Protocol of the Session on October 7, 2010

(Zurufe von der SPD)

- Doch, das tun wir durchaus. Wenn ich mir den Beitrag von Frau Amtsberg in Erinnerung rufe, müssen wir schon darüber diskutieren: Haben wir eine Leitkultur, haben wir Werte und Normen, oder sagen wir einfach, die interessieren uns nicht?

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat sie nie gesagt!)

Ich möchte dann auch noch einmal - das hatte Frau Jansen angesprochen - das Rückwärtsgewandte oder den Ruck nach rechts ansprechen. Dem ist nicht so, Frau Jansen. Die Diskussion in den vergangenen Wochen hat doch deutlich gezeigt, dass unsere Bevölkerung in bestimmten Bereichen einen Diskussionsbedarf hat, den wir in den vergangenen Jahren nicht angesprochen haben. Wenn wir diese Lücke in der Diskussion nicht schließen, dann laufen wir Gefahr, dass diese Diskussionslücke von politischen Gruppierungen besetzt wird, die wir in dieser Diskussion überhaupt nicht mit dabeihaben wollen.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Es muss unsere Aufgabe sein, diese Lücke selbst zu besetzen - mit der breiten Facette unserer unterschiedlichen Meinungen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure es sehr, dass wir ausgerechnet bei diesem Thema in eine Debattensituation hineingekommen sind, die der wahren Lage nicht mehr gerecht wird. Ich verstehe, dass die Opposition zu einem

Thema machen möchte, was angeblich die Unterschiede zwischen CDU und SPD, den Grünen und SSW angeht.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: CDU und FDP!)

- Von mir aus auch zwischen CDU und FDP, Herr Stegner. Aber wir sind dort wesentlich weiter, als Sie bis zum Jahr 2005 waren. Wenn hier heute erklärt wird, bis zum Jahr 2005 habe es keine Sprachangebote gegeben, dann müssen Sie sich doch fragen, was Sie in der Vergangenheit versäumt haben. Das müssen Sie sich doch fragen!

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in diesem Land dankenswerterweise - bisher jedenfalls - wesentlich weiter waren als woanders, weil es hier überhaupt keine Unterschiede gab bei der Frage der Förderung und Forderung und bei der Frage der Integration von Menschen in die deutsche Gesellschaft.

Ich habe mich gemeldet, als Herr Jezewski einen Beitrag leistete, über den man wirklich nachdenken sollte. Ich bitte wirklich, darüber nachzudenken. Er sagte, Probleme hätten wir offensichtlich nicht mit Migranten aus den USA, aus Schweden oder aus Norwegen, sondern mit Migranten, die nicht unsere Hautfarbe hätten oder nicht unserem Kulturkreis entstammten. Ich will jetzt von der Größenordnung derjenigen, die zu uns kommen, gar nicht sprechen und auch nicht von der Frage der Sozialisierung in den Heimatländern, die mit Sicherheit unterschiedlich ist, je nachdem ob ich aus Afrika oder aus den Vereinigten Staaten von Amerika komme. Aber allein das anzusprechen bedeutet, ein Ressentiment wiederzubeleben.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Allein das anzusprechen und zur Grundlage der Debatte zu machen, führt dazu. Ich möchte sagen, ein Satz wie der: „Den besten Beitrag, den besten deutschen Beitrag heute leistete Frau Midyatli!“, heißt auch wieder, etwas zu perpetuieren, was gar nicht mehr da ist. Sie ist Deutsche, genauso wie ich Deutscher bin, wie Herr Habeck Deutscher ist. Ich muss das gar nicht erst betonen. Denn alles, was man besonders betonen muss - das habe ich als Jurist einmal gelernt -, ist nicht. Das ist das Problem, vor dem wir stehen.

(Beifall bei FDP und CDU sowie vereinzelt bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Astrid Damerow)

Wir müssen uns fragen, Herr Habeck - Sie wissen, dass ich Sie, damit meine ich die Grünen, in diesem Bereich wirklich ernst nehme, weil wir da gar nicht auseinander sind -, warum das Buch von Herrn Sarrazin eine solche Auflagenstärke erreicht. Das sind nicht alles menschenverachtende Rassisten. Wir müssen uns fragen, ob wir tatsächlich so tun dürfen, als ob die Probleme, die wir mit jungen russischen Zuwanderern haben, die sich hier zu Banden organisieren -

(Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Deutsche!)

- Ja, Deutsche von mir aus auch, Frau Fritzen. Aber das hilft uns nicht weiter. Das ist keine Frage des Migrationshintergrundes, sondern eine Frage des Machogehabes und der Sozialisation, der sozialen Eingliederung. Aber trotzdem dürfen wir doch nicht so tun, als gebe es das Problem nicht. Denn immer dann, wenn wir so tun, als gebe es das Problem nicht, verprellen wir Menschen, die mit diesem Problem konfrontiert werden, Herr Kollege Stegner. Das, was in der Vergangenheit an Eindruck erweckt worden ist, hieß: Bloß nicht darüber reden, um nicht Ressentiments zu wecken!

(Zurufe von der SPD)

Herr Kollege Stegner, da waren Sie noch nicht in parlamentarischer Funktion. Wir hatten einmal eine sehr beeindruckende Debatte hier im Landtag. Der Kollege Hay ist im Moment leider nicht da. In der Debatte ging es um die Frage, warum sich junge Menschen in Neumünster an die Rechtsradikalen aus dem Club 88 wenden. Hintergrund war, dass die deutsche Bevölkerung, die deutsche Polizei, deren Sorge, nämlich von Nichtdeutschen, von Menschen mit türkischem Hintergrund, angepöbelt und als Schlampen bezeichnet zu werden, nicht ernst genommen und niemand darauf reagiert hat. Da haben wir gesagt: Wir können doch nicht die Augen davor verschließen, wir müssen das aufnehmen, weil wir sonst dazu beitragen, dass sich immer mehr Menschen nicht mehr vom deutschen Staat in den Arm genommen, geschützt und beachtet fühlen. Vor diesem Hintergrund müssen wir die Debatte um das Buch von Herrn Sarrazin ernst nehmen.

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Das machen wir ja!)

- Frau Jansen, Sie tun das mit der Bemerkung, das sei alles menschenverachtend.

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Ist das doch auch!)

Könnten Sie bitte zum Schluss kommen!

Ich komme zu meinem letzten Satz. Das als menschenverachtend zu erklären, Frau Kollegin Jansen - es gibt da einige Sprachmuster, das sind nicht meine Sprachmuster, und die würde ich auch massiv zurückweisen -, einfach zu erklären, das alles, was er geschrieben hat, menschenverachtend sei, wird erstens der Tatsache nicht gerecht, dass sehr viele Menschen das zur Grundlage ihrer eigenen Willens- und Meinungsbildung machen.

(Björn Thoroe [DIE LINKE]: Das macht es nicht besser!)

Zweitens würde es, wenn es menschenverachtend wäre, dazu führen, Frau Kollegin Jansen, dass sich die deutsche Justiz damit beschäftigen würde. Das tut sie nicht.

Politische Auseinandersetzungen müssen anders geführt werden als mit den Holzhammermethoden der Vergangenheit, sonst wird der Anteil der Bevölkerung, der Integrationsbemühungen ablehnend gegenübersteht, immer größer werden. Das können wir nicht wollen, das Gegenteil muss von uns erreicht werden.

(Beifall bei FDP, CDU, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Robert Habeck das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich knüpfe an die Rede des Herrn Kollegen Kubicki an und beziehe mich ausdrücklich positiv auf seine Rede, erstens was den besonnenen Ton angeht und zweitens was das Argument angeht, dass die Betonung von Problemen die Probleme häufig erst schafft. Das war sein Argument zu Frau Midyatli hin gesprochen. Gleichwohl möchte ich darauf hinweisen, dass das genau das strukturelle Problem in der Debatte war, die teilweise bewusst geschürt wurde. Deshalb hatte ich mich davor schon gemeldet, dann den Beitrag aber nicht gehalten, weil ich in dieser Debatte nicht noch Öl ins Feuer gießen wollte.

(Wolfgang Kubicki)

Ich gehe jetzt nicht auf einzelne Beiträge ein. Die Frage ist aber doch, wenn wir darüber reden, dass ausländische Straftäter das Problem seien: Was folgt dann daraus? Warum benennen wir sie als ausländische Straftäter? Was ist das Argument? Wo läuft das hin? Heißt es, dass es eine genetische Veranlagung zu Straftaten bei Ausländern gibt? - Es geht doch vielmehr darum, dass es ein soziales Integrationsproblem gibt. Es gibt ein soziales Integrationsproblem, und darüber müssen wir reden. Es gibt einen Hintergrund, der es schwer macht, in Arbeit, in Bildung und in Beruf zu kommen. Dann aber ist die Statistik und die Analyse der Statistik völlig falsch angelegt, die Silke Hinrichsen zitiert hat, wenn man sagt, das sind die Ausländer, die haben ein Problem mit dem Gesetz, und darüber müssen wir reden.

Zweitens wollte ich das Argument aufgreifen, wie man Emotionen schafft. Herr Kubicki, ich finde es gut, dass Sie den Ball flach gehalten haben. Es gibt aber eine Struktur, die heute auch hier in der Debatte zu erkennen war und die aus meiner Überzeugung den Erfolg des Sarrazin-Buches erklärt. Er liegt nicht so sehr darin begründet, dass er Probleme angesprochen hat, die davor völlig unbekannt waren, sondern weil er sie in einer Art angesprochen hat, die wir gewohnt sind als Stammtischniveau zu bezeichnen, der auch hier immer wieder durchschimmerte.

Es gibt drei Punkte, mit denen man arbeiten muss, wenn man das so machen will. Der Erste ist eine missverständliche Unterstellung. Auch das war heute zu hören. Man schiebt Leuten etwas in die Schuhe und bläst es dann auf. Zweitens ist es die Konzentration auf Einzelfälle und das Verallgemeinern von Einzelfällen. Das ist alles nur Rhetorik, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Man schaut auf die Einzelfälle, redet über Straftäter, aber nicht über Absolventen, Erfinder und Forscher, erfolgreiche Leute im Beruf, sondern nimmt nur einen Teilaspekt, und redet nur darüber. Drittens ist es das Erklären von Selbstverständlichkeiten zu politischen Skandalen. Man redet über das, was völlig normal ist. Selbstverständlich gilt das Grundgesetz für alle Menschen, die hier leben. Es wird aber so getan, als ob das die Entdeckung eines Einzelnen wäre und als ob nur diejenigen, die dies mit Verve vortragen, das Recht für sich gepachtet haben.

Weil diese Debatte an einigen Stellen auch so geführt worden ist, sollten wir uns alle ermahnen, die Debatte nicht so zu führen und die Integrationsdebatte auf dem Boden des Berichts des Justizminis

ters zu führen, und zwar mit Sachargumenten, aber nicht mit Polemik.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Begrüßen Sie mit mir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Kiel-Pass“-Aktion für Grundwehrund Zivildienstleistende, Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fortbildungslehrgangs der Schule für strategische Aufklärung aus Flensburg sowie Vertreter der 4. Unteroffiziersschule der Luftwaffe aus Appen. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Kai Dolgner das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Damerow, der Kollege von Boetticher und die Kollegin Hinrichsen sind wieder einmal auf die Kriminalitätsbelastung eingegangen. Über die Erkenntnisse aus dem Hellfeld kann man übrigens auch lange streiten. Das werden wir aber nicht heute, sondern morgen machen.

Eine interessante Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zeigt zum Beispiel, dass das Risiko für einen nichtdeutschen Täter, angezeigt zu werden, wenn es um ein deutsches Opfer geht, erheblich höher ist als umgekehrt, nämlich um den Faktor 3. Wenn ein Mensch mit Migrationshintergrund Opfer einer Straftat durch einen Deutschen wird, ist das Risiko für diesen Menschen drei Mal geringer, angezeigt zu werden. Das kann man in entsprechenden Studien nachlesen.

Das sagt aber noch nichts Besonderes aus. Die Studien, die wir seit Jahren und Jahrzehnten haben, sagen aber etwas aus. Natürlich haben sich viele Leute gefragt: Wie kommt das denn? Warum haben denn in den Hellfeld-Statistiken nichtdeutsche Tatverdächtige einen größeren Anteil?

Dazu gibt es eine klare Antwort, die in zahlreichen Studien belegt worden ist. Es besteht überhaupt kein direkter Zusammenhang zum Migrationshintergrund. Deshalb ist das ein nicht geeignetes Entscheidungskriterium. Hierzu gibt es eine interessante Expertise des Deutschen Forums für Kriminalprävention mit dem Titel „Gelingensbedingungen für die Prävention von interpersoneller Gewalt im

(Dr. Robert Habeck)

Kindes- und Jugendalter“. Darin sind eine Menge Studien aufgelistet worden, die gemacht worden sind. Hierzu gibt es hoch wissenschaftliche Studien.