Protocol of the Session on October 8, 2010

(Zuruf der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE]: Nur an einem Tag!)

- Das stimmt nicht; erkundigen Sie sich! Diese Aktion zieht Jahr für Jahr weitere Kreise. So beteiligen sich nunmehr auch Obst- und Gemüseläden, Berufsschulen, Kinobetreiber, Supermarktketten, Lokalpolitik und viele, viele andere an dieser Aktion oder an ähnlichen weiteren Aktionen gegen häusliche Gewalt rund um dieses Datum und an anderen Stellen. Apotheken im Übrigen auch.

(Beifall bei CDU und FDP)

Dies geschieht auf völlig freiwilliger Basis und aus der gesellschaftlichen Vernunft und Verantwortung heraus durch Unternehmen, Verbände und öffentliche Verwaltungen. Wir bedanken uns für dieses freiwillige gesellschaftliche Engagement und betonen hierbei, dass es auch freiwillig bleiben sollte und dass wir keinen Zwang zu einer Workplace Policy brauchen, um uns wirkungsvoll gegen häusliche Gewalt zu positionieren. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab.

Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich habe eine Nachfrage. Haben Sie mitbekommen, dass Workplace Policy ein Ansprechpartner in den Betrieben für Frauen sein soll, die ein Gewaltproblem haben oder die in ihren Familien ein Gewaltproblem haben, während das, was Sie jetzt aufgelistet haben, eine Aktion ist, um den Leuten nahezubringen, dass noch Gewalt vorherrscht? Das sind unterschiedliche Sachen, die Sie da angeführt haben. Ist Ihnen das bewusst gewesen?

- Ich sehe das nicht als unterschiedliche Aktionen an. Ich habe die Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte“ jahrelang selbst mitorganisiert. Ich habe mit den Bäckermeistern vor Ort gesprochen. Ich habe erlebt, dass diese Unternehmer sehr frauenbewegt waren und sich sehr gegen häusliche Gewalt eingesetzt haben und dass viele andere das auch nachgemacht haben. Ich glaube, dass eine Workplace Policy dazu nicht dienlich ist. Sie können es ja gern machen, aber wir brauchen keine Verpflichtung dazu, und wir brauchen schon gar keine Koordinierungsstelle im Ministerium.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Siegrid Tenor-Alschausky.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Unterstützung der Einführung und Verbreitung der Workplace Policy in Unternehmen und Verbänden“ ist der Antrag der LINKEN überschrieben. Ich befürchte, dass Workplace Policy, oder WPP, wie die absoluten Insiderinnen sagen, ein ähnliches Schicksal erleiden könnte wie Gender Mainstreaming oder Gender Budgeting. Es bleibt ein Thema für Frauenbewegte und erfährt nicht die erforderliche öffentliche Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Ich bekenne ehrlich: Als ich den Antrag las, habe ich mich gefragt, ob die Beratung im Umfeld der Haushaltsberatungen mit den angekündigten Kürzungen bei Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern nicht denjenigen Vorschub leisten wird, die versuchen, die entsprechende Infrastruktur auf andere zu verlagern: auf Ehrenamtliche wie in vielen anderen Bereichen oder jetzt auf Unternehmen.

Eine ernsthafte Diskussion ist nur möglich, wenn Workplace Policy als Ergänzung der übrigen Angebote in unserem Land, in unseren Kommunen verstanden wird.

Workplace Policy meint die Selbstverpflichtung von Unternehmen und Verbänden, sich öffentlich und im eigenen Unternehmen gegen häusliche Gewalt auszusprechen. Häusliche Gewalt wird definiert durch körperliche und sexuelle Misshandlungen, Beschimpfungen, Demütigungen und Bedrohungen, Isolierung und ökonomische Gewalt, ausgeübt an Menschen, mit denen der Täter - meistens sind es Täter - zusammengelebt hat oder zusammenlebt, mit dem Ziel, Macht und Kontrolle über sie auszuüben.

Terre des Femmes geht davon aus, dass jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer häuslicher Gewalt wird. Europarat und WHO stellen fest: „Häusliche Gewalt ist die häufigste Ursache für Verletzungen bei Frauen, häufiger als Verkehrsunfälle, Überfälle und Vergewaltigungen zusammengenommen.“

Das heißt: Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen beschäftigen mit hoher Wahrscheinlichkeit Betroffene. Und Arbeitsausfälle und Produktivitätsverluste sowie damit verbundene Kosten können auf häusliche Gewalt zurückzuführen sein. Neben der Beeinträchtigung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Betroffenen können Unternehmen und damit die Arbeitsabläufe auch direkt betroffen sein: durch Telefonanrufe, E-Mails oder sogar das Aufsuchen des Opfers durch den Täter am Arbeitsplatz.

Was kann nun Workplace Policy oder, wie ich lieber sage, die „Selbstverpflichtung von Unternehmen, sich intern und extern gegen häusliche Gewalt zu positionieren“, leisten? Ein Unternehmen kann eine entsprechende Unternehmenserklärung verabschieden und Handlungsstrategien entwickeln. Das Sichtbarmachen des Problems durch Poster, Informationsangebote und die Bekanntmachung von Notrufnummern und Beratungsstellen ist ebenso möglich wie die Bereitstellung von Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern und unterstützenden Angeboten für die Betroffenen. Das können „Kleinigkeiten“ sein wie die Änderung einer Telefonnummer, aber auch das Erteilen von Betretungsverboten des Unternehmensgeländes durch den Peiniger.

Mir stellt sich aber die Frage: Offenbaren sich Betroffene am Arbeitsplatz? Dies wird entscheidend von der Unternehmenskultur abhängen, von der Wahrung der Vertraulichkeit, wenn die Betroffene

(Katja Rathje-Hoffmann)

es wünscht. Eine wichtige Rolle müssen hier die Betriebsräte spielen, und Errungenschaften wie die Tatsache, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Gründe für Krankheiten oder Arztbesuche nicht offenbaren müssen, dürfen nicht angetastet werden.

Mein Fazit: Eine vertiefende Diskussion über Selbstverpflichtungen von Unternehmen und Verbänden gegen häusliche Gewalt im Ausschuss ist sicherlich hilfreich.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Die Definition von „familienfreundlichen Betrieben“ ließe sich erweitern. Kriterien sollten nicht nur familienfreundliche Arbeitszeiten, Flexibilität und entsprechende Fördermöglichkeiten sein. Auch der Umgang mit dem Problem „häusliche Gewalt“ könnte Bewertungskriterium für Auszeichnungen sein.

(Beifall bei SPD und SSW)

Dass das Thema „häusliche Gewalt“ auch Unternehmen nicht gleichgültig sein muss, zeigen die erfolgreichen Aktionen von Bäckerinnung und Gleichstellungsbeauftragten mit dem Projekt „Gewalt kommt nicht in die Tüte“.

Eines darf allerdings nicht passieren: das Verlagern der Hauptverantwortlichkeit beim Vorhalten von Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen für Opfer häuslicher Gewalt von Land und Kommunen auf Dritte.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Das Wort für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Anita Klahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich glaube, dass wir hier im Haus einen umfassenden Konsens darüber haben, dass Gewalt in der Familie und Gewalt gegen Frauen, aber auch gegen Kinder nicht hinzunehmen ist. Was wir brauchen, ist ein flächendeckendes und differenziertes Hilfesystem für die von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen. Ich erinnere hier an das Gewaltschutzgesetz und die Möglichkeit der Wegweisung.

Ergänzung muss dies jedoch durch die Arbeit vor Ort finden. Frauenhäuser und Frauenberatungsstel

len sind hier wichtige Anlaufstellen. Auch Unternehmen können selbstverständlich ihren Beitrag leisten, selbstverpflichtend, nach Bedarf, aber auch nach Möglichkeiten des Unternehmens.

Frau Prante, ich bin ehrlich gesagt ein wenig erstaunt über Ihren Antrag und habe mich auch während Ihres Vortrags gefragt, wie Ihr Antrag und die Antragsüberschrift zum Inhalt Ihrer Argumentation passen. Sie wollen eine Workplace Policy installieren und reden in erster Linie über häusliche Gewalt. Ich hätte ehrlich gesagt erwartet, dass Sie konkret aufzeigen, was in welchen Betrieben alles passiert und ignoriert wird, sodass es aus Ihrer Sicht dringend ist, eine sogenannte Arbeitsplatzpolizei einzurichten.

Ich empfehle Ihnen, einmal auf die Internetseite des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung zu schauen, denn dort wird ganz klar gesagt, dass Schleswig-Holstein Vorreiter in Sachen von Kooperations- und Interventionskonzepten bei dem Thema häuslicher Gewalt ist. Ich zitiere von der Homepage:

„KIK ist das Kooperations- und Interventionskonzept bei häuslicher Gewalt, das in Schleswig-Holstein die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen und Einrichtungen, die mit häuslicher Gewalt befasst sind, sichert.“

Damit positioniert sich die Landesregierung doch eindeutig.

Seit Ende 2007 gibt es für das Land Schleswig-Holstein einen Aktionsplan gegen häusliche Gewalt, der einen institutionenübergreifenden Ansatz verfolgt und das Thema als Querschnittsaufgabe sieht. Das KIK-Netzwerk bietet diese Koordinierungsfunktion und diese Beratungsfunktion.

Ich kann Ihnen ganz deutlich sagen: Ich habe es erlebt, dass die engagierten Mitarbeiterinnen in die Häuser, in die Firmen gehen und ihr Material dort vorstellen.

Durch KIK sind in allen Kreisen und kreisfreien Städten Ansprechpartnerinnen und Koordinatorinnen etabliert, die sich mit lokalen Bündnissen, Einrichtungen und Institutionen, die sich mit häuslicher Gewalt befassen, austauschen und praktische Probleme der Zusammenarbeit erörtern. Der Punkt ist, dass das Thema „häusliche Gewalt“ zunehmend aus der Grauzone von Tabuisierung oder Verharmlosung als Familienstreit herausgelöst werden muss. Im gesellschaftlichen Bewusstsein nehme ich jedenfalls wahr, dass Gewalt gegen Frauen und Kin

(Siegrid Tenor-Alschausky)

der immer mehr geächtet wird. Dazu haben von KIK initiierte Aktionen wesentlich beigetragen - in Kooperation mit den Gleichstellungsbeauftragten, mit den Frauenberatungsstellen und den Frauenhäusern.

Die grundsätzliche Frage - da bin ich bei Frau Tenor-Alschausky -, wie man am Arbeitsplatz mit auffallender und nicht nur häuslicher Gewalt umgeht, ist nicht allein mit zusätzlichen Auflagen und Vereinbarungen auf Geschäftsleitungsebene zu der Auslegung von Informationsmaterial zu beantworten. Hier sind die Mitarbeiter gefordert, das Thema offen und zugleich sensibel anzufassen, gegenüber den Betroffenen auch zu reagieren und nicht wegzusehen. Dazu gehört eine ganze Menge Sensibilität, und vor allen Dingen - das ist das Wichtigste an der Geschichte - müssen die Betroffenen auch bereit sein, Einblicke in ihr privates Leben zu geben.

(Zuruf)

Aber Fachberatung kann das alles nicht ersetzen. Das ist auch eine ganz deutliche Forderung von Terre des Femmes. Terre des Femmes ist international seit vielen Jahren tätig. Deswegen gehe ich davon aus, dass die Zahlen, die genannt worden sind, sich auch auf internationale Quellen berufen. Wichtig ist es natürlich, weiter zu sensibilisieren. Vieles, was Terre des Femmes in Berlin installiert hat, ist sehr gut. Das wurde, wenn ich es richtig gesehen habe, von KIK in Schleswig-Holstein auch übernommen. Da erinnere ich gern an die Brötchentüten-Aktion. Ich erinnere aber auch daran, dass es im öffentlichen Personennahverkehr Plakataktionen gegeben hat, durch die auch Telefonnummern bekannt gegeben worden sind. Das Wichtigste an der ganzen Geschichte ist, dass darüber gesprochen wird, und das findet statt.

(Sandra Redmann [SPD]: Das hat damit nichts zu tun!)

Ich möchte Ihnen aber auch mitteilen - weil Sie gesagt haben, es gebe keine Firmen in SchleswigHolstein -: Laut der Internetseite von Terre des Femmes machen zum Beispiel die Barmer Ersatzkasse und The Body Shop als Kooperationspartner mit. Die sind unter anderem auch in SchleswigHolstein ansässig. Ich finde, dass Ihre Behauptung damit schlichtweg falsch ist.

Zu guter Letzt ist Ihnen auch entgangen, dass das Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Integration eine Koordinationsstelle hat, nämlich eine Abteilung, die die Koordinierung zwischen KIK und den Frauenberatungsstellen et cetera herstellt. Ich weiß gar nicht, was Sie wollen.

(Martin Habersaat [SPD]: Wir wissen auch gar nicht, was Sie wollen!)

Für mich ist unter Berücksichtigung der Aspekte Ihr Antrag nichts Neues. Wir werden, wie es die Grünen und Union bei einem ähnlichen Antrag in Hamburg im Jahr 2009 taten, ablehnen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Kollegen Dr. Andreas Tietze.