Protocol of the Session on February 28, 2008

Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch immer sterben viel zu viele Menschen, die auf Wartelisten für eine Transplantation stehen, weil sie das dringend benötigte Organ nicht rechtzeitig erhalten.

Unser oberstes Ziel ist es deshalb, das Organspenderaufkommen zu erhöhen und das gilt - das ist hier schon deutlich geworden - leider ganz besonders für Schleswig-Holstein.

Ich begrüße es deshalb, dass der Landtag eine gesetzliche Regelung zur Ausführung des Transplantationsgesetzes trifft. Der Entwurf der Fraktionen

von CDU und SPD enthält im Vergleich zu dem der FDP-Fraktion aus meiner Sicht sehr viel klarere Regelungen und er ist unbürokratischer gestaltet.

Hinzu kommt, dass die Argumente der FDP gegen den Einsatz von Pflegekräften als Transplantationsbeauftragte nicht stichhaltig sind, da die derzeitige Praxis bereits zeigt, dass es im Wesentlichen darauf ankommt, dass soziale Kompetenz und daraus abgeleitete Autorität zum Tragen kommen kann. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Entwurf der Regierungsfraktionen heute Ihre Zustimmung findet.

Angesichts des bundesweiten Vergleichs zur Spendenbereitschaft in der Bevölkerung wurde längere Zeit - das können wir ruhig noch einmal sagen strittig diskutiert, ob ein solches Ausführungsgesetz, wie es heute vorliegt, zu einer Steigerung der Zahl der Organspenden beiträgt. Inzwischen sind wir uns alle einig: Ja, wir brauchen ein solches Gesetz, aber ein solches Gesetz allein wird nicht ausreichen. Es ist ein Baustein in einer Kette von Maßnahmen.

Ich begrüße dieses Gesetz ausdrücklich und hoffe natürlich, dass es seine Wirkung zeigen wird. Wir als Landesregierung werden alles dazu beitragen, dass das Ziel mit diesem Gesetz erreicht werden kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Transplantationsgesetz wird Rechtssicherheit geschaffen. Ein wichtiger Kernpunkt dieses Gesetzes ist es, dass jegliche Form des gewinnorientierten Umgangs mit menschlichen Organen unter Strafe gestellt wird. Doch trotz der gesetzlichen Vorschriften bleibt die Organtransplantation in der Öffentlichkeit ein überaus sensibles Thema. Das haben wir gerade in den letzten Monaten hier in Schleswig-Holstein schmerzlich erfahren müssen. Jeder Verdacht auf Unregelmäßigkeiten bei der Organvergabe alarmiert die Menschen, jede negative Schlagzeile wirkt sich negativ auf die Spendenbereitschaft aus.

Wir haben dies in Schleswig-Holstein erlebt, wo die Spendenbereitschaft nach den Negativschlagzeilen der letzten Monate deutlich abgesunken ist. Wer sich die Zahlen anschaut, ist erschrocken darüber, welche Wirkung der Vorwurf einer möglichen Zwei-Klassen-Medizin bei der Organtransplantation hier in Schleswig-Holstein gehabt hat.

Ich habe deshalb, wie ich bereits in der NovemberTagung deutlich gemacht habe, unverzüglich ein Gutachten bei Professor Raspe von der Medizinischen Hochschule Lübeck in Auftrag gegeben, um diese Fragen und Vorwürfe zur Organtransplantati

(Anke Spoorendonk)

on in Schleswig-Holstein zu klären. Die Auswertungen sind aufwendig. Herr Professor Raspe wertet zurzeit alle Akten von Patientinnen und Patienten aus, die ein Organ transplantiert bekommen haben. Er prüft dabei auch die Frage des Versichertenstatus. Das ist nicht einfach, aber wir werden zu einem klaren Ergebnis kommen können. Ich werde die Ergebnisse in Kürze hier im Parlament und in der Öffentlichkeit vorstellen.

Es ist schon deutlich geworden: Kampagnen tun not, Kampagnen hat es immer wieder gegeben; aber wir müssen auch immer wieder neue Ideen entwickeln. Im Mai werde ich deshalb gemeinsam mit dem Verein Transplantationsbetroffener in Schleswig-Holstein den Organspendesommer 2008 einläuten und lade Sie alle herzlich ein, dabei mitzumachen. Mit Unterstützung der Kieler AmericanFoodball-Mannschaft „Baltic Hurricanes“ werden wir in zahlreichen Veranstaltungen für die Organspende werben.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich erwarte für die schwer Kranken auf ein Organ wartenden Menschen, dass das Ausführungsgesetz einen Beitrag dazu leistet, die Organspendesituation in unserem Land zu verbessern.

(Beifall bei SPD und CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Der Ausschuss hat sich im Rahmen seiner Beratungen mit dem Gesetzentwurf der Fraktion der FDP, Drucksache 16/501, sowie mit einem dem Ausschuss vorgelegten Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und SPD befasst. Der Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP abzulehnen. Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss, den ihm vorgelegten Gesetzesantrag der Fraktionen von CDU und SPD in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung anzunehmen.

Die Fraktionen sind, abweichend von § 75 der Geschäftsordnung, übereingekommen, über beide Gesetzentwürfe in dieser Tagung abschließend zu entscheiden. - Widerspruch sehe ich nicht. Dann werden wir so verfahren.

Ich lasse zunächst über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP, Drucksache 16/501, abstimmen. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP, Drucksache 16/501, mit den

Stimmen von FDP und Grünen gegen die Stimmen von CDU und SPD bei Enthaltung des SSW abgelehnt.

Ich lasse nunmehr über den Gesetzesantrag der Fraktionen von CDU und SPD in der Fassung der Drucksache 16/1889 abstimmen. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW bei Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen.

Nunmehr rufe ich Tagesordnungspunkt 24 auf:

EU-Gesundheitsstrategie

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/1881

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Ursula Sassen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 23. Oktober 2007 hat die Europäische Kommission eine gesundheitspolitische Strategie verabschiedet, die im Gesundheitswesen für die Gemeinschaftsmaßnahmen der kommenden Jahre richtungweisend ist.

Das Weißbuch „Gemeinsam für die Gesundheit ein strategischer Ansatz der EU für 2008 - 2013“ legt einen weit gefassten Rahmen fest, der umfassend und kohärent auf eine Vielzahl von Herausforderungen eingeht, vor denen das Gesundheitswesen steht. Er sieht konkrete neue Maßnahmen vor, die unter anderem darauf abzielen, die Abwehr von Gesundheitsgefahren in der EU zu stärken, die Prävention und die Früherkennung von Krebs zu erhöhen und die Bürger mit den Instrumenten auszustatten, die sie benötigen, um aufgeklärte Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen zu können. Insgesamt soll die Strategie dazu beitragen, die Gesundheit in einem alternden Europa zu fördern, die EU-Bürger vor Gesundheitsgefahren zu schützen und dynamische Gesundheitssysteme zu unterstützen.

Das klingt gut und kommt - angesichts leerer Kassen im Gesundheitswesen - auch unserem Streben nach eigenverantwortlichem Umgang mit der Gesundheit und dem hohen Anspruch, das Gesundheits- und Präventionsland zu werden, sehr entgegen.

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

Die im Weißbuch festgeschriebenen Ziele und Maßnahmen sind teilweise sehr konkret und geben den Mitgliedstaaten eine Fülle von Handlungsfeldern mit auf den Weg. Angesichts solch detaillierter Überlegungen ist es nicht verwunderlich, dass in einigen der schriftlichen Stellungnahmen neben Anerkennung für das Engagement der Europäischen Union in Fragen der Gestaltung des Gesundheitswesens auch Kritik geübt wird. So äußerte sich zum Beispiel die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein dahin gehend, dass dieses Engagement in erster Linie ergänzend sein solle und dass die vorrangige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten nicht infrage gestellt werden dürfe.

In den Stellungnahmen taucht häufig die Vermutung oder Sorge auf, dass durch die Erhebung zusätzlicher Daten durch die EU über die auf nationaler Ebene bereits erfassten Daten hinaus eine unvertretbare bürokratische Belastung entstehen könnte. In der Stellungnahme des VdAK wird die Befürchtung ausgesprochen, dass sich die Kommission über indirekte Maßnahmen und über den Ansatz der „Unterstützung“ durch die Hintertür ein politische Betätigungsfeld erschließt, für das sie eigentlich keine Zuständigkeit besitzt.

(Manfred Ritzek [CDU]: Richtig!)

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände Schleswig-Holstein e. V. unterstützt den einheitlichen Ansatz, dem Bereich Gesundheit auf EU-Ebene mehr Gewicht zu verleihen, und begrüßt Initiativen in den Bereichen, in denen gemeinsames Handelns zielführend ist und zu einem zusätzlichen Nutzen für die Mitgliedstaaten führt. Kritisch wird bemerkt, dass Beteiligung und Mitwirkung an Entscheidungsfindungen an eine „Gesundheitskompetenz“ geknüpft wird, die die Fähigkeit beinhaltet, dass sich die Beteiligten selbst ein begründetes Urteil bilden können.

Dieses Problem lässt sich nach meiner Auffassung auch dann nicht zufriedenstellend lösen, wenn man, wie in der Stellungnahme dieser Verbände angeregt, Mittel bereitstellt, um Menschen zu befähigen, eine solche Gesundheitskompetenz zu erwerben. Das werden wir nicht schaffen.

Aus vielen anderen Politikfeldern haben wir - zum Teil leidvoll - erfahren - dabei denke ich beispielweise an die Diskussion um die FFH-Richtlinien an der Westküste -, dass EU-Politik auch störend sein kann und die Bewegungsfreiheit einschränkt. Wenn wir neben all der nationalen Regelungsflut im Gesundheitswesen zusätzlichen Bürokratismus durch die EU-Gesundheitsstrategie ohne echten Mehrwert

für die Bürgerinnen und Bürger vermeiden wollen, dann müssen wir uns einbringen.

Mit unserem Antrag wollen wir ein Zeichen setzen und an der Umsetzung der Strategie mitwirken. Wir sollten alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen. Das Subsidiaritätsnetzwerk des Ausschusses der Regionen, des sogenannten AdR, ist dabei ebenso hilfreich wie die Teilnahme an der Sitzung der Arbeitsgruppe der Landtagsdirektoren in der Europäischen Union, die am 25. Februar 2008 in Stuttgart stattgefunden hat.

Der grenzüberschreitende Gesundheitsmarkt findet bereits statt. Gestalten wir ihn mit!

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke der Frau Abgeordneten Ursula Sassen und erteile für die SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Rolf Fischer das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich den Anmerkungen von Frau Sassen noch einige wenige europapolitische und regionale Aspekte hinzufügen. Eines ist klar: Längst hat die europäische Dimension das Feld der Gesundheitspolitik erfasst. Ein Beispiel: Vor wenigen Tagen konnten wir ein Treffen mit dänischen Sozialdemokraten aus Syddanmark in Flensburg durchführen. Es bestand Einigkeit darin, dass der grenzüberschreitenden Gesundheitspolitik eine ganz besondere Bedeutung zukommen muss, weil der Wegfall der Grenze neue und kürzere Wege für Gesundheitsdienstleistungen eröffnet. Erste Ansätze in der Grenzregion sind vorhanden. Ich möchte im Anschluss an die Ausführungen von Frau Sassen hier kurz anführen, was dort schon in sehr vorbildlicher Weise praktiziert wird. Das Flensburger Malteser-Krankenhaus behandelt seit einigen Jahren auch dänische Tumorpatienten; hier entsteht ein grenzüberschreitendes Untersuchungs- und Diagnostikzentrum. Seit 2005 gibt es ein deutsch-dänisches Weiterbildungsprogramm für Rettungskräfte. Das sind Beispiele für die schon sehr erfolgreiche Zusammenarbeit im gesundheitspolitischen Bereich.

Das EU-Gesundheitsweißbuch für den Zeitraum 2008 bis 2013 nimmt sich dieser Entwicklung an und verlangt nicht nur von den nationalen Parlamenten und Regierungen, sondern auch von den Regionen politische Initiativen. Der Finanzrahmen

(Ursula Sassen)

des Aktionsprogramms der EU beträgt übrigens 320 Millionen €. Das ist nicht wenig Geld. Wir sollten versuchen, bei diesem Programm zu partizipieren.

Was sich leicht und nachvollziehbar darstellen lässt, ist in der politischen Praxis aber keineswegs ohne Probleme. Sozial- und Gesundheitspolitik seien im Wesentlichen nationale Aufgaben, so heißt es immer wieder. Diese Haltung wird sowohl von Krankenkassen und Ärztevereinigungen als auch von Teilen der Politik und der Gewerkschaften bis heute eingenommen. Noch immer ist die Sozialund Gesundheitspolitik also ein Hort des föderalen Beharrens. Tatsächlich aber dynamisiert sich die EU-Gesundheitspolitik längst. Die europäische Realität ist dabei, den Beharrungsansatz zu überholen. Ich denke, wir sollten gut darüber nachdenken, weil wir immer diejenigen sind, die das soziale Europa in den Vordergrund rücken. Wenn wir das soziale Europa wollen, dann heißt das - dies sage ich deutlich - konsequenterweise, dass der Europäische Binnenmarkt, also die Wirtschaftsorganisation ohne eine flankierende europäische Sozialpolitik einschließlich einer modernen Gesundheitspolitik nicht verantwortbar ist, und zwar im Sinne der Arbeitnehmer, von denen wir sehr viel Mobilität und Bewegung in Europa verlangen, denen wir aber noch immer nicht europaweit ausreichende soziale Sicherheit und Absicherung garantieren. Hier verstellen - ich will das ganz deutlich sagen - die nationalen Scheuklappen bisher den notwendigen Weitblick.

Wir müssen über dieses Thema auch unter anderer Perspektive diskutieren: Auch Patienten denken heute europäischer. Junge Ärzte wechseln zu europäischen Nachbarn und selbst die Krankenkassen europäisieren ihre Angebote. Die Anhörung hat gezeigt, dass die Befragten durchaus Chancen auf dem EU-Markt sehen. Diese Chancen liegen auf der Hand. Sie sind von uns zu greifen und ich denke, wir sollten das auch tun. Wir erwarten europaweit Schutz vor Krankheiten, eine gesunde Umgebung und Umwelt sowie Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Deswegen brauchen wir schon auf kurze Sicht und erst recht auf längere Sicht eine hochwertige Gesundheitsvorsorge innerhalb der EU.

Ich will an dieser Stelle noch einmal auf den regionalen Markt eingehen, weil dieser mir ein sehr gutes Argument gegenüber den Vorbehalten, die häufig auf nationaler Ebene bestehen, zu sein scheint. Die Vorbehalte der Regierungen und der Betroffenen gegenüber einer sich ausweitenden EU kann

ich zwar sehr gut verstehen, aber wir dürfen den Aspekt, dass wir durch den Wegfall der Grenzen auch gesundheitspolitisch in neuen Räumen denken müssen, nicht unterschätzen. Das ist Realität. Darauf müssen wir uns einstellen. Sie können den Menschen in den Grenzräumen nicht erklären, warum an der alten Grenze, die eigentlich überwunden ist, die gesundheitspolitische Vorsorge beziehungsweise die Versorgung Halt machen sollte. Das ist meines Erachtens nicht mehr zu erklären.

Wir brauchen also eine grenzüberschreitende Gesundheitspolitik. Für diese wollen wir uns starkmachen. Lassen Sie mich am Schluss sagen, dass Bewegung und Gesundheit nicht nur medizinisch zusammengehören. Sie gehören auch politisch zusammen. Insofern sage ich: Bewegen wir uns! Der vorliegende Antrag eröffnet uns dazu viele Möglichkeiten.

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)