durchgeführt. Was der Innen- und Rechtsausschuss unter einem unverantwortlichen selbst verantworteten Zeitdruck verabschiedet hat, das hat im Wortsinn nichts mit einem rationalen, eigenständigen Weg der Reform des Jugendstrafvollzugs in Schleswig-Holstein zu tun.
Zu den Hauptkritikpunkten! Ich finde es schäbig, ausgerechnet den Gefangenen im Jugendstrafvollzug den Empfang von Paketen mit Nahrungsmitteln zu streichen.
Wir sollten froh sein, wenn überhaupt familiäre und soziale Beziehungen gepflegt werden. Denn dies ist eines der Hauptdefizite in den schwierigen Lebenslagen dieser Jugendlichen.
(Rolf Fischer [SPD]: Das ist ein völlig popu- listisches Argument! Sie wissen doch genau, was dort los ist!)
Ich finde es schäbig, wenn weiterhin, wie es so schön heißt, bei gelegentlichen Belegungsspitzen mehrere Gefangene in einem Raum untergebracht werden können, und das auch in der Ruhezeit und ohne zeitliche Befristung. War das Menetekel des Foltermords in Siegburg nicht abschreckend genug?
Schäbig ist es auch, wenn es weiterhin für Wohngruppen keine zahlenmäßige Obergrenze gibt. Ich finde es ebenfalls nicht in Ordnung, dass es nach wie vor möglich sein soll, dass Jugendliche am Wochenende bis zu 23 Stunden eingeschlossen sind und keine Freizeit- und Sportaktivitäten angeboten werden - ausgerechnet am Wochenende, wenn ohnehin die meisten Suizide verübt werden.
(Widerspruch bei der CDU - Dr. Johann Wa- dephul [CDU]: Herr Kollege Hentschel, jetzt kriegen Sie sich wieder ein!)
(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das ist auch gut so und ist im Hinblick auf die Kultur des Hohen Hauses angebracht!)
Die Chance wurde vertan, die Qualität des Jugendstrafvollzugs in Schleswig-Holstein zu verteidigen und auszubauen. Nach wie vor ist die neu gebaute Anstalt in Schleswig ein bundesweites Modell, zu dem viele Experten aus dem In- und Ausland anreisen. Man kann nur hoffen, dass die Praxis weiterhin besser bleibt als das Gesetz. Die Chance zur Weiterentwicklung haben Sie mit diesem Gesetz jedenfalls vertan.
Ich komme nun zu dem zentralen Kritikpunkt der Experten, den Herr Kubicki bereits deutlich dargelegt hat. Es geht um das Übergangsmanagement. So gute Ansätze der Vollzug in Schleswig-Holstein entwickelt hat - die Ergebnisse sind immer noch bescheiden. In Schleswig-Holstein liegt die Rückfallquote bei 80 %. Das bedeutet: Vier von fünf Jugendlichen landen nach der Entlassung wieder im Gefängnis, entweder im Jugendvollzug oder im Erwachsenenvollzug. - Vier von fünf Jugendlichen landen wieder im Gefängnis.
Kriminologen haben aber nachgewiesen, dass bei einer besseren Entlassungsvorbereitung, bei einer verbindlichen Eingliederungsplanung, bei vernetztem Übergangs- und Integrationsmanagement die Rückfallquote im besonders gefährdeten Zeitraum des ersten Jahres nach der Entlassung in großem Umfang, bis zur Hälfte, reduziert werden kann. Das sind keine Untersuchungen, die nur theoretisch sind. Das sind Untersuchungen, die sich auf praktische Erfahrungen stützen.
Zurzeit kommen also vier von fünf Jugendlichen wieder zurück ins Gefängnis. Wenn wir daran etwas ändern können, wenn wir diesen Prozentsatz senken können, dann haben wir sehr viel für die Sicherheit der Menschen im Lande und auch für die Jugendlichen getan.
Wir schlagen vor und die Experten haben vorgeschlagen, dass bereits sechs Monate vor der Entlassung die freien Träger und die Bewährungshelfer an der Entlassungsvorbereitung beteiligt werden, damit die Kontinuität der Betreuung sichergestellt ist. Die Experten schlagen vor, dass möglichst viele Jugendliche in den offenen Vollzug und in den Vollzug in freien Formen kommen sollen, wie dies zum Beispiel in Baden-Württemberg bereits praktiziert wird.
In Schleswig-Holstein befinden sich nur 3 % der Gefangen im offenen Vollzug. Das war bisher schon der Regelvollzug. Das muss man dazusagen. Bisher schon war für den Erwachsenenstrafvollzug der offene Vollzug Regelvollzug. Sie haben gesagt, dieser Regelvollzug gehe zu weit. Er hat aber bisher dazu geführt, dass sich nur 3 % im offenen Vollzug befinden. Das heißt, man traut den anderen 97 % nicht zu, in den offenen Vollzug zu gelangen. Das bedeutet, man traut ihnen nicht zu, in Freiheit zu leben, und das wiederum heißt, man hält sie nicht für
Wenn wir das nicht ändern, dann können wir auch keine vernünftige Vorbereitung auf die Freiheit gewährleisten. Das muss man einfach so sehen. Es muss möglich sein, dass die Jugendlichen noch während ihrer Haftzeit, in der sie sozusagen der Gewalt des Staats unterliegen, Wohnung und Arbeit finden. Jugendliche, die im Gefängnis eine Ausbildung machen, müssen diese unbedingt nach der Gefängniszeit abschließen können, notfalls auch in der Haftanstalt.
Möglichst viele Jugendliche sollten auch vorzeitig zur Bewährung entlassen werden. Warum ist das so wichtig? Wenn die Jugendlichen zur Bewährung entlassen werden, haben die Bewährungshelfer anschließend Einfluss und Druckpotenzial, um diese Jugendlichen zu begleiten. Sitzen die Jugendlichen aber bis zum Ende ihrer Haftzeit im Gefängnis und haben keine Bewährung, läuft dies logisch darauf hinaus, dass sie anschließend sofort verschwinden und sich von niemandem mehr etwas sagen lassen. Das heißt, die wichtige Phase der Eingliederung nach der Haftzeit geht verloren.
Meine Damen und Herren, zu all diesen Punkten lagen der Großen Koalition detaillierte Vorschläge der Oppositionsfraktionen und der Experten vor. Nichts, aber auch gar nichts hat sie davon aufgegriffen, nicht einen einzigen Punkt. Damit schadet sie nicht nur den Jugendlichen. Denn wenn es gelänge, die Rückfallquote um die Hälfte zu senken, was die Gutachter für möglich halten, dann würden wir damit erheblich zur Sicherheit der Bürger in diesem Lande beitragen.
Der Gesetzentwurf wurde zusammen mit neun anderen Ländern bis zum Jahresende 2006 erarbeitet und seitdem in anderen Bundesländern erheblich modifiziert. Das, was hier vorgelegt wird, entspricht nicht mehr dem aktuellen Diskussionsstand. Ein positiver Wettbewerb der Konzepte, wie er möglich gewesen wäre, ist nicht festzustellen. Stattdessen ist das eingetreten, was man schon im Vorfeld lange Zeit befürchtet hatte: ein Wettlauf der Schäbigkeiten. Die Praxis in Schleswig-Holstein sei besser als das Gesetz, hat einer der Gutachter festgestellt. Das ist für die Landesregierung wie für den Gesetzgeber ein Armutszeugnis.
Warum haben Sie die detaillierten Vorschläge der hochengagierten Fachverbände unseres Landes, der renommierten Gutachter, von Professor Ostendorf, von Professor Maelicke, nicht aufgegriffen? Das sind nicht Leute, die keine Ahnung haben. Ein Generalsstaatsanwalt und ein Abteilungsleiter des Justizministeriums aus Schleswig-Holstein haben tiefgehende Bedenken gegen diesen Entwurf geäußert und eine Vielzahl konstruktiver Anregungen vorgelegt. Diese sind in den Änderungsvorschlägen sowohl der FDP als auch der Grünen aufgegriffen worden.
Auch die SPD hatte tiefgreifende Bedenken. Sie wurden ja in der letzten Ausschusssitzung vorgetragen. In sechs Punkten wurde vonseiten der SPD vorgetragen, dass sie es für notwendig hält, Änderungen vorzunehmen. Diese Änderungen waren aufgrund der Koalitionsdisziplin nicht möglich. Das ist ein Tiefpunkt des Parlamentarismus in unserem Land.
Meine Damen und Herren, das Gesetz beschreibt nur Minimalstandards und stellt den Jugendstrafvollzug schlechter als den Erwachsenenstrafvollzug nach dem gegenwärtigen Gesetz. Er behindert die fortgeschrittene Praxis in Schleswig-Holstein, er verweigert Perspektiven, er enttäuscht die gutwilligen und hoch leistungsfähigen Kooperationspartner, er entmutigt die Mitarbeiter und wider besseres Wissen erhöht er nicht den Schutz der Gesellschaft, obwohl alle Fachleute dazu raten.
- Auch die Mitarbeiter haben viele der Möglichkeiten, die Jugendlichen auf die Freiheit vorzubereiten, für sinnvoll gehalten. Zumindest eine der beiden Gewerkschaften.
Meine Damen und Herren, ich bedaure, dass es dazu gekommen ist, und würde mich freuen, wenn es möglich wäre, an diesem Punkt noch einmal in die Beratungen einzusteigen.
Ich danke Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel und erteile für den SSW im Landtag der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai letzten Jahres wurde dem Gesetzgeber der Auftrag erteilt, eine Rechtsgrundlage für den Jugendstrafvollzug bis Ende 2007 zu schaffen. Auch inhaltlich hat das Bundesverfassungsgericht hierzu Vorgaben gemacht. Danach sollen gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, die sich an den Anforderungen jugendlicher Straftäter orientieren. Insbesondere gilt es, die Wiedereingliederung in die Gesellschaft voranzubringen. Dabei kommt dem Fördern und Fordern eine wichtige Rolle zu, also dem Erziehungscharakter des Jugendstrafvollzuges. Mit der Föderalismusreform wurde dieser Auftrag auf die Länder übertragen. Leider müssen wir feststellen, dass der Zeitraum recht eng gestrickt war; wir haben das Zeitlimit somit bis zum letzten Termin ausgeschöpft.
Bereits in der Debatte zur ersten Lesung hat der SSW auf die Probleme jugendlicher Straftäter hingewiesen. Wir haben es in erster Linie mit Mehrfachtätern zu tun und mit jungen Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss. Für die Bundesrepublik als Ganzes gilt: Circa die Hälfte der knapp 80.000 Gefangenen in deutschen Haftanstalten hat keinen Schulabschluss; circa zwei Drittel sind ohne Berufsausbildung. Bei den Häftlingen unter 30 Jahren ist die Ausgangslage noch schlechter: Von ihnen haben nur 10 % eine abgeschlossene Ausbildung. Hinzu kommt die für mich überraschend hohe Rückfallquote, die im Bundesdurchschnitt laut Statistik bei über 80 % liegt.
Vor diesem Hintergrund möchte ich gern hervorheben, dass der Gesetzentwurf der Landesregierung auf jeden Fall eine Verbesserung gegenüber dem Status quo darstellt. Im Gesetzentwurf ist ein roter Faden bezüglich der Resozialisierung jugendlicher Straftäter durchaus erkennbar. Trotzdem sehen wir in weiten Teilen des Gesetzentwurfs weiteren Verbesserungsbedarf und wir bedauern, dass dies in der Ausschussberatung, in den Anträgen der regierungstragenden Fraktionen nicht zum Ausdruck gebracht wurde.
„Was lange währt, wird endlich gut“ ist ein altes Sprichwort, das in vielen Fällen seine Berechtigung hat, aber im Falle des Jugendstrafvollzugsgesetzes trifft es leider nicht zu. Das soll heißen, dass die Große Koalition aus Sicht des SSW ihre Chance nicht genutzt hat, aus dem Gesetzentwurf der Landesregierung ein wirklich modernes Gesetz zu machen.
Die Anhörung im Ausschuss hat mehr als deutlich gemacht, wo die Schwächen des Gesetzentwurfs liegen. Es wurde beispielsweise immer wieder auf die guten Erfahrungen in Baden-Württemberg hingewiesen, wo man eine besondere Form des Jugendstrafvollzugs außerhalb der klassischen Gefängnismauern etabliert hat, eingebettet in ein strenges Erziehungsprogramm. Ein weiterer Schwerpunkt dort ist die Nachsorge von jungen Gefangenen. Damit wird der Absturz in ein Entlassungsloch verhindert. Es gibt also durchaus positive Erfahrungen mit Methoden, die wir in Schleswig-Holstein einfach hätten übernehmen können.
Vor diesem Hintergrund vermisst der SSW zwei konkrete Ansätze, die zu einem modernen Jugendstrafvollzuggesetz dazu gehören: Zum einen gilt unseres Erachtens, dass die Einführung und Umsetzung eines Übergangmanagements unumgänglich ist, zumal sich dies auch gesamtgesellschaftlich betrachtet rechnen wird. Wir brauchen also ein aufeinander abgestimmtes System von einzelnen Schritten, das eine nachhaltige Integration von Strafgefangenen ins Arbeitsleben und damit in die Gesellschaft unterstützt. Das sogenannte Übergangsmanagement stellt die letzte Stufe eines solchen Systems dar.
Zum anderen muss deutlich sein, dass es das Ziel des Übergangsmanagements ist, die von den jugendlichen Straftätern während der Haftzeit erworbenen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten nach der Entlassung möglichst nahtlos im täglichen Leben draußen anzuwenden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, während der Justizminister für den Wohngruppenvollzug als neues Element des Jugendstrafvollzugs eine Expertenkommission einberief und deren Vorstellungen auch in lobenswerter Weise in seinen Gesetzentwurf einarbeitete, gibt es keine vergleichbaren Konzepte für die Gestaltung des Übergangs vom Knast in die Freiheit. Daher teilt der SSW die Bedenken, die in einer schriftlichen Stellungnahme des Verbandes für soziale Strafrechtspflege zum Ausdruck gebracht wurden. Dort heißt es sinngemäß, dass die im Gesetz aufgenommene Ergänzung des übergeordneten Vollzugsziels, die Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten zu befähigen, diese Zielsetzung im Grunde konterkariere. Wenn der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dem Integrationsziel des Strafvollzuges gleichgestellt wird, dann wird der Sicherheit letztlich Vorrang eingeräumt.
kommt, dann wird es häufig Gründe geben, die gegen den offenen Vollzug sprechen. Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ohne offenen Vollzug wird aber ins Leere laufen. Darum sollte der offene Vollzug der Regelvollzug sein.
Unter dem Strich bleibt also leider bestehen, was auch als Ergebnis aus der Anhörung hervorging: Alle Maßnahmen eines neuen Jugendstrafvollzugs sind nur mit Mehraufwand umsetzbar, also mit mehr Personal, es müsste mehr Personal eingestellt werden. Wer aber die Debatten in Schleswig-Holstein verfolgt, stellt fest, dass dies politisch derzeit nicht gewollt ist. Stattdessen ist immer wieder die Rede davon, 5.000 Stellen in der Landesverwaltung einzusparen. Diese Vorgabe legt sich wie Mehltau über alle inhaltlichen Debatten. Diese Vorgabe verhindert jegliches Denken darüber, wie zukunftsweisende Konzepte aus einem Guss umgesetzt werden können. Das ist schade.
Ich fasse zusammen: Das neue Jugendstrafvollzugsgesetz ist aus Sicht des SSW kein richtig schlechtes Gesetz. Viele haben daran mitgewirkt. Lobenswert ist aus Sicht des SSW auch, dass es ein transparentes Verfahren bei der Erarbeitung des Gesetzes gegeben hat. Anders können wir es nicht beurteilen. Wir werden dem Gesetz dennoch nicht zustimmen, aus den von mir vorhin genannten Gründen.