Protocol of the Session on September 10, 2010

zwei Deutungen, und es gibt auch keinen Rabatt auf Menschenrechte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD und SSW)

Ich möchte mich auch dagegen wehren - wie heute in dieser Debatte geschehen -, infrage zu stellen, ob wir über all diese Sachen hier im Parlament reden sollten oder dürfen. Ich finde, das können wir gern und immer tun, aber nicht auf dieser Grundlage, nicht ohne alle diese Fragen zu stellen und auch nicht auf diesem Niveau. Wir lehnen Ihren Antrag daher ab, weil wir glauben, dass Showanträge zur Profilierung in den eigenen Reihen den betroffenen Menschen vor Ort tatsächlich nicht gerecht werden.

(Anhaltender Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die Fraktion des SSW hat nun die Fraktionsvorsitzende Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann diskutieren, ob es die Aufgabe des Landtags ist, als Landesparlament zu diesen Fragen Stellung zu beziehen. Es gehört jedenfalls nicht zu den Aufgaben, zu deren Erledigung wir gewählt worden sind. Die Kompetenz liegt beim Deutschen Bundestag, der in den letzten vier Monaten auch insgesamt sechs Debatten zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr geführt hat. Wenn wir diese Debatte nun auch im Landtag führen, dann geht es nicht um Landespolitik, sondern allein um Parteipolitik. Fünf von sechs Parteien haben hier nur die Ansichten ihrer Bundespartei kundgetan. Die Folgen sind gleich null. Denn im Gegenteil zu den Kollegen des Bundestags tragen wir nicht die Verantwortung, eine Entscheidung treffen zu müssen, die letztlich dazu führen kann, dass weitere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan ihr Leben lassen. Deshalb wird der Austausch der persönlichen Meinungen und Parteipositionen zum Afghanistaneinsatz in diesem Hause nie mehr sein können als „schön, dass wir uns mal darüber ausgetauscht haben“.

Man kann diskutieren, ob die deutsche Bundeswehr vor dem Hintergrund der Geschichte überhaupt im Ausland eingesetzt werden soll. Das ist eine Frage, die nicht an Parteigrenzen haltmacht und quer durch Parteien verläuft, auch beim SSW. Was für uns völlig klar ist, ist, dass Bundeswehr

(Luise Amtsberg)

einsätze mit geopolitischen Zielen niemals legitim sein können.

(Beifall beim SSW)

Mit dieser Meinung stehen wir aber nicht allein. In der Diskussion um die Äußerung Horst Köhlers ist längst schon alles Erforderliche gesagt und getan worden. Die Parteien haben deutlich gemacht, dass es für sie nicht akzeptabel ist, die Bundeswehr oder andere Armeen aufgrund von Handels- oder Rohstoffinteressen einzusetzen. Horst Köhler hat erklärt, dass er das auch nicht wollte und ist gerade wegen der klaren Kritik als Bundespräsident zurückgetreten.

Dieser Antrag ist von vorn bis hinten verkorkst. Selbst wenn wir hier heute der Bundestag wären, würden wir dem so nicht zustimmen. Der Antragsteller stochert oberflächlich in einem enorm komplexen Thema herum und benennt nicht einmal klar, welche Auslandseinsätze seiner Ansicht nach kein legitimes Mandat haben und grundgesetzwidrig sind. Stattdessen soll die Bundesregierung der Öffentlichkeit das mitteilen, was sie denkt. Das ist absurd.

(Beifall beim SSW, vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall des Abgeord- neten Gerrit Koch [FDP])

Was den zweiten Punkt dieses Antrags angeht, so kann ich nur sagen: Dann macht doch! Wenn Die LINKE der Meinung ist, dass die Bundeswehr bewusst eingesetzt wird, um das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören - was ein wirklich ungeheurer Vorwurf ist -, dann soll sie dies beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vortragen. Ich werde mich auf jeden Fall hier und jetzt nicht zur Richterin aufschwingen und auf so zweifelhafter Grundlage der Bundesregierung und dem Bundestag unterstellen, sie würden das Grundgesetz nicht achten. Wir haben übrigens im Moment genug „Hobbyverfassungsrichter“ in Schleswig-Holstein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, ich kann nicht verstehen, dass Sie solche Anträge durchgehen lassen. Es tut mir leid, dass ich es so offen sage. Kämpfen Sie mit offenem Visier, und benennen Sie Ross und Reiter. Ich teile nicht die Ansicht, dass die demokratische Auseinandersetzung über die Auslandseinsätze nicht offen genug stattfindet und dass es einer „Selbstanzeige“ der Bundesregierung bedarf, der ohne weitere Begründung unterstellt wird, sie würde mit den Auslandseinsätzen im dunklen Kämmerlein jetzt schon geopolitischen Tagesordnungen folgen. Ein solcher

Antrag, der ausschließlich auf nahezu verschwörungstheoretischen Unterstellungen fußt, hat in einer offenen demokratischen Auseinandersetzung nichts zu suchen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber ärgere ich mich wirklich, zumal wir alle in diesem Haus wissen, wie schwer sich die Abgeordneten des Bundestages tun - quer durch alle Fraktionen -, wenn um Auslandseinsätze gerungen wird. Denn jedes Mal stoßen Staatsräson, ethische Überzeugung und politische Ideologie aufeinander. Deshalb hat keiner der Beteiligten verdient, dass mit diesem Thema derart oberflächlich, polemisch und unterstellend umgegangen wird.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Gerrit Koch [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte spart euch so etwas für die Parteiarbeit auf. Für dieses Haus auch das muss ich so klar sagen - ist es eine Beleidigung.

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat nun der Herr Abgeordnete Heinz-Werner Jezewski.

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es mag eine Debatte sein, die vermeintlich in diesem Haus nichts zu suchen hat. Das denken wir ganz oft. Auch meine berufliche Vergangenheit hat in diesem Haus nichts zu suchen. Darüber regen wir uns auch nicht groß auf.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Doch, doch!)

- Aber aus anderen Gründen. Die Frage ist schon, wenn Herr Driftmann hier Zitate loslässt, die denen des ehemaligen Bundespräsidenten sehr ähneln, ob es nicht eine Sache des Schleswig-Holsteinischen Landtags ist.

(Niclas Herbst [CDU]: Nein!)

Viele haben sich hier in dieser Diskussion auf Formales zurückgezogen. Wir werden uns diese formale Kritik - Anke, vielen Dank dafür, dass Sie sie so sachlich und vernünftig gebracht haben - zu Herzen nehmen und daraus lernen.

Trotzdem möchten wir das Inhaltliche nicht rauslassen. Ich möchte einen der großen Friedenskämpfer der Bundesrepublik Deutschland zitieren, Franz

(Anke Spoorendonk)

Josef Strauß, der gesagt hat: Wer als Deutscher in Zukunft jemals eine Waffe in die Hand nehmen will, dem möge die Hand abfallen.

(Christopher Vogt [FDP]: Er ist aber gern auf die Jagd gegangen!)

Leider war das keine Prophezeiung, sondern nur ein frommer Wunsch.

Ich akzeptiere viele Argumente, die hier vorgetragen worden sind. Ich akzeptiere auch das Argument: Was passiert denn zum Beispiel in Afghanistan mit den Frauen, mit den Kindern, wenn wir abziehen? Da wird vergewaltigt werden. Wem man die Vergewaltigung unterstellt, ist dann immer noch eine Diskussionssache. Natürlich würde ich so etwas nie billigen.

Wer vorletzte Woche das „TIME Magazine“ gelesen hat, sieht darauf das furchtbare Foto einer Afghanin, der man die Nase abgeschnitten hat - unter den Augen der NATO, unter den Augen der Bundeswehr, unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Wenn wir uns in Schleswig-Holstein umgucken, sehen wir jeden Tag Kinder, die misshandelt werden, Kinder, die verhungern, Frauen, die vergewaltigt werden.

(Christopher Vogt [FDP]: Das ist unglaub- lich!)

Fordern wir deswegen die Bundeswehr an?

Zu den Menschenrechten gehört auch das Wahlrecht. Die Wähler aus Schleswig-Holstein hatten kein Recht darauf, dass die Bundeswehr als Wahlbeobachter eintritt. Das finde ich auch gut.

Wir sollten uns anders mit dem Thema auseinandersetzen. Wir sollten es auch hier diskutieren, weil immerhin zwei Drittel der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland für einen sofortigen Abzug unserer Soldaten aus Afghanistan sind. Die richtige Reaktion ist dann nicht, diejenigen, die abgezogen sind, hierher einzuladen und zu feiern - das finden wir auch gut. Die Kollegen, die noch dort drüben sind und den Kopf für uns oder für andere hinhalten, zu vergessen, das ist das Falsche.

Ich will folgenden Punkt in die Diskussion bringen, den wir nicht vergessen sollten. Auch das ein Zitat mit Erlaubnis der Frau Präsidentin -:

„Unser weltpolitisches Ansehen hängt nicht in erster Linie vom Einsatz der Bundeswehr ab und davon, dass wir Soldaten in den Krieg schicken. Das ist eine unzulässige Verkürzung der Außenpolitik. Sind wir dann ernst

zu nehmen, wenn die ersten Soldaten gestorben sind?“

Hans-Jochen Vogel hat das 1993 gesagt. Offensichtlich hat ihn die Zeit überholt.

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Ulrich Schippels das Wort.

(Christopher Vogt [FDP]: Alle einmal durch!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die Debatte hier reagieren. Frau Franzen, wir wollen, dass die Soldaten alle möglichst schnell nach Hause kommen. Wir wollen nicht, dass irgendjemand im Einsatz stirbt oder verletzt wird. Wir wollen sie möglichst schnell wieder nach Hause holen. Das ist unser Ziel. Wir sind auch nicht gegen die Bundeswehr, sofern sie denn der Landesverteidigung dient. Das, was jetzt aber läuft, bedeutet auch eine Gefährdung von vielen Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern, die im Ausland sind. Wir sind auch dafür da, dafür zu sorgen, dass diesen Menschen nichts geschieht.

Es ist auch ein Thema dieses Landtags. Wir befinden uns hier in einem Haus, das auch eine militärische Historie hat. Wenn man hinüberguckt, sieht man das Marinearsenal. Es sind ja auch Einheiten aus Schleswig-Holstein, die dort unten sind. Deshalb sollte es auch uns etwas bedeuten.

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Dolgner?

Sehr verehrter Herr Kollege, ich finde diesen Teil Ihrer Ausführung und auch den des Kollegen Jezewski sehr interessant. Können Sie mir sagen, wie die Frage des Abzuges aus Afghanistan mit dem Antrag, der einzig und allein darauf abzielt, dass es grundgesetzwidrige Einsätze gibt, die nur dazu da sind, wirtschaftliche Interessen zu verteidigen, zusammenhängt? Welche wirtschaftlichen Interessen werden

(Heinz-Werner Jezewski)

denn Ihrer Meinung nach in Afghanistan verteidigt? Ich sehe die direkte Beziehung nicht.

- Das können wir gern einmal in der Kneipe diskutieren. Das mache ich gern mit Ihnen. Wir können eine halbe, eine Dreiviertelstunde lang darüber reden.