Protocol of the Session on July 18, 2008

(Zuruf von der CDU)

- In den meisten Orten, nicht überall. - Es wäre sinnvoll, diese Entwicklung zu überdenken und die Konsequenzen aus dem Anmeldeverhalten zu ziehen. Eine Entscheidung sollte getroffen werden, bevor wir ein neues dreigliedriges Schulsystem etablieren, das niemand in diesem Saal will. Deswegen ist unser Antrag gestellt worden.

Wir als Grüne können nicht entscheiden, was von oben herab geregelt wird, sondern es geht darum, dass alle Parteien nachdenken. Die Diskussion ist nicht von uns angestoßen worden. Nicht wir haben diese Diskussion initiiert. Diese Diskussion ist von Mitgliedern der CDU initiiert worden, der einzigen Partei, die das dreigliedrige Schulsystem in neuer Form wollte. Ausgerechnet die einzige Partei, die die Regionalschule einführen möchte, nämlich die CDU, hat diese Diskussion in Lübeck durch ihren stellvertretenden Parteivorsitzenden und den Fraktionsvorsitzenden losgetreten, indem gesagt wurde: Es ist an sich blöde, dass wir drei Schulen haben. Wir brauchen nur noch zwei. Angesichts dessen, Herr Wadephul, dass Sie die Diskussion losgetreten haben, finde ich es unfair, die Schulen im Regen stehen zu lassen und zu sagen: Nun macht einmal weiter.

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ja, Frau Präsidentin. - Ich appelliere an Sie: Bevor wir in eine Richtung marschieren, die niemand in diesem Hause will, sollten wir korrigieren und die Konsequenzen ziehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Landesregierung hat nun die Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn Sie das neue Schulgesetz noch vor der endgültigen Umsetzung, bevor also noch ein einziger Regionalschüler irgendeine Schule dieser Art besucht, wirklich ändern wollen, dann rate ich Ihnen dringend zu einer anderen Vorgehensweise. Auf nichts reagiert die Bevölkerung so sensibel wie auf Bildungspolitik. Da ist es schon fast naiv, zu glauben, man könnte mit ein paar Federstrichen mal eben rigoros von oben herab, denn genau um solch eine Debatte handelt es sich - ich versetze mich gerade in die Situation von Lehrern und Schülern in SchleswigHolstein -, neue Tatsachen schaffen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

- Lieber Herr Klug, ich meine schon, dass wir mit der Verabschiedung des Schulgesetzes nach einer anderthalbjährigen und einer auch hier im Parlament sehr heftig geführten Debatte nicht von oben herab - darauf komme ich noch zurück - neue Tatsachen geschaffen haben. Vielmehr haben wir ein neues Gesetz mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit auf den Weg gebracht. Das ist - mit Verlaub - ein Unterschied.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Haben Sie sich einmal Gedanken gemacht - das frage ich in Richtung der Grünen -, wie bei der anzustrebenden Größe einer Gemeinschaftsschule, ihrer inneren Struktur, ihrem kompletten Angebot an Wahlpflichtfächern, an Fremdsprachen, ausgestattet mit den entsprechenden Ressourcen, das sie vorhalten sollen, das in Schleswig-Holstein möglich sein soll? Hierüber muss man sich mehr Gedanken machen, wenn man nicht einfach davon ausgeht, dass das Schulangebot noch einmal mit einem entsprechenden Ausbluten in der Fläche konzentriert werden soll.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich kann Ihnen nur sagen: Lange genug haben Sie darüber nicht nachgedacht. - Schauen Sie einmal auf den derzeitigen Stand. 48 neue Gemeinschaftsschulen sind zusätzlich zu den bereits 7 bestehenden genehmigt worden. Vorhin hat jemand von einer zwangsfusionierten Schule auf Fehmarn gesprochen. Ich kann mich nicht erinnern, dass dort jemand zwangsfusioniert wurde,

(Karl-Martin Hentschel)

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

sondern es waren demokratische Beschlüsse der Schulträger. Insofern muss ich das zurückweisen.

Rund 5.200 Schülerinnen und Schüler sind zum nächsten Schuljahr an den Gemeinschaftsschulen angemeldet worden. Im Bereich der Regionalschulen haben wir knapp 2.200 Anmeldungen an 35 Standorten. Entsprechend kleiner sind die dort entstehenden Systeme. Wenn man in die Richtung eines zweigliedrigen Schulsystems gehen wollte, worüber man ja bei einer günstigen Gelegenheit reden könnte, also nicht am letzten Tag vor den Parlamentsferien, dann müsste man sich die Konsequenzen für die Schullandschaft - das sage ich insbesondere Ihnen, Herr Wadephul - sehr sorgfältig anschauen. Eines käme jedenfalls nicht infrage, nämlich die Rückabwicklung der Gemeinschaftsschule.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Weder der Name dieser Schulart noch der Anspruch, eine Schule für Kinder aller Begabungen zu sein, steht für uns zur Disposition.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Die Zahlen in Schleswig-Holstein geben ja einen deutlichen Eindruck davon, in welche Richtung die Entwicklung unserer Schullandschaft geht, die wir vor anderthalb Jahren mit dem neuen Schulgesetz angestoßen haben. Wir haben nämlich dem Schulträger, den Eltern und den Schulen selbst mehr Freiheit gegeben, angefangen bei der Entscheidung über die Schulart auf der Trägerseite über die pädagogischen Konzepte der Schulen bis hin zur freien Auswahl aus dem Schulangebot auf Elternseite. Diese Freiheit hat sich bewährt. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass wir im ganzen Land jemals so eine im positiven Sinn intensive Auseinandersetzung über Schulentwicklung hatten wie in den vergangenen Monaten. Eine entscheidende Rolle spielt dabei in der Tat der Elternwille. So soll es auch bleiben beziehungsweise an einigen Standorten werden.

Wir erleben also bei der Aufgabe, bestehende Schulen in die neuen Schularten zu überführen, einen gewaltigen Gestaltungswillen der Schulträger. Sie können in den Zeitungen jeden Tag etwas darüber lesen, wie die Schulträger in die neuen Schularten investieren, und zwar von der Ausstattung bis hin zum zusätzlichen Personal, zum Bei

spiel Sozialpädagogen, was wir würdigen sollten. Es wird natürlich niemanden überraschen, dass ich mich als sozialdemokratische Bildungspolitikerin darüber freue, dass sich das durchgehende gemeinsame Lernen bis Klasse 10 an so vielen Standorten mit guten Konzepten und mit viel Engagement bei den Lehrkräften durchsetzt. Das ist das eine.

(Beifall bei der SPD)

Genauso gilt für mich als Bildungsministerin, dass die knapp 2.200 Regionalschüler, die jetzt an den Schulen anfangen und an ihnen unterrichtet werden, die gleichen Rechte haben wie alle anderen. Auch diesen Schülern sollten wir nun nicht vermitteln ich finde, das sollte lieber zurückgenommen werden -, dass sie sozusagen Opfer eines Schreckens ohne Ende werden.

(Widerspruch der Abgeordneten Anke Spoo- rendonk [SSW])

- Ja, liebe Frau Kollegin, das war flapsig gesagt. Ich weiß das. Aber es war eine Aussage im selben Geist wie die der Grünen: Das ist eine Schulart, die eigentlich nichts taugt. Die armen Schüler, die dort hingehen müssen! - Ich finde, so geht es nun auch nicht.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Spoorendonk?

Gern.

Liebe Frau Ministerin, bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich in meiner Argumentation im Konjunktiv versucht habe - ich kann das nicht so gut im Konjunktiv - darzulegen, was für den Grünen-Antrag sprechen könnte. Da habe ich dieses Bild benutzt. Ich habe nicht gesagt, dass das das ist, was der SSW will. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.

Das ist keine Frage, Frau Kollegin.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Das nehme ich zur Kenntnis, auch wenn es keine Frage war. Ich glaube auch nicht, dass Sie wirklich so denken.

Auch diese Schulart ist nämlich eine Weiterentwicklung, eine erfreuliche Weiterentwicklung gegenüber dem bisherigen System dreier voneinander abgeschotteter Schularten. Da hat es eine gewaltige Bewegung gegeben, und es gibt auch noch genug Widerstände, unter anderem auch unter vielen Mitgliedern der CDU - das weiß ich wohl.

Wir haben die Entscheidung der Eltern für diese Schulart zu respektieren. Wenn wir die Regionalschule nun in einem Hauruckverfahren wieder abschaffen würden, wäre aktuell der Schaden größer als der Nutzen, den Sie sich davon versprechen.

Ihnen geht es vor allen Dingen um Klarheit - sagen Sie -, und so begründen Sie auch Ihren Antrag. In der Praxis würde das so aussehen: Erst lassen Sie die Schulträger, die Schulen und die Eltern in aufwändigen Prozessen abstimmen und zu Entscheidungen kommen - viele Schulträger befinden sich noch mittendrin in diesem Prozess -, und wenn sich eine Tendenz herauskristallisiert, dann sagen wir einfach: „Jetzt reicht es aber mit der Entscheidungsfreiheit, jetzt schaffen wir die Schulart mit weniger Anmeldungen einfach wieder ab!“

Ebenso wenig hilfreich - auch das muss ich sagen, Herr Wadephul; ich hatte mir von Ihnen heute eigentlich ein bisschen mehr Klarheit erhofft -, waren Ihre vagen Andeutungen gegenüber der Presse, dass es in Zukunft weder Regional- noch Gemeinschaftsschulen geben sollte, sondern „eine Mischung aus beidem“. Das machen Sie einmal den Eltern klar, die ihr Kind bei einer Gemeinschaftsschule angemeldet haben, dass Sie diese Schulart verändern wollen, weil sie stärker nachgefragt wird als die Regionalschule. Das macht wirklich keinen Sinn.

(Beifall bei der SPD)

Nun ein Wort zum Mantra Schulartempfehlung. Das Argument, dass bisher nur wenige Schülerinnen und Schüler mit Gymnasialempfehlung bei den Gemeinschaftsschulen angemeldet worden sind, das zieht einfach nicht.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU: Nein?)

- Nein. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Belegen dafür geben - dafür reicht meine Zeit aber lei

der nicht -, dass Menschen mit Schulartempfehlungen den eingeschätzten Begabungen und Fähigkeiten nicht entsprachen und später einen höheren Schulabschluss gemacht haben, als ihnen prognostiziert wurde.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Es gibt Hauptschulempfohlene, die inzwischen renommierte Wissenschaftler sind.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Warum macht man das dann noch?)

- Ja, warum machen wir das noch? Das kann man sich wirklich fragen. Nach meiner Auffassung ist die Schulartempfehlung auch nach wissenschaftlichen Erkenntnissen obsolet.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Aber wir haben uns darauf verständigt, dabei bleibt es vorerst. Ich kann Ihnen aber sagen: Das ist überholt, auch wissenschaftlich überholt. Schulartempfehlungen sind Momentaufnahmen. Wir wissen genau, wie sich Kinder weiterentwickeln können, wenn sie in einem anderen, anregenden Schulartenmilieu sind. Sie wissen ganz genau, dass Kinder, wenn sie mehr Förderung bekommen, auch höhere Schulabschlüsse ablegen können, als ihnen sozusagen in die Wiege gelegt worden ist. Es ist aber auch nicht so, dass an den Gymnasien nur Kinder herumlaufen, die zu Hause schon den Klavierunterricht haben. Das stimmt auch nicht. Aber es gibt 30 % Realschulempfohlene an unseren Gymnasien. Was sagen Sie dazu? Wie viele von ihnen kommen denn zum Abitur? Wieso soll das denn bei den Hauptschulen, den Regionalschulen und Gemeinschaftsschulen in Zukunft anders sein?