Protocol of the Session on May 21, 2010

diesem Abkommen wird die ohnehin aus menschenrechtlicher Perspektive scharf zu kritisierende Praxis der Abschiebung von Roma gesetzlich zementiert. Insgesamt betrifft das offensichtlich 10.000 Menschen. In den nächsten Jahren sollen davon jährlich 2.500 Menschen aus Deutschland abgeschoben und an das Kosovo überstellt werden. 2.500 Menschen jährlich, auf einige Jahre verteilt, das macht die Sache in meinen Augen nicht besser.

Jede und jeder der Betroffenen hat nun täglich die Angst, sozusagen nachts von den Behörden mitgenommen und ausgeflogen zu werden. Die Unsicherheit muss für die Psyche der Betroffenen unerträglich sein.

Meine Fraktion kritisiert aufs Schärfste dieses Vorgehen und fordert mit dem Antrag die Landesregierung auf, auf Abschiebungen von Roma und Ashkali aus Schleswig-Holstein, selbst wenn es nur acht sind - nur! - ohne Ausnahme zu verzichten und sich auf der IMK, also der Innenministerkonferenz, am 27. und 28. Mai 2010 dafür einzusetzen, dass dieser Weg auch auf Bundesebene gegangen wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicht nur die Experten der Flüchtlingsräte und von PRO ASYL fordern einen sofortigen Abschiebestopp, es tun auch internationale Organisationen wie der UNHCR, die OSZE und der Menschenrechtskommissar des Europarats. Alle weisen in ihren jüngsten Berichten auf die dramatische Menschenrechtslage hin.

Was also erwartet die Menschen im Kosovo? - Es erwartet sie ein Leben in Gebieten abseits der Städte, die noch nicht einmal auf Landkarten eingezeichnet sind. Sie leben in Baracken ohne Infrastruktur, Strom, sanitäre Einrichtungen und manchmal sogar auf verseuchtem Boden. Manche finden auch erst gar keine Unterkunft und die meisten auch keine Arbeit, weil es für sie nach wie vor im Kosovo keine ausreichenden Aufnahme- und Integrationskapazitäten gibt.

Roma und Ashkali leben im Kosovo gesellschaftlich isoliert. Gerade die Situation von abgeschobenen Roma-Kindern, die, weil sie in Deutschland geboren wurden, weder albanisch noch serbisch sprechen und deshalb im Kosovo nicht in die Schule gehen können, ist besonders ausweglos. Wenn die Kinder dann doch dort in die Schule gehen, erfahren sie Ablehnung und Rassismus. Das können wir einfach nicht zulassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich finde es, gelinde gesagt, unsäglich, dass sich die Bundesregierung über all diese Erkenntnisse hinwegsetzt. Ich frage mich ernsthaft, wo sie das Vertrauen hernimmt, dass diese Entscheidung eine richtige oder gute war. Ist es vielleicht Bequemlichkeit? Wer von der Bundesregierung kontrolliert eigentlich am Ende, ob das Kosovo die Rechte dieser Minderheiten wahrt, die wir abgeschoben haben? Die Tatsache, dass im Kosovo in dem neuen Gesetz für die lokale Selbstverwaltung die vorher vorgesehenen proportionalen Beteiligungen von Minderheiten im öffentlichen Dienst einfach abgeschafft wurden, zeigen doch ganz klar eine andere Richtung auf. Das ist aktuell.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Aber die Bundesregierung handelt frei nach dem Motto: „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Ja, es ist die Bundesregierung, ja, es ist auch Kompetenz des Bundes. Dennoch finde ich, dass sich SchleswigHolstein hier besonders starkmachen kann und einer Bundesinitiative - vor allen Dingen in eine neue Richtung - den Rücken stärken kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich sage das vor allem vor dem Hintergrund, dass sich Deutschland in seiner dunkelsten Vergangenheit an der Ermordung Hunderttausender von Roma, an deren Deportation besonders schuldig gemacht hat. Vor diesem Hintergrund ist es für mich eine historische Verantwortung, die Deutschland trägt und gegenüber den Roma übernehmen muss.

Deshalb sage ich Ihnen: Es tut nicht weh, eine Richtung zu ändern. Es tut auch nicht weh, sich für die Rechte von Minderheiten einzusetzen. Es tut auch nicht weh, die beschlossene Praxis zu überdenken und Fehler einzugestehen. Ich weiß, dass ich einer Fraktion gegenüberstehe - wenn auch kaum welche hier sind; wahrscheinlich haben wir einen Schlagabtausch gemacht -, die es noch nicht einmal für nötig hält, den Roma und Sinti ihr Recht als schützens- und förderungswürdige Minderheit in der Landesverfassung zuzugestehen, obwohl sie auf Landesebene zu den vier nationalen Minderheiten gehören und obwohl einige der Roma-Familien hier auf eine dreihundertjährige Familiengeschichte in Schleswig-Holstein zurückblicken können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN - Zuruf: Und länger!)

- Und länger!

(Luise Amtsberg)

Ich vermute auch, dass mein Appell an die FDPFraktion - die erstaunlicherweise fast vollständig ist - verhallen wird. Mit ihrem neuen Koalitionspartner sind sozusagen selbst die wenigen guten Seiten Ihrer Partei flötengegangen. Dennoch werde ich nicht müde, Ihnen an dieser Stelle zu sagen, dass der Maßstab in dieser Frage nicht das Parteiprogramm oder gefährdete Wählerstimmen sind. Es ist eine einfach Abwägung, die wir an vielen Stellen schon getroffen haben. Es geht um Menschenrechte, und vor allem geht es darum, dass wir nicht das Recht haben, Menschen in ein Land zu schicken, das ihnen keinen Schutz bietet, keine Perspektive bietet und ihre Gesundheit, im schlimmsten Fall ihr Leben einfordert. Das ist unerträglich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Ende. Mein letzter Satz ist: Hören Sie endlich auf damit!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Das Wort für die CDU-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Astrid Damerow.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kollegin Amtsberg, es ist ein wenig schwierig, auf Ihre Ausführungen in der gebotenen Form zu antworten. Es ist immer recht einfach, irgendwelche Pauschalurteile oder Verurteilungen in den Raum zu stellen. Sie werden allerdings durch die stetige Wiederholung nicht unbedingt wahrer.

(Beifall bei der FDP)

Eines ist symptomatisch für die Diskussionen, in denen es um Integration, Aufenthaltsrecht oder Flüchtlings- und Asylpolitik geht. Immer wieder hört man von allen Teilnehmern, dass gerade in diesen Bereichen Pauschalurteile selten richtig sind. Das gilt sowohl in die eine wie auch in die andere Richtung.

Daher befremdet es etwas, wenn Sie in Nummer eins des vorliegenden Antrags die Landesregierung pauschal auffordern, keine Roma und Ashkali mehr in das Kosovo abzuschieben, und dass sich

Schleswig-Holstein über die Innenministerkonferenz bundesweit pauschal für einen Abschiebestopp für Roma und Ashkali einsetzen soll. Es sollen außerdem ohne jede Einzelfallbetrachtung pauschal alle Möglichkeiten der Aufenthaltsverfestigung ausgeschöpft werden, unabhängig davon, mit welcher Sachlage wir es im jeweiligen Einzelfall zu tun haben. Das halte ich in dieser Generalität doch für ein wenig schwierig.

Gegen Ihren Antrag sprechen allerdings auch noch ein paar andere Gründe. Das Instrument der Abschiebung ist aufgrund seiner Bedeutung und Folgen in Deutschland sehr genau geregelt. Die rechtlichen Hürden für eine Abschiebung sind nicht gering. Erst wenn die zuständigen Behörden geprüft und entschieden haben, dass der Aufenthalt in Deutschland nach den geltenden Gesetzen nicht weiter gewährt werden darf und wenn danach ein ausländischer Staatsangehöriger seiner Pflicht zur freiwilligen Ausreise nicht nachkommt, dann kommt es gegebenenfalls zu einer zwangsweisen Abschiebung. Ich denke, das ist allen hinlänglich bekannt.

Wer dabei als Betroffener mit einer Entscheidung der Behörden nicht einverstanden ist, dem stehen klar geregelte Widerspruchsmöglichkeiten und gerichtliche Verfahren zur Verfügung, in denen die Betroffenen gegebenenfalls bestehende Einwände und Härtefälle geltend machen können. Ich halte es deshalb nicht für richtig, wenn wir beschließen würden, dass sich unsere Landesregierung zugunsten bestimmter Minderheiten in all diesen einzelnen rechtsstaatlichen Verfahren undifferenziert einmischen soll. Klarstellen möchte ich aber, dass wir von der CDU-Fraktion uns nicht den humanitären Nöten dieser Menschen verschließen.

Jetzt komme ich zur Beantwortung Ihrer Frage, warum der Bericht des Ministers zuerst erbeten worden ist. Wir möchten nämlich, bevor wir uns ein Urteil bilden, zunächst einmal genau wissen, wie die Lage wirklich ist. Deshalb haben wir diesen Bericht gefordert. Erst dann können wir erforderlichenfalls weitere Schritte beschließen.

Nur eine Presseerklärung von PRO ASYL zu zitieren, wie Sie es in Ihrem Antrag getan haben, oder auf Zeitungsberichte aus den letzten Jahren zu verweisen, scheint uns doch ein bisschen zu einfach zu sein.

(Zuruf der Abgeordneten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn die Lebensbedingungen in den Camps Osterode und Cesmin Luk angeführt werden, muss

(Luise Amtsberg)

man schon sehr genau überlegen, wie man diese Informationen bewertet. Wir haben nachgefragt und von der Bundesregierung die Auskunft erhalten, dass kein Fall bekannt ist, in dem aus Deutschland zurückgeführte Personen in diesen Camps unterkommen. Im Gegenteil. Seit Mitte 2008 findet kein Zuzug in diese Camps mehr statt. Das ist verboten.

Außerdem ist die Bundesregierung nach einer dezidierten Prüfung ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, dass im Kosovo mittlerweile keine unmittelbare Gefährdung mehr nur aufgrund ethnischer Zugehörigkeiten besteht.

(Rolf Fischer [SPD]: Hoffentlich wissen die das auch im Kosovo!)

- Ich wiederhole hier die Meinung der Bundesregierung. Diese hat uns auch der Minister schon dargestellt.

Im Übrigen ist zu dieser Einschätzung nicht allein unsere Bundesregierung, sondern sind auch andere europäische Regierungen gelangt, die ebenfalls bereits mit der Rückführung begonnen haben.

Vor fünf Wochen, am 14. April 2010, wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kosovo ein völkerrechtlicher Vertrag geschlossen. Der Minister hat das vorhin ausgeführt. Er regelt die Rückführung von Menschen in das Kosovo, für die nach geltender Rechtslage in Deutschland ohnehin eine Ausreisepflicht besteht.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, nachdem ein ähnlicher Antrag wie der Ihre bereits im Bundestag abgelehnt wurde, sollen wir nun unsere Landesregierung auffordern, dieses zwischenstaatliche Abkommen auszuhebeln. Dem können wir so nicht zustimmen.

Ich hatte vorhin schon mit Herrn Fischer darüber gesprochen. Ich sage ganz ehrlich, unser Antrag zielte zunächst darauf ab, den Bericht des Ministers zu behandeln, um auf dieser Grundlage abzustimmen. Gestern Abend habe ich den Bericht des UNHCR noch einmal sehr genau durchgelesen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir auch diesen 16 Menschen gegenüber eine gewisse Verpflichtung haben. Wir haben nun zwar die Meinung unserer Landesregierung dazu gehört, aber wir sollten uns doch die Zeit nehmen, den Flüchtlingsbeauftragten des Landes noch einmal dazu zu hören. Das ist eine Frage des Respekts gegenüber den Betroffenen.

Meine kritische Haltung zu Ihrem pauschalen Antrag bleibt aber bestehen. Deshalb schlage ich vor, beide Anträge an den Europaausschuss als feder

führenden Ausschuss und mitberatend an den Innen- und Rechtsausschuss überweisen. Dort werden wir intensiver über die Einzelheiten diskutieren können.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Kollegen Rolf Fischer das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Republik Kosovo ist trotz Unabhängigkeit und trotz Verfassung kein Staatsgebilde nach unserer Vorstellung. Noch immer ist Demokratie dort ein Fremdwort. Noch immer werden dort Menschenrechte mit Füßen getreten, und zwar häufig im wahrsten Wortsinne. Noch immer regieren Willkür, Gewalt und Korruption. Es fehlen Arbeitsplätze und Arbeit. Es fehlen Wohnungen und Schulen. Es fehlen Sicherheit und Selbstbestimmung. Es fehlen eine wirklich unabhängige Justiz und ein funktionierender öffentlicher Dienst. Es fehlt eine wirklich freie Presse.

Auf unseren Punkt bezogen fehlt vor allem jede Infrastruktur, jedes Interesse zur Eingliederung, zur Integration von Menschen. Das sagen nicht die Regierungen in Berlin oder sonst wo, sondern das sagen UN, OSZE, alle Fachleute und NGOs, die sich mit dieser Region befassen. In diese Gesellschaft schicken wir Menschen, schicken wir Roma-Familien, die in der Bundesrepublik vielfach seit Jahrzehnten eine Heimat gefunden haben. Das ist kaum erträglich. Vor allem ist das aus humanitären, christlichen, rechtlichen, sozialen, demokratischen, medizinischen und bürgerrechtlichen Gründen nicht hinnehmbar.

(Beifall bei SPD und SSW)

Die Abschiebung der Roma ins Kosovo ist auszusetzen. Die Menschen müssen bleiben. Wenn etwas zurückgenommen wird, dann das Rückübernahmeabkommen. Die anstehende Innenministerkonferenz bietet dazu eine Chance.