Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung. Ich habe bekannt zu geben, dass die Abgeordnete Monika Schwalm und der Abgeordnete Frank Sauter von der CDU-Fraktion sowie der Abgeordnete Detlef Buder von der SPD-Fraktion weiterhin erkrankt sind. Ich wünsche ihnen von dieser Stelle aus gute Besserung.
Auf der Besuchertribüne darf ich sehr herzlich Kursteilnehmer der DEKRA-Akademie in Kiel sowie Seniorinnen und Senioren der Trinitatis-Gemeinde in Kiel begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!
Da mit diesem Antrag der Fraktionen von CDU und SPD ein mündlicher Bericht in dieser Tagung erbeten wird, bitte ich zunächst um die Abstimmung über diesen Berichtsantrag. Wer diesen Bericht nun hören möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. Dann haben wir so beschlossen, und ich bitte den Minister für Justiz, Arbeit und Europa, Herrn Uwe Döring, um seinen mündlichen Bericht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anders als bei den gescheiterten Referenden in Frankreich und in den Niederlanden hat der Europäische Rat nach dem Nein der Iren ein Signal gesetzt. Er fordert, dass der Prozess der Ratifizierung weitergeht. Allerdings muss man dazu sagen: Die Situation ist nicht einfacher als bei den beiden vorangegangenen Fällen. Denn nach wie vor müssen alle Mitgliedstaaten den Vertrag ratifizieren. Das heißt für Irland, gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten einen Weg zu finden, der den Ab
schluss dieses Prozesses ermöglicht, um auch die anderen Staaten, die ihrerseits die Ratifizierung noch nicht abgeschlossen haben, zu ermutigen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass dies auch für Deutschland gilt. Das haben manche vielleicht vergessen. Es liegt eine Verfassungsbeschwerde der Herren Gauweiler und Dehm vor. Diese hat zwar meiner Meinung nach keinerlei Aussicht auf Erfolg, aber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss noch erfolgen, und der Bundespräsident hat der Bitte des Verfassungsgerichts Folge geleistet und noch nicht unterschrieben.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob alle EU-Regierungen und die Kommission aus dem fehlgeschlagenen Verfassungsvertrag gelernt haben. Denn einige Reaktionen auf das irische Nein erinnern mich fatal an die alte Strategie der Denkpause. Sie beinhaltet, dass sich erst einmal alle beruhigen. Dann werden die Probleme kleingeredet, und dann wird möglichst wie bisher weitergemacht. Das hat damals nicht funktioniert, und - das sage ich voraus - das wird auch dieses Mal nicht funktionieren.
Der Verfassungsvertrag ist nicht gescheitert, weil die Iren die EU ablehnen, sondern weil sie über einen Vertrag abstimmen sollten, der schwer verständlich ist. Der Verfassungsvertrag ist auch nicht gescheitert, weil das „Marketing“ so schlecht war, sondern weil in der Diskussion nicht dargestellt werden konnte, worum es eigentlich geht. Ich glaube auch nicht, dass es einem besseren Verständnis der europäischen Ziele dient, wenn man so tut, als ob es nur Probleme in Irland geben würde
und diese Probleme dadurch gelöst würden, indem man so lange in Irland abstimmen lässt, bis es endlich passt. Ich denke, in dem Sinne hat Jean-Claude Juncker recht: „Wir überwinden die Krise nicht, wenn wir den Iren Standpauken halten oder sie in die Ecke stellen.“
Es wäre verhängnisvoll, wenn Irland ausgegrenzt würde, und es ist arrogant, den Iren zu sagen, ihr Votum zähle nicht, nur weil sie aus einem kleinen Land kommen.
Die meisten Iren, die mit Nein gestimmt haben, haben angegeben, nicht ausreichend informiert gewesen zu sein. Die anderen Begründungen reichen
vom Erhalt der irischen Identität über die Frage der Neutralität, der Steuerhoheit, des Abtreibungsverbots bis hin zur Forderung, dass es auch weiterhin auf jeden Fall ein irisches Kommissionsmitglied geben soll.
Wir müssen auch einen Blick darauf haben, dass unter denjenigen, die abgelehnt haben, insbesondere die Altersgruppen zwischen 18 und 24 sowie 25 und 39 und die Gruppe der Arbeiter besonders stark vertreten waren. Allerdings ist auch wichtig, dass 89 %, die sich am Referendum beteiligt haben, die EU-Mitgliedschaft eigentlich befürworten. Es handelt sich also nicht um ein generelles Nein zur Mitgliedschaft in der EU.
Von daher müssen wir uns fragen, was der wirkliche Grund ist. Wir sollten uns einmal Gedanken darüber machen, wie so ein Prozess bei uns ausgehen würde, wenn wir darüber abstimmen ließen. Ich denke, es wäre ähnlich. Es wäre eine relativ geringe Wahlbeteiligung, und es würde möglicherweise zu einem ähnlichen Ergebnis führen.
Woran liegt das? - Ich befürchte, dass die Menschen nach all dem, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, nicht mehr das Gefühl haben, dass sie die EU in ihrem täglichen Leben schützt. Ich denke, das Empfinden, dass sie die EU nicht mehr vor der Globalisierung schützt, hat sich verinnerlicht.
Das hängt auch ein bisschen mit der Historie der EU zusammen. Sie ist eine Wirtschaftsgemeinschaft gewesen, und sie ist ungemein erfolgreich. Wenn wir den Binnenmarkt nicht hätten, wäre das fatal. Das soll keine Kritik an der Entwicklung des Binnenmarktes sein, aber es ist nur eine Seite der Medaille. Wir haben gestern über das diskutiert, was der EuGH urteilt. Er legt europäisches Recht aus. Er legt es unter den Bedingungen, die wir zurzeit haben, aus. Es fehlen beispielsweise Regelungen im sozialen Bereich.
Wenn die EU in erster Linie eine Institution ist, die auf den Binnenmarkt und den freien Warenverkehr setzt, aber die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht schützt, dann werden wir eine ähnliche Situation wie in Irland haben, und diese wird sich vielleicht sogar noch verschärfen.
Ich möchte noch einmal auf das hinweisen, was gestern von Ralf Stegner zur Tariftreue gesagt worden ist. Ich befürchte eines ebenso: Wenn sich eine
solche Entwicklung tatsächlich abzeichnet, dann werden die Populisten bei allen Wahlen davon profitieren, also bei der Europawahl und auch bei der bevorstehenden Bundestagswahl. Das müssen wir verhindern. Es darf nicht sein, dass wir im Europäischen Parlament die Fraktion der Antieuropäer stärken. Es darf auch nicht sein, dass wir die Fraktionen der Antieuropäer in den nationalen Parlamenten stärken und somit die Extreme von Rechts und Links stark machen. Das heißt, diese europapolitische Debatte betrifft nicht nur Europapolitiker, sondern sie betrifft unsere grundsätzlichen Strukturen.
Meine Damen und Herren, Europa braucht bei diesem Prozess die Zustimmung der Mitgliedstaaten. Das ist richtig. Aber vor allem braucht Europa die Zustimmung der Menschen, die in Europa leben.
Ich betone auch, dass Auswege nicht funktionieren. Früher wurde beispielsweise über ein Kerneuropa oder über eine verstärkte Zusammenarbeit diskutiert. All dies wird aber nicht funktionieren.
Zum Ratifizierungsprozess zurück. Wir standen 1992/1993 mit Blick auf Dänemark vor einer ähnlichen Situation. Das Gleiche gilt für die Abstimmung im Jahre 2001/2002 hinsichtlich Irlands. Damals wurden Protokolle erstellt und Erklärungen aufgenommen. Diese Wege stehen sicherlich noch offen, aber um sie gehen zu können, braucht man eine gewisse Zeit, um die Fehlinformationen in Irland abbauen zu können.
Eines ist deutlich - das hat auch Staatspräsident Sarkozy in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament deutlich gemacht -: Wir müssen vor der Europawahl wissen, welche Spielregeln gelten. Ist es noch der Nizza-Vertrag, oder ist es der Vertrag von Lissabon? Vieles deutet darauf hin, dass wir uns noch eine Zeitlang mit Nizza beschäftigen müssen. Das heißt, es gilt weiter die Einstimmigkeit. Was das für uns alle bedeutet, muss deutlich sein. Es muss auch deutlich sein: Bei der Einstimmigkeit ist ein weiterer Prozess der Erweiterung in Europa nicht mehr möglich. Das ist die erste Konsequenz, die man daraus ziehen muss.
Die zweite - damit komme ich wieder auf das zurück, was das soziale Europa bedeutet - ist: Wir werden auch mit dem Nizza-Vertrag in Europa nicht weiterkommen, weil die osteuropäischen Staaten uns dies blockieren werden. Das ist eine Sa
che, die sich jetzt schon abzeichnet. Wir werden dann damit leben müssen, dass der eigentliche Steuerungsprozess nicht mehr von der Kommission, nicht mehr vom Europäischen Rat wahrgenommen wird, sondern vom Europäischen Gerichtshof, und zwar in eine Richtung, die zwangsläufig so gehen muss - das ist keine Schelte des EuGH -, dass der Binnenmarkt Vorrang hat vor anderen Entwicklungen. Deswegen müssen wir darum kämpfen, dass der Vertrag von Lissabon wirklich umgesetzt wird.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen hier natürlich auch keine Prognose geben. Aber ich denke, dass sind die wichtigen Elemente, die wir zu beachten haben. Wir sollten nicht nach draußen sehen und sagen, das ist ein irisches Problem. Das ist es nicht, sondern es ist ein allgemeines Problem. Wir haben es genauso. Wir müssen Europa in den Bereichen vollenden, in denen es bisher blind ist. Nur auf diesem Weg können wir die Zustimmung der Menschen in Europa bekommen, in Irland, aber auch in allen anderen Mitgliedstaaten.
Ich danke dem Herrn Minister und eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDU-Fraktion hat deren Vorsitzender, Herr Abgeordneter Dr. Johann Wadephul.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich den Ausführungen des Herrn Europaministers anschließen. Wir hätten uns sicherlich alle ein anderes Votum in Irland gewünscht. Jedoch, 53 % der irischen Wählerinnen und Wähler haben beim Referendum zum Lissabon-Vertrag mit Nein gestimmt, nur 47 % mit Ja. Ich meine allerdings, Herr Minister Döring, dass eine Wahlbeteiligung von 53 % eigentlich eine ganz ordentliche Beteiligung ist. Wir haben ja von vielen demokratischen Wahlen hier in Deutschland mittlerweile auch andere enttäuschende Ergebnisse zu verzeichnen. Ich kann die Enttäuschung, auch die Verärgerung einiger verstehen. Ich rate nur - gerade in Deutschland -, dass wir ohne Arroganz hinüberblicken, auch nicht besserwisserisch hinüberblicken und schließe mich Ihrer Prognose an. Was wäre wohl in Deutschland geschehen? Wie hätte wohl Deutschland abgestimmt? Ich glaube, Deutschland hätte auch negativ abstimmen können. Populisten
hätten hier in Deutschland das Wort geführt. Deswegen sollten wir mit den Iren pfleglich umgehen, weiterhin mit ihnen diskutieren, sie weiterhin überzeugen, aber nicht mit dem Zeigefinger auf sie zeigen. Ich meine, das steht uns nicht an.
Es hätte alles gut gepasst, meine sehr verehrten Damen und Herren. 23 Mitgliedsländer hatten dem Grundlagenvertrag mittlerweile zugestimmt, auch Deutschland. In der Tat, Minister Döring hat darauf aufmerksam gemacht: Das Bundesverfassungsgericht hat noch einmal um eine Pause gebeten. Die werden wir jetzt auch abwarten. Wir erwarten in allen übrigen Ländern ein positives Votum. Dann bliebe nur noch Irland übrig. In der Mitte des kommenden Jahres ist Europawahl. Es wäre mehr als wünschenswert, wenn wir den Prozess bis zur Europawahl unter Dach und Fach haben, damit wir an dieser Stelle auch weiterkommen.
Enttäuschend ist natürlich die Abstimmung auch deshalb, weil die Abstimmung an sich - Minister Döring hat darauf aufmerksam gemacht - schon das Ergebnis eines vorherigen Scheiterns gewesen ist. Vorher hat es in Frankreich und in den Niederlanden negative Abstimmungen gegeben. Ich weise auch darauf hin, dass wir auch schon vorher bei anderen nicht unbedingt deckungsgleichen Abstimmungen, beispielsweise über den Euro in den nordischen Ländern, negative Voten hatten. Das ist insgesamt keine Kleinigkeit. Die Europäer haben also in letzter Zeit nicht viel Glück bei ihren Versuchen, die Institutionen der Europäischen Union zu reformieren.
Wenn jetzt als Reaktion auf das Votum zu lesen ist, 800.000 Iren könnten doch 500 Millionen Europäer nicht aufhalten wollen, wenn gesagt wird, die Iren sollten sich überlegen, ob sie sich nicht selbst zurückziehen, dann muss Europa aufpassen, das Ziel der Einheit der Europäischen Union nicht aus den Augen zu verlieren. Wer den Eindruck erweckt, die Iren sollten jetzt isoliert werden, der gibt natürlich Wasser auf die Mühlen der Europaskeptiker und stärkt die Europagegner in Irland und anderswo. Das sollten wir nicht tun, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Deswegen sollten wir bei aller Enttäuschung und Verärgerung das demokratische Votum in Irland uneingeschränkt respektieren. Erstaunlich ist nur die Hilflosigkeit, mit der in vielen Ländern Europas reagiert wird. Es gibt keinen Plan B. Ich glaube, das