Protocol of the Session on July 18, 2008

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich eröffne die Sitzung. Erkrankt sind Monika Schwalm von der CDU-Fraktion und Detlef Buder von der SPDFraktion. Weiterhin von diesem Ort aus gute Besserung an die beiden!

(Beifall)

Beurlaubt ist Sandra Redmann von der SPD-Fraktion.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich sehr herzlich die Bundesgrenzschutzkameradschaft Lübeck, ehemalige Bundesgrenzschützer, sowie Mitarbeiter und Bewohner der Werkstatt am Drachensee. - Seien Sie uns alle sehr herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Abschaffung der Regionalschulen und rechtliche Gleichstellung der Gymnasien und Gemeinschaftsschulen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2162

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion dem Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Itzstedt im Kreis Segeberg ist vor einem Jahr aus zwei Hauptschulen eine Gemeinschaftsschule gebildet worden. Die beiden Hauptschulen hatten im Jahr zuvor noch zusammen 20 angemeldete Kinder, jede zehn. In diesem Jahr wurden an der Schule 104 Kinder angemeldet, also fünfmal so viel wie vor zwei Jahren.

Die gegenteilige Entwicklung können Sie in der Gemeinde Selent im Kreis Plön beobachten. Selent hat sich für eine Regionalschule entschieden. Entgegen der Prognose des Schulverbandes wurden dort nur 33 Kinder angemeldet.

Auch in Lübeck haben sich mehrere Schulen darum beworben, Gemeinschaftsschule zu werden. Die CDU-Mehrheit im Rat wollte das gegen den Eltern

willen verhindern. Meine Damen und Herren von der CDU, das Ergebnis dieser Politik ist beeindruckend: Die CDU schaffte es, ihr Ergebnis von 51 % auf 26 % glatt zu halbieren.

Nun wollen Vertreter der CDU in Lübeck aus ihren Fehlern lernen und ihren Widerstand gegen die Gemeinschaftsschule aufgeben. Gut so!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der stellvertretende Landesvorsitzende der CDU, Rasmus Vöge, hat dasselbe gefordert. Gut so! Und der Fraktionsvorsitzende Wadephul hat sich in seinem bemerkenswerten Sommerinterview ebenfalls in diese Richtung geäußert, musste das aber zwei Tage später wieder richtigstellen.

Fazit: Die Regierungspartei SPD und alle Oppositionsparteien lehnen das Modell Regionalschule ab. In allen Befragungen lehnt die Mehrheit der Eltern diese Schulform ab. In Lübeck und einer Reihe anderer Gemeinden in Schleswig-Holstein wollen die Ratsversammlungen nun die von den Eltern abgelehnten Entscheidungen gegen Gemeinschaftsschulen kippen. Und die CDU, der wir diese ungeliebte Schulart zu verdanken haben, streitet sich intern immer mehr, ob diese Entscheidung richtig war.

Ich frage Sie: Ist es da wirklich noch sinnvoll, dass jetzt, nach den Sommerferien über 30 solche Schulen neu beginnen sollen? Wollen Sie das den Eltern, den Lehrern und vor allem den Kindern wirklich zumuten?

Es gibt einen alten Indianerspruch: Wenn du feststellst, dass du ein totes Pferd reitest, dann steig ab.

(Zurufe)

Herr Wadephul, es ist Zeit. Steigen Sie ab!

Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu den weiteren Punkten des Antrags. Wer die neu gegründeten Gemeinschaftsschulen besucht und mit den Eltern und Lehrerinnen und Lehrern redet, der stellt fest, dass wir noch eine ganze Reihe anderer ungelöster Probleme mit der Schulreform haben. Die Ursache dieser Probleme liegt nicht in den Schulen. Die Ursache liegt darin, dass die Schulform von der CDU nicht gewollt wird und sie sich deswegen nach allen Kräften bemüht hat, den Schulen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, gestatten Sie mir ein Zitat von einer Ihnen gut bekannten linken Bildungsideologin:

„Das dreigliedrige Schulsystem steht für eine Lernorganisation mit möglichst homogenen Schülergruppen und einer Lernförderung nach unterschiedlichen Begabungen. Die internationale Lernforschung kommt in der Mehrheit der vorliegenden empirischen Studie jedoch zu dem Befund, dass sowohl die Leistungsfähigen wie die Leistungsschwächeren in heterogen zusammengesetzten Lerngruppen größere Lernforschritte machen. Es kommt entscheidend auf die individuelle Lernförderung an.“

Die linke Bildungsideologin, die das gesagt hat, heißt übrigens Rita Süssmuth und war für die Union einmal Bundesministerin.

(Zurufe)

Wenn sie recht hat - und das ist die Grundidee der Gemeinschaftsschule -, dann müssen wir unter allen Umständen verhindern, dass wir von einer Dreispaltung der Schülerschaft zu einer Zweispaltung kommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn dann würde auch die Gemeinschaftsschule zur Restschule. Dann gehen in wenigen Jahren zwei Drittel aller Schüler aufs Gymnasium und der Rest wird abgehängt.

Wenn wir das nicht wollen, gibt es meines Erachtens nur einen Weg: Schaffen wir gleiche Chancen für Gymnasien und Gemeinschaftsschulen! Setzen wir auf einen kreativen Wettbewerb zwischen zwei Schulkonzepten, die beide zum Abitur führen können!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist der Grund dafür, dass wir fordern, dass Gemeinschaftsschulen und Gymnasien rechtlich gleichgestellt werden sollen. Das gilt für den rechtlichen Rahmen, die Freiheit der Curricula und für die Zugangsberechtigung. Damit fällt auch die Grundlage für die Einschränkung des Elternwillens bei der Wahl der Schulart und für das Querversetzen.

Meine Damen und Herren, wir wollen auch, dass die Entscheidung über die Länge der Schulzeit, nämlich G 8 oder G 9, nach der 9. Klasse fällt. Es ist Unsinn, die Schüler schon mit zehn Jahren einzuteilen. Es ist auch Unsinn, den ganzen zusätzlichen Schulstoff in die Jahre der Pubertät zu packen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Karl-Martin Hentschel)

Wenn wir in Zukunft auf individuelle Förderung setzen, dann kann nach der 9. Klasse individuell entschieden werden, ob die oder der Jugendliche direkt in die Oberstufe geht oder noch ein 10. Schuljahr als Vertiefungsjahr eingelegt.

Meine Damen und Herren, der nächste Punkt betrifft die Lehrerinnen und Lehrer. Es ist ein Unding, dass Lehrerinnen und Lehrer, die an derselben Schule dieselben Klassen unterrichten, auch in Zukunft unterschiedlich bezahlt werden und unterschiedliche Beförderungschancen haben. Es geht auch nicht an, dass Lehrerinnen und Lehrer an Gemeinschaftsschulen mehr unterrichten müssen als Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien, wenn sie die gleiche Arbeit tun. Die Unterschiede sind nur dann gerechtfertigt, wenn Lehrerinnen und Lehrer auch unterschiedliche Anforderungen bewältigen.

Wir halten es weiterhin für notwendig, dass alle Gemeinschaftsschulen eine eigene Oberstufe haben. Das kann auch bedeuten, dass mehrere Gemeinschaftsschulen oder Gymnasien eine gemeinsame Oberstufe haben, also ein Oberstufenzentrum. Dabei wollen wir dann auch die Beruflichen Gymnasien mit einbeziehen.

Eine solche Lösung ist für die Schülerinnen und Schüler sehr attraktiv, weil dann ein viel breiteres Angebot an Oberstufenprofilen möglich ist. Auch musisch-künstlerische Profile, von denen jetzt überall befürchtet wird, dass sie verloren gehen, auch Profile mit seltenen Fremdsprachen wie Chinesisch, Japanisch oder Russisch oder mathematisch-technische Profile, die heute selten angeboten werden, hätten dann eine bessere Chance.

Wenn wir wollen, dass die Jugendlichen an allen Schulen gleiche Chancen haben, dann müssen wir auch die unterschiedliche Zusammensetzung der Schülerschaft berücksichtigen. Schulen sind je nach Stadtteil und nach sozialer Herkunft der Schülerinnen und Schüler in unterschiedlicher Weise mit pädagogischen Problemen konfrontiert. Deswegen müssen wir einen Förderfaktor einführen, wie es zumindest in Skandinavien üblich ist. Schulen, die Schüler mit Handicap aufnehmen, Schulen, die sich größeren Herausforderungen bei der Förderung von schwachen Schülern stellen, müssen dafür entsprechend zusätzliche Ressourcen bekommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer A sagt, muss auch B sagen.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Ach was!)

Wer eine Reform des Schulsystems einleitet, muss auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Die

Blockade gegen die Herstellung von akzeptablen Rahmenbedingungen für Gemeinschaftsschulen schadet nicht nur den Schulen. Sie schadet auch der Union, wie man an den Wahlergebnissen in vielen Gemeinden sieht, wo sie den Elternwillen ignoriert hat. Ich fordere Sie deshalb auf, unserem Antrag zu folgen, damit wir möglichst noch in diesem Jahr eine entsprechende Novelle des Schulgesetzes verabschieden können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Herrn Abgeordneten Hentschel. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Sylvia Eisenberg.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir werden die Debatte gewin- nen!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir führen fast wieder so ein Ritual durch, wie wir das in diesem Halbjahr mindestens sechsmal gemacht haben. Von den Grünen kommt ein Antrag, entweder das Gymnasium abzuschaffen oder die Regionalschule abzuschaffen, aber zumindest die Gemeinschaftsschulen zu vereinfachen und flächendeckend zu gestalten, und von uns kommt natürlich immer mit entsprechenden Argumentationen eine andere Auffassung. So ist das.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern in ihrem Antrag die Abschaffung der Regionalschulen. Ich muss schon sagen, das ist ein starkes Stück. Ihr Antrag, Frau Birk und Herr Hentschel, ist ein Schlag ins Gesicht für alle 35 Regionalschulen mit nunmehr 2.210 Schülerinnen und Schülern, für Lehrer, Eltern und Schulträger, die sich für diese Schulart zum erstmöglichen Startbeginn im Jahre 2008 entschieden haben,

(Beifall bei der CDU)