen meiner Fraktion genauso wie die Vorrednerinnen und Vorredner ganz ausdrücklich, dass wir einen gemeinsamen interfraktionellen Antrag gefunden haben, und bedanke mich bei meinen Sprecherkolleginnen für die gute und konstruktive Beratung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Grundlage unseres Antrags sind die Ergebnisse des Runden Tisches auf Bundesebene. Es war richtig und angemessen, an diesem Runden Tisch über die Parteigrenzen hinweg nach Lösungen zu suchen, wie es bei der Aufarbeitung des geschehenen Unrechts weitergehen kann. Doch eines sollten wir alle nicht vergessen: Das Geschehene kann durch nichts aus der Welt geschafft werden. Niemand kann den Betroffenen ihre Jugend zurückgeben. Niemand kann ihnen ihre körperliche und seelische Unversehrtheit zurückgeben. Und niemand kann das Geschehene ungeschehen machen. Die düsteren Schatten einer von Gewalt geprägten Jugend werden die Betroffenen ein Leben lang begleiten.

Für uns Grüne steht fest, dass das, was in Glückstadt und anderswo geschehen ist, eine deutliche Mahnung an die Politik ist. So etwas darf in Schleswig-Holstein nie wieder passieren.

(Beifall)

Das Land steht in einer besonderen Verantwortung zu den ehemaligen Heimkindern. Was in Glückstadt und anderswo passierte, war menschenverachtend. Es hat mehr als fünf Jahre gedauert, bis das Heim geschlossen wurde. Fünf lange Jahre, in denen das Leid der Opfer bei vielen auf taube Ohren stieß.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Heim wurde damals nicht geschlossen, als bekannt wurde, dass die Zustände menschenverachtend sind. Nein, das Heim wurde erst geschlossen, als es nicht mehr wirtschaftlich war. Das ist unerträglich, und das sollte uns alle sehr nachdenklich machen. Die damalige Politik, die die Heime schließen wollte, konnte sich nicht durchsetzen. Auch das darf nie wieder passieren.

Wir alle sollten uns dafür einsetzen, dass Opfer von Gewalt unsere Unterstützung bekommen - unabhängig von ihrem Alter, ihrem Geschlecht oder ihrem Heimatland. Dafür werden wir Grüne uns

(Anita Klahn)

auch weiterhin einsetzen. Es war richtig, auf Bundesebene einen Runden Tisch zur Heimerziehung einzuberufen.