Protocol of the Session on September 8, 2010

Ein weiterer wichtiger Bereich, der dringend einer Strukturreform bedarf, ist der kommunale Bereich.

(Lars Harms)

Die Kommunen in Schleswig-Holstein sind zu kleinteilig. Die Amtsordnung ist nicht mehr mit den gesetzlichen Grundlagen vereinbar, und wir haben eine Fülle von Doppel- und Mehrfachzuständigkeiten. Wenn das Land Aufgaben abgeben und Personal abbauen will, dann muss es Zuständigkeiten an untere Ebenen abgeben. Das geht aber nur, wenn die Kommunen hierzu strukturell in der Lage sind. Minigemeinden sind dies nicht, und deshalb brauchen wir eine neue kommunale Struktur mit nur drei Ebenen im Land. Darüber hinaus müssen dann zeitgleich die Doppel- und Mehrfachzuständigkeiten aufgelöst werden. Wenn wir eine Umweltbehörde beim Kreis haben, dann muss sie auch allein zuständig sein. Dann brauche ich keine Landeszuständigkeit im Vollzug mehr.

Es kann nicht sein, dass man einen Bauantrag bei seiner Kommune abgibt, dieser dann durch das Amt bearbeitet wird, hiernach beim zuständigen Kreis zur Begutachtung und Prüfung liegt und dieser dann den bearbeiteten Antrag wieder an das Amt zurück gibt. Was für den kleinen Häuslebauer schon ein Ärgernis ist, ist für den Unternehmer pure überbordende Bürokratie. Eine alleinige Zuständigkeit einer Stelle wäre völlig ausreichend, das beweisen die kreisfreien Städte, in denen das jetzt schon so ist.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, auch hier lässt sich viel verändern. Was brächte dies für den Landeshaushalt und die Kommunen? - Der Landeshaushalt könnte von Personalkosten entlastet werden, wenn die Zuständigkeiten endlich auch wirklich an die kommunale Ebene abgegeben werden. Die Kommunen könnten ebenso sparen, wenn größere Gemeinden die derzeitige Zersplitterung und Doppelzuständigkeit ersetzen würden. Auch der kommunale Finanzausgleich müsste überarbeitet werden. Hier reden wir über ein Gesamtvolumen von 1,2 bis 1,6 Milliarden €; je nachdem welches Jahr wir bis 2020 betrachten. Hier sind die wirklichen Einsparungen zu heben, nicht bei den Zuschüssen für Frau und Beruf, bei den Familienbindungsstätten, den Schülern der Minderheiten, den Blinden oder den kulturellen Organisationen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was uns heute als sogenannter Haushaltsentwurf vorliegt, ist in Wirklichkeit ein radikaler Kahlschlag in vielen Bereichen, die für das Land wichtig sind. Man erkennt keine politische Vision von CDU und FDP. Die Regierenden machen sich noch nicht einmal im Ansatz die Mühe, die Einnahmen zu verbessern. Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen verschenken gern auf Bundesebene das Geld der

Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner. Bezahlen sollen es die Bürgerinnen und Bürger durch höhere Schulden, durch weniger Bildung, durch weniger Kultur und durch weniger soziale Gerechtigkeit.

Jeder verantwortungsvolle Politiker sollte sich genau überlegen, ob er für solch einen Haushalt die Hand heben kann. Der Haushalt des SSW ist dieser Haushalt jedenfalls nicht.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir die Beratung fortsetzen, begrüßen Sie mit mir gemeinsam Mitglieder der Kirchengemeinde Harksheide, Angehörige der Vereinigung der Angehörigen der Landwirtschaftsund Umweltverwaltungen in Schleswig-Holstein sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fortbildungsakademie der Wirtschaft aus Neumünster! - Seien Sie uns herzlich willkommen hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Jetzt erteile ich für die Landesregierung dem Herrn Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen das Wort.

(Beifall bei CDU und FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, lieber Herr Habeck, eine kleine Anmerkung zu Ihrer Rede. Sie wissen, wie ich Sie im Grunde genommen schätze und mich auch freue, dass manchmal neue Ideen von Ihnen kommen. Sie haben den Versuch unternommen, analytische Klarheit zu schaffen. Ich muss Ihnen sagen: Der Versuch ist misslungen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Sie haben keine analytische Klarheit geschaffen. Sie haben uns abgesprochen, dass wir uns um die Probleme der kleinen Menschen kümmern. Das Recht spreche ich Ihnen ab, darüber zu richten, ob es mich betrifft, was kleine Menschen, arme Menschen und Behinderte und Arbeitslose hier in diesem Lande betrifft. Gehen Sie bitte davon aus, dass ich mich in meiner Arbeit und auch, wenn ich nach der Arbeit zu Hause sitze, sehr häufig hinterfrage, ob das, was wir da tun, richtig ist. Gehen Sie bitte davon aus, dass es viele Probleme in diesem Land

(Lars Harms)

gibt, die mich umtreiben, dass wir Kinder haben, die kein Essen bekommen, was nicht immer etwas mit Armut zu tun hat, auch viele, die benachteiligt sind. Gehen Sie bitte davon aus, dass ich mir häufig Gedanken darüber mache, meine Regierung genauso und meine Fraktion. Ich glaube, dass beide Regierungsfraktionen und auch viele andere in diesem Haus sich schon kümmern und dass es uns trifft, auch Demonstrationen zu erleben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Herr Habeck, manchmal gebärden Sie sich hier auch kernig, manchmal als Wolf im Schafspelz. Heute hatte ich das Gefühl, Sie seien das Schaf im Wolfspelz gewesen. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich das jetzt so sage, aber einiges hat mich da schon getroffen; nicht, dass Sie analysieren wollten.

(Zurufe: Oh, oh!)

- Das ist ein schöner Zwischenruf. Das war übrigens mein erster Zwischenruf, den ich, protokolliert, im Bundestag gemacht habe.

(Heiterkeit)

Der war genauso intelligent wie das, was Sie gerade gemacht haben.

(Zurufe)

- Ja, das kann er. Aber da muss er sich im Kopf noch ein bisschen verändern. Einfach so zu bleiben, hilft nicht. Und vor allen Dingen muss man kontinuierlich im Parlament bleiben. Da habe ich meine Sorge, dass er das nicht schaffen wird.

Herr Habeck, wissen Sie, es ist schon richtig, zu versuchen zu analysieren. Manches von dem, was Sie sagen, ist ja auch bedenkenswert. Aber manches geht auch an den Problemen vorbei, und vor allen Dingen war auch eine gewisse Unlogik darin.

Finanzminister Rainer Wiegard hat heute Vormittag für die Landesregierung den Entwurf des Doppelhaushalts 2011/2012 hier eingebracht. Ich möchte Minister Rainer Wiegard an dieser Stelle ausdrücklich für die geleistete Arbeit danken.

(Beifall bei CDU und FDP)

Er hat einen der härtesten Jobs, die man sich überhaupt denken kann. Er hält unbeirrt am Weg der Konsolidierung fest. Das ist gut so, und das verdient, lieber Rainer, mehr als nur Respekt und Anerkennung. Bedanken möchte ich mich auch bei den Kabinettskolleginnen und -kollegen sowie den Fraktionen von CDU und FDP, weil sie diesen schwierigen Kurs - und dieser Kurs ist schwierig auch mittragen. Gemeinsam stehen wir für die Kon

solidierung, und gemeinsam haben wir Demonstrationen und Proteste ausgehalten, wie auch heute hier vor dem Hohen Hause, und gemeinsam werden wir auch weiterhin standhaft sein.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir lassen uns in diesem Kurs nicht beirren, meine Damen und Herren, denn wir wissen, mit tagesaktuellem Populismus lässt sich die Zukunft unserer Heimat und der hier lebenden und arbeitenden Menschen sicherlich nicht sichern. Unsere Verfassung - das ist ein zusätzliches Argument; ich sage ganz bewusst, ein zusätzliches Argument - gibt den Kurs auch vor. Daran sollte jeder hier im Saal bei dieser Debatte denken. Wir müssen heute handeln, damit unsere Kinder und Enkel eine gute Zukunft haben.

Die Regierung hat einen Entwurf vorgelegt. Nun ist es nicht nur das Königsrecht, sondern auch die Königspflicht des Parlaments, über die Vorschläge zu entscheiden. Ein jeder hier in diesem Saal steht in dieser Pflicht und in der Verantwortung, dieses zu tun. Wer aus dem vorgelegten Paket einzelne Vorschläge herausnehmen will, der muss andere hineinlegen. Ansonsten geht die Rechnung nun mal nicht auf. Adam Riese ist in der Geschichte außerordentlich unbestechlich. Die Schuldenbremse zu beschließen, um sich anschließend in die Büsche zu schlagen und ein „Weiter so!“ zu predigen, das geht nicht, meine Damen und Herren von der Opposition.

(Beifall bei CDU und FDP - Der Abgeordne- te Lars Harms [SSW] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Lieber Lars Harms, ich habe gerade erst angefangen mit meiner Rede. Nicht so hückelig, ein bisschen mehr Geduld, min Jung. Vielleicht kommt das alles noch, was du jetzt fragen willst. Insofern jetzt keine Zwischenfrage.

Meine Damen und Herren, wer die Konsolidierung nicht mitträgt, handelt verantwortungslos. Wenn wir heute nicht konsolidieren, dann müssen die Einschnitte bis 2020 umso härter sein. Die Zinslast würde in den nächsten zehn Jahren von 1,1 Milliarden € auf 2,3 Milliarden € anwachsen. Wir alle wissen, dass wir diese Zinslast nicht mehr tragen könnten, meine Damen und Herren. Wenn wir heute nicht konsolidieren, dann sind wir 2020 nicht mehr in der Lage, in Verkehrs- und Forschungsinfrastruktur zu investieren. Und wir werden auch nicht mehr genug Geld haben, um die Gehälter unserer Professoren und Forscher zu zahlen. Wenn wir heute nicht konsolidieren, dann werden wir es 2020

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

nicht mehr schaffen unser Bildungssystem zu finanzieren. Und wenn wir heute nicht konsolidieren, dann werden wir spätestens 2020 in der Situation von Griechenland sein. Ich will das nicht!

(Beifall bei CDU und FDP)

Wenn wir heute nicht konsolidieren, verlieren wir auch die Konsolidierungshilfe; das sind 720 Millionen €, meine Damen und Herren. Weil das in einigen Reden, ich glaube auch von Ihnen, Herr Habeck, mit angemerkt wurde: Wir dürfen in den Konsolidierungskurs nicht die 80 Millionen € mit einrechnen, sondern wir müssen deutlich machen, dass wir ohne die 80 Millionen € den Konsolidierungskurs schaffen werden. Deswegen ist es notwendig, auch darauf einzugehen.

CDU und FDP stehen deshalb ohne Wenn und Aber zu der Rückkehr zu den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. - Herr Stegner, seien Sie still, ich komme noch auf Sie zu sprechen. Ich habe mir das lange überlegt. Er kann auch nicht ohne; das geht nicht. Das sind wir ihm schuldig. Das muss er auch haben. In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir als Kabinett und Abgeordnete von CDU und FDP für diese Konsolidierung gestritten. Es ist kein Vergnügen, danach ausgebuht, ausgepfiffen und beschimpft zu werden. Ich habe großes Verständnis für viele, die demonstrieren. Aus der Sicht derer ist das sicherlich eine objektive Belastung. Ich sehe hier die Vertreter der Blindenverbände. Ich habe großes Verständnis und einen großen Respekt, wie manche, insbesondere sie, demonstrieren, ruhig, aber auf ihre Probleme hinweisend. Ich finde, das ist angenehm.

(Beifall bei CDU, FDP und SPD)

All dies auszuhalten lohnt sich nur, wenn man weiß, es geht um nichts weniger als den Erhalt der Eigenständigkeit Schleswig-Holsteins, und es geht um die Zukunft unserer Kinder.

Natürlich ist es leichter, Politik zulasten künftiger Generationen zu machen. Unsere Vorgänger im Amt bis 2005 haben das viel zu häufig gemacht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Schulden der Vergangenheit gefährden unser Land, und sie gefährden auch die persönlichen Lebensaussichten künftiger Generationen. Das hat mit Generationengerechtigkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun. Deshalb müssen und werden wir umsteuern, hier und jetzt.

Daran ändern auch die derzeit guten Wachstumsprognosen nichts. Kaum zieht die Wirtschaft wieder ein ganz kleines Stück an, denken manche schon wieder über Steuersenkungen oder neue Ausgaben nach. Ich halte von all dem nichts. Jetzt ist es wichtig, Kurs zu halten, und der Kurs heißt: Weniger Ausgaben, weniger Staat und mehr Zukunft.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich bedanke mich auch bei Rainer Wiegard, insbesondere für den ersten Teil seiner Rede, in der er sehr schonungslos dargestellt hat, wie die Situation in Schleswig-Holstein ist. Es ist notwendig, dass man zunächst einmal eine Analyse vornimmt und aufarbeitet, was denn noch an versteckten Verschuldungen dabei waren.

Heiner Garg: Krankenhausfinanzierung. Es kann doch nicht angehen, dass man irgendwann einmal die Krankenhausfinanzierung auf andere Beine gestellt hat, indem man den Kreisen gesagt hat - wer war das eigentlich? -: Passt einmal auf, wir haben nicht mehr das Geld für eine Bezuschussung, aber wir zahlen für euch Zinsen und Tilgung. Das führt dazu, dass wir im Jahr 2020 80 Millionen € für Zinsen und Tilgung zahlen und 40 oder 45 Millionen € für die Krankenhausfinanzierung erbringen müssen.