Protocol of the Session on September 10, 2010

(Beifall bei CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist alternative Abstimmung beantragt worden. Voraussetzung ist, dass keine Fraktion widerspricht. - Das ist nicht der Fall. Abweichend von der Geschäftsordnung schlage ich vor, die vorliegenden Anträge zu selbstständigen Anträgen zu erklären. - Widerspruch sehe ich nicht. Dann werden wir so verfahren.

Ich komme jetzt zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 17/822, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU und FDP, Drucksache 17/847, seine Zustim

(Minister Jost de Jager)

mung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich muss den Hinweis geben, dass man bei diesem Abstimmungsverfahren nur einmal abstimmen kann.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wenn es zwei eigenständige Anträge sind?)

- Man kann nur einmal mit Ja stimmen. Es wird nach den Jastimmen gefragt. Man kann dem einen oder dem anderen Antrag seine Zustimmung geben.

Ich wiederhole jetzt das Abstimmungsverfahren. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 17/822, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU und FDP, Drucksache 17/847, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 17/847 der Fraktionen von CDU und FDP mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW angenommen ist. Ich stelle weiter fest, dass damit der Antrag Drucksache 17/822 der SPD-Fraktion abgelehnt ist.

Damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunktes 34.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:

Unabhängige Richteruntersuchungen zur Beweiserhebung im Rahmen der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse

Antrag der Fraktion des SSW Drucksache 17/752

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich stelle fest, das ist nicht der Fall.

Bevor ich die Aussprache eröffne, der geschäftsleitende Hinweis: Im Ältestenrat haben sich die Fraktionen darauf verständigt, dass die Fraktion des SSW 10 Minuten Redezeit hat, die übrigen Fraktionen 5 Minuten und die Landesregierung auf Redezeiten verzichtet.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion des SSW hat der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Untersuchungsausschüsse sind eine wichtige Einrichtung in unserer Demokratie. Das Parlament braucht ein Instrument, das bei Verdacht eines

Missstands schnell und effektiv eingesetzt werden kann, um Fehlverhalten und politische Verantwortlichkeiten aufzuklären. Insbesondere für die Opposition ist dieses Instrument wichtig. Es sichert parlamentarischen Minderheiten Einsicht in Dinge, die ihnen sonst verborgen bleiben. Man könnte Untersuchungsausschüsse auch als eine Art Putzkolonne der Demokratie sehen. Leider hat die Öffentlichkeit aber zu Recht den Eindruck, dass es in der Praxis nicht zuerst um politische Hygiene und Sauberkeit geht. Denn es zeigt sich immer mehr dasselbe Bild: Die einen kehren am liebsten alles unter den Teppich, während die anderen jedes Staubkorn zum ausgewachsenen politischen Skandal erklären. Der demokratische Nutzwert von beidem ist verhältnismäßig gering.

Wer die Geschichte der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Schleswig-Holstein betrachtet, sieht mit wenigen Ausnahmen auch eine Perlenkette von Frustrationen. Das letzte Glied ist der aktuelle Ausschuss zur HSH Nordbank, der mittlerweile über ein Jahr lang wöchentlich Abgeordnete, Beamte, Fraktionsmitarbeiter, Journalisten und Anwälte davon abhält, sinnvolleren Tätigkeiten nachzugehen. Die Bürgerinnen und Bürger fragen zu Recht, wo der Erkenntnisgewinn ist, der den enormen Verbrauch von öffentlichen und privaten Ressourcen rechtfertigt. Denn zu allem Überfluss konnten sie schon längst den Medien viele der vertraulichen Informationen entnehmen, die der Ausschuss beschaffen soll. Wer als Abgeordneter kein verhinderter Detektiv oder Oberstaatsanwalt ist, sondern lediglich ein politisches Aufklärungsinteresse verfolgt, verzweifelt an diesen Gegebenheiten.

Als der Schleswig-Holsteinische Landtag 1993 ein Untersuchungsausschussgesetz verabschiedete, herrschte Aufbruchstimmung. Die Ereignisse des Jahres 1987, die konstruktive Arbeit im Barschel/ Pfeiffer-Untersuchungsausschuss und die Enquetekommission für die Verfassungs- und Parlamentsreform prägten einen gemeinsamen parlamentarischen Geist, der sich heute leider wieder verflüchtigt hat. Die Untersuchungsausschüsse sind mehr denn je politische Kampfinstrumente geworden. Besonders die Erhebung von Beweisen und die Vernehmung von Auskunftspersonen sind längst zu einem Schauspiel geworden, das außerhalb dieses Hauses kein Mensch mehr versteht. Da wird, überspitzt formuliert, jeder als Zeuge vorgeladen, der einem der Handelnden einmal die Tür aufgehalten hat. Da werden Politiker herbeizitiert und ihr Terminkalender auseinandergenommen, allein um sie vorzuführen. Und wöchentlich nutzen Politiker selbst die kleinsten Gelegenheiten, um nach der

(Vizepräsidentin Herlich Marie Todsen-Reese)

PUA-Sitzung an die Öffentlichkeit zu treten und das zu wiederholen, was sie schon immer gesagt haben. Die wenigen Bürger, die noch bei Nachrichten aus Untersuchungsausschüssen interessiert hinhören, wissen ohnehin, was dabei herauskommt: Die Opposition hält die Handelnden in der Regierung für unfähig und ihr Handeln für die reine Katastrophe und die Regierungsfraktionen finden so ziemlich gar nichts schlimm. Beide Seiten nutzen nur jene Zeugenaussagen und Fakten, die ihnen ins Konzept passen. Von Aufklärung kann kaum die Rede sein, denn niemand außerhalb des Ausschusses blickt noch durch und ist imstande, die verschiedenen Bewertungen dann auch selbstständig zu bewerten. Am Ende weiß keiner mehr, worum es eigentlich ursprünglich ging.

Die Bilanz nach 17 Jahren des politischen Alltags mit dem Untersuchungsausschussgesetz lautet: Die Untersuchungsausschüsse in Schleswig-Holstein brauchen einen Neuanfang, den nur das gesamte Parlament mittragen kann. Das ist der Ausgangpunkt unserer Initiative. Der Antrag ist ausdrücklich keine persönliche Kritik an den heutigen Akteuren im PUA, denn sie bewegen sich nur in dem Ökosystem, dass sie vorgefunden haben. Es ist das System PUA, das falsch gestrickt ist und falsche Erwartungen weckt. Dabei wäre es natürlich naiv zu glauben, dass sich das Spannungsverhältnis zwischen politischen Interessen und einer objektiven Aufklärung auflösen lässt.

Trotzdem stellt sich aber die Frage, wie weit sich die Untersuchungsausschüsse von ihrer praktischen Aufgabe entfernen können, bevor sie ihre Glaubwürdigkeit und Funktion vollends verlieren. Die Legitimation der Untersuchungsausschüsse wird durch die durchgängige Vorfahrt für Parteiinteressen untergraben. Deshalb meinen wir, dass eine neue Kombination der beiden Pole, der politischen Kontrolle und der richterlichen Unabhängigkeit, eine interessante, brauchbare und vor allem bessere Alternative zum heutigen System ist.

Es ist klar, dass die Rechte des Parlaments, insbesondere der Opposition, auf die Beantragung eines Untersuchungsausschusses, die Festlegung des Untersuchungsgegenstands, die politische Bewertung der Untersuchungsergebnisse und die Ableitung von Handlungsempfehlungen nicht angetastet werden dürfen. Für den Bereich der Beweiserhebung, der ja gerade Gegenstand der Kritik ist, gibt es aber durchaus Alternativen. Wir meinen, dass dieser Bereich neu gestaltet werden sollte nach dem Motto: so viel politischen Einfluss auf die Beweisaufnah

me wie nötig, aber so viel unabhängige Untersuchung, wie unter dieser Bedingung möglich.

Im Bundesrecht gibt es bereits die Möglichkeit eines Ermittlungsbeauftragten. Diesen können die Untersuchungsausschüsse des Bundestages einsetzen, um die Untersuchung durch den Ausschuss vorzubereiten. Die Ermittlungsbeauftragten beschaffen und sichten Beweismittel, hören Personen informatorisch an und lassen dem Ausschuss dann einen Untersuchungsbericht inklusive Handlungsempfehlungen zukommen. Der SSW meint, dass dieses Modell in unser Landesrecht übernommen und erweitert werden sollte.

Deshalb schlagen wir die Einführung von Richteruntersuchungen im Rahmen der Beweiserhebung vor. Wir wollen, dass ein Untersuchungsausschuss einen Richter oder ein Richtergremium damit beauftragen kann, bestimmte Sachverhalte zu untersuchen. Das heißt: Der Landtag beziehungsweise der Ausschuss erteilt den Auftrag und bestimmt, was untersucht werden soll. Die Richter führen eine öffentliche Untersuchung durch, einschließlich der Beschaffung von sächlichen Beweismitteln und der Anhörung von Auskunftspersonen, und tragen die Fakten in einem Bericht für den Untersuchungsausschuss zusammen, eventuell in regelmäßiger Rückkoppelung mit dem Ausschuss. Der PUA liest den Bericht und gibt dann seine Voten, also seine politischen Bewertungen des Sachverhalts, ab. Das ist eine saubere Sache. Die Untersuchung wird schnell, professionell und sachgerecht durchgeführt. Wir vermeiden, dass schon die Beweiserhebung zur politischen Schlammschlacht wird, bei der kaum noch jemand durchblickt, der nicht im PUA sitzt.

Die politische Bewertung der unabhängigen Richteruntersuchung muss selbstverständlich weiterhin dem Parlament zustehen. Aber die konkrete Aufarbeitung eines Missstandes in der Regierungsarbeit muss endlich eine neue Form finden, damit die Aufklärung politischer Skandale von der Öffentlichkeit endlich wieder als das wahrgenommen wird, was sie sein soll: als eine wichtige und echte Kontrolle, ein Selbstreinigungsprozess, der wieder Vertrauen in demokratische Entscheidungsprozesse schaffen kann, und eben nicht als Vergeudung von Ressourcen und Fortsetzung parteipolitischer Machtkämpfe mit anderen Mitteln.

Wir glauben, dass dies der richtige Weg ist, um wieder Vertrauen in die demokratische Aufarbeitung politischer Skandale zu schaffen, ohne die Kontrollrechte des Parlaments zu verletzen. Außerdem hat eine solche Untersuchung den bestechenden Vorteil, dass ein abgeordneter Richter, der sich

(Lars Harms)

ausschließlich und tagtäglich mit dem Untersuchungsgegenstand beschäftigt, viel zügiger arbeiten kann als die Parlamentarier, die auch noch eine Vielzahl anderer Aufgaben zu bewältigen haben.

So würde die zeitaufwendige Beweiserhebung wesentlich schneller vonstatten gehen. Dadurch erhält das Parlament die Möglichkeit, einen Skandal zeitnah parlamentarisch aufzuarbeiten, bevor die Menschen vergessen haben, weshalb überhaupt eine Untersuchung eingeleitet wurde. Es kann also keine Rede davon sein, dass wir der Opposition ein scharfes Schwert entreißen wollen; im Gegenteil, es soll wieder und weiter geschärft werden.

Wie der Untersuchungsausschuss mit der richterlichen Arbeit verzahnt und wie im Einzelnen der Handlungsrahmen der Richter ausgestaltet werden soll, haben wir bewusst offen gelassen. Der vorliegende Antrag des SSW ist der Versuch, eine konstruktive und sachliche Diskussion über das Problem zu beginnen. Wir wollen keinen unnötigen Streit über Details, sondern eine grundsätzliche Verständigung. Entscheidend ist, dass etwas passiert und die parlamentarischen Kontrollrechte gestärkt aus diesem Prozess herauskommen.

Wichtig ist dabei, dass auch die Öffentlichkeit wahrnimmt, dass wir es ernst meinen mit der parlamentarischen Kontrolle der Regierung. Das ist in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen.

Wir würden uns freuen, wenn wir eine vernünftige, sachbezogene Diskussion in den Ausschüssen bekommen würden.

(Beifall beim SSW)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Werner Kalinka das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vorschlag des SSW ist nicht neu. Die Reaktionen sind unterschiedlich, aber mit einer klar skeptischen Tendenz, und dies hat gute Gründe.

Untersuchungsfragerechte der Parlamente, der Abgeordneten sind parlamentarische Kernbereiche. Ich glaube nicht, dass diese teilbar sind. Würden Richter die Beweiserhebungen durchführen, wäre dies eine Einschränkung der parlamentarischen Rechte.

(Beifall bei CDU und der LINKEN)

Das Votum, die Art und Weise der Beweiswürdigung, die Schwerpunkte der Ermittlungen, dies für sich genommen wäre meist eine vorweggenommene Festlegung dessen, was die Abgeordneten nachzuvollziehen hätten. Und sind sich beide schon da nicht einig, würden wir den Konfliktuntersuchungsausschüssen ein weites Feld hinzusetzen.

Ich glaube im Übrigen nicht, dass die Verlagerung der Beweiserhebung auf einen Richter die Arbeit eines Untersuchungsausschusses billiger, besser oder transparenter machen würde. Den Eindruck „Haben wir einen Richter, dann läuft alles Bingo im Parlament” teile ich nicht. Im Übrigen glaube ich, dass auch Richter, wenn sie in einer solchen Funktion wären, durchaus subjektiven Dingen ausgesetzt sein könnten.

Richterliche Untersuchungen werden die Arbeit der Untersuchungsausschüsse weder politisch unumstrittener machen, noch würden sie sogenannte Schlammschlachten vermeiden. Das Interesse an den richterlichen Untersuchungspersonen würde stärker werden. Sie wüden genauso in Zweifel gezogen, wie dies im Untersuchungsausschuss der Fall ist. Das Problem würde nur verlagert.

Kein Abgeordneter könnte es sich im Übrigen erlauben, blind darauf zu vertrauen, dass ein Untersuchungsrichter sein Arbeit schon gut machen wird. Wo es interessant und heikel wird, werden die Abgeordneten und ihre Fraktion immer kontrollieren müssen, um die richtigen Beweise zu erheben.

Es ist im Übrigen jetzt schon gängige Praxis, dass die Untersuchungsausschüsse, die Fraktionen, die Regierungen, die Betroffenen sich umfangreichster juristischer Unterstützung bedienen. Ich meine, dies ist genug. Ein Parlament ist im Übrigen kein Gerichtssaal.

(Beifall bei CDU und FDP)

Bereits nach dem heutigen Untersuchungsausschussgesetz können Unterausschüsse zur Beweisaufnahme gebildet werden. Es stehen alle Mittel der Beweisaufnahme zur Verfügung, auch die Zwangsmittel, die ein Richter hätte. Ein solcher Unterausschuss tagt nicht öffentlich, also in ruhiger Sachlichkeit, aber unter dem kritischen Blick der Abgeordneten. Wir haben uns in früheren Zeiten für diese Regelung entschieden, weil wir mit ihr im Unterschied zum Vorschlag des SSW den unmittelbaren und ungeschmälerten Einfluss aller Abgeordneten erhalten wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, über den Erfolg oder Misserfolg von Untersuchungsausschüssen

(Lars Harms)

entscheiden nach meiner festen Meinung im Übrigen die Abgeordneten selbst mit der Qualität ihrer Arbeit und mit ihren Fehlern. Ein Untersuchungsausschuss ist nur so gut, wie die Mitglieder oder die Umstände es zulassen.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)