Protocol of the Session on November 17, 2010

(Beifall bei CDU und FDP)

Dieses Lob gebührt allen, auch den Unternehmen. Herr Minister, Sie haben dazu ausgeführt; ich brauche das im Einzelnen nicht zu wiederholen.

Dennoch möchte ich hervorheben, dass in diesen zwei Jahren im Gesundheits- und Sozialwesen 5.700 neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Im Gastgewerbe sind es mehr als 1.000, in den wirtschaftlichen Dienstleistungen mehr als 6.000 neue Arbeitsplätze. Dies zeigt im Übrigen: Es gibt keine Krise, die nicht zu bewältigen ist. Jede Krise kann auch eine neue Chance sein.

Schleswig-Holstein ist krisenfester aufgestellt als andere - wegen der Vielzahl der kleineren Betriebe, des Mittelstandes, des Handwerks und der geringeren Exportabhängigkeit. Wir sollten dies bei politischen Entscheidungen im Auge behalten. Wir wollen aber auch die Sorgen, die wir haben, nicht verschweigen:

Erstens. In den großen Städten ist die Arbeitslosigkeit erkennbar höher als in den Landkreisen. Das ist eigentlich eine erstaunliche Situation. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was es bedeutete, hätten sich jene durchgesetzt, die beim Landesentwicklungsplan die ländlichen Räume zugunsten der Städte benachteiligen wollten.

(Beifall bei CDU und FDP - Widerspruch des Abgeordneten Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn es zeigt sich eben, dass die ländlichen Räume auch gute wirtschaftliche Entwicklungsräume sind. Diese sollten wir weiter stärken, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Lassen Sie mich hinzufügen: Vielleicht muss man auch in größeren Städten gelegentlich über manche Dinge etwas selbstkritischer nachdenken. Denn das, was ich beschrieben habe, muss Gründe haben.

Zweitens. Immer mehr Ältere werden arbeitslos. Eine Steigerung von mehr als 11 % ist besorgniserregend. Der Meinung, jemand, der über 50 ist, sei für den Arbeitsmarkt eigentlich nicht mehr zu gebrauchen, müssen wir gezielt psychologisch und auch tatsächlich entgegenwirken.

(Beifall bei CDU und FDP)

Drittens. Leih- und Zeitarbeit sind Instrumentarien zur Bewältigung der Krise, dürfen aber kein Instrument des Lohndumpings oder anderer Dinge auf Dauer sein. Die Würde eines Menschen hängt auch davon ab, wie seine Arbeitskraft geschätzt und entlohnt wird.

(Beifall bei CDU und FDP)

Lassen Sie mich einen vierten Aspekt und damit die geringer Qualifizierten ansprechen. Ich glaube, trotz vieler Maßnahmen werden wir nicht umhinkönnen, für genau diesen Personenkreis mehr Arbeitsplätze anzubieten. Wir müssen daran arbeiten, dass wir auch Mitbürgern ohne Abitur gute Arbeitsplätze anbieten können. Der Gesamtarbeitsprozess einer Gesellschaft braucht ‚Häuptlinge‘ und ‚Indianer‘. Daran geht kein Weg vorbei.

Der drohende Fachkräftemangel ist ebenfalls anzusprechen. Auch hierzu will ich meine Auffassung sagen. Die Bewältigung dieses Mangels ist zuallererst Aufgabe der Wirtschaft. Wer nicht ausbildet, muss sich über die Folgen nicht wundern. Deswegen muss hier angesetzt werden. Das kann der Staat nicht übernehmen.

Herr Minister Garg, Sie haben das Thema der kontrollierten Zuwanderung angesprochen. Dass diese im Grundsatz vorgezeichnet ist, ist richtig. Man wird um diesbezügliche Lösungen nicht nur nicht umhinkommen; sie sind auch richtig. Hier ist vor allen Dingen die Bundesebene gefordert, entsprechende Korridore zu öffnen. Wir müssen aber auch sehen, dass die Chancen arbeitsloser Menschen, die Deutsche sind oder in Deutschland leben, darunter nicht leiden dürfen. Genau dieser Spagat muss gelingen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Axel Bern- stein [CDU])

Hier müssen die entscheidenden Hebel angesetzt werden. Von 97.000 Arbeitslosen in SchleswigHolstein sind 24.000 Langzeitarbeitslose, 25.000

(Werner Kalinka)

sind ältere Arbeitslose und rund 10.000 sind junge Arbeitlose. Dahinter stehen Tausende von Einzelschicksalen.

Der Mensch steht im Mittelpunkt. Dies war einst eine Definition von Politik. Ich finde sie heute noch richtig. Die Arbeitsmarktpolitik auch bei uns im Lande zeigt, dass wir dies konkretisieren können. Wenn viele dies wollen, wenn viele an einem Strang ziehen, wenn sie das Gemeinsame über das Trennende stellen, dann gelingen auch politische Erfolge.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Wolfgang Baasch das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum dieser Berichtsantrag zur Situation auf dem Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein durch CDU und FDP heute? Es wäre doch ein Leichtes gewesen, den vom 28. Oktober stammenden Bericht der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Nord, zu lesen. Dieser weist einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vormonat September um minus 1.400 aus, nennt eine aktuelle Arbeitslosenzahl von 97.600, was im Vorjahresvergleich positiv sei; denn dies seien 6.500 Arbeitslose weniger als im Oktober 2009. Die Arbeitslosenquote liegt laut Bericht bei 6,8 %.

Das ist der nüchterne, sachliche, aber durchaus erfreuliche Bericht, den die Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit Ende Oktober veröffentlicht hat. Aber diese Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anzahl der Leiharbeiter steigt und dass bundesweit circa 600.000 Menschen in Ein-Euro-Jobs arbeiten. Über die Wirkung von Ein-Euro-Jobs müssen wir nach dem Bericht des Bundesrechnungshofs auch in Schleswig-Holstein noch einmal neu und intensiv diskutieren. Es ist gut, dass der Sozialausschuss dieses Thema auch noch dadurch auf der Liste hat, dass eine Anhörung zu diesem Thema noch ausgewertet werden muss.

Weiterhin bedrohlich ist, dass der Aufschwung an den älteren Arbeitsuchenden auch in SchleswigHolstein fast komplett vorbeigegangen ist. So ist die Zahl der Arbeitslosen bei den 55- bis 64-Jährigen im Vergleich zum Vorjahr sogar um 11,3 % das sind fast 1.300 Menschen - gestiegen. Es gibt

also keine Entwarnung am Arbeitsmarkt, aber noch viele Probleme, die es zu bewältigen gibt.

Diese Probleme werden auch noch durch politisches Handeln verschärft. So hat die flotte und flinke Bundesarbeitsministerin von der Leyen mit ihrer Politik dafür gesorgt, dass sich die Situation von Langzeitarbeitslosen nicht verbessert, sondern verschlechtert.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Im Jahr 2009 waren 45,5 % der Erwerbslosen zwischen 15 und 64 Jahren in Deutschland länger als ein Jahr ohne Arbeit. Wie sieht die Reaktion der Bundesregierung aus? - Die von der Bundesregierung beschlossene Sparliste besagt, dass in der Arbeitsmarktförderung allein im kommenden Jahr um 2 Milliarden € gekürzt werden soll. Langzeitarbeitslosigkeit und Armut werden so weiter zunehmen. Das ist ein Skandal.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und des Ab- geordneten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Minister Garg, ich finde es richtig und auch notwendig, dass Sie hier etwas dazu gesagt haben, nur, Ihre Folgerung ist, wahrscheinlich aus Parteiund Koalitionsraison - Kiel und Berlin -, falsch. Selbstverständlich geht es darum, Langzeitarbeitslosigkeit so einzuordnen, wie sie ist, und auch die Mittel dafür bereitzustellen. Nur, wenn genau bei der Förderung dieser Personengruppe um 2 Milliarden € gekürzt wird, dann wird Armut zementiert. Das ist nicht zu akzeptieren. Daher auch die Aufforderung an Sie, Widerstand dagegen zu leisten, damit diese Einsparung bei der Arbeitsmarktförderung durch die Bundesregierung zurückgenommen wird.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Oder schauen wir uns die Arbeit der Landesregierung an. Die Aufforderung von CDU und FDP zum mündlichen Bericht galt ja auch insbesondere dem drohenden Mangel an Fachkräften. Wie ernst meint es diese Landesregierung damit, dem künftigen Fachkräftebedarf zu begegnen?

Am gestrigen Dienstag diskutierte in Lübeck die Regionaldirektion Nord unter der Überschrift „Alleinerziehende - Perspektiven und Potenziale“ darüber, wie es gelingen kann, auch alleinerziehende Müttern und Vätern - zu 95 % Mütter - den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Auch die Landesregierung war durch die Staatssekretärin vertreten, die ein Grußwort gesprochen hat.

(Werner Kalinka)

Aber gleichzeitig streicht diese Landesregierung die Beratungsstellen „Frau & Beruf“ in SchleswigHolstein komplett zusammen. Das ist ein Skandal,

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

wo doch diese Beratungsstellen in Schleswig-Holstein zusammen über 60 % Integration in den ersten Arbeitsmarkt schaffen. Genau dort, wo Fachkräfte wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden, wird komplett gekürzt. Hier ist ebenfalls auf ein deutliches Nachbessern durch die Landesregierung zu hoffen. Denn eine solche Politik begegnet nicht dem Mangel an Fachkräften, sondern verstärkt ihn nur.

(Beifall des Abgeordneten Andreas Beran [SPD])

Bundes- und Landesregierung sind aufgefordert, weiterhin eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, die für faire Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und für Löhne sorgt, von denen man auch leben kann. So muss der Leiharbeit, die als Lohndumping missbraucht wird, ein Riegel vorgeschoben werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei den Abgeord- neten Anke Spoorendonk [SSW] und Ras- mus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Der jüngste Tarifabschluss in der Stahlindustrie ist hier wegweisend. Die IG Metall hat durchgesetzt, dass Leiharbeit genauso bezahlt werden muss wie die Arbeit von Festangestellten. Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ muss überall gelten, und die Dauer der Leiharbeit im Betrieb muss begrenzt werden.

Es ist wichtig, endlich Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt herzustellen. Die meisten Frauen wollen ebenso wie Männer ein „Normalarbeitsverhältnis“ mit einer existenzsichernden und gerechten Bezahlung. Es ist nicht hinzunehmen, dass Frauen bei vergleichbarer Arbeit heute noch im Schnitt 23 % weniger als Männer verdienen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Die Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen steigt stetig an. Fast 40 % aller erwerbstätigen Frauen arbeiten in sozialversicherungspflichtiger Teilzeit, und eine ständig steigende Zahl von Frauen arbeitet ausschließlich in einem Minijob. Und das ist nicht so, weil sie es so wollen, sondern weil sie wegen fehlender Vollzeitstellen und fehlender Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, keine andere

Wahl haben. Dies darf nicht länger hingenommen werden. Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, die die Entgeltgleichheit durchsetzt. Wir brauchen gezielte Beratungsund Unterstützungseinrichtungen, damit Mütter nach der Familienphase und insbesondere Alleinerziehende zurück in den Arbeitsmarkt finden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das heißt in der Regel vor allem eine verlässliche Kinderbetreuung in Ganztageskindertagesstätten und Ganztagsschulen, ist ebenso notwendig wie eine gezielte Beratung, zum Beispiel durch Einrichtungen wie „Frau & Beruf“. Also auch hier noch einmal der Appell, das zu überdenken, aber auch der Appell, die Kinderbetreuung wieder so auszugestalten, wie wir es schon einmal gehabt haben. Das beitragsfreie Kindergartenjahr ermöglicht vielen tatsächlich, Familie und Beruf besser zu vereinbaren.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Weil in Deutschland mindestens 1,3 Millionen Menschen zusätzlich zu ihrer Arbeit noch staatliche Unterstützung erhalten, weil ihre Löhne zu niedrig sind, um wenigstens das gesetzliche Existenzminimum abzusichern, brauchen wir auch den gesetzlichen Mindestlohn. Der Mindestlohn ist aber nicht nur notwendig, um Lohndumping zu verhindern. Weil Mindestlöhne fehlen, werden faire Unternehmen mit Tariflöhnen im Handel und Handwerk und im Dienstleistungssektor zunehmend vom Markt verdrängt. Ihre Mitbewerber setzen sich durch, weil die von ihnen gezahlten Armutslöhne staatlich subventioniert werden. Diesem unfairen Wettbewerb gilt es, einen Riegel vorzuschieben, der Riegel heißt: gesetzlicher Mindestlohn.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei der LINKEN und SSW)

Die Herausforderungen einer aktiven Arbeitsmarktpolitik bleiben weiterhin bestehen. Langzeitarbeitslosigkeit lässt sich nur mit gezielter Förderung und Qualifizierung überwinden. Jugendliche brauchen einen guten Start ins Arbeitsleben, im Regelfall einen Ausbildungsplatz und nicht nur eine Maßnahme oder einen Minijob im Niedriglohnsektor. Frauen brauchen gerechte und gleiche Chancen am Arbeitsmarkt. Und all dies macht deutlich, dass noch viel zu tun ist, um gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit durchzusetzen.