Es gibt im Vergleich zur jetzigen Landtagswahl aber noch eine weitere interessante Parallele. Auch 1992 wurde die in der Verfassung vorgesehenen Abgeordnetenzahl durch überproportionale Gewinne von Direktwahlkreisen von Sozialdemokraten deutlich überschritten. Anstelle der vorgesehenen 75 Abgeordneten saßen 89 Parlamentarier im Landtag. Wir können heute gern darüber diskutieren, ob die sogenannte Kappungsgrenze im Landeswahlrecht, nach der die Anzahl der Ausgleichsmandate nicht das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze überschreiten darf, derzeit rechtlich richtig ausgelegt wird; Stichwort kleine Lösung oder große Lösung. Wir können auch gern darüber diskutieren, ob diese
Kappungsgrenze insgesamt abgeschafft gehört. Wir sind da völlig offen. Wie uns aber die Erfahrung der letzten Landtagswahl lehrt, geht die Erörterung dieser Rechtsfragen am eigentlichen Problem des Landeswahlrechtes vorbei. Das sind lediglich Folgeerscheinungen. Das wesentliche Problem ist der überproportionale Anteil von Direktmandaten im Vergleich zu Listenmandaten.
Denn wo durch eine Angleichung der Direktwahlund Listenmandate Überhangmandate gar nicht erst entstehen, brauchen wir uns über die Frage, wie viele Ausgleichsmandate ausgekehrt werden müssen, keine Gedanken zu machen.
Genau dieses Problem diskutieren wir, seitdem ich Parlamentarier in diesem Haus bin, also seit der Wahl im Jahr 1992. Die FDP hat in mehreren Legislaturperioden mehrfach versucht, Lösungen anzubieten. Wir sind immer am Widerstand der Mehrheit im Haus gescheitert. Das gilt für das Jahr 1997, als wir die Anzahl der Direktwahlkreise bei 75 Abgeordneten auf 37 reduzieren wollten. Das gilt für das Jahr 2003, als wir die Anzahl der Direktwahlkreise auf 34 reduzieren wollten bei einer Verkleinerung auf 69 Abgeordnete. Sowohl im Jahr 1997 als auch im Jahr 2003 regierten übrigens rot-grüne Regierungen in Kiel. Ich bitte, sich schon mal selbst die Frage zu stellen, liebe Freunde von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wie gewichtig Sie eigentlich in der Koalition waren, wenn Sie damals nicht das Wahlrecht, das Sie heute ändern wollen, in geeigneter Form auf den Weg gebracht haben.
Viele Diskussionen wegen eines teuren und aufgeblähten Landtags, die wir heute in den Zeitungen erleben müssen, hätten wir nicht, wenn die damaligen Regierungen, alle unter SPD-Beteiligung, Herr Dr. Stegner, sich dem Problem gestellt hätten. Die neue Koalition wird dies tun. Wir werden das Problem lösen. CDU und FDP haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir zeitnah das Landeswahlrecht mit der Zielsetzung überarbeiten, eine Überschreitung der in der Landesverfassung vorgesehenen Landtagsmandate zu vermeiden; übrigens Seite 43 des Koalitionsvertrags. Was SPD-Regierungen in Jahrzehnten nicht schafften, FDP und CDU werden es tun. Das alte, umstrittene Wahlrecht hat uns also einen letzten guten Dienst erwiesen, indem es dem Landtag eine Mehrheit beschert hat, die es nun reformieren kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage, wie viele Ausgleichsmandate ausgekehrt werden dürfen, ist, wie bereits erwähnt, nicht die Ursache des Problems. Sie steht aber in der öffentlichen Diskussion; daher sollte sie zumindest auch angesprochen werden. Dabei sind zwei Aspekte zu berücksichtigen.
- Sie werden sich alles angucken müssen, Herr Weber. Das ist ja das Gute, dass Sie sich alles werden angucken müssen.
Erstens. Muss nach der Landesverfassung immer ein vollständiger Ausgleich der Mehrsitze erfolgen? Zweitens. Sind bei der Berechnung der Anzahl der Ausgleichsmandate nach dem Landeswahlgesetz die Mehrsitze mit einzubeziehen - kleine Lösung oder nicht - große Lösung?
Zu Punkt eins: Nach unserer Auffassung ist der Gesetzgeber von der Landesverfassung lediglich gehalten, überhaupt eine Regelung zu Ausgleichsmandaten vorzusehen. Dabei ist auch eine Begrenzung der Anzahl der Ausgleichsmandate grundsätzlich möglich. Ich zitiere aus der Kommentierung zur Landesverfassung:
„Weil die Wahl u.a. funktionsfähige Organe hervorbringen soll, ist anerkannt, dass der Grundsatz der Erfolgswertgleichheit durchbrochen werden darf, … Da die Funktionsfähigkeit des Parlaments wesentlich auch von der Zahl seiner Mitglieder abhängt, ist es gerechtfertigt, den Mehrsitzausgleich zu begrenzen.“
So die aktuelle Kommentierung zur Landesverfassung. Es ist übrigens durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Nur zur Erinnerung: Bei der Bundestagswahl gibt es überhaupt keinen Ausgleich für Überhangmandate.
Kommen wir also zum zweiten Punkt: Sind bei der Berechnung der Ausgleichsmandate die Mehrsitze mit einzubeziehen? - Ich wiederhole anschließend die Frage noch mal. Frau Präsidentin, es hat sich ein Abgeordneter für eine Zwischenfrage gemeldet.
Wir sind dabei, zu gucken, ob er das jetzt so einfach darf. Lassen Sie die Frage von Herr Habeck zu?
Trifft es zu, dass Sie am 16. Juli gesagt haben: Ich bin der Meinung, es ist richtig, die Kappungsgrenze bei den Ausgleichsmandaten abzuschaffen? Das Zitat ist noch länger, aber ich frage Sie jetzt nur zu diesem einen Satz.
- Das trifft zu. Das war meine politische Auffassung. Das ändert aber nichts daran, dass rechtlich die Kappungsgrenze besteht. Wir wollen das ja vielleicht ändern. Aber noch besteht sie, Herr Dr. Habeck.
- Es ist meine Auffassung, dass es politisch sinnvoll ist, die Kappungsgrenze aufzuheben. Aber darin intendiert, Frau Kollegin Heinold, die Aussage, dass sie rechtlich besteht. Sonst würde es keinen Sinn machen, sie politisch ändern zu wollen.
Kommen wir also zum zweiten Punkt: Sind bei der Berechnung der Ausgleichsmandate die Mehrsitze mit einzubeziehen?
- Ist es nicht verstanden worden? Ich wiederhole es dann gern. Die Aussage, es macht Sinn, das zu ändern, intendiert, dass es rechtlich Bestand hat. Sonst müsste man es nicht ändern.
Kommen wir also zu dem zweiten Punkt: Sind bei der Berechnung der Ausgleichsmandate die Mehrsitze mit einzubeziehen? - Wir haben in den Diskussionen um die Verteilung von weiteren Ausgleichsmandaten im Rahmen der Kommunalwahl wie die Grünen die Auffassung vertreten, dass die sogenannte große Lösung bei der Mandatsverteilung zur Anwendung kommen sollte. Hierzu gab es auch entsprechende Entscheidungen der Verwaltungsgerichte. Wir müssen aber anerkennen und letztlich auch akzeptieren, dass die Verwaltungsrechtsprechung sich in den aktuellen Entscheidungen nach der Kommunalwahl der Auffassung der Landeswahlleiterin angeschlossen hat. Da die Regelungen zur Kommunalwahl und zur Landtagswahl identisch sind, gehen wir davon aus, dass die Gerichte jetzt auch nichts anderes entscheiden werden und es deshalb darauf ankommt, es politisch zu lösen.
Damit ist die sogenannte kleine Lösung bei der Auszählung der Ausgleichsmandate mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit rechtssicher. Damit bleibt dem Landtag nur die wirklich saubere Möglichkeit: Er muss ein neues Wahlrecht schaffen, und ich sage Ihnen, wir werden das tun. Ich freue mich auf die Ausschussberatung über Ihren Gesetzentwurf, und Sie werden dann den zur Kenntnis nehmen, den wir verabschieden werden.
Ich bin jetzt ein bisschen verwirrt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Darf ich jetzt „sehr geehrter Herr Präsident“ sagen, oder darf ich „Frau Präsidentin“ zu Ihnen sagen?
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir brauchen so viel direkte Demokratie wie möglich und so viel repräsentative Demokratie wie nötig. Das heißt, und daraus schließt sich, dass mehr Abgeordnete nicht ein Weniger an Demokratie sind, sondern ein Mehr an Demokratie.
- Herr Kubicki, hinter Ihnen steht ein Mikrofon. Sie dürfen sich da gern hinstellen, dann lasse ich Ihre Zwischenfrage zu.
Wir haben hier 95 Abgeordnete - im Moment nur 94 -, die natürlich alle legitimiert sind. In dem Sinne könnte man sagen, dann ist natürlich auch die Regierung, die von diesen Abgeordneten gewählt worden ist, legitimiert. Das Problem ist nicht, dass hier einer keine Legitimation hat, das Problem ist, dass draußen vor der Tür noch sechs Abgeordnete stehen, die auch eine demokratische Legitimation haben und die hier nicht reingelassen werden. Da liegt das Problem.
Es macht mir ein bisschen Sorge, dass diese Auslegung der Landeswahlleiterin - man mag darüber streiten - im Moment darüber entscheidet, ob die Bundeskanzlerin eine Mehrheit im Bundesrat hat oder nicht. Ich finde das traurig, ganz abgesehen davon, ob ich die Mehrheit gut finde oder nicht.
Es geht um fast 28.000 Stimmen. Wenn wir die Ergebnisse betrachten, dann stellen wir fest: Die Kollegin Herold hat ihren Wahlkreis in Flensburg mit 150 Stimmen Vorsprung gewonnen. In anderen Wahlkreisen war der Vorsprung nicht viel größer. Hier stellt sich die Frage, ob 150 Stimmen in einzelnen Wahlkreisen mehr wert sein sollen als die 28.000 Stimmen auf Landesebene. Ich finde, darüber sollte man einmal diskutieren.
Ich habe mir nicht nur das Gesetz angesehen, sondern auch Rechnungen angestellt. Wenn das neue Gesetz in Kraft gewesen wäre, wären hier nicht 95, sondern 85 Leute. Es gäbe immer noch 16 Überhangmandate. Das Getöse in der Presse wäre nicht viel kleiner. Nach Ansicht der Presse hätte es nicht viel mehr Geld gekostet, aber es hätte mehr Geld gekostet.
Das im Gesetzentwurf vorgeschlagene Auszählungsverfahren findet wohl auch die Regierung gut. Denn sonst würde sie nicht anstreben, dieses auf kommunaler Ebene einzuführen, wie es im Koalitionsvertrag steht. Ich frage mich, ob es weitere Möglichkeiten gibt, die bislang nicht durchdacht worden sind. Das Verfassungsgericht wird dazu sicherlich etwas sagen. Es gibt aber genug Verfassungsrechtler und Verfassungsgerichte in Deutschland, die dazu bereits etwas gesagt haben.
In anderen Bundesländern gibt es andere Wahlverfahren. Hier erinnere ich an Hamburg, wo einige Grüne und Linke ihren Wahlkreis gewonnen haben. In Hamburg gibt es nämlich das System der Mehrmandatswahlkreise. Es wäre die Frage, inwieweit man so etwas für Schleswig-Holstein diskutieren sollte.
- Die haben vielleicht ein bisschen mehr Demokratie als wir. Wir bräuchten doch das ganze System nicht zu diskutieren, wenn es genauso viele Abgeordnete wie Wähler gäbe. Dann hätten wir eine ideale Darstellung des Wählerwillens im Landtag. Wir bräuchten dann aber einen großen Saal. Die Frage ist doch: Wollen wir starke Bestandteile von