Protocol of the Session on November 18, 2010

Sie sehr gut, das stellen wir auch in anderen Debatten fest.

Wir fordern die Landesregierung deshalb auf, im Bundesrat gegen das Gesetz zu stimmen und im Bundesrat alles dafür zu tun, dass eine Neufestsetzung der Hartz-IV-Regelsätze zustande kommt, die den Anforderungen des Verfassungsgerichtsurteils genügt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die vorliegende Fassung leistet das nicht. Sie bestätigt stattdessen unsere Forderung: Hartz IV muss weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu unserem anderen Antrag zur Aussetzung von Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende möchte ich auch ein paar Sätze sagen.

(Christopher Vogt [FDP]: Was kommt dann, wenn Hartz IV weg ist?)

- Mindestlöhne, Grundsicherung, damit Leute von ihrer Arbeit leben können. Das kann man entwickeln. Mehr Arbeitsplätze, keine Niedriglöhne, Mindestlöhne. Das haben wir immer gefordert.

(Christopher Vogt [FDP]: Aber die Leute müssen einen Job haben!)

Das kann man entwickeln, wenn man das will. Man muss nicht Hartz IV bestehen lassen. Sie sehen ja, dass das letztendlich immer nur gekürzt wird und die Menschen immer ärmer werden. Hartz IV hat sich nicht bewährt. Das sagt auch der Bericht „Fünf Jahre Hartz IV“ klar aus: Hartz IV ist bis jetzt nicht so umgesetzt worden, wie es die Bundesregierung wollte. Es gibt ganz viele Schwierigkeiten, viele Klagen, dass das alles nicht richtig umgesetzt wird. Deshalb ist unsere Haltung richtig, hier ein anderes Modell für die Menschen zu entwickeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt zu unserem Antrag zur Aussetzung von Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende! Man könnte meinen, das habe sich erledigt, weil auch dieses Änderungsgesetz Sanktionen im SGB II in den §§ 31 und 31 a neu fasst. Das ist aber leider nicht der Fall. Denn in der Neufassung werden die bisherigen Sanktionstatbestände im Wesentlichen beibehalten und die Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen nahezu unverändert übernommen. Im Grunde ist die Neufassung eine Verschärfung im Sinne der Jobcenter mit dem Ziel, die Sanktionspraxis wasserdicht zu machen.

Das Problem liegt insbesondere da, wo erfahrungsgemäß der rechtliche Sanktionsapparat in der Praxis der zum Teil überforderten Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter im Jobcenter zu bürokratischen Auswüchsen führt. Das Problem liegt zum Beispiel da, wo die Drohkulisse mit den Sanktionen eine sogenannte Freiwilligkeit, bei der Annahme von EinEuro-Jobs und anderen nicht existenzsichernden Arbeitsplätzen erzwingt.

Der Bundesrechnungshof hat in den letzten Tagen festgestellt, dass mit Ein-Euro-Jobs reguläre Arbeitsplätze verdrängt werden. Auch die ZEW-Studie stellt fest, dass Ein-Euro-Jobs nichts für eine Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt leisten. Es kann nur die Forderung geben: Die EinEuro-Jobs gehören abgeschafft.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer aber jetzt einen Ein-Euro-Job ablehnt, muss mit mindestens einer dreimonatigen Absenkung seiner Hartz-IV-Leistungen rechnen. Das wird nicht dadurch besser, dass der Rechtsweg offensteht, denn die Leistungsminderung erfolgt sofort, die rechtliche Überprüfung, ob es einen wichtigen Grund gab, erfolgt Monate später.

Für jeden Leistungsbeziehenden stellt sich damit die Frage, ob er sich sein Recht überhaupt leisten kann. Diese Unverhältnismäßigkeit hat ihren Schwerpunkt in der Verwaltungspraxis. Das Sanktionsregime liefert die Menschen dieser Praxis und Unverhältnismäßigkeit schutzlos aus.

Dies muss dringend verändert werden. Daher bitten wir Sie um Ihre Zustimmung zu einer Initiative der Landesregierung im Sinne eines Sanktionsmoratoriums. Es gibt Städte und Kommunen, die sich diesem Sanktionsmoratorium schon angeschlossen haben. Ich hoffe auf Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Abgeordneter Dr. Marret Bohn das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem 1. Januar 2005 gibt es das SGB II. Seitdem beschäftigen sich die Politik und die Sozialgerichte mit seinen Lücken. Das Nebeneinander von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und den Verschiebebahnhof zwischen beiden Systemen abzubauen,

(Antje Jansen)

war das Ziel. Alleinerziehende Frauen sollten einen Anspruch auf berufliche Teilhabe bekommen. Selbstständige mit geringem Einkommen sollten einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bekommen. Vor allem sollte die Arbeitslosigkeit deutlich gesenkt werden.

Das waren die Ziele bei der Einführung von Hartz IV, besser gesagt SGB II. Fördern und Fordern war die Devise. So weit, so gut. Einige der Ziele wurden umgesetzt, einige andere nicht. Das führte zu zahlreichen Prozessen vor den Sozialgerichten. Die Berechnung der Regelsätze soll jetzt transparent und nachvollziehbar erfolgen. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Februar dieses Jahres festgelegt.

Der vorliegende Gesetzentwurf zur Neuregelung der SGB-II-Leistungen ist vor diesem Hintergrund eine bittere Enttäuschung. Die Bundesregierung will die Regelsätze für Erwachsene nur um 5 € erhöhen, für Kinder gar nicht. Das ist überhaupt nicht gut, das ist eine sozialpolitische Bankrotterklärung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Ellen Streitbörger [DIE LINKE])

Offensichtliche Defizite und seit Langem bekannte und offen kritisierte Mängel werden durch die Bundesregierung nicht beseitigt, im Gegenteil, das Vorgehen hat den Anschein, als ob hier eine Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils nach Kassenlage vorgenommen wird. So sollen in die Ermittlung der Regelbedarfe künftig nicht mehr die unteren 20 %, sondern nur noch die unteren 15 % der Einkommen einfließen. Das heißt, die Vergleichsgruppe wird willkürlich und - zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik - verkleinert. Das führt folgerichtig dazu, dass der Referenzbetrag für den Regelsatz sinkt. Das ist vorsätzlich kleingerechnet, das ist nicht sozial, und das ist nicht gerecht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Wir Grüne fordern hier eine Nachbesserung. Allein wenn dieser Fehler korrigiert würde, läge der Regelsatz schon bei 384 €. Es geht weiter. Zirkelschlüsse sind eingebaut worden, die zu niedrigeren Regelleistungen führen. Aufstocker werden aus der Beurteilung nicht herausgerechnet. Das ist und bleibt ein statistischer Fehler. Auch hier fordern wir Grüne eine Nachbesserung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Flemming Meyer [SSW])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur gesellschaftlichen Teilhabe gehört ein Mindestmaß an Mobilität. Das ist gerade in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein wichtig. Für Kinder und Jugendliche sind weder neue noch gebrauchte Fahrräder in den Regelsätzen vorgesehen, auch nicht genug Geld für eine Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr. Ich zitiere den Referentenentwurf zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des II. und XII. Sozialgesetzbuches auf Seite 64: Betrag für Verkehrsdienstleistungen für Jugendliche von 14 bis unter 18 Jahren: monatlich 12,62 €.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Wer von Ihnen lebt in einem Kreis oder in einer Stadt, in der man für 12,62 € eine Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr bekommt? - Das geht an der Lebenswirklichkeit völlig vorbei. Das ist keine Teilhabe, das ist soziale Ausgrenzung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So ist die soziale und gesellschaftliche Teilhabe von Familien, Erwachsenen und Kindern, die von Hartz IV leben, zum Scheitern verurteilt. Im Namen meiner Fraktion fordere ich die Landesregierung auf, auch in diesem Bereich für eine Nachbesserung zu sorgen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu brauchen Sie nicht besonders mutig zu sein. Nach unseren Informationen hat Frau von der Leyen schon große Sympathien für unsere Forderung signalisiert. Deshalb fordere ich Sie auf: Springen Sie über Ihren Schatten. Schauen Sie nicht darauf, dass diese Forderung von der Opposition kommt. Schauen Sie darauf, was es für eine einmalige Gelegenheit ist, Bundesmittel für eine bessere Teilhabe nach Schleswig-Holstein zu holen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bildungschancen sind viel zu sehr vom Portemonnaie der Eltern abhängig. Diese Ungerechtigkeit zeigt sich gerade bei den Schülerbeförderungskosten. Diese werden bisher nur bis zur 10. Klasse übernommen. Wir brauchen mehr Abiturienten und haben einen Fachkräftemangel, aber der Weg zur besseren Schulbildung bleibt vielen jungen Menschen versperrt. Eine bessere Berücksichtigung der Mobilitätskosten wäre für viele Familien in SchleswigHolstein, die wenig Geld haben, eine große Hilfe. Sie würde die Chancen vieler Kinder verbessern.

(Dr. Marret Bohn)

(Vereinzelter Beifall bei der LINKEN)

In Zukunft sollen Kinder, die mit ihren Familien von Hartz IV leben, und diejenigen, die einen Kinderzuschlag bekommen, von zusätzlichen Leistungen für Bildung und Teilhabe profitieren. Das ist - bei aller Härte in der politischen Auseinandersetzung - im Prinzip richtig. Der grünen Forderung nach gleicher Teilhabe für alle Kinder kommt die Reform der Bundesarbeitsministerin von der Leyen allerdings nicht nach. Stigmatisierung, mehr Bürokratie und steigende Verwaltungskosten sind vorprogrammiert. Länder und Kommunen werden mit den Details der Umsetzung im Regen stehen gelassen. Ob hier das Versprechen der Ministerin, dass alle Kosten durch den Bund getragen werden, auch wirklich eingelöst wird, bleibt offen.

Die Ministerin plant die Einführung einer Bildungschipkarte. Wie die in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein ab dem 1. Januar 2011 funktionieren soll, steht in den Sternen. Bis dahin sind es nur noch wenige Wochen. Wir Grüne wollen, dass alle Kinder ein warmes und gesundes Mittagessen in der Schule bekommen können und dass die Schulsozialarbeit ausgebaut wird. Dazu brauchen wir eine bessere Förderung von Ganztagsschulen; auch in ärmeren Bundesländern wie SchleswigHolstein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Hierzu muss endlich das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern aufgehoben werden. Wir haben die Monarchie irgendwann hinter uns gelassen. Jetzt müssen wir auch diesen alten Zopf endlich abschneiden. Er ist so überflüssig wie ein Kropf.

Es geht weiter: Geplant sind verschärfte Sanktionen und eine schlechtere rechtliche Lage, wenn die Bescheide fehlerhaft sind. Schwarz-Gelb betreibt Raubbau an sozialen Bürgerrechten und wundert sich, wenn Sozialverbände, Gewerkschaften und Opposition vor den Folgen warnen.

Kommen wir zum nächsten Punkt: Berechnung von Leistungen und Vermittlung in Arbeit. Das ist die Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit. Jetzt sollen in den Jobcentern parallele Strukturen zur Jugendhilfe aufgebaut werden. Das macht wirklich gar keinen Sinn. Die Bundesagentur selbst hat übrigens schon signalisiert, dass sie das gar nicht leisten kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fasse zusammen: So wie geplant darf die aktuelle Hartz-IV-Re

form nicht umgesetzt werden, sonst entwickelt sie sich zu einer Dauerbaustelle. Das kann wirklich niemand wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir Grüne haben oft genug gesagt, dass wir, was das SGB II angeht, das sogenannte Hartz IV, selbstkritisch sind. Auch wenn der Abbau von doppelten Verwaltungsstrukturen richtig war, so sind wir nicht zufrieden mit den Auswirkungen. Hier muss dringend nachgebessert werden. Ich appelliere an Sie alle: Machen Sie nicht dieselben Fehler wie wir. Stimmen Sie dem Gesetz im Bundesrat nicht zu! Beauftragen Sie ein unabhängiges Expertengremium, das die Regelsätze transparent berechnet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN - Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])