Protocol of the Session on March 18, 2010

Die Zunahme der verletzten Beamtinnen und Beamten ist dabei besorgniserregend, auch wenn es den höchsten Stand an Körperverletzungen zum Nachteil der Polizei mit 236 Fällen im Jahre 2007 gab. Einhergehend mit den Körperverletzungen ist eine Steigerung der Ausfalltage festzustellen, was auch einen Hinweis darauf liefert, wie schwer diese einzelnen Körperverletzungen gewesen sind. Sie beliefen sich 2009 auf insgesamt 827 Tage. Ebenfalls deutlich zugenommen hat die Qualität der Aggressionen. So gab es 2009 einen deutlichen Anstieg bei der Verwendung von Hieb- und Stichwaffen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte.

Auf der Suche nach Erklärungen für diese Entwicklung muss die Frage gestellt werden, ob es einen Wertewandel - zumindest in Teilen der Gesellschaft - gegeben hat, der mit einem grundsätzlichen Akzeptanzverlust der Polizei einhergeht. So nimmt die Bereitschaft zu, Konflikte mit Gewalt lösen zu wollen. Dies macht dann auch vor Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten nicht halt. Wir leben ganz offensichtlich in einer Gesellschaft, in der der Respekt vor der körperlichen Unversehrtheit des Mitmenschen abnimmt. Das ist jedoch ein Problem, dass die Polizei allein natürlich nicht lösen kann. Hier sind wir als Politik insgesamt gefordert. Deshalb halte ich die Diskussion über die Ursachen dieser Entwicklung auch für zwingend geboten, um entsprechend gegensteuern zu können. Für mich ist das auch ein entscheidender Grund dafür gewesen, dass sich Schleswig-Holstein an der KFN-Studie beteiligt hat.

Zur Nachsorge nach Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten bietet die Landespolizei Schleswig-Holstein vielschichtige Maßnahmen sowie Aus- und Fortbildung an. Die Landesregierung wird aber auch zu diesem Punkt die Ergebnisse der KFN-Studie sehr sorgfältig daraufhin analysieren, ob die bisherigen Nachsorgeangebote ausreichen oder ob zusätzlicher Handlungsbedarf besteht. Wenn er besteht, werden wir entsprechende Maßnahmen treffen.

Um der wachsenden Gewaltbereitschaft gegenüber Polizistinnen und Polizisten in unserem Land ent

gegenwirken zu können, bedarf es einer breiten Unterstützung aller gesellschaftlichen Kräfte. Um diese Unterstützung bitte ich Sie zum Schutz unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Redezeit des Ministers wurde um 1 Minute 41 Sekunden überschritten und steht somit auch den Fraktionen zur Verfügung.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Mit gestern zusammen sind das schon 10 Minu- ten!)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Werner Kalinka das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Innenminister hat die tragische Aktualität des heutigen Themas ausgeführt. Die Gewalt gegen Polizeibeamte - auch in Schleswig-Holstein - ist erschreckend. Die Zahlen sind genannt: 704 Widerstandshandlungen in 2009. Das bedeutet, dass es jeden dritten Tag in Schleswig-Holstein einen verletzten Polizeibeamten gibt. Das sind Zahlen, bei denen wir nicht zur Tagesordnung übergehen dürfen. Unsere Polizeibeamten sollen wissen: Ihre Situation ist unser Thema. Wir stehen hinter ihnen, und wir danken ihnen für ihre schwere und zum Teil gefährliche Arbeit für unser Land und die Bürger.

(Beifall bei CDU und FDP)

Immer erschreckender und alarmierender sind Intensität und Verrohung der Widerstandshandlungen. Ich zitiere Beispiele: „Angriffe durch Straftäter im privaten Bereich als Rache“, „Schwere Beinverletzung bei Verfolgung eines Straftäters“, „Jochbeinbruch durch Streitigkeiten“, „Verletzung bei Fußballrandale“, „Durch Straftäter angeschossen anschließend mehrere Wochen dienstunfähig“. Ich könnte das fortsetzen.

Demonstrationen sind ein Schwerpunkt, wo Gewalt ausgeübt wird. Ich denke, wir alle wollen von dieser Stelle aus die Hoffnung äußern, dass die Demonstration am 27. März 2010 in Lübeck friedlich verlaufen möge.

Gewalt gegen Polizeibeamte wird inzwischen aber auch im häuslichen Bereich ausgelöst, also bei Einzeldienstmaßnahmen im täglichen Leben.

(Minister Klaus Schlie)

Zum Dritten wird Gewalt ausgeübt von Tätern, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen.

Das Thema „Rocker- und Gewaltkriminalität“ darf niemand unterschätzen. Dort gibt es Bereiche, die in andere Strukturen hineinreichen. Hiergegen vorzugehen erfordert hohes polizeiliches Können, Motivation und - ich setze das hinzu - Mut. Ich erinnere nur an die Waffenarsenale, die im vergangenen Jahr in Flensburg entdeckt wurden. Das ist eine andere Form der Gewalt, die uns entgegenschlägt.

BKA-Chef Jörg Ziercke hat sich in der „Welt am Sonntag“ vom 31. Januar 2010 wie folgt geäußert:

„Die Konfrontationsgewalt zwischen Rechtsund Linksextremisten ist angestiegen. Beide Gruppen attackieren zunehmend die Polizei. Die Hemmschwelle … gegen Polizeibeamte sinkt, immer mehr Polizeibeamte werden verletzt. Dies bereitet uns erhebliche Sorgen. Im vergangenen Jahr griffen Linksextremisten 1.350 Mal die Polizei an, eine Steigerung um 120 %. Fast ein Drittel der Fälle waren Körperverletzungen. Und es gab rund 530 Angriffe von Rechtsextremisten - das sind fast 75 % mehr.“

Es geht um die Polizeibeamten. Es geht aber insgesamt um das Thema „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Diese hat sich in Schleswig-Holstein in den vergangenen Jahren etwa verdoppelt. Die Grafik verdeutlicht das.

(Abgeordneter Werner Kalinka hält ein Blatt Papier mit einem Balkendiagramm hoch)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gewalt ist kein Mittel. Wir dulden sie nicht, und wir akzeptieren sie nicht. Widerstand gegen die Staatsgewalt stößt auf unseren entschlossenen Widerstand. Der Staat hat das Gewaltmonopol - nicht die Chaoten, nicht die Gesetzesbrecher, nicht die alkoholisierten Figuren.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Polizeibeamte haben zwar eine Ausrüstung, aber sie sind auch Menschen mit Gefühlen und Ängsten. Auch deshalb denken wir an sie und stehen an ihrer Seite. Deswegen müssen wir sie bestmöglich ausstatten. Der Minister hat in seinem Bericht die Schwerpunkte genannt: psychologische Betreuung, Eigensicherung, persönliche Schutzwesten und Helme, Einsatzmehrzweckstock. Zu diesen Punkten gehört aber auch die Forderung, dass grundsätzlich zwei Beamte auf Streife sind. Das ist nicht ohne Bedeutung.

Wer an diese schwere Arbeit geht - zum Thema „Rocker-Kriminalität“ habe ich schon deutlich Stellung genommen -, der muss hoch motiviert sein. Wir werden die Diskussion über notwendige Personalstärken und benötigte Ausrüstungen im Rahmen der Haushaltsberatungen zu führen haben.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Kai Dolgner [SPD])

Polizei ist ein Bereich, in dem man sich leider die Aufgaben zum Teil nicht aussuchen kann. Das ist die Wirklichkeit. Wir wären ein nicht gut arbeitendes Parlament, wenn wir das nicht ganz offen ansprechen würden.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Herr Minister, Sie sollen wissen, dass ich das bewusst an dieser Stelle tue.

Wie begegnen wir manchen Situationen? Ich verweise auf das Beispiel der Staatsanwaltschaft im Landgerichtsbezirk Lübeck, wo immerhin 50 % der Widerstandshandlungen zur Anklage kommen. Das ist eine Zahl, die andere zum Nachdenken anregen müsste.

Die zweite Frage ist die strafrechtliche Normenausweitung und -verschärfung. Natürlich gibt es dazu differenzierte Meinungen; das ist klar. Aber es gibt auch gute Gründe, den Äußerungen des Innenministers des Landes Schleswig-Holstein zu folgen. Wenn der Rechtsrahmen ausgeweitet wird, dann hat das nicht nur eine abschreckende Wirkung auf Täter; das ist auch ein Hinweis an die Justiz, einen möglichen Rechtsrahmen breiter zu nutzen.

Der Werteverfall in unserer Gesellschaft ist eines der Probleme; das ist schon vorgetragen worden. Wir müssen dazu beitragen, dass der Werteverfall nicht dazu führt, dass der Staat und diejenigen, die für ihn stehen, in besonderer Weise attackiert werden. Deshalb muss der Staat klarmachen, dass er das Problem sieht und dass er agiert. Wir dulden keine Gewalt. Das sind keine Kleinigkeiten. Das sind keine Kavaliersdelikte. Das sind klare Rechtsverstöße.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen alles tun, damit die Menschen, die für uns handeln, Verletzungen ihrer Gesundheit möglichst wenig ausgesetzt sind.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die Fraktion der SPD hat Herr Abgeordneter Dr. Kai Dolgner das Wort.

(Werner Kalinka)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeden Tag riskieren Polizeibeamte Leib und Leben für unsere Gesellschaft. Der gestrige feige Mord in Anhausen - er ist schon angesprochen worden - ruft uns dies auf schreckliche Weise in Erinnerung.

Nach den hier vorgestellten Zahlen des Innenministeriums ist zwar die Zahl der Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte in den vergangenen drei Jahren ungefähr gleich geblieben. Auch wenn nach dem vorliegenden Bericht des Innenministers - ich zitiere - „nicht eindeutig feststellbar“ sei, ob „objektiv eine signifikante Steigerung zu verzeichnen“ sei, aus dem Verlauf aller Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt seit 1999 kann man allerdings feststellen, dass sich die Zahl verdoppelt und inzwischen auf ein inakzeptabel hohes Niveau eingependelt hat.

Zudem häufen sich, wie wir soeben wieder gehört haben, die Berichte aus der Polizei, dass nicht nur die Zahl, sondern auch die Schwere der Angriffe deutlich zugenommen hat. Übrigens erfassen diese Zahlen nicht jede Gewalthandlung gegen Polizeibeamte, sondern nur Widerstände während Vollstreckungshandlungen; das ist ein wichtiger Aspekt, auf den ich zurückkommen werde. Vorfälle, bei denen Polizeibeamte während der normalen Dienstausübung angegriffen werden, werden hier gar nicht erfasst.

Wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, dass sich die Landespolizei am Forschungsprojekt des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zur Gewalt gegen Polizei beteiligt. Wir hoffen, dass die auch in diesem Bericht wieder deutlich werdenden Erkenntnisdefizite verringert werden können.

Die immer wieder diskutierte Erhöhung des Strafrahmens des § 113 StGB halten wir allerdings nach wie vor für nicht zielführend. Schon jetzt sieht dieser nämlich eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren und bei Verwendung von Waffen - darunter fallen auch Knüppel und Pflastersteine - sogar von bis zu fünf Jahren vor. Dieser Strafrahmen wird schon heute äußerst selten ausgeschöpft. Was sollte angesichts dessen eine Erhöhung noch für eine generalpräventive Wirkung bringen?

Nun glaubt in diesem Parlament vermutlich niemand - bisher hat sich zum Glück niemand entsprechend geäußert -, dass sich die zunehmende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft allein durch eine Änderung der Strafnormen nachhaltig bekämpfen ließe. Trotzdem sehen auch wir in diesem Zu

sammenhang einen notwendigen Anpassungsbedarf. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des § 113 StGB die besondere Gefährdung und die daraus resultierende besondere Schutzbedürftigkeit der Amtsträger wie Polizeibeamte und Gerichtsvollzieher während einer Vollstreckung, zum Beispiel einer Festnahme oder Pfändung, vor Augen gehabt. Widerstand gegen solche Maßnahmen, zum Beispiel eine Verhaftung, hat es wohl schon immer gegeben. Dass aber Amtsträger schon deshalb angegriffen werden, weil sie als solche erkennbar sind, zum Beispiel durch eine Polizeiuniform, obwohl sie gerade keine Vollstreckungshandlung vornehmen, damit hat der Gesetzgeber damals sicherlich nicht gerechnet.

Wenn Polizeibeamte, zum Beispiel während des Streifendienstes oder während einer Demonstrationsbegleitung, nur deshalb angegriffen werden, weil sie im verdrehten Weltbild des Angreifers als „Feind“ gelten, dann werden sie gerade nicht durch § 113 StGB geschützt. An dieser Stelle besteht nach unserer Auffassung eine Lücke im StGB. Deshalb muss der Schutz der Beamten deutlich verbessert werden.

(Beifall bei der SPD)

Auch die Einsatzkräfte von Rettungsdiensten, Feuerwehr und des Strafvollzugs sind bei ihrer Dienstausübung zunehmend gewalttätigen Angriffen ausgesetzt. Deshalb sollten wir insgesamt über einen Sonderstraftatbestand nachdenken, der eine - nicht notwendigerweise höhere, eigentlich eher geringere - Freiheitsstrafe vorsieht und sie auch außerhalb von Vollstreckungshandlungen während der normalen Dienstausübung in besonderem Maße schützt. Dies hätte auch eine Signalwirkung gegenüber der Bevölkerung und würde zugleich auch die Rolle derjenigen würdigen, die bei der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung jeden Tag für uns alle den Kopf hinhalten respektive hinhalten müssen.

(Beifall bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Jens-Uwe Dankert das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeit unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten wird immer gefährlicher. Immer stärker sieht sich die Polizei

Anfeindungen und Attacken ausgesetzt; der Minister hat es gesagt, meine Vorredner auch. Weil eben der Abgeordnete Weber so ganz allein applaudiert hat, fordere ich Sie auf, Folgendes zu unterstützen: Wenn das Parlament heute über das bedrohliche Ausmaß von Gewalt gegen die Polizei debattiert, dann bekennt es erneut - und ich finde geboten verantwortungsbewusst seine Solidarität mit der Landespolizei.

(Beifall)