Protocol of the Session on September 11, 2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich.

Erkrankt sind die Kollegin Regina Poersch und Minister Rainer Wiegard. Beiden von hier aus gute Besserung!

(Beifall)

Beurlaubt ist die Kollegin Frauke Tengler.

Auf der Tribüne begrüßen wir ganz herzlich Schülerinnen und Schüler der Heinrich-Heine-Gemeinschaftsschule aus Büdelsdorf mit ihren Lehrkräften, Angehörige des 2. Spezialpionierbataillons 164 aus Husum und Auszubildende unseres Landtags, und zwar auch diejenigen, die ihre Ausbildung gerade begonnen haben. - Ihnen allen ein ganz herzliches Willkommen!

(Beifall)

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im Wege der Dringlichkeit einen Antrag betreffend Künstlersozialkasse eingereicht. Dieser Antrag liegt Ihnen mit Drucksache 16/2223, wie gestern schon mitgeteilt, vor. Wird das Wort zur Begründung der Dringlichkeit gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich weise darauf hin, dass nach unserer Geschäftsordnung für die Bejahung der Dringlichkeit eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Ich lasse nun über die Dringlichkeit abstimmen und frage, wer der Dringlichkeit zustimmen möchte. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist es einstimmig so beschlossen.

Ich schlage Ihnen vor, den Antrag als Punkt 17 c in die Tagesordnung einzureihen, und bitte die Fraktionen, mir einen Vorschlag über die Redezeit und den Zeitpunkt des Aufrufs dieses Punktes zu machen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren. Aus dem Kopfnicken ersehe ich Ihr Einverständnis, dass wir diesen Tagesordnungspunkt dann entweder kurz vor der Mittagspause oder nach der Mittagspause heute Nachmittag aufrufen.

Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 17 auf:

Illegaler Datenhandel

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/2218

6902 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2224

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Wir haben zunächst darüber abzustimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich sehe keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Innenminister Lothar Hay das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ob in London der Verlust einer Festplatte mit Daten von 5.000 Justizmitarbeitern, bei Lidl die illegale Mitarbeiterüberwachung oder sonstige Versuche von Einschränkungen von Grundrechten oder in Lübeck die illegale CD mit persönlichen Daten von 17.000 Bundesbürgern: Mangelhafter Datenschutz alarmiert die Betroffenen und die Öffentlichkeit. Das Thema des illegalen Datenhandels ist aus meiner Sicht beileibe kein kurzfristiger medialer Aufreger, sondern der illegale Datenhandel bedarf langfristig der Aufmerksamkeit von Politik und Gesellschaft.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb bin ich für den Antrag der Fraktionen und dafür, dass wir heute hier im Landtag über den illegalen Datenhandel sprechen können, dankbar. Es handelt sich hierbei um ein ressortübergreifendes Thema. Deshalb spreche ich auch gleichzeitig im Namen von Frau Dr. Trauernicht und Herrn Döring.

Am 12. August dieses Jahres wurde der illegale Handel mit Kundendaten in einem für viele Menschen nicht vorstellbaren Umfang bekannt. Während seit den 80er-Jahren überwiegend die Datensammelwut des Staates im Zentrum der öffentlichen Kritik stand, geht es hier um den sogenannten nicht öffentlichen Datenschutz in der Wirtschaft. Der Mitarbeiter eines Lübecker Callcenters spielte der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein eine CD mit Daten von 17.000 Bürgern zu. Die CD enthielt unter anderem Angaben über Namen, Geburtsdatum, Adresse, Kontoverbindung und Telefonnummern. Bei allen soll es sich um Kunden der Süddeutschen Klassenlotterie handeln. Der von der Verbraucherzentrale informierte Landesbeauftragte für den Datenschutz stellte daraufhin

Strafantrag beim Landgericht Mönchengladbach. Die Polizei durchsuchte anschließend eine Firma in Viersen in Nordrhein-Westfalen, die die Daten an andere Unternehmen verkauft haben soll.

In Lübeck wurde am 13. August 2008 ein Callcenter durchsucht. Es soll von der Viersener Firma Kontodaten von Verbrauchern erhalten haben. Die SKL erstattete Strafanzeige wegen Datenmissbrauchs. Drei Tage später berichtete der Informant aus Lübeck von 1,5 Millionen Datensätzen, über die er verfüge. Am 18. August erhielt das ULD Schleswig-Holstein eine CD mit 130.000 illegalen Datensätzen von Verbrauchern. Bei 70.000 lagen auch Kontoangaben vor. Wie gut der illegale Datenhandel floriert, wurde klar, als der Ankauf von 6 Millionen Datensätzen im Auftrag der Verbraucherzentrale auf dem Schwarzmarkt zu einem Preis von 850 € gelang. Das heißt, 6 Millionen Datensätze konnte man auf dem Schwarzmarkt für 850 € bekommen. 4 Millionen der Datensätze enthielten zusätzlich auch Kontodaten. Die Staatsanwaltschaften wurden eingeschaltet.

Diese Schlaglichter machen die Dimension des Datenhandels deutlich. Was dies für einzelne Menschen, zum Teil auch ältere Menschen mit geringem Einkommen bedeutet, wurde nach und nach deutlich.

Wie hat die Landesregierung auf diese Entwicklung reagiert? In der letzten Woche habe ich gemeinsam mit der Sozialministerin eine Entschließung im Innenausschuss des Bundesrats eingebracht. Die Entschließung ist in die Beschlüsse des Gremiums bereits eingeflossen. Damit sollen Bürgerinnen und Bürger vor dem Missbrauch von Daten besser geschützt und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gestärkt werden. Gegenstand der Entschließung sind Änderungen im Bundesdatenschutzgesetz. Personenbezogene Daten sollen für Werbezwecke nur dann weitergegeben werden dürfen, wenn der oder die Betroffene vorher ausdrücklich zustimmt. Darüber hinaus soll es Firmen untersagt werden, einen Vertragsabschluss davon abhängig zu machen, dass der Kunde oder die Kundin der Nutzung von Daten zustimmt, die für die Abwicklung eines Geschäfts nicht notwendig sind. Außerdem sollen die Verbraucherzentralen gestärkt werden. In das Bundesdatenschutzgesetz soll eine klare Formulierung aufgenommen werden, die beinhaltet, dass es sich beim Datenschutz um Normen handelt, die Verbraucher schützen sollen. Verbraucherzentralen bekommen dadurch die Möglichkeit, zum Schutz der Verbraucher gegen Verstöße gerichtlich vorzugehen. Außerdem wurden von

Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6903

(Präsident Martin Kayenburg)

Frau Ministerin Dr. Trauernicht mehrere Anträge in der Sitzung des Agrarausschusses des Bundesrats eingebracht, um der Problematik der unerwünschten Anrufe zu begegnen, denn die sogenannten Cold Calls sind eng mit dem Problem des Datenmissbrauchs und der strafbaren Abbuchungen von Konten verknüpft. Ziel der Anträge ist es, dass Verträge nicht bereits am Telefon wirksam werden, sondern erst, wenn der Verbraucher sie durch eine nachfolgende Erklärung in Textform innerhalb von zwei Wochen bestätigt hat.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Mit dem Erfordernis der schriftlichen Bestätigung wird es Callcentern mit unseriösen Geschäftspraktiken deutlich erschwert, allein aus einem Telefonat einen Vertragsabschluss vorzutäuschen und eine Abbuchung bei den Angerufenen vorzunehmen. Auch diese Initiative ist im zuständigen Ausschuss des Bundesrats angenommen worden.

Justizminister Döring hat die Absicht, zum Bundesdatenschutzgesetz einen Plenarantrag für den Bundesrat vorzulegen. Demnach sollen zukünftig die Strafverfolgungsbehörden von sich aus aktiv werden können, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, zum Beispiel wenn eine Straftat bei besonders großen Mengen personenbezogener Daten erfolgt. Derzeit werden Straftaten nach § 44 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz nur auf Antrag verfolgt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Beschlüsse des sogenannten Datenschutzgipfels am vergangenen Donnerstag bei Innenminister Dr. Schäuble decken sich zum großen Teil mit den schleswig-holsteinischen Initiativen. Insbesondere das Prinzip „Einwilligung statt Widerspruch“ beim Adresshandel zu Werbezwecken liegt mir dabei besonders am Herzen. Wie Sie vermutlich den Medien entnommen haben, wurde ebenfalls die Einrichtung einer länderoffenen Arbeitsgruppe auf Ebene der Innenministerkonferenz vereinbart, die sich mit Verbesserungsmöglichkeiten in gesetzlicher Hinsicht sowie darüber hinaus mit Mängeln in der Vollzugspraxis des Bundesdatenschutzgesetzes beschäftigen soll. Alle regelungsbedürftigen Punkte sollen bereits im November zur Beschlussfassung in das Bundeskabinett gehen.

Bei den Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein wurden im Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 31. August 2008 insgesamt 172 Ermittlungsverfahren geführt, die den Verdacht des Verstoßes gegen die §§ 43 und 44 des Bundesdatenschutzge

setzes zum Gegenstand hatten beziehungsweise haben. Ob in einzelnen Fällen jeweils der Sanktionsrahmen ausgeschöpft wurde, kann nur anhand einer Einzelauswertung der betreffenden Verfahrensakten beantwortet werden. Dies war in Anbetracht der kurzen Frist leider nicht leistbar. Das ULD weist daraufhin, dass bei einem Sanktionsrahmen von bis zu 250.000 € die durchschnittliche Höhe eines erteilten Bußgeldes 2.200 € betrug. Rahmen 250.000 €, durchschnittlich 2.200 €; das macht, glaube ich, auch einiges deutlich. #zur Geschäftsordnung

Nun zu Ihrer Frage hinsichtlich einfacher Melderegisterauskünfte! Aufgrund eines Hinweises des ULD auf mögliche Unregelmäßigkeiten ergaben weitere Nachforschungen, dass Adressvermittler über umfangreiche eigene Datenbanken verfügen. Aus diesen haben sie eigenständig und auf eigene Rechnung beliebig Auskünfte erteilt. Daraufhin hat das Innenministerium den schleswig-holsteinischen Meldebehörden empfohlen, diesen Adressvermittlern solange keine einfachen Melderegisterauskünfte mehr zu erteilen, bis eine Erklärung vorgelegt wird, dass die Daten nicht in einer eigenen Datenbank gespeichert und nur an die anfragenden Auftraggeber weitergegeben werden. Von den betroffenen acht Adressvermittlern haben sechs diese Erklärung abgegeben. Diese erhalten nun wieder einfache Melderegisterauskünfte. Den anderen Adressvermittlern werden keine Melderegisterauskünfte mehr erteilt. Die Kontrolle, ob die Erklärung auch den Tatsachen entspricht, kann nur durch die zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder, für in Schleswig-Holstein ansässige Unternehmen durch das ULD, durchgeführt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, um Datenmissbrauch in der Privatwirtschaft zu vermeiden, muss auch der Staat dafür Sorge tragen, dass die Übermittlung von Daten aus amtlichen Registern an Private an strenge Voraussetzungen geknüpft wird. Deshalb hat das Innenministerium parallel zu einer Entschließung zum Bundesdatenschutzgesetz auch zum aktuellen Entwurf eines Bundesmeldegesetzes folgende Änderungsvorschläge gemacht: Die Weitergabe von Meldedaten für Werbezwecke wird unter einen ausdrücklichen Einwilligungsvorbehalt gestellt. Den Betroffenen wird das Recht eingeräumt, einer einfachen Melderegisterauskunft an gewerbliche Adresshändler, Auskunfteien oder Inkassodienste zu widersprechen. Die Adresshändler, Auskunfteien oder Inkassodienste werden verpflichtet, einfache Melderegisterauskünfte nur zu dem vom Auftraggeber genannten Zweck zur Verfügung zu stellen und die Daten nicht in eigenen

(Minister Lothar Hay)

Datenbanken zu speichern. Einfache Melderegisterauskünfte, die an gewerbliche Firmen, zum Beispiel Versandhandel, erteilt werden, werden der Zweckbindung unterstellt, um eine Datenweitergabe an Adresshändler zu verhindern. Ich gehe davon aus, dass durch diese Hürden bei der Erteilung von Melderegisterauskünften einem Datenmissbrauch entgegengewirkt werden kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein mangelhafter Datenschutz ist ein Freiheitsverlust für unsere Gesellschaft. Deshalb bedarf das Bundesdatenschutzgesetz nach meiner Auffassung dringend einer Generalüberarbeitung, um der rasanten technischen Entwicklung im Bereich der Telemedien durch entsprechende Anforderungen an den Datenschutz gerecht werden zu können.

(Beifall)

Das 31 Jahre alte Datenschutzrecht im nichtöffentlichen Bereich wurde seit 1990 nur bruchstückhaft novelliert. Notwendig ist jetzt aber - ich sehe dafür gegenwärtig auch in der politischen Öffentlichkeit viel Rückenwind - eine Grundinstandsetzung dieses Gesetzes.

Selbstverständlich ist jeder Verbraucher selbst gefordert, in der Öffentlichkeit mit Daten sparsam zu agieren. Aber der Staat hat gleichwohl eine Pflicht zum Schutz privater Daten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend Heribert Prantl aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 19. August 2008 zitieren, dem ich absolut nichts hinzuzufügen habe: „Mit Daten darf nicht herumgeworfen werden wie mit Bonbons beim Karneval.“

(Beifall)

Für die Fraktion der CDU hat das Wort deren Fraktionsvorsitzender, der Abgeordnete Dr. Johann Wadephul.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke dem Innenminister für den ausführlichen Bericht. Der im August in SchleswigHolstein bekanntgewordene Fall von 17.000 illegal gehandelten Daten ist offensichtlich leider nur die Spitze des Eisberges. Nach Einschätzung von Datenschützern sind in Deutschland etwa 10 bis 20 Millionen Kontodaten illegalerweise im Umlauf. Diese werden von einigen Callcentern für dubiose

Geschäftspraktiken genutzt. Dem Bundesverband der Verbraucherzentralen liegen zahlreiche Beschwerden von Personen vor, bei denen Beträge zwischen 50 und 100 € illegal abgebucht wurden.

Im Verlauf der aktuellen Diskussion - der Innenminister hat darauf hingewiesen - sind weitere illegale Datenbestände entdeckt worden. Aufsehen erregte insbesondere - Herr Hay hat darauf hingewiesen der Ankauf von nicht weniger als 6 Millionen Datensätzen zu einem Preis von 850 €. So etwas hätte man sich vorher nicht träumen lassen. Was besonders beunruhigend ist bei diesen Datensätzen: Zweidrittel beinhalten Kontodaten!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen vor der Frage, was wir gegen den ausufernden Datenmissbrauch tun können. Zunächst einmal war es absolut richtig und notwendig - ich danke für die konstruktive und aktive Beteiligung der Landesregierung an dieser Stelle -, dass Bundesinnenminister Schäuble am vergangenen Donnerstag einen Datenschutzgipfel veranstaltet hat. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Wir stehen allerdings am Beginn einer wichtigen Diskussion. So soll - das ist wohl das wichtigste Ergebnis - die Weitergabe von personenbezogenen Daten durch Firmen künftig nur noch bei ausdrücklicher Einwilligung der oder des Betroffenen erlaubt sein. Einen entsprechen Gesetzentwurf will das Bundesinnenministerium bis Ende November vorlegen. Bei Datenmissbrauch sollen zudem Strafen verschärft werden. Einzelheiten will nun eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz des brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm erarbeiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte dieses Ergebnis für absolut richtig und sage aber auch - die Politik, glaube ich, muss dies auch parteiübergreifend erkennen -: Es ist mehr als überfällig. Hier ist lange geschlafen worden. Es besteht dringender Handlungsbedarf, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei CDU und SPD)