Protocol of the Session on November 17, 2010

Bericht zur Situation auf dem Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein

Mündlicher Bericht der Landesregierung

Ich erteile dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Dr. Heiner Garg, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal zu den aktuellen Daten auf dem Arbeitsmarkt, die durchaus Grund zur Freude bereiten. Im Oktober

war die Arbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein mit 97.600 arbeitslos gemeldeten Männern und Frauen so niedrig wie zuletzt im Oktober 1994, also mitten in der Wiedervereinigungssonderkonjunktur.

Im Vergleich zum Vorjahresmonat ging die Arbeitslosigkeit um 6,3 % oder 6.500 Menschen zurück. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von jetzt 6,8 %. Das ist die niedrigste Arbeitslosenquote aller norddeutschen Länder und bundesweit Platz 5.

Zentraler Indikator - das ist mindestens genauso wichtig für die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Sie stieg in Schleswig-Holstein im Vergleich zum Vorjahr um 12.300 auf 836.100 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Männer und Frauen.

Nach der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Jahrzehnten ist das, was hier so nüchtern in Zahlen präsentiert werden konnte, eine großartige Leistung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von Unternehmen, also von Arbeitgebern, von Gewerkschaften und von Politik. Es ist ein großes Verdienst der Unternehmen im Land, die trotz schwieriger Zeiten an ihren Mitarbeitern festgehalten haben. Ich sage, das war eine gute Investition, auch eine gute Investition in die Zukunft. Ich bedanke mich von dieser Stelle aus sehr herzlich bei allen arbeitsmarktpolitischen Akteuren, dass wir heute über solche Zahlen berichten dürfen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die letzten Monate zeigen übrigens sehr deutlich, dass das Instrument Kurzarbeit, das sich ausdrücklich bewährt hat, nicht länger in Anspruch genommen wird als unbedingt nötig. Von März bis Juli 2010 hat die Zahl der Kurzarbeiter in SchleswigHolstein um fast 65 % auf jetzt 4.600 Menschen in Kurzarbeit abgenommen.

Im Oktober wurden nur noch für 71 Personen im Land konjunkturelle Kurzarbeit neu angezeigt. Zum Vergleich: Im April 2009, also zum Höhepunkt der Krise, waren es 460 Neumeldungen. So weit, so erfreulich.

Allerdings haben nicht alle Gruppen gleichermaßen von der positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt profitiert. Besonders gut sieht es bei jüngeren Arbeitslosen aus, also bei denjenigen unter 25 Jahren. Ihre Zahl hat im Vergleich zum Vorjahresmonat überproportional um 17 % abgenommen und liegt jetzt bei 10.250. Anders stellt sich die Situation bei den über 55-jährigen Arbeitslosen dar. Ihre Zahl ist im Vorjahresvergleich sogar um 11,3 % gestie

(Anke Spoorendonk)

gen. Unterdurchschnittlich von dieser positiven Entwicklung profitiert haben Frauen, Langzeitarbeitslose und Ausländer.

Die Zahlen sollen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir am Beginn einer Trendumkehr stehen. Lassen Sie mich das so ausdrücken. Die Verkündung von positiven Daten auf dem Arbeitsmarkt war gestern. Worum wir uns jetzt kümmern müssen, ist ein auseinanderfallender Arbeitsmarkt. Auf der einen Seite steht ein eklatanter Fachkräftemangel, auf den wir zulaufen. Das sind nicht nur die viel zitierten Ingenieure, die dem Land fehlen. Fachkräftemangel werden wir in fast allen wirtschaftsrelevanten Bereichen feststellen, auch in den Bereichen Schleswig-Holsteins, das heißt in den Bereichen Gesundheit und Pflege, im Bereich Logistik, im Bereich Tourismus und, und, und. Auf der anderen Seite entwickelt sich nach wie vor ein prekärer Arbeitsmarkt mit Beschäftigungsverhältnissen, die dauerhaft in dieser Form in einer zivilisierten Gesellschaft nicht akzeptabel sein können und nicht akzeptabel sein dürfen, um auch das ganz deutlich zu sagen.

(Beifall bei FDP, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es wird die zentrale Herausforderung an Politik sein, sich diesen beiden komplett auseinanderdriftenden Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zu stellen.

Die demografische Entwicklung bringt es mit sich, dass die erwerbsfähige Bevölkerung, also die Menschen, die zwischen 15 und 65 Jahre alt sind, deutlich abnimmt. Bis 2013 geht in unserem Land die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter um 257.000 zurück. Das ist mehr als die Landeshauptstadt Kiel heute Einwohner hat. Erste Auswirkungen dieser Entwicklung spüren die Betriebe bereits heute auf dem Lehrstellenmarkt. Statt - wie früher - Auswahl unter vielen Bewerbern zu haben, bekommen die Unternehmen schon heute vermehrt Probleme, ihre Stellen zu besetzen. Sie müssen sich in Zukunft für Auszubildende attraktiv machen, und sie müssen um Auszubildende werben.

Für die Landesregierung ist daher klar: Wir müssen heute handeln, damit die Demografie nicht morgen wirtschaftliches Wachstum, Innovationsfähigkeit, Wohlstand und soziale Sicherung in SchleswigHolstein gefährdet. Daraus erwachsen unsere zentralen Herausforderungen. Dabei sind alle arbeitsmarktpolitischen Akteure gefordert. Deshalb muss erstens - die Erwerbsbeteiligung von unterrepräsentierten Gruppen erhöht werden. Das gilt insbe

sondere für Frauen, für ältere Menschen, aber auch für bereits hier lebende Menschen mit Migrationshintergrund; denn in dieser Gruppe ist die Arbeitslosenquote nach wie vor inakzeptabel hoch. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass darüber hinaus an gezielter Zuwanderung kein Weg vorbeiführt. Wer sich dagegen ausspricht, spielt mit unserem Wohlstand.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Zweitens. Wir müssen mit der veränderten Nachfrage am Arbeitsmarkt klarkommen. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften und Akademikern steigt, das Arbeitsplatzangebot für gering Qualifizierte sinkt. Ich habe das vorhin skizziert.

Die Antwort kann nur in mehr Bildung bestehen. Mehr junge Menschen müssen zu Schul- und Berufsabschlüssen gebracht werden. Das Bildungsniveau und die Zahl derjenigen, die einen akademischen Abschluss erreichen, muss steigen. Erhalt und Ausbau der Beschäftigungsfähigkeit müssen durch entsprechende Weiterbildung gesichert werden, und zwar bis zum regulären Rentenalter. Frühverrentung, meine sehr geehrten Damen und Herren, war gestern. Viele dieser Ziele spiegeln sich in den Angeboten des ‚Zukunftsprogramms Arbeit‘ der Landesregierung.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch den Aspekt der Integration von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt besonders beleuchten. Das ist und bleibt eine zentrale Aufgabe arbeitsmarktpolitisch, aber auch sozialpolitisch. Darüber haben wir an dieser Stelle im Zusammenhang mit der Nachfolgeorganisationsform der SGB II-Arbeitsgemeinschaften öfter gesprochen. Ich will daher nur kurz anmerken, wie froh ich darüber bin, dass nach langer und kontroverser Diskussion zwischen Bund und Ländern eine Einigung erzielt werden konnte und die Reform termingerecht zum Jahreswechsel in Kraft treten wird.

Ich komme zum Ausblick. Was die häufig monierten Kürzungen bei den Arbeitsmarktförderungsmitteln - insbesondere bei denen des Bundes - angeht, so sollte man so ehrlich sein und sie in ein richtiges Licht rücken. Die Haushaltsansätze für die BA waren für fünf Millionen offiziell arbeitslos gemeldete Männer und Frauen kalkuliert. Dass solche Haushaltsansätze zurückgeführt werden müssen, wenn wir - zum Glück! - nicht fünf Millionen arbeitslose Menschen beklagen müssen, sondern ab dem nächsten Jahr - vermutlich - in der erfreulichen Situation sein werden, dauerhaft unter drei Millionen Ar

(Minister Dr. Heiner Garg)

beitslose zu verzeichnen, ist klar. Das ist kein massives Kürzen bei den Maßnahmen, sondern ein normales Zurückführen der haushaltspolitischen Mittel, die pro Arbeitsuchenden zur Verfügung stehen.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Auch eine Arbeitslosenquote von 6,8 % kann den Arbeitsminister, kann die Landesregierung nicht befriedigen. Wenn es uns nicht gelingt, die beiden von mir skizzierten Problemfelder, insbesondere das Auseinanderfallen des Arbeitsmarktes, so in Angriff zu nehmen, dass wir unseren Fachkräftemangel dauerhaft beheben können, werden wir den Wohlstand in unserem Land nicht sichern können. Auf der anderen Seite müssen wir Instrumente entwickeln, um prekären Beschäftigungsverhältnissen entgegenzuwirken. Ein flächendeckender Mindestlohn wird das Problem nicht lösen; nötig ist eine ganze Anzahl an Instrumenten, damit in Zukunft eine anständige Bezahlung gesichert ist. Sie wissen, dass ich regional differenzierte, branchenspezifische Lohnuntergrenzen in die Diskussion gebracht habe. Ich meine, niemand kann ernsthaft der Auffassung sein, eine ausgebildete Frisöse solle für 1,80 € pro Stunde arbeiten. Das ist menschenverachtend. Das muss man schlicht und ergreifend sagen.

(Beifall bei FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und verein- zelt bei der SPD)

Dieses Problem anzugehen ist eine vornehme Aufgabe. Wenn das Hand in Hand mit Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel geschieht, dann sind wir gut aufgestellt.

Ich habe mich gefreut, Ihnen heute diese Zahlen präsentieren zu dürfen. Aber die Arbeit kommt nach der Freude.

(Beifall bei FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat ihre Redezeit um 5 Minuten überschritten. Diese Zeit können die Fraktionen ebenfalls nutzen.

Ich begrüße auf der Zuschauertribüne Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule Kiel sowie der Realschule Ratekau. - Seien Sie uns herzlich willkommen - die Lehrkräfte natürlich auch!

(Beifall)

Das Wort für die CDU-Landtagsfraktion erteile ich Herrn Kollegen Werner Kalinka.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gehört zu den erfreulichen politischen Nachrichten - ein Weg des Erfolges. Wir behandeln heute Vormittag Tagesordnungspunkte, die - Gott sei Dank! - positive Botschaften beinhalten.

(Beifall bei CDU und FDP)

In Deutschland insgesamt waren es im Januar 2005 fünf Millionen Arbeitslose; heute sind es unter drei Millionen. In Schleswig-Holstein waren es im Januar 2005 180.000 Arbeitslose, heute sind es 97.000, und dies trotz einer schweren Finanz- und Bankenkrise. Erfolg ist keine Selbstverständlichkeit. Erfolg muss hart erarbeitet werden.

In der Arbeitsmarktpolitik waren Veränderungen zwingend notwendig. Dazu zählten die Steigerung der Produktivität und Beachtung des Grundsatzes, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet. Leistung muss sich lohnen, und das muss sich auch im Portemonnaie widerspiegeln. Das ist die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Dass die Agenda 2010 und Gerhard Schröder auch einen Anteil daran haben, will ich durchaus erwähnen. Das sollte nicht verschwiegen werden, auch wenn es manchem in diesem Haus sicherlich wehtut, das zu hören.

(Heiterkeit bei der CDU)

Arbeitsmarktpolitik durfte nicht weiter Arbeitsmarktverwaltung sein. Es musste ein Fordern und Fördern sein. Dies war 2004/2005 die entscheidende Wende. Ein „Weiter so!“ wäre der Weg in die Sackgasse gewesen.

Der Ansatz, Arbeitsmarktpolitik nicht entlang von Parteigrenzen, sondern parteiübergreifend zu sehen, hat sich bewährt. Das war und ist richtig, auch in Schleswig-Holstein.

Der Blick zurück und der Blick nach vorn, insbesondere wenn es darum geht, wie eine solche Arbeitsmarktpolitik weiterhin zu gestalten ist, lassen es ratsam erscheinen, sich in einem Korridor zwischen zwei Grundprinzipien zu bewegen: zum einen, erfolgreiche Reformen nicht zu verwässern, zum anderen, gebotene soziale Komponenten wirksam einzufügen. Ich freue mich, dass die CDU auf ihrem Bundesparteitag den Mindestlohn in der Leiharbeitsbranche verlangt hat. Ich stimme Herrn Minister Garg ausdrücklich zu: Lohndumping ist und bleibt unsozial.

(Minister Dr. Heiner Garg)

(Beifall bei CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir müssen den einen Weg gehen, ohne den anderen zu verlassen. Darauf kommt es in der Arbeitsmarktpolitik in den nächsten Jahren entscheidend an.

Herr Minister Dr. Garg, Sie haben nicht nur gute Zahlen, Sie haben auch gute Botschaften vermittelt - eine gute Bilanz, eine gute Analyse, eine gute Perspektive. Mit einer Arbeitslosenquote von nur 6,8 % steht Schleswig-Holstein auf Platz 5 der Bundesländer. Seit Oktober 2008 sinkt die Zahl der Arbeitslosen - trotz der schweren Krise. Das ist ein Lob wert, und das soll auch ausgesprochen werden.

(Beifall bei CDU und FDP)