Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich meine kirchenchorerprobte Stimme nicht als das erwies, was man ihr normalerweise abverlangen kann, hat mir die Kollegin Anette Langner ein Lutschdragee gegeben. Ich hoffe, dass ich mit neuer stimmlicher Kraft zur Biodiversitätsstrategie reden kann.
Meine Damen und Herren, zunächst einmal danken wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für den Bericht zur Biodiversität. Er liest sich auf den ersten Blick wie aus grüner Feder diktiert und dokumentiert in eindruckvoller Weise gleichermaßen die Gefährdung der Natur als auch gute Gründe für deren Schutz, Gründe, die selbst den letzten Betonkopf überzeugen müssten.
Der Schutz der biologischen Vielfalt muss uns also nicht nur ein Anliegen sozusagen aus Respekt vor der Natur und der Schöpfung sein, sondern er hat auch eine ganz harte ökonomische Komponente. Es bedarf in einigen Fällen harter Entscheidungen und Maßnahmen, um diesen Schatz der Natur, die unendlichen Werte, vor der Zerstörung zu retten.
Die Situation der biologischen Vielfalt in Schleswig-Holstein ist, wie aus dem Bericht hervorgeht, mehr als besorgniserregend. Jede dritte Säugetierart, jede zweite Vogelart, zwei Drittel aller Amphibienarten und beinahe jede zweite Gefäßpflanze sind bereits ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. Das ist ein dramatischer Verlust, ein Aderlass, den wir uns nicht länger leisten können und dürfen.
Was wir jetzt brauchen, sind ganz konkrete Maßnahmen und Zielvereinbarungen mit definierten Etappenzielen. Wie auch beim Klimaschutz haben wir kein Wissensproblem; wir haben ein Umsetzungsproblem.
Herr Minister, Sie erwähnten eine Reihe durchaus lobenswerter und auch erfolgreicher Maßnahmen und Projekte. Das wollen wir nicht kleinreden oder schmälern.
Schließlich sind viele dieser Projekte und Schutzmaßnahmen unter Leitung Ihrer Amtsvorgänger auf den Weg gebracht worden.
Was wir vermissen, sind konkrete, überprüfbare nicht nur Absichtserklärungen - Programme und Aktionen. So fordern wir zum Beispiel die Abkopplung des Wirtschaftswachstums vom Flächenverbrauch und die Reduzierung des Flächenverbrauchs von derzeit 120 ha pro Tag - meine Damen und Herren, 120 ha pro Tag! - auf 30 ha pro Tag bis zum Jahr 2020. Schöner wäre fast kein Flächenverbrauch. Eine Landschaft, die immer mehr in Stücke geschnitten wird, kann die Vielfalt von Ar
ten nicht erhalten. Sie schreiben das ganz richtig selbst in Ihrem Bericht. Bis wann soll der Flächenverbrauch und der Schwund von Arten des Ökosystems gestoppt werden? Bedauern allein hilft nicht weiter.
(Der Abgeordnete Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] trinkt einen Schluck Wasser - Minister Dr. Christian von Boetticher: Ausgerechnet an dieser Stelle!)
den Abschluss der Schutzgebietsausweisungen bis 2010, die Erstellung von Managementplänen für alle Gebiete und die Verbesserung des Erhaltungszustandes aller Arten und Lebensraumtypen bis 2020.
Wir fordern die Präzisierung und Ökologisierung beziehungsweise Festlegung einer guten fachlichen Praxis in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft bis 2010 und die Schaffung eines Systems von Wäldern mit natürlicher Entwicklung auf 5 % unserer Waldfläche.
Eine Vogelart haben Sie in Ihrem Bericht nicht erwähnt, Herr Minister. Das ist die Trauerseeschwalbe. Die Trauerseeschwalbe - ich sagte es schon - ist Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzung hier im Landtag gewesen. Ich habe immer gesagt: Ich will mich gar nicht um Methoden streiten, darüber, welchen Weg wir gehen. Sie sagen immer, Sie gingen mit den Menschen. Wir haben Reihen von Anhörungen durchgeführt, Verbände einbezogen. Maßstab kann doch nur eines sein, nämlich der Erhalt der Trauerseeschwalbe.
Frau Präsidentin, ich komme zum letzten Satz. Herr Minister, wenn ich erlebe, dass im Verantwortungsbereich Ihres Hauses auf Eiderstedt ein Wasserregime mit Pegelständen gemacht wird, die dazu führt, dass Maulwürfe am Grunde von Entwässerungsgräben zu finden sind, wo die Trauerseeschwalbe eigentlich ihr Nahrungsreservoir auf Was
serflächen hat, dann stelle ich fest, in Ihrem Verantwortungsbereich ist durch Ihre Politik ein sehr großer Beitrag zum tatsächlich zu beobachtenden Artenschwund geleistet worden.
Haben wir steigende Bestände von Trauerseeschwalben, die wir schützen wollen, auf Eiderstedt? Wir haben sie nicht. Wir haben geradezu ein Erliegen auf dem Stand von fast null.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW] - Minister Dr. Christian von Boetticher: Was sagen Sie zu den anderen 200 Arten? Offen- sichtlich ist er sonst mit uns zufrieden!)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an den Anfang einen herzlichen Dank an Sie, Herr Minister Dr. von Boetticher, und an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für Ihre Rede hier heute in diesem Hohen Haus, aber auch für den abgelieferten Bericht und die Bilanz, für die dieser Bericht spricht, stellen. Ich komme im Einzelnen darauf zurück.
Lieber Herr Kollege Matthiessen, ich danke Ihnen dafür, dass Sie im Großen und Ganzen - so war mein Eindruck - diesem Bericht doch einen gewissen Respekt gezollt haben. Ich erinnere Sie doch gern daran - auch wenn Sie jetzt ein paar Jahre in der Opposition sind -, dass all die Forderungen, die Sie aufgestellt haben, bereits seit Langem hätten erfüllt werden können in der Zeit, in der wir grüne Umweltminister in diesem Land hatten. Leider haben Sie da eine grottenschlechte Bilanz.
Der Verlust von Biodiversität, das heißt der Verlust von Lebensräumen und damit der Verlust von Arten und damit verbunden der Verlust genetischer Vielfalt ist nach wie vor Thema. Darum bin ich dankbar, dass Sie als Grüne dieses Thema ins Parlament gebracht haben. Wir müssen das Thema weiterhin ernst nehmen. Wir diskutieren das vor folgendem Hintergrund: Kürzlich hat der Weltnaturschutzkongress IUCN in Barcelona Feststellungen getroffenen. Um es zu verdeutlichen, zitiere ich aus der „FAZ“ vom 7. Oktober 2008:
„Dies geht aus der Roten Liste der IUCN hervor, die am Montag, am 6. Oktober, in Barcelona vorgelegt worden ist. Mehr als 16.900 der untersuchten Arten sind in Gefahr. Das sind 1.300 mehr als noch vor einem Jahr.“
Damit will ich deutlich machen, dass dieser Prozess rapide vorangeht. In dem vorgelegten Bericht haben wir die Zahlen auf Schleswig-Holstein runtergebrochen. Das kann jeder nachlesen.
Insgesamt ist es eine bedrohliche Bilanz. Ich begrüße außerordentlich, Herr Minister, dass Sie keine Augenwischerei betrieben haben, weder in dem Bericht noch mit dem, was Sie gesagt haben, dass Sie diese Situation und auch die Ursachen benannt haben. In einem Agrarland wie Schleswig-Holstein ist es nicht immer leicht, dies klar zu benennen, nämlich Ursachen wie Stoffeinträge, wie Entwässerungsmaßnahmen, aber auch wie Flächenverbrauch, für den der Straßenbau steht, für den die Siedlungsentwicklung steht, oder Themen wie Klimaveränderung, insbesondere das Thema Erwärmung.
Ich möchte zwei Punkte herausheben, weil ich hoffe, dass wir alle gemeinsam erkennen, dass wir vor diesem Thema die Augen nicht verschließen können und dass wir einen großen Konsens brauchen in diesem Haus und querschnittsorientiert in den unterschiedlichsten Aufgabenbereichen in unserem Land.
Wir haben heute Morgen eine intensive Diskussion zum Thema feste Belt-Querung geführt. Wir haben eine Diskussion zum Thema Straßenbau geführt. Auch ich als Umweltpolitikerin stehe dafür, dass wir in Schleswig-Holstein den Anschluss an den Rest der Welt nicht verlieren dürfen. Das bedeutet Straßenbau. Ich stehe dafür, dass wir Entwicklung
brauchen. Das heißt auch Siedlungsentwicklung. Ich stehe aber auch dafür, dass wir dies gemeinsam mit Augenmaß betreiben, um den Flächenverbrauch so gering wie möglich zu halten und um über Eingriffs-/Ausgleichsregelungen zu versuchen, die ökologischen Belastungen so gering wie möglich zu halten. Das ist verbunden mit Artensterben. Das ist verbunden mit dem Verlust von genetischer Vielfalt. Vor diesem Hintergrund müssen wir die Entwicklung unseres Landes sorgfältig planen, konsequent voranbringen, es aber auch endlich schaffen - darum ist der Konsens fraktionsübergreifend in diesem Haus erforderlich -, das vielbeschworene Thema Zusammenbringen von Ökonomie und Ökologie zu verwirklichen.
Dafür bietet dieser Bericht, glaube ich, eine hervorragende Grundlage. Die vielen Instrumente, die der Naturschutz im Laufe der Jahre entwickelt hat, werden aufgezählt, ob es die Landschaftsplanung ist, ob es die Schutzgebietsausweisungen sind, ob es die Umsetzung von NATURA 2000 oder die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie ist. Die Bilanz macht deutlich, dass das Haus hier in den letzten Jahren ganz wesentlich vorangekommen ist. Das Haus und auch Sie persönlich, Herr Minister, haben es geschafft, die Verbindung mit den betroffenen Menschen herzustellen und hier zu Gemeinsamkeiten zu kommen.
Darin sehe ich eine große Chance, das Thema Stopp des Verlustes der Biodiversität voranzubringen. Dazu gehören in der Tat - da, lieber Herr Kollege Matthiessen, stimmen wir wieder überein nicht nur Instrumente und viele Worte, sondern endlich auch die Taten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass in dem Bericht auch zu finden ist, dass Sie das Artenschutzprogramm aus dem Jahre 1983, also noch ein Artenschutzprogramm aus der Feder von Günther Flessner und Peter Uwe Conrad, überarbeitet haben und jetzt ein Artenhilfeprogramm 2008 neu auflegen, weil wir darüber dann endlich zu konkreter Umsetzung kommen können.