Protocol of the Session on September 13, 2007

Lassen Sie uns in dieser Debatte einen Blick auch auf das werfen, was in den Eckpunkten schon vorliegt. - Ich finde, das passt auch zu dem, was die FDP beantragt hat. Den Antrag der FDP sollten wir zur weiteren Beratung in den Sozialausschuss überweisen. - Wir sollten uns die Eckpunkte unseres Selbstbestimmungsstärkungsgesetzes anschauen. Dieses Gesetz enthält folgende Schwerpunkte: Die Sicherung der häuslichen Pflege durch umfassende Beratung und Weiterentwicklung häuslicher Unterstützungsstrukturen, die Stärkung der Verbraucherorientierung durch die Herstellung der Transparenz aller Angebote - das ist mir besonders wichtig -, die Weiterentwicklung der pflegerischen Dienstleistung hin zu einer auf Individualität und Passgenauigkeit ausgerichteten werteorientierten Versorgungsstruktur, die sich über die pflegerische Qualität hinaus an den Zielen Normalität, Aufrechterhaltung von Alltagsaufgaben und Selbstbestimmung orientiert,

(Torsten Geerdts)

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

die Sicherstellung der Rechte und des Schutzes von Menschen mit Pflegebedarf durch die Stärkung persönlicher Kompetenz, die Vernetzung aller individuellen und gesellschaftlichen Kontrollebenen und die Wahrnehmung der staatlichen Kontrolle und die Entbürokratisierung; darunter leiden auch viele Menschen, die im Bereich der Pflege arbeiten.

Unsere Politik für pflegebedürftige Menschen muss sich an dem Artikel 5 a der Landesverfassung orientieren, der lautet:

„Das Land schützt die Rechte und Interessen pflegebedürftiger Menschen und fördert eine Versorgung, die allen Pflegebedürftigen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.“

Meine Damen und Herren, diesem Verfassungsziel muss sowohl die Reform der Pflegeversicherung auf Bundesebene als auch unser Selbstbestimmungsstärkungsgesetz gleichermaßen gerecht werden. Ich freue mich auf eine weitere Diskussion über dieses wichtige Thema im Sozialausschuss.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Torsten Geerdts. - Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Jutta Schümann das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war schon an dem Tempo der Rede unserer Ministerin deutlich, dass es zu diesem Thema sehr viel zu sagen gibt. Insofern muss man das auch nachvollziehen können. Zehn Minuten sind eine knappe Zeit, um zum einen darauf hinzuweisen, dass in den letzten Jahren schon sehr viel in diesem Lande geschehen ist. Soweit ich mich erinnere, gab es in dieser Zeit auch eine politische Mitverantwortung von Ihnen. Insofern ist das Resümee, wenn man das wirklich glauben würde, nicht glücklich gewesen.

(Beifall der Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU] und Dr. Heiner Garg [FDP])

Natürlich gibt es auch eine Menge zu sagen, wenn man Perspektiven aufzeigen will. Insofern zunächst einmal herzlichen Dank, Frau Ministerin, für Ihren Bericht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Solidarität ist keine Frage des Geldes. Solidarität ist eine Frage politisch gewollter Ziele, sozialer Normen und Teil unserer demokratischen Kultur. Pflege ist ebenfalls

Teil unserer sozialen Kultur, die sensibel ist im Hinblick auf die Verwundbarkeit und Hilflosigkeit von Menschen. Eine Pflegebedürftigkeit, mit der Menschen alleingelassen werden, ist daher in unserem System nicht akzeptabel, ja sie ist eigentlich ein Skandal. Pflege ist mehr als Geld und Sachleistungen. Menschenwürdige Pflege ist Lebensqualität und, wenn man das vor Ort sieht, häufig sogar Teil des persönlichen Glücks und der persönlichen Zufriedenheit. Einflussmöglichkeiten zum Ausbau und zur Weiterentwicklung liegen dabei nicht allein im finanziellen oder leistungsrechtlichen Bereich, sondern ebenso auf der Ebene gesellschaftlicher Ziele und Werte.

Die zurzeit in Vorbereitung befindlichen neuen Gesetze, zum einen die Weiterentwicklung des Pflegeversicherungsgesetzes, zum anderen die Erarbeitung des Pflegegesetzbuchs Schleswig-Holstein, müssen sich an diesem gesellschaftlichen Konzept, an den gesellschaftlichen Zielen und Werten ausrichten und von uns gestützt und gelebt werden. Dabei wissen wir, dass wir uns, obwohl dies wünschenswert wäre, nicht alle möglichen Angebote leisten können, und wir können Qualität nicht in eine Richtung kontrollieren. Das bedeutet, dass wir bei dem vorgegebenen Finanzrahmen Größtmögliches versuchen und erreichen sollten und dass wir bei aller notwendigen Kontrolle immer auch den Schutz der Privatsphäre und der Individualität von Menschen berücksichtigen müssen. Jeder unangemeldete Besuch in einer Pflegeeinrichtung, jede unangemeldete Kontrolle bei einem pflegebedürftigen Menschen bedeutet schließlich auch ein unangemeldetes Eindringen in die Privatsphäre. An dieser Stelle müssen wir äußerst sensibel sein.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Torsten Geerdts [CDU] und Lars Harms [SSW])

Je mehr Kontrollen es gibt, desto mehr Bürokratie gibt es auch, und je differenzierter die Pflegestandards sind, desto detaillierter sind die Abläufe und desto umfassender ist bei Kontrollen eine notwendige Dokumentation durch Pflegekräfte, die wir eigentlich zugunsten der Pflegezeiten reduzieren möchten.

Wir müssen also gewissermaßen einen Spagat bei der Gestaltung der Gesetze berücksichtigen. Einen solchen Spagat müssen auch die Dienstleistungsanbieter, sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich, berücksichtigen, einen solchen Spagat müssten die Kostenträger bei ihrer Finanzierungsentscheidung mit in den Blick nehmen.

(Torsten Geerdts)

Die Pflegeversicherung bleibt ein zentraler Baustein der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland. Die solidarische Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit mit dem Leitbild einer menschlichen Pflege wird auch in Zukunft gewährleistet sein. Das können wir herauslesen, wenn wir uns den ersten Referentenentwurf, der in den letzten Tagen vorgelegt worden ist, ansehen.

Es ist beileibe nicht so - wie aus dem Antrag der Grünen zu lesen ist -, dass sich die Koalition in Berlin lediglich auf Finanzierungsfragen und isolierte Einzelmaßnahmen beschränkt. Natürlich ist es in einer großen Koalition schwierig, sich auf einen gemeinsamen Nenner zu verständigen. Ich glaube aber, dass das jetzt vorgelegte Paket viel Positives bietet, zum Beispiel eine Leistungsverbesserung für Demenzkranke - wir werden dieses Thema hier heute noch diskutieren -, eine schrittweise Anhebung der seit Jahren festgeschriebenen Leistungsbeiträge, eine stärkere Flexibilisierung der Leistungsgewährung, um auf die individuellen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen besser eingehen zu können, und - ausgesprochen wichtig, weil wir das bisher noch nicht hatten - wesentlich stärkere Anreize für Rehabilitation, für Rehabilitation im Alltagsbereich und nicht für Rehabilitation zum Beispiel für die Arbeitswelt, wie es bisher im Bereich der rehabilitativen Angebote Tradition ist.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Es wird zukünftig die Möglichkeit zur Einrichtung von Pflegestützpunkten mit dem Ziel einer integrierten Versorgung geben, die Etablierung eines individuellen Fallmanagements, das genau auf die individuellen Bedürfnisse Rücksicht nehmen kann, und - ganz entscheidend und ganz wichtig bei diesem Thema Demenzerkrankungen, über das wir heute Nachmittag diskutieren werden - die Einrichtung einer Pflegezeit für pflegende Angehörige. Herr Kollege Geerdts hat schon darauf hingewiesen, dass das in der Regel heute immer noch Frauen sind.

Das alles sind wichtige Neuerungen, die sich natürlich dann auch bundeseinheitlich auswirken und somit auch in unsere Landesgesetzgebung als neue Möglichkeiten der Finanzierung und Schwerpunktsetzung einfließen werden.

Auch das geplante und in der Erarbeitung befindliche Pflegegesetzbuch Schleswig-Holstein mit seinen drei Büchern, dem Selbstbestimmungsstärkungsgesetz - das ist der erste Arbeitstitel -, dem Pflegeinfrastrukturgesetz - zweiter Arbeitstitel und dem Ausbildungsgesetz - dritter Arbeitstitel -,

wird für die Versorgung hier im Land neue Möglichkeiten und neue Impulse bieten. Insbesondere geht es darum, zum Beispiel den Verbraucherschutz zu stärken, Schutzbedürfnisse neu zu definieren, auszutarieren und die Teilhabe zu sichern.

Das Pflegeinfrastrukturgesetz ist der Nachfolger des bisherigen Landespflegegesetzes. Zielrichtung wird es sein, die Angebotsvielfalt und Strukturen im Bereich der Pflege zu verbessern und zu verändern. Ich möchte da nur ein paar Beispiele nennen: Zunächst ist das der Ausbau der ambulanten Versorgung, insbesondere neuer Wohnformen, integrierter Wohnformen und Betreuungsformen, sowie eine individuelle Betreuung.

Das dritte, das Ausbildungsgesetz, muss sowohl die Bundesaltenpflege als auch die Ausbildung in der Altenpflegehilfe noch einmal kritisch überprüfen, dann aber auch die zuständigen weiteren Berufe im Bereich der Pflege genauer in den Blick nehmen und gegebenenfalls neu überarbeiten.

Liebe Kollegin Birk, ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie das Thema hauswirtschaftliche Kräfte so negativ dargestellt haben.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Genau diese Kräfte sind im Bereich der stationären Versorgung außerordentlich wichtig und erst recht wichtig im Bereich der Versorgung von Dementen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie das so negieren, denn genau diese Berufsgruppe wird im Bereich der Altenpflege außerordentlich benötigt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] - Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es reicht nicht, nur auf Ergotherapeuten und Logopäden hinzuweisen, die seit Jahren selbstverständlich im Bereich des Arbeitsmarktes Altenpflege arbeiten. Die hauswirtschaftlichen Kräfte einfach in die Ecke zu stellen, finde ich problematisch. Das ist auch nicht sachgerecht.

Es ist vieles in Vorbereitung. Das Bundespflegeversicherungsgesetz liegt uns als Referentenentwurf vor. Das Pflegegesetzbuch Schleswig-Holstein ist in Erarbeitung und wir werden sicherlich bis zum Ende dieses Jahres und insbesondere im nächsten Jahr mit vielen Beteiligten das Gespräch und den Dialog suchen, mit dem Ministerium, aber auch mit vielen weiteren Akteuren im Land. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Interesse der Menschen in diesem Land, die Pflege und Betreuung benötigen und das sind, wie wir alle wissen, nicht nur ältere

(Jutta Schümann)

Menschen, sondern auch sehr viele jüngere Menschen -, verbesserte qualitative Angebote schaffen.

Ich möchte noch kurz auf unser Abstimmungsverhalten eingehen. Auch wir als SPD sind der Auffassung, dass der Antrag der FDP in den Ausschuss überwiesen werden sollte. Wir sind der Meinung, dass die dort aufgeworfenen Aspekte und Anregungen in die Gesetzgebungsdiskussionen mit einfließen sollten.

Dem Antrag der Grünen können wir deshalb nicht zustimmen, weil wir die auf der ersten Seite festgestellten Tatsachen, dass sich die Koalition in Berlin bei der Vorlage des Entwurfs lediglich auf Finanzierungsfragen beschränkt habe und es nur isolierte Einzelmaßnahmen seien, nicht mittragen können. Natürlich können wir auch nicht mittragen, dass Sie in dem Antrag fordern, dass wir heute gemeinsam feststellen sollen, dass die Korrekturen in Berlin nur vage und unkonkret seien. Auch das können wir nicht mittragen. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen und der Überweisung des Antrags der FDP zustimmen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank, liebe Kollegin Schümann. Wir haben das so verstanden, dass zum Antrag der Grünen eine Sachentscheidung gefällt werden soll und der Antrag der FDP überwiesen werden soll. Ist das so richtig?

(Konrad Nabel [SPD]: Ja, genau so war es gemeint!)

- Danke schön. - Dann erteile ich jetzt für die FDPFraktion Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Birk, es wäre schön gewesen, wenn die Große Koalition zumindest die Finanzierungsfragen geklärt hätte. Dann wäre ein Kardinalsproblem, das von Anfang an bei der Schaffung der Pflegeversicherung, des SGB XI, bestanden hat, in Angriff genommen worden. Ich möchte daran erinnern: Das eigentliche Problem und die Probleme, vor denen wir nach wie vor stehen, war, dass das, was Sie zu Recht über Ihren Antrag schreiben, Pflege muss sich am Menschen orientieren - spätestens, seit wir uns alle das durch die Ergänzung in der Landesverfassung auf die Fahnen geschrieben haben -, bisher nicht zutraf. Die Pflege hat sich bisher im SGB XI nicht am Menschen orientiert, sondern

die Pflege hat sich immer daran orientiert, welcher Finanzbedarf zur Verfügung stand und wie dieser Finanzbedarf mehr oder weniger nachvollziehbar auf die Summe der Pflegebedürftigen im Land verteilt wurde. Das war das, was das SGB XI, als es 1994 verabschiedet wurde, als finanzielles Fundament hatte. Dieses Problem baden wir bis heute aus beziehungsweise diejenigen, die im Zweifel darunter zu leidern haben.

Dazu muss man sich nur anschauen, wie die Pflegebedürftigkeit im SGB XI definiert ist. § 14 des SGB XI definiert die Pflegebedürftigkeit ausschließlich anhand sogenannter körperbedingter Funktionsdefizite. Werden die zum Teil erfüllt, dann sagt der § 15 gleich, welche Pflegestufe der Jeweilige erhält. Damit fielen von Anfang an beispielsweise Demenzkranke durch dieses Raster. Es ist richtig, dass man im Laufe der Jahre dazu gekommen ist, kleine Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Wir werden heute Nachmittag noch einmal über Demenzerkrankte im Speziellen sprechen.

Der grundlegende Fehler der Pflegeversicherung wird natürlich auch nicht mit den Eckpunkten, die jetzt vorgelegt worden sind, bereinigt.

Die Pflegeversicherung - ich möchte das an dieser Stelle so provokant sagen - war nie am eigentlichen Pflege- und Betreuungsbedarf des einzelnen Menschen orientiert, sondern immer nur an dem, was als Finanzvolumen zur Verfügung stand.

(Vereinzelter Beifall bei FDP und SSW)

Ich möchte nicht die leidige Diskussion, ob jetzt vielleicht eine Bürgerversicherung oder irgendein anderes Finanzierungsmodell genau diesen Umstand wirklich beseitigen würde, noch einmal aufgreifen. Dann müsste ich Frau Birk fragen, woran sich die Bürgerversicherung orientieren soll, eher am Modell der Rentenversicherung oder eher am Modell der Krankenversicherung. Bei der Pflegeversicherung haben wir eine völlig andere Eintrittswahrscheinlichkeit der Risiken als bei der Gesundheits- oder Krankenversicherung. Das wiederum hat unmittelbare Auswirkungen darauf, wie ich das Ganze in Zukunft als Bürgerversicherung, Volksabsicherung oder wie auch immer Sie das nennen wollen, gestalte.

Ich glaube, es ist viel sinnvoller, dass wir uns damit beschäftigen, was wir konkret auf Landesebene unter den Regelungen, die uns der Bund vorgibt, machen können.

Ich bin davon überzeugt, dass wir eine ganze Menge hier im Land anstoßen können. Diese Diskussion führen wir auch nicht erst seit gestern. Spätestens