Protocol of the Session on June 18, 2010

„Von den fünfjährigen Kindern besuchen zurzeit etwa 95 % eine Kita. … Ich denke, jene 5 % der fünfjährigen Kinder, die zurzeit eine Kita nicht besuchen, werden wahrscheinlich auch nicht erscheinen, wenn die Kita beitragfrei ist.“

Nun haben wir also das kostenfreie Kita-Jahr für Fünfjährige bekommen, für diejenigen Fünfjährigen nämlich, die ohnehin schon in die Kitas gegangen wären. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns jetzt natürlich ehrlich fragen, ob diese 35 Millionen € sinnvoll für die frühkindliche Bildung investiert wurden, oder ob dadurch nicht an anderer, möglicherweise sinnvollerer Stelle finanzielle Mittel fehlen.

Dieser Frage haben sich die regierungstragenden Fraktionen gestellt. CDU und FDP sind übereingekommen, dass diese Subventionierung sowohl bil

dungspolitisch als auch haushalterisch nicht sinnvoll ist. Für die heutigen Kinder, für die man ja eigentlich etwas verbessern wollte, bedeutet das, dass die Beitragsbefreiung ihnen nicht nur nicht nützt, sondern in letzter Konsequenz sogar schadet. Die heutigen Kinder nämlich gehören auch zu den viel zitierten künftigen Generationen, die nicht mehr unter den Schulden leiden sollen, die in der Vergangenheit gemacht wurden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Da ich weiß und die Appelle des Kollegen Stegner und anderer zur Kenntnis nehme, dass man Argumenten zugänglich sein soll, bitte ich alle Beteiligten, nachzulesen, was in der „Zeit“ der letzten Woche gestanden hat, übrigens keine Zeitschrift, die den Geruch hat, sie würde den Neoliberalismus vor sich hertragen. In der „Zeit“ der letzten Woche Lesen soll ja bilden, habe ich gehört - stand unter der Überschrift

„Prüfen statt basteln - An Bildung soll nicht gespart werden? Falsch! Man muss nur wissen, wo. Ein Standpunkt zum Bildungsgipfel.“

Folgendes - ich zitiere aus der „Zeit“ der letzten Woche -:

„Fehlinvestition Nummer zwei: Die kostenlose Kita-Betreuung, wie sie immer mehr Bundesländer in Aussicht stellen. Die Gebührenfreiheit ist extrem teuer, erhöht weder die Chancengerechtigkeit, noch hebt sie das Bildungsniveau. Sie ist vielmehr vor allem eines: ein Geschenk an den Mittelstand. Mehrere Tausend Euro pro Jahr sparen Professoren, Ärzte und Journalisten, wenn sie für ihr Kind in der Kita nicht mehr bezahlen müssen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, insofern sind die Rücknahme des kostenfreien Kita-Jahres und die geplante Hebung des Landesdeckels von 60 auf 70 Millionen € zwei Seiten derselben Medaille: Mit der Erhöhung der Kita-Grundfinanzierung fördern wir die heutigen Kinder in der Gegenwart. Mit der Schuldenrückführung, bei der eben auch die Rücknahme der einkommensunabhängigen Förderung von Elternbeiträgen zu den notwendigen Maßnahmen gehört, erleichtern wir gleichzeitig die Zukunft der heutigen Kinder.

(Beifall bei FDP und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass es eine Regelung der rot-grünen Regierung war, die zu ei

ner immer schlechteren finanziellen Grundausstattung der Kindertagesstätten führte.

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Tietze?

Selbstverständlich, immer gern.

Herr Kollege Kubicki, vorgestern ist eine Studie des DEW veröffentlicht worden, nach der die Mittelschicht immer brüchiger wird, es ein Problem ist, wenn das beitragsfreie Kindergartenjahr wegfällt, weil es gerade diese Mittelschicht trifft, die Sie erwähnen. Die von Ihnen genannten Ärzte und Staatsanwälte sind ja wahrscheinlich in der Oberschicht, jedenfalls nicht in den Einkommensgruppen, die in der Studie genannt werden. Es trifft also Menschen, die tatsächlich Angst haben, weiter abzusteigen, die diese Mittel dringend brauchen.

- Herr Dr. Tietze, beim Lesen von Studien sollte man sich ein bisschen mehr Zeit nehmen, um zu verstehen, was damit gemeint ist. Die Mittelschicht wird kleiner, weil immer mehr Personen aus der Mittelschicht in die Unterschicht abgerutscht sind. Das ändert nichts daran, dass die Mittelschicht nach wie vor Teil der Mittelschicht ist. Wir lösen das Problem der Angst, aus der Mittelschicht in die Unterschicht abzurutschen, nicht dadurch, dass wir die Kindergartenjahre beitragsfrei stellen. Das Problem der Angst lösen wir damit nicht. Die Belastung der Mittelschicht ist nicht das Problem momentan, sondern entscheidend ist die Angst der Mittelschicht, in die Unterschicht abzurutschen, weil sie aus dem Job herausfallen und weil sonstige Bedingungen des Gemeinwesens, zum Beispiel ihre Steuerbelastung und die Tatsache, dass sie nicht an Sozialtransfers teilnehmen können, nicht gegeben sind. Die Frage der Beitragsfreistellung der Kindergartenjahre hat also mit der Frage, wie sich das in der Gesellschaft verteilt, überhaupt nichts zu tun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der 60-Millionen-€-Deckel hat faktisch zu einer Absenkung des Landesanteils der Kita-Grundfinanzierung geführt. Ich hätte mir gewünscht, Frau Kollegin Heinold, Sie hätten darauf in der Vergangenheit einmal hingewiesen, dass die Grundfinanzierung der Kindertagesstätten hätte angehoben werden müssen. Das haben Sie leider nicht getan.

Minister Dr. Klug hat die Zahlen ja bereits in der Mai-Tagung erwähnt: 2004 betrug der Landesanteil noch 21 %, im Jahr 2008 war er auf 18,3 % gesunken. Insofern sind die moralischen Anwürfe vonseiten der Oppositionsfraktionen hier schlicht unangemessen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Und diese Vorwürfe werden nicht besser, wenn ich aus dem Plenarprotokoll vom 29. Juni 2006 zitiere. Hier sagte die damalige sozialdemokratische Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave wörtlich:

„Es ist noch einmal kritisiert worden, wir deckelten angeblich die 60 Millionen €. Ich will den Spieß einmal umdrehen und darauf hinweisen, dass wir an diese Position in keiner Weise gedacht haben, als es daran ging, den Haushalt zu durchforsten und überall Kürzungen vorzunehmen. Ich finde, das ist schon eine gute gemeinsame Leistung.“

Das Protokoll vermerkt anschließend: „Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.“

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Da muss ich draußen gewesen sein! - Heiterkeit)

- Das mag ja sein, aber der Rest Ihrer Fraktion hat Beifall gezollt. Sie können das nachlesen, Frau Kollegin Heinold.

Die SPD, vertreten durch Ministerin Erdsiek-Rave, forderte von der Öffentlichkeit damals also ernsthaft Lob dafür, dass ein faktisch ohnehin schon sinkender Landesanteil an der Kita-Grundfinanzierung nicht noch weiter zurückgefahren werde. Und die Grünen spendeten hier willfährig Applaus. Der moralische Anstrich, mit dem Sie Ihre Forderungen stets versehen, passt hier ganz offensichtlich nicht ganz zu dem, was Sie in der Vergangenheit getan haben, Herr Kollege Dr. Stegner.

(Beifall bei FDP und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht unberücksichtigt lassen, dass die schleswig-holsteinische SPD in der Vergangenheit forderte und heute zumindest durch Dr. Ralf Stegner noch immer fordert, alle drei Kita-Jahre beitragsfrei zu stellen.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Ich hatte eingangs erwähnt, dass es einige wenige kluge und ehrliche Stimmen in dieser Auseinandersetzung gibt. Eine davon ist Lothar Hay. Im Zusammenhang mit der Rücknahme der Beitragsfreiheit des dritten Kita-Jahres wurde Lothar Hay nämlich

(Wolfgang Kubicki)

am 27. Mai 2010 im „Flensburger Tageblatt“ zitiert, dass es diese Sparbeschlüsse in einer Großen Koalition auch gegeben hätte.

Ich glaube, dem ist nichts hinzufügen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Der moralische Druck, der in den letzten Wochen und Monaten auf den Ministerpräsidenten und den Bildungsminister aufgebaut wurde, war unglaublich groß. Hier taten sich auch kirchliche Institutionen hervor. Man muss das immer wieder erwähnen, denn wir haben es auch bei den Kirchen mit Vereinigungen zu tun, die sich angeblich gemeinwohlorientiert organisiert haben.

Im Dezember 2009 hatte der Verband Evangelischer Kindertagesstätten - VEK - noch in aller Deutlichkeit gefordert, das kostenfreie Kita-Jahr zugunsten einer besseren Ausstattung der Kindertageseinrichtungen zurückzunehmen Dezember 2009.

Wenige Monate später ist derselbe Verband Teil des Aktionsbündnisses „Kürzt den Kinder nicht die Zukunft! Uns reicht’s“. Und hier fordert eben auch der VEK, der gleiche Verband, der im Dezember 2009 noch das Gegenteil gesagt hat, Folgendes: „Keine Streichung des beitragfreien Kita-Jahres, sondern Familien entlasten!“ Das ist ein namhafter Beitrag in der Debatte, was Glaubwürdigkeit und Argumentation angeht.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Beliebigkeit der Forderungen ist offensichtlich. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Politik der Landesregierung nicht angegangen wurde, um der eigenen Position Ausdruck zu verleihen, sondern um billigen Applaus einzustreichen.

Dass zudem für die politische Durchsetzung von bestimmten - oder in diesem Falle unbestimmten Forderungen Kinder vorgeschickt werden, um politisch-moralischen Druck auszuüben, greife ich hier auch noch einmal auf. Wir alle haben die Demonstration im Mai vor dem Landeshaus miterlebt, und wir alle haben miterlebt, wie Kinder animiert wurden, gegen die Landespolitik zu demonstrieren.

Wenn Kinder, die nicht wählen dürfen und altersbedingt noch nicht imstande sind, eine politische Meinung zu vertreten, als Durchsetzungsinstrument für politische Zwecke herhalten müssen, sollten sich die Verantwortlichen über ihre Verantwortung Gedanken machen. Ich halte eine solche Instrumentalisierung von Kindern für verantwortungslos.

(Beifall bei FDP und CDU - Zuruf der Abge- ordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

- Ja, man soll sich darüber Gedanken, was es eigentlich bedeutet, dass man Verantwortung für Kinder hat.

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Sie haben ein- mal für Bildungsleitlinien gestimmt! Das ist politische Bildung!)

- Nein, das ist Missbrauch von Kindern. Darüber sollten Sie wirklich einmal nachdenken.

(Zurufe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rücknahme der einkommensunabhängigen Gebührenbefreiung ist der Preis, der für die Verbesserung der finanziellen Grundausstattung der Kindertagesstätten in Schleswig-Holstein zu zahlen ist. Ich wiederhole noch einmal - wir haben es an anderer Stelle auch schon klargestellt -: Es wird keine Absenkung der Standards geben.

(Beifall bei FDP und CDU)

CDU und FDP zeigen hiermit Verantwortung für die Kinder von heute. Wir zeigen außerdem, dass frühkindliche Bildung für uns kein Luxus ist.

Schleswig-Holstein wird mit diesen Maßnahmen zweifach zukunftsfähig: zum einen, weil wir den Kindern von heute eine bessere Grundlage für ihren weiteren Lebensweg bieten; zum anderen, weil wir den Kindern von heute die Angst von einer schuldenbelasteten Zukunft nehmen werden.

Die Forderungen der SPD, also Erhöhung der Grundfinanzierung plus vollständige Beitragsbefreiung, entsprechen den vielen, wenig durchdachten politischen Maßnahmen, die dieses Land an den Rand des Ruins getrieben haben.