Protocol of the Session on July 16, 2008

Herr Abgeordneter Dr. Garg, was sagen Sie zu der Aussage Ihres Parteivorsitzenden Guido Westerwelle, der Bezug nehmend auf den G8-Gipfel im „General-Anzeiger“ vom 8. Juli dieses Jahres wörtlich gesagt hat: „Es ist deshalb unverantwortlich, dass die Bundeskanzlerin gerade in Japan auf dem G8-Gipfel den Ausstieg vertritt.“?

- Herr Kollege Wadephul, auch für den Kollegen Westerwelle gilt, dass er Meinungsfreiheit hat. Ich teile seine Auffassung dezidiert nicht. Auf dem Landesparteitag der FDP 2006 in Schleswig-Holstein habe ich für diese Ansicht, die übrigens einstimmig von der FDP-Landtagsfraktion geteilt wird, um eine Mehrheit gekämpft, und ich habe die Mehrheit in Schleswig-Holstein erhalten, Herr Kollege Wadephul.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zweitens. Herr Kollege Ritzek, Sie haben in Ihrem letzten Beitrag auch über die Verfügbarkeit von Uran gesprochen. Selbst wenn man die Zahl, die Sie zitiert haben, nämlich 80 Jahre, zugrunde legt, sind wir uns doch einig, dass sich auch dann, wenn Sie tatsächlich neue Kernkraftwerke oder neue Meiler - wie auch immer Sie sie benennen - bauen, wenn Sie die Anzahl der Reaktoren weltweit verdoppeln, die Verfügbarkeit halbiert und der Preis für diesen Rohstoff in die Höhe schnellt. Ihre ganzen Märchen über die preiswertere und stabilere Versorgung werden sich in Luft und Rauch auflösen, weil Sie aufgrund explodierender Rohstoffpreise gar nicht mehr gewährleisten können, dass es zu den von Ihnen hier propagierten Einspareffekten kommt.

Sie werfen anderen Rednern vor, sie würden sich nicht am Thema orientieren. Am schönsten finde ich, dass Sie in Ihren beiden Beiträgen nicht ein einziges Wort über die aus unserer Sicht zentrale Problematik verloren haben, nämlich über die Frage Endlagerung der radioaktiven Abfälle.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Sagen Sie doch einmal etwas dazu, die Frage zu beantworten, wo Sie den Müll in den nächsten 10 Millionen Jahren verbuddeln wollen. Sagen Sie doch einmal etwas dazu - dies richtet sich an die Vertreter Ihrer Partei, aber auch an die Adresse von Ministerpräsidenten -, an welcher Stelle Sie den bis heute schon aufgelaufenen Atommüll für die nächsten 10 Millionen Jahre sicher vergraben wollen. Wenn Sie mir darauf eine plausible politische Antwort geben können, bin ich auch bereit, mit Ihnen über die Verlängerung von Laufzeiten in dem Sinne zu diskutieren - jetzt hören Sie mir bitte genau zu -, dass wir uns überlegen, ob es nicht Sinn macht, im Rahmen des Energiekonsenses - wir sprechen von vereinbarten Reststrommengen - die Reststrommengen alter Atommeiler auf neuere Kernkraftwerke zu übertragen. Diese neueren Kernkraftwerke würden dann ein paar Jahre länger am Netz bleiben. Die gesamte Strommenge, die aus Kernkraft erzeugt wird, dürfte sich dann aber nicht erhöhen. Wenn Sie das meinen, wenn Sie von einer Verlängerung der Laufzeiten sprechen - ich weiß, dass Sie das nicht meinen; Sie wollen mehr Strom aus Kernenergie erzeugen; das wollen wir nicht -, könnten wir uns darüber unterhalten. Eine weitere Voraussetzung wäre freilich, dass Sie einen Beitrag dazu leisten, wo Sie den Atommüll verbuddeln wollen.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Dr. Heiner Garg)

Für die Landesregierung hat der soeben vereidigte Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herr Dr. Werner Marnette, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Auf der letzten internationalen Klimakonferenz der G8-Staaten wurde eine sehr ehrgeizige Zielmarke gesetzt: eine Reduzierung der CO2-Emissionen um mindestens 50 % bis zum Jahre 2050. Rechnerisch bedeutet dies, dass langfristig jeder Mensch, das heißt wir alle hier, nur 2 t CO2 pro Jahr emittieren darf. Dies ist, gemessen an der heutigen Situation, fürwahr ein sehr anspruchsvolles Ziel.

Wir haben gehört, dass die spezifischen Emissionen in Deutschland zurzeit noch bei knapp 10 t und in den USA sogar bei 20 t pro Jahr liegen. Andererseits steigen die CO2-Emissionen von Schwellenländern wie China und Indien von einem derzeit noch niedrigen Niveau aus extrem an. Die jährlichen Zusatzemissionen der Chinesen beispielsweise machen heute etwa das Vierfache dessen aus, was Deutschland von 1990 bis heute eingespart hat. Ich sage das hier, damit man einmal sieht, in welchem Rahmen wir uns - auch international - bewegen.

Klimaschutz ist ohne Zweifel eine der wesentlichen Zukunftsaufgaben.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein beachtlicher Teil der Treibhausgase - es geht hier nicht nur um CO2 - entsteht bei der Energieerzeugung. Das hängt mit dem System der Energieerzeugung zusammen. Deshalb muss hier nach Wegen zur Vermeidung von CO2-Emissionen gesucht werden. Erneuerbare Energien werden dazu einen wachsenden Beitrag leisten. Dies gilt vor allem für die Windenergie hier in Schleswig-Holstein, zu deren weiteren Ausbau ich mich namens der Regierung ausdrücklich bekenne.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Beim Ausbau der erneuerbaren Energien sind auch wirtschaftliche Aspekte und vor allem die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Energiemarktes entsprechend zu berücksichtigen. Dies gilt vor allem für den Ausbau der Photovoltaik. Völlig wertfrei sei hier gesagt: Diese Energieform verursacht zurzeit unter den deutschen Rahmenbedingen noch die

höchsten CO2-Vermeidungskosten. In unserer hoch technisierten Gesellschaft ist eine langfristig sicherere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen unverzichtbar.

(Beifall bei CDU und SPD)

Diese ist heute aber aufgrund verschiedener Faktoren - viele davon sind hier schon angesprochen worden - praktisch nicht zu gewährleisten.

Wir haben beispielsweise fehlenden Wettbewerb auf den Strom- und Gasmärkten zu registrieren. Ebenso haben wir - davor dürfen wir die Augen nicht verschließen - einen Rückgang der verfügbaren Ressourcen zu verzeichnen.

Schauen wir uns einmal die wichtigsten Ressourcen an. Steinkohle stammt aus politisch stabilen Regionen und ist deshalb im Hinblick auf die Verfügbarkeit weitgehend unkritisch zu betrachten. Wenn Sie sich die Landschaft beim Erdgas anschauen, ergibt sich aber, dass die Situation sich ganz anders darstellt. Die heimische Braunkohle liefert einen wesentlichen Beitrag zur Stromerzeugung in der Grundlast. Die Grundlast ist sehr wichtig für die Versorgung unserer Wirtschaft und unserer Bürger. Regenerative Energieträger werden zunehmend zum Rückgang kritischer Abhängigkeiten, wie ich sie eben angesprochen habe, beitragen.

Ganz wertfrei sei in diesem Zusammenhang gesagt: Auch Kernbrennstoffe stammen aus geopolitisch unbedenklichen Regionen, haben aber natürlich auch dies ist hier angesprochen worden - eine limitierte Reichweite. Ich schließe daraus, dass der Energiemix auch im Hinblick auf die Verfügbarkeit zurzeit noch vielseitig bleiben muss, und zwar so lange, wie wir noch kein langfristig gesichertes Energiekonzept haben.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ein ganz wichtiges Thema ist die CO2-Abscheidung. Die CO2-Abscheidung ist für die CO2-arme Stromerzeugung aus Kohle unverzichtbar.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wegen der Kostenintensität - das kostet Geld; darüber müssen wir uns im Klaren sein - und der langfristigen Tragweite ist dieses Thema auf Akzeptanz in der Gesellschaft angewiesen. Vorher sind die zurzeit noch unbeantworteten Fragen bezüglich der sicheren Lagerung zu klären. Auch da gibt es ein Lagerungsproblem. Die Politik muss die Debatte über diese Option rechtzeitig beginnen, um bald

möglichst eine Leitentscheidung in dieser zentralen Frage treffen.

Ich möchte hier auch noch einen ganz anderen wichtigen Aspekt in die Debatte werfen. Bis zum Jahr 2020 gehen bundesweit 40.0000 MW durch technisch überalterte Gas- und Kohlekraftwerke vom Netz. Weitere 20.000 MW gehen durch die Abwicklung der Kernenergie verloren. Dem stehen lediglich 32.000 MW an neu geplanten fossilen Kraftwerken gegenüber.

(Thomas Stritzl [CDU]: Aber nicht in Kiel!)

Auch die Einsparung ist ganz wichtig und wird natürlich auch massiv betrieben. Damit aber ergibt sich für das Jahr 2020 eine Versorgungslücke von 28.000 MW, die dringend geschlossen werden muss.

(Beifall bei der CDU)

Auch das ist hier bereits angesprochen worden. Zusätzlich fehlen im deutschen Versorgungssystem erhebliche Netzkapazitäten, die unter anderem für die intensivere Nutzung von Windenergie, vor allem aus unserem Bereich hier, aus den Küsten- und Offshore-Regionen, sowie für die Sicherstellung der Netzstabilität dringend benötigt werden.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Meine Damen und Herren, wer von Ihnen einmal in einem Leitwerk der Netzversorgung gewesen ist, der weis, dass den Menschen, die dort diese Anlagen betreiben, Schweißperlen auf der Stirn stehen, weil sie nicht mehr genau wissen, wie sie die Netze managen sollen. Darum müssen wir uns dringend kümmern.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Auch das ist zahlenmäßig belegt. Die Stromerzeugung aus Kernkraft ist zurzeit eine der CO2-ärmsten Technologien zur großtechnischen Stromproduktion und trägt mit rund 50 % zur deutschen Grundlastversorgung bei.

Rein betriebswirtschaftlich gesehen - ich lege dabei auf diese Betrachtungsweise wert - hat die Kernenergie die niedrigsten Erzeugungskosten, da der Brennstoffkostenanteil vergleichsweise gering ist und natürlich diese Anlagen quasi am Ende, am goldenen Ende ihrer Laufzeit aufgrund der Abschreibung angelangt sind.

Mit Rücksicht auf die drohende Versorgungslücke, die ich eben aufgezeigt habe, und der sich daraus

vermutlich ergebenden weiteren Preissteigerungen, ist der vorzeitige Verzicht auf deren Beitrag meines Erachtens auch klimapolitisch zu diskutieren.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU - Konrad Nabel [SPD]: Und wie ist das mit den Endla- gern?)

Der Betrieb der bestehenden Kernkraftwerke könnte daher während der Strukturveränderung hin zu CO2-armen Energiewirtschaft notwendig werden. Ich bin mir aber auch durchaus darüber im Klaren, dass gerade das Thema Endlagerung zurzeit noch nicht abschließend geklärt ist.

(Konrad Nabel [SPD]: Und die Kosten! - Zu- ruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Eine Laufzeitverlängerung dürfte allerdings nicht ausschließlich zum wirtschaftlichen Nutzen der Betreiber erfolgen, sondern sie muss den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes und der Wirtschaft gleichermaßen zugutekommen.

(Beifall bei der CDU)

Hierfür arbeite ich an Lösungsansätzen, die nicht in das Marktgeschehen der Preisbildung an den Märkten eingreifen, allerdings einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung mit den Kernkraftbetreibern bedürften.

Die Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke wird zurzeit unter dem Druck dramatisch gestiegener Energiepreise - ich kann die Bürgerinnen und Bürger wirklich verstehen, denn es kneift in der Tasche

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

politisch und in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert. Denkverbote in dieser zentralen Frage darf es hierbei nicht geben,

(Beifall bei der CDU)