Protocol of the Session on February 25, 2010

Der Lübecker Pastor Karl Friedrich Stellbrink sprach am folgenden Sonntag auf der Kanzel davon, dass Gott in diesem Feuerhagel mit mächtiger Stimme gesprochen habe. Diese klaren Worte musste er mit seinem Leben bezahlen. Die Nazis richteten ihn und weitere Geistliche im November 1942 hin.

(Serpil Midyatli)

Gerade die geistigen Erben derjenigen, die Deutschland und ganz Europa ins Verderben stürzten, die Millionen von Andersdenkenden und Andersgläubigen ermordeten, die Demokratie und Menschenrechte wortwörtlich mit Füßen traten, rufen nun alljährlich zum Trauermarsch im Gedenken an den sogenannten alliierten Bombenterror in Lübeck auf. In Flyern rufen die rechtsextremistischen Veranstalter dazu auf, weder zu vergeben noch zu vergessen.

Es ist richtig: Wir dürfen die Toten des Zweiten Weltkrieges nicht vergessen, weder die in Deutschland, noch die irgendwo anders in Europa oder auf der Welt, wo der Zweite Weltkrieg - angezettelt von wirren deutschen Hirnen - getobt hat. Wir dürfen nicht vergessen, dass es Deutsche waren, die zwischen 1933 und 1945 Tod und Leid in das eigene Land und die ganze Welt gebracht haben.

(Beifall im ganzen Haus)

In 65 Jahren - seit der Kapitulation des Deutschen Reiches - wurde nicht vergessen, was war; nirgendwo. Zerstörung, Trauer und Hass wichen aber Frieden, Hoffnung und Freundschaft. Die Feinde von damals sind mittlerweile Freunde. Das wollen die Initiatoren der rechtsextremen Demo vergessen machen. Sie wollen alte Gräben aufreißen, die schon längst und zu Recht zugeschüttet wurden.

Auf dem Altar der neuen Kathedrale in Coventry steht ein originales Nagelkreuz. Es wurde aus Zimmermannsnägeln zusammengefügt, welche die Balken der mittelalterlichen Kathedralendecke zusammengehalten hatten, die durch deutsche Bomben zerstört wurde. Aus den Überresten der Zerstörung wurde so ein Symbol geschaffen, das den Geist der Vergebung und des Neuanfangs zum Ausdruck bringt; in Coventry, aber ausstrahlend auch auf Lübeck, Schleswig-Holstein und ganz Deutschland. Das Nagelkreuz von Coventry steht heute als Zeichen der Versöhnung, des Friedens und der Feindesliebe an vielen Orten der Welt, wo Menschen sich unter diesem Kreuz der Aufgabe stellen, alte Gegensätze zu überbrücken und nach neuen Wegen in eine gemeinsame Zukunft zu suchen.

Meine Damen und Herren, alle demokratischen Kräfte unseres Landes werden sich diesen Zielen sicherlich verbunden fühlen. Das Landeshaus wurde leider vor etlichen Jahren einmal zur Bühne von Neonazis. Ich bin stolz auf Schleswig-Holstein und seine Wähler, die im letzten Jahr keiner rechtsextremistischen Partei das Mandat gaben, hier wieder Platz zu nehmen. Es wäre unerträglich gewesen.

(Beifall im ganzen Haus)

Es muss zugleich festgestellt werden, dass unsere Demokratie mit solchen Gruppen durchaus umgehen kann. Auch wenn ein Verbot von rechtsextremistischen Parteien wünschenswert, aber rechtlich sehr schwer durchsetzbar ist, so haben solche Gruppen seit Gründung unserer Bundesrepublik keine breite Unterstützung in der Bevölkerung finden können.

Das darf uns die Hände nicht in den Schoß legen lassen, wenn es um die Verteidigung unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates geht, zum Beispiel in der Diskussion mit jungen Menschen, die den Umgang mit Demokratie erst erfahren müssen. Vor einiger Zeit saßen hier im Landtag Schülerinnen und Schüler einer Lübecker Hauptschule. Alle beteiligten sich sehr engagiert, als es um die Themen Nazis und Nazi-Demo in Lübeck ging. Das war keine Diskussion, die etwa von den Lehrern vorgegeben war. Nein, sie entsprang einem wirklichen Interesse der Schüler. Die Schüler machten sich Sorgen darüber, ob die Nazis jemals wieder an die Macht in Deutschland kommen und ob sie jemals wieder so viel Unheil anrichten könnten. Das Gespräch mit dieser Besuchergruppe dauerte länger als die üblichen 60 Minuten. Es hat mir aber bestätigt, dass unsere Demokratie wesentlich stärker verankert ist als braunes Gedankengut.

(Beifall)

Mitte Februar zeigte in Dresden ein breites Bündnis aus allen gesellschaftlichen Bereichen Rückgrat und ging erfolgreich gegen die Nazi-Demonstration vor, und zwar - das ist mir besonders wichtig - ohne nennenswerte Gewalt. Auch in Lübeck wird es in diesem Jahr zum ersten Mal ein Bündnis gegen die Nazi-Demonstration geben, das alle Demokraten der Stadt zusammenführt und sich klar gegen jede Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ausspricht.

Dieses Ansinnen zu unterstützen, die eindeutige Haltung unseres Hauses zu dem braunen Sumpf klarzumachen und die Polizei in ihrer schwierigen Aufgabe zu unterstützen, ist Sinn unseres Änderungsantrages, dem sich anzuschließen, ich Sie alle bitte. Ich freue mich, dass für diesen Änderungsantrag eine fraktionsübergreifende Zustimmung erreicht werden konnte.

(Beifall bei FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Gerrit Koch)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Luise Amtsberg das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten hier im Raum! Rechtsextremismus hat eine fiese Fratze: Der Strategiewechsel der NPD und ihre bürgerliche Schiene, die auf Schulhöfen mit freundlicher Miene Musik verteilt und mit sozialen und teilweise ökologischen Forderungen auftritt, Nazis, die in anderen Bundesländern in den Parlamenten sitzen und bei uns in einigen Kommunen, beispielsweise hier in Kiel oder in Mölln, der angepasste Neonazi, der in Schlips und Kragen und nicht mehr in Bomberjacken, Glatze oder Springerstiefeln daherkommt, sich aus dem Stadtbild als alarmierende Gefahr entfernt und versucht, ein bürgerliches Gesicht zu bekommen.

Völkische Sprache wird gesellschaftsfähig, frei nach dem Motto: „Kinder statt Inder oder: „Mehr Kindergeld, aber bitte nur für deutsche Kinder“. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Rechtsextremismus eine der größten Bedrohungen unserer demokratischen Grundordnung darstellt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und vereinzelt bei der FDP)

Nazis stehen für ein autoritäres System ein, lehnen Demokratie ab und fordern mit ihrer Ideologie einen homogenen Staat mit einem homogenen Volk. Rassistische Ressentiments, Nationalismus, Geschichtsverherrlichung, Antisemitismus, Homophobie, Behindertenfeindlichkeit oder Islamfeindlichkeit; rechte Gesinnung befindet sich in der Mitte unserer Gesellschaft, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

Wir wissen, dass dieses Problem schon längst kein deutsches Problem mehr ist. Der rege Austausch mit Dänemark oder anderen Nachbarländern zeigt, dass Kontakte deutscher Neonazis über unsere Bundesgrenzen hinausgehen. Auch die Wahlen zum letzten Europäischen Parlament zeigen, dass auch in anderen europäischen Ländern eine akute Bedrohung existiert.

Dieses Thema liegt mir als Antifaschistin, aber auch als Stellvertreterin für eine Generation am Herzen, die sich in ihrem Alltag in den Schulen, in

den Jugendclubs, im Freundeskreis, in Schützenvereinen und so weiter mit der bitteren Realität dieser Ideologie, mit Menschen in meinem Alter, die diese menschenverachtende Gesinnung nach außen tragen, auseinandersetzen muss. Diese Generation muss sich nicht nur damit auseinandersetzen, sonder sie müssen kämpfen. Sie muss dafür kämpfen, dass sie sich nicht dafür rechtfertigen muss, mit ihren ausländischen Freundinnen oder Freunden Zeit zu verbringen. Ich stehe hier für eine Generation, die Nazi-Deutschland nicht miterlebt hat und auch nicht die Aufarbeitung in der Nachkriegszeit, denn ich gehöre zur Generation Globalisierung. In dieser Generation sind fremde Kulturen, Religionen und Sprachen genauso selbstverständlich wie offene Grenzen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen hier an allen Stellen solidarisch zueinander stehen, denn es ist von jungen Menschen viel verlangt, die Selbstverständlichkeiten, die ich eben beschrieben habe, zu schützen. Das ist keine einfache Aufgabe an den Schulen in den dörflichen Regionen.

Ich möchte erst einmal der Fraktion DIE LINKE mit Nachdruck dafür danken, dass sie diesen Antrag und diese Initiative hier ins Parlament gebracht hat. Bedauerlicherweise ist es jedoch so, dass sie es abgelehnt hat, den Änderungsantrag mit zu unterstützen, der alle Fraktionen vereint. Ich finde das sehr schade, denn es geht hier um ein Thema, bei dem parteipolitische Strategien und Kalkül einfach keinen Platz finden dürfen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP, SSW und vereinzelt der LIN- KEN)

Eines ist wirklich selten: Es vereint uns, denn wir sind Demokraten und sollten hier mit einer vereinten Stimme nach außen sprechen. Ich rufe Sie auf, gegen den größten Neonazi-Aufmarsch Norddeutschlands am kommenden Montag friedlich auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Wir wollen in der Zukunft keine Nazis in diesem Parlament. Wir wollen keine vor unseren Schulen und keine auf unseren Straßen. Deshalb wollen wir auch am 27. März in Lübeck keine.

(Beifall)

Ich freue mich, dass wir diese Resolution beschließen können. Das ist ein symbolischen Akt, durch den wir den Opfern rechter Gewalt unsere Solidarität zukommen lassen, aber auch den vielen Aktivistinnen und Aktivisten gegen Rechts. Sie verdienen meinen und auch Ihren Respekt.

(Beifall im ganzen Haus)

Für die Fraktion des SSW hat jetzt die Fraktionsvorsitzende, Frau Anke Spoorendonk, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in Dresden machen es uns vor: Sie führten auch in diesem Jahr eine Vielzahl von Veranstaltungen, Konzerten, Gottesdiensten und Gesprächen als Ausdruck für ihre Trauer über die Luftangriffe auf ihre Stadt zwischen dem 13. und 14. Februar 1945 durch. Sie wehren sich gegen den Missbrauch ihrer Erinnerungen durch alte und neue Nazis. Damit tragen sie zur Versöhnung mit den Menschen bei, die durch die Bomben der deutschen Truppen ihr Zuhause verloren: Guernica 1936, Wielun in Polen, das erste Opfer des Kriegsausbruchs 1939, Coventry 1942, von der deutschen Wehrmacht zerstört und seit gut 50 Jahren Partnerstadt Dresdens. Ganz persönlich kann ich hinzufügen: Mein Schwiegervater, 1922 in Rotterdam geboren, musste am 14. Mai 1940 - einen Tag nach seinem 18. Geburtstag - mit ansehen, wie seine Heimatstadt durch deutsche Bomben in Schutt und Asche gelegt wurde.

Versöhnung und internationale Verständigung sind nur möglich, wenn Menschen und Staaten zu ihrer Geschichte stehen; wenn Opfer und Leid nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Daher sage ich: Was für Dresden gilt, gilt auch für Lübeck, wo Neonazis angekündigt haben, am 27. März wieder durch die Stadt marschieren zu wollen. Als Anlass soll die Bombardierung Lübecks durch die alliierte Luftwaffe im März 1942 herhalten.

In einer „Lübecker Erklärung“ appellieren Bürgerinnen und Bürger, vereint in einem Lübecker Bündnis gegen Rechts, sich dem zu widersetzen. Sie rufen zu Kundgebungen und gewaltfreien Aktionen auf. Der SSW begrüßt und unterstützt diese Initiative.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Sie ist notwendig, weil es ganz einfach unerträglich ist, wenn den Nazis Raum dafür gegeben wird, ihre faschistische Gesinnung offen zu zeigen und für ihre menschenverachtenden Ziele zu werben. Leider erleben wir bei öffentlichen Demonstrationen aber auch, dass gewaltbereite Gruppen mitmischen wollen. Daher ist es notwendig, darauf hinzuweisen,

dass das Prinzip der Gewaltfreiheit ein entscheidendes Merkmal unserer demokratischen Gesellschaft ist.

(Beifall im ganzen Haus)

Vor diesem Hintergrund muss auch immer wieder in Erinnerung gerufen werden, dass es die Aufgabe der Polizei ist - wie in dem gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, FDP, Grünen und SSW formuliert -, die Versammlungsfreiheit auch für jene zu gewährleisten, die sie eigentlich abschaffen wollen.

„Geh Denken!“ heißt in Dresden ein Bündnis, das der rechtsextremen Präsenz etwas entgegensetzen will. Darin finden sich Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, die Jüdische Gemeinde und verschiedene demokratische Interessengruppen aus dem gesamten Land. Denn was passiert, geht nicht nur die Dresdner etwas an. Wenn das Gedenken an die Opfer für neuen Hass missbraucht wird, dann betrifft es wirklich uns alle. Das ist der zentrale Punkt.

Damit wir eben diesem Punkt gerecht werden, wird es aber letztlich darauf ankommen, wie im Alltag dort, wo Menschen sich bewegen - mit Rechtsextremismus umgegangen wird. Denn rechte Aufmärsche setzen rechte Denkmuster voraus, an die angeknüpft werden kann und die sogar mitten in unserer Gesellschaft verankert sind.

Rechtsextreme Gewalt und Agitation ist auch in Schleswig-Holstein seit Jahren wieder zu einem Teil des Alltags geworden. Es ist also notwendig, dass die gesamte Gesellschaft erkennt, dass die rechtsextremistische Gefahr nicht von selbst wieder verschwindet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen mit guten Argumenten die viel zitierte Lufthoheit über Stammtische und Kaffeetafeln wiedergewinnen. Wir müssen Menschen davon überzeugen, dass wir nicht von Ausländern überschwemmt werden, dass Ausländer nicht den anderen die Arbeit wegnehmen, dass Asylbewerber auf der Flucht nicht Schmarotzer sind und dass Menschen aus verschiedenen Kulturen respektvoll zusammenleben können, ohne etwas zu verlieren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Alle Menschen haben ein Recht auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Alle Menschen sind gleich viel wert. Diese Dinge müssen wir jeder und

(Luise Amtsberg)

jedem klarmachen. Die besseren Argumente haben wir.

(Beifall im ganzen Haus)

Zum ersten Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Björn Thoroe von der Fraktion DIE LINKE das Wort.