Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 36. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig. Erkrankt sind die Abgeordneten Olaf Schulze und Karl-Martin Hentschel sowie Minister Dr. Werner Marnette. Wir wünschen den Kollegen gute Besserung.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tagesordnungspunkten 4, 5, 11, 12, 15 sowie 19 bis 23 ist eine Aussprache nicht geplant. Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Tagesordnungspunkte 6, 24 und 26. Anträge zu einer Fragestunde oder einer Aktuellen Stunde liegen nicht vor.
Wann die weiteren Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, werden auch die, die sich jetzt noch fröhlich unterhalten, zu gegebener Zeit erfahren. Dies ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen in der 36. Tagung. Wir werden heute und morgen jeweils unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause längstens bis 18 Uhr tagen. Für Freitag ist keine Sitzung vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, auf der Tribüne begrüßen wir ganz herzlich Schülerinnen und Schüler der Ernst-Barlach-Realschule aus Wedel mit ihren Lehrkräften. Seien Sie uns ganz herzlich willkommen!
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? Das ist nicht der Fall. Dann hat die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, zur Beantwortung der Großen Anfrage das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinder- und Jugendpolitik ist in Schleswig-Holstein ein zentrales Schwerpunktthema dieser Legislaturperiode und - ich füge hinzu - mir persönlich ein sehr wichtiges Anliegen. Nichtsdestotrotz ist, auch wenn ich hier als Jugendministerin spreche, völlig klar: Jugendpolitik ist Querschnittsaufgabe und geht alle Politikbereiche an. Zur Beantwortung der Großen Anfrage der CDU-Fraktion waren deshalb neben dem federführenden Jugendministerium alle weiteren Landesministerien und die Staatskanzlei mit jugendbezogenen, jugendkulturellen Initiativen beteiligt. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Häuser danke ich an dieser Stelle herzlich für die gewohnt kooperative und gute Zusammenarbeit bei der Beantwortung dieser Anfrage.
Die heute vorliegenden Antworten der Landesregierung geben Auskunft über die Jugend in SchleswigHolstein, über ihre Lebenssituation, ihre soziale und ökonomische Lage, über ihre Ausbildung und Position am Arbeitsmarkt, über ihr Freizeitverhalten, ihr Interesse an Politik oder auch altersspezifische Risiken, und nicht zuletzt gibt diese Antwort auch Auskunft über unsere Jugendpolitik.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die gute Nachricht vorweg: Die allermeisten jungen Menschen in Schleswig-Holstein leben in gesicherten Verhältnissen. Sie blicken positiv in die Zukunft, und sie nutzen die vielfältigen Möglichkeiten unseres Landes für sich und ihre Entwicklung.
Wir müssen aber auch darüber berichten, dass es junge Menschen gibt, die auf der Schattenseite des Lebens leben, die nicht nur Probleme haben, sondern auch Probleme machen. Hier ist Politik natürlich in besonderer Weise gefordert, Korrekturen vorzunehmen und Förderprogramme auf den Weg zu bringen.
Jugend ist generell die Phase zwischen Beginn der Pubertät und Erwachsensein, eine Phase der Identitätsfindung und der Bestimmung des eigenen Plat
zes in der Welt. Jugend ist mehr als eine Übergangsphase, eine Zeit dazwischen, Jugend ist vor allem eine eigenständige Lebensphase. Hinhören und mitmachen, mit dieser Perspektive beteiligen wir unter anderem die Jugendverbände als unverzichtbare Gesprächs- und Kooperationspartner, wir unterstützen sie konsequent über die Förderung der Jugendbildungsreferenten. Die Ergebnisse geben uns recht: Zwei Drittel aller jungen Menschen organisieren sich in Jugendverbänden aller Art in Schleswig-Holstein. Das ist eine gute Entscheidung von diesen jungen Menschen, das ist aber auch ein gutes Angebot in unserem Land.
Von den vielen Facetten des Lebens von jungen Menschen in unserem Land ist nach wie vor die politisch größte Herausforderung, Chancengerechtigkeit und Entwicklungsperspektiven für die heranwachsende Generation zu ermöglichen. Es bedarf besonderer Anstrengungen, um alle jungen Menschen mitzunehmen, auch die, deren Lebenssituation durch soziale Benachteiligung und eingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geprägt ist. Wir müssen jeden mitnehmen, keiner darf verloren gehen. Das ist unser Credo.
Mit unseren jugendpolitischen Schwerpunkten verfolgen wir ressortübergreifend fünf zentrale Ziele. Erstens. Alle Kinder und Jugendlichen sollen gleiche Zugänge zu Bildungsmöglichkeiten erhalten, Bildungsbenachteiligungen wegen der sozialen oder ethnischen Herkunft müssen reduziert werden.
Zweitens. Die berufliche Integration von jungen Menschen soll alle erreichen, auch diejenigen mit besonderem Förderbedarf.
Drittens. Unsere Jugendpolitik setzt auf Ganzheitlichkeit. Deshalb ist die Förderung von Jugendkultur, Jugendverbandsarbeit, Jugendtourismus sowie Sport auch als Orte dafür informelles und selbstgesteuertes Lernen gewissermaßen das natürliche Zentrum von Jugendpolitik.
Viertens. Zeitgemäße Jugendpolitik verlangt nach Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten. Deshalb war und ist es so, dass Mitwirkung ein Markenzeichen schleswig-holsteinischer Jugendpolitik ist.
Fünftens. Gesundheitsförderung bei Jugendlichen das ist ein aktuelles Thema - ist eine elementare öffentliche Aufgabe. Dazu bekennen wir uns. Wir haben darauf zu reagieren, dass gesundheitsförderliche Ressourcen nicht bei allen im gleichen Maße
vorhanden sind, dass es eine soziale Schere gibt, die sich nicht weiter öffnen darf. Hier liegt die zentrale Aufgabe beim Ausbau der Kooperationen von Gesundheitswesen und Jugendhilfe.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ziel, ein Land jugendgerecht zu gestalten, hat Einfluss und Folgen auf alle Ebenen der Politik. Genau diesen nachhaltigen und ganzheitlichen Ansatz wollen wir auch. Dieser war Ausgangspunkt für die Entwicklung des Kinder- und Jugendaktionsplans KJAP. Er bündelte die großen Schlüsselthemen der jungen Generation und schaffte für die Voraussetzung für eine kooperative und kontinuierliche Bearbeitung. Er schaffte ein Dach für alle Engagierten im Bereich der Jugendpolitik in unserem Land.
Die Entwicklung junger Menschen mit allen Aspekten, Gesundheit, Bildung, Benachteiligung, Armut, Beteiligung, muss von der Politik im Zusammenhang gesehen und gestaltet werden. Dabei geht es uns hier nicht um modisches Synergiegerede, sondern um etwas ganz Einfaches: die Lebenssituation junger Menschen verlangt stimmige, abgestimmte Problemlösungen. Sie fragt nicht nach Ressortkompetenzen. Sie braucht eine integrative Orientierung an Lebenslagen und Lebensphasen.
Im Rahmen der Arbeit an dem Kinder- und Jugendaktionsplan hat sich gezeigt, dass ein Thema von herausragender Bedeutung ist, nämlich die Bekämpfung von Kinderarmut. Damit hat dieses Landesprogramm ein Tabu gehoben von einem Thema, das vielen nicht so präsent war. Die Programme „Kein Kind ohne Mittagessen“ oder „Kein Kind ohne Ferienerholung“ als zwei von fünf Elementen unserer Offensive gegen die Kinderarmut sind Ihnen inzwischen ein Begriff und ein Begriff im ganzen Land. Ich freue mich, sagen zu können, dass diese Programme vor Ort bei den Trägern und den Menschen Wirkung entfalten. Das ist wichtig. Denn nach wie vor gilt, dass Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr ein deutlich höheres Armutsrisiko haben als andere Altersgruppen, insbesondere Kinder nicht deutscher Staatsbürgerschaft. Wir werden das nicht hinnehmen. Wir bleiben auf Landesebene dran, aber auch die Bundesebene und die kommunale Ebene sind gefordert. Hier gilt ein ganzheitlicher Ansatz zur Bekämpfung der Kinderarmut in Schleswig-Holstein. Wir haben einen guten Anfang auf den Weg gebracht, aber wir sind längst noch nicht am Ziel.
Bildung ist auch unter dem Gesichtspunkt der Armutsbekämpfung das zentrale Zukunftsthema. Wir alle können den Zusammenhang zwischen techno
logischer Entwicklung, Herausforderung der Globalisierung und Bildung als Schlüssel zur Teilhabe in Beruf und Gesellschaft inzwischen auswendig herunterbeten.
Es ist gut, dass wir das können, aber es reicht nicht, das zu tun. Deshalb tun wir mehr. Das Land Schleswig-Holstein setzt auf längeres gemeinsames Lernen. Wir erweitern Bildungschancen nicht nur quantitativ um den Faktor Zeit, Zeit zum Lernen, sondern auch qualitativ, unter anderem durch die Kooperation von Jugendhilfe und Schule. Wir vernetzen diese Einzeleinrichtungen zu kommunalen Bildungslandschaften. Damit werden Lebensräume als Lernräume gestärkt, was insbesondere Kindern aus schwierigen sozialen Verhältnissen zugutekommt. Wir alle wissen aber auch, dass Bildungsbeteiligung nicht nur ein soziales Thema ist. Es bleibt Ziel, die Abiturentenquote in SchleswigHolstein zu erhöhen und dabei auch regionale Gefälle zu überwinden.
Auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik nimmt die Landesregierung ihre Verantwortung insbesondere für die Zielgruppe der benachteiligten Jugendlichen wahr. Hervorzuheben ist das Zukunftsprogramm Arbeit, das gemeinsam vom Bildungsministerium und Arbeitsministerium initiiert wurde. Jugendliche mit einem erhöhten Unterstützungsbedarf erhalten spezielle und hier wieder ganzheitliche passgenaue Förderangebote, um den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Der Erfolg gibt uns Rückenwind. Die Arbeitslosenquote ist in den letzten drei Jahren von 13,5 % auf 9,3 % gesunken. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis, insbesondere für jeden Jugendlichen.
An der biografischen Schlüsselstelle des Übergangs von der Schule in Ausbildung und Beruf muss die Maxime des Handelns lauten: Kein Jugendlicher darf zurückgelassen werden! Keiner darf auf den Weg in die eigenständige Existenzabsicherung verloren gehen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Gesundheit und Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen spielt eine immer größere Rolle im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Wir setzen auf Aufklärung, Motivation, auf den Erwerb von Schlüsselkompetenzen, insbesondere auch mit dem von der Landesregierung initiierten Aktionsbündnis gegen Alkohol bei Kindern und Jugendlichen. Das ist insbesondere ein Thema des Ministerpräsidenten, das er sehr vorangetrieben hat. Wir setzen auf dauerhafte Maßnahmen, die junge Generation über gesundheitsschädigende Folgen aufzuklären und sie zu einem kritischen Umgang mit Alkohol
zu bewegen. Dazu haben wir angesichts der Tatsache - das zeigt auch der Bericht -, dass jeder fünfte Mensch harten Alkohol und jeder zehnte junge Mensch Drogen konsumiert, allen Grund.
Neben diesen Aspekten, die allesamt Anlass zur Sorge und zum Handeln geben, soll aber nicht vergessen werden - das möchte ich immer wieder betonen -: Jugend bedeutet auch unendlich viele Möglichkeiten, Freundschaft und Gemeinschaft zu entwickeln, sich zu erproben, Interessen in Vereinen, Initiativen, Bands, Chören, Sport, Neigungskursen der Schule zu entwickeln. Der Bericht zeigt: Schleswig-Holstein bietet viele Möglichkeiten, und junge Menschen machen von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch.
Das leitet mich zu einem anderen Thema über, verbunden mit ein paar Anmerkungen in eigener Sache. Was denken Jugendliche eigentlich über Politik und über uns? - Die 15. Shell-Studie berichtet, dass das Interesse der Jugendlichen an Politik im Vergleich zu den Vorjahren leicht ansteigt, wenn auch weiterhin auf relativ niedrigem Niveau ist. Von Politikverdrossenheit der Jugend zu sprechen, wäre zu einfach. Richtig ist aber, dass eine Parteienverdrossenheit zu verzeichnen ist. Der Stil, wie Politik gemacht wird, beziehungsweise die demokratische Praxis in den Parteien erzeugt Ablehnung, Unbehagen. Die Jugend geht auf Distanz zur traditionellen Politik. Die Ergebnisse sind eindeutig. Nur jeder zweite junge Mensch unter 30 Jahre geht überhaupt zur Wahl. Im Gegensatz dazu aber steht das direkte Engagement der Menschen für Dinge, die sie unmittelbar betreffen, beziehungsweise wofür sie sich interessieren. Das sind nicht nur jugendspezifische Dinge, sondern das sind die Umwelt, die Natur, die Lebenssituation von jungen Menschen auch in anderen Ländern. Der Einsatz für gesellschaftliche Angelegenheiten von anderen Menschen gehört für junge Menschen selbstverständlich zu ihrem persönlichen Lebensstil dazu. Ob soziales oder ökologisches Jahr, Jugendverbandsarbeit oder schlicht die Nachbarschaftshilfe, die jungen Menschen sind dabei, sie sind engagementbereit, nur eben nicht zu den Bedingungen der Erwachseneninstitutionen. Das haben wir zu bedenken.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes hängt entscheidend von Chancen und Optionen ab, die wir als Politik, aber insgesamt die Zivilgesellschaft der nachfolgenden Generation geben. Galt das schon immer, so gilt das angesichts der demografischen Entwicklung in besonderer Weise. Ein Blick in die Zahlen zeigt: in 15 bis 20 Jahren wird die Zahl der jungen Men
schen in Schleswig-Holstein um 20 % gesunken sein. Es muss selbstverständlich und für uns alle elementar sein, jedem einzelnen Kind, jedem einzelnen jungen Menschen in Schleswig-Holstein eine Chance zu geben, eine gute Zukunft zu haben, sich zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu entwickeln. Wir wollen und brauchen eine starke junge Generation.
Das Wort hat der Vorsitzende der Fraktion der CDU, der Abgeordnete Dr. Johann Wadephul. - Redezeit bis zu zehn Minuten!
Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die 15. Shell-Studie aus dem Jahre 2006, in der 2500 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren zu ihrer Lebenssituation, ihren Glaubens- und Wertevorstellungen und ihren Vorstellungen zur Politik befragt wurden, zeichnet das Bild einer pragmatischen jungen Generation. Deutlich geworden ist aber, dass Jugendliche ihre Zukunftsaussichten gegenwärtig als ungewisser als noch vor mehreren Jahren ansehen. Deshalb ist es ein wichtiges Signal, dass wir heute im Landtag dieses Thema an prominenter Stelle, nämlich gleich zu Beginn der Plenar-Tagung, diskutieren. Ich bin froh, dass wir als CDU-Fraktion nach vielen Jahren das Thema wieder auf die Tagesordnung haben setzen können. Die letzte Große Anfrage dazu - die des Kollegen Torsten Geerdts - liegt schon mehr als 15 Jahre zurück.
- Insoweit ist er ein Stück weit auf dem Wege, Neugebauer der CDU zu werden. Nach meinem Dafürhalten wird es der Bedeutung der Jugendpolitik gerade auch als Querschnittsaufgabe nicht gerecht, wenn wir das Thema in so großen Abständen aufrufen. Es wäre deshalb gut, lieber Torsten Geerdts, wenn wir alle miteinander dafür Sorge tragen, dass Jugendpolitik häufig auf der Tagesordnung in Schleswig-Holstein steht.