Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich. Erkrankt ist nach wie vor Frau Abgeordnete Monika Schwalm. Ich wünsche unserer Kollegin von dieser Stelle aus gute Besserung.
Weiterhin teile ich Ihnen mit, dass die Abgeordneten Peter Eichstädt, Sandra Redmann und Dr. Johann Wadephul ab 12 Uhr und die Abgeordneten Bernd Schröder und Ulrike Rodust ab 15 Uhr beurlaubt sind. Herr Ministerpräsident Carstensen ist für den heutigen Tag beurlaubt.
Ich würde gern Herrn Staatssekretär Rabius zum Geburtstag gratulieren, aber er ist noch nicht anwesend. Dann werden wir dies nachholen.
Ich darf Ihnen mitteilen, dass der Tagesordnungspunkt 33 im Einvernehmen aller Fraktionen auf die September-Tagung verlegt worden ist.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, begrüßen Sie bitte mit mir auf der Tribüne Damen und Herren der Senioren-Union Husum. - Herzlich willkommen in unserem Haus!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach jahrelanger Diskussion, nach unzähligen Gutachten, Expertenkommissionen und Grundsatzurteilen hat sich der Deutsche Bundestag endlich auf den Weg gemacht, Patientenverfügungen gesetzlich zu regeln. Obwohl in den Ländern keine eigene Regelungskompetenz besteht, ist es meiner Meinung nach wichtig, über das Recht an der Schwelle vom Leben zum Tod nicht nur im Berliner Reichstagsgebäude, sondern möglichst breit in der gesamten Ge
Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen: Veranstaltungen dieser Art sind gut besucht. Man trifft dort auf Personen mit eigener Betroffenheit und man wird mit Beispielen konfrontiert, die einen innerlich sehr stark berühren.
Die Frage, was die Politik und das Recht tun können, um das Sterben zu erleichtern, geht jeden von uns an. Die meisten wissen oder meinen zu wissen, wie sie selbst sterben wollen: zu Hause, schnell, ohne Schmerzen und umgeben von Freunden und der Familie.
Die Realität sieht häufig ganz anders aus: Zu viele sterben stattdessen im Krankenhaus, langsam, oft unter Schmerzen und umgeben von Fremden.
Die moderne Hochleistungsmedizin rettet vielfach Leben und hat ganz sicher die Lebensqualität von Kranken und Sterbenden verbessert. Die Medizin ist in der Lage, Leben auch dann noch zu erhalten, wenn die ärztliche Prognose hoffnungslos ist und ein Patient lieber sterben möchte, als weiter zu leiden und auf den Tod zu warten.
Meine Damen und Herren, Entscheidungen darüber, ob eine medizinisch mögliche Lebensverlängerung tatsächlich sinnvoll ist, gehören heute zur alltäglichen Realität in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Vielleicht hat der eine oder andere von uns selbst schon einmal eine solche Situation erfahren.
Wenn ein Patient bei Bewusstsein und klarem Verstand ist, gilt die Patientenautonomie. Jeder Patient darf und muss selbst entscheiden, ob und wie er behandelt werden will. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn sein Verzicht auf eine medizinische Behandlung möglicherweise den sicheren Tod bedeutet. Diesen Grundsatz der freien Selbstbestimmung des Patienten stellt heute niemand mehr ernsthaft infrage. Ich meine, dieser Grundsatz verliert nicht seine Gültigkeit, nur weil ein Patient aktuell nicht mehr selbst entscheiden kann, zum Beispiel weil er bewusstlos oder demenzkrank ist.
Viele Menschen haben Angst, bei einer solchen Situation hilflos den Entscheidungen anderer ausgeliefert zu sein. Es ist diese Angst, warum so viele ihre Hoffnung auf eine Patientenverfügung setzen. Ob und wie Patientenverfügungen diese Hoffnung erfüllen können, steht im Zentrum des gegenseitigen Streits um die gesetzlichen Regelungen von Patientenverfügungen. Man wird ernsthaft diskutieren müssen, ob nicht zu viel Hoffnung in diese Patientenverfügungen gesetzt wird.
Meine Damen und Herren, ich gehöre zu denjenigen, die für eine klare gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen eintreten. Wir brauchen klare Regeln über die Anforderungen, die Verbindlichkeit und Reichweite von Patientenverfügungen. Selbstbestimmung mit Kontrolle sollte dabei meines Erachtens die Richtschnur sein.
So viel Selbstbestimmung wie möglich, so viel Kontrolle und Schutz vor Missbrauch wie nötig! Mir ist durchaus bewusst, wie kompliziert und schwierig vieles auf diesem Gebiet ist und dass keine noch so ausgefeilte gesetzliche Regelung alle Zweifelsfragen ausräumen wird. Doch gerade deswegen sind wir gefordert. Denn auf viele rechtliche Fragen im Zusammenhang mit Patientenverfügungen gibt es noch immer keine klaren Antworten.
Selbst spezialisierte Ärzte und Fachjuristen können nicht immer mit Bestimmtheit sagen, was bei Entscheidungen über Leben oder Tod rechtlich gilt, was im Umgang mit einer Patientenverfügung erlaubt, geboten oder möglicherweise strafbar ist. Das, meine Damen und Herren, ist schlimm. Denn häufig wird einer Patientenverfügung nur deshalb nicht gefolgt, weil die Beteiligten große Angst vor unabsehbaren rechtlichen Konsequenzen haben. Niemand wird eine Patientenverfügung befolgen, wenn er fürchten muss, dass damit seine berufliche Existenz aufs Spiel gesetzt wird oder er mit einem Bein im Gefängnis steht.
Meine Damen und Herren, dieser Zustand ist unzumutbar. Patienten, Angehörige, Pflegekräfte und Ärzte haben einen Anspruch auf einen verlässlichen rechtlichen Rahmen. Der Bundestag als zuständiger Gesetzgeber hat sich lange davor gescheut, diesen Rahmen zu schaffen, genauso wie wir überhaupt feststellen, dass wir uns alle miteinander davor scheuen, dieses Thema anzusprechen.
Erst nachdem der Bundesgerichtshof, der Deutsche Juristentag und viele andere eine rechtliche Regelung angemahnt haben, ist in diesem Jahr endlich Bewegung in die Diskussion gekommen. Der Bundestag hat Ende März in einer großen Debatte über die Nutzen und Gefahren von Patientenverfügungen debattiert. Dabei ist deutlich geworden, dass sich sehr viele Abgeordnete noch gar keine eigene Meinung gebildet haben. Mittlerweile liegen drei unterschiedliche Gesetzentwürfe vor. Die ersten Lesungen sollen nach der Sommerpause stattfinden; insofern diskutieren wir zum richtigen Zeitpunkt.
Sternen. Die drei Entwürfe schlagen sehr unterschiedliche Lösungen vor, die im vorliegenden Bericht der Landesregierung näher beschrieben werden.
Aus meiner Sicht ist die sehr weitgehende Begrenzung der Reichweite von Patientenverfügungen im sogenannten Bosbach-Entwurf bedenklich, in dem Patientenverfügungen nur bei dauerhaft bewusstlosen beziehungsweise tödlich erkrankten Patienten zulässig sein sollen. Mit dieser Begrenzung fällt der Entwurf hinter die derzeitige Rechtslage zurück. Große rechtliche und medizinische Abgrenzungsschwierigkeiten wären die Folge und vor allem würden viele der existierenden Patientenverfügungen durch die vorgeschlagene Regelung faktisch ins Leere laufen. Dies gilt unter anderem für religiös motivierte Ablehnungen einer medizinischen Behandlung - ich erinnere hier an die Problematik der Bluttransfusion bei den Zeugen Jehovas - oder die Ablehnung von Wiederbelebungsversuchen nach einem Herz- oder Atemstillstand.
Aus guten Gründen räumt dagegen der sogenannte Stünker-Entwurf der Selbstbestimmung der Patienten einen größeren Stellenwert ein. Auf eine Reichweitenbegrenzung wird verzichtet und die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen hervorgehoben. Die Vormundschaftsgerichte sollen nur in Konfliktfällen eingeschaltet werden. Ich halte das auch für richtig. Wenn man der Selbstbestimmung den Vorrang gibt, können es nicht die Gerichte sein, die letztlich die Entscheidung treffen.
In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag des Abgeordneten Zöller. Dieser Entwurf verlangt im Grundsatz keine Schriftform für Patientenverfügungen - darüber kann man auch wieder diskutieren -, der Entwurf sieht insgesamt eine sehr schlanke Regelung vor und steht damit den Vorstellungen der Bundesärztekammer sehr nahe.
Meine Damen und Herren, Patientenverfügungen können im besten Fall einen Teil der Ängste vor einem unwürdigen und fremdbestimmten Sterben nehmen. Rechtliche Regelungen können immer nur ein Mosaikstein einer ganzheitlichen und umfassenden Herangehensweise sein. Das gilt nirgends so sehr wie beim Umgang mit dem Sterben.
Die Verantwortung der Politik hört deshalb bei der Regelung der Patientenverfügung nicht auf. Wir dürfen bei der Gestaltung des Sterbens nie zuerst an Sterbehilfe denken, sondern wir müssen Lebenshilfe in Form von Lebenshilfe und Solidarität fördern.
Deshalb müssen wir auch durch den weiteren Ausbau von Hospizen, durch gute Pflege und effektive Schmerzbekämpfung ein Sterben in Würde erleichtern. Ich bin sehr froh darüber, dass das Sozialministerium, die Sozialministerin und der Landtag sich engagiert für bessere Rahmenbedingungen für Hospizarbeit und die Palliativmedizin einsetzen und Schleswig-Holstein zum Vorreiterland machen wollen. Wir haben hier noch viel zu tun.
Der mit der Gesundheitsreform geschaffene Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung war ein erster, aber nur ein kleiner Schritt. Der derzeit diskutierte und - ich muss sagen, zu meinem Unverständnis - von der Arbeitgeberseite abgelehnte Anspruch auf Pflegezeit zur Versorgung sterbender Angehöriger wäre ein weiteres wichtiges Signal.
Meine Damen und Herren, der Bundestag ist aufgefordert, den Bürgerinnen und Bürgern endlich Orientierung und Rechtssicherheit beim Umgang mit Patientenverfügungen zu geben. Ein Scheitern des Gesetzgebungsverfahrens würde viele Hoffnungen enttäuschen und das manchmal ohnehin schon lädierte Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Politik weiter untergraben.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, dass es dazu nicht kommt. Ich hoffe, dass die heutige Debatte ihren Teil dazu beiträgt.
Ich danke dem Herrn Minister für seinen Bericht und eröffne die Aussprache. - Ich erteile der Frau Abgeordneten Ursula Sassen für die CDU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der von der Landesregierung vorgelegte Bericht zum Stand der Beratungen auf Bundesebene zum Thema Patientenverfügung macht deutlich, wie schwer sich die politisch Verantwortlichen tun, eine konsensfähige Regelung zu finden. Der Hauptkonflikt liegt im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung auf der einen und Fürsorge auf der anderen Seite.
Der Bundesgerichtshof hat im März 2003 eine gesetzliche Regelung für die mit einer Patientenverfügung zusammenhängenden Fragen wie Verbind
lichkeit und Erfordernis der Zustimmung des Vormundschaftsgerichts beim Abbruch lebenserhaltender Maßnamen als wünschenswert bezeichnet.
Daraufhin hat sich die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ gebildet, die im Juni 2004 ihren Bericht vorlegte. Im November 2004 hat das Bundesjustizministerium auf der Grundlage des Berichts der interdisziplinären Arbeitsgruppe den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts vorgelegt, in dem auch die Patientenverfügung verankert werden sollte. Der Entwurf wurde jedoch im Februar 2005 zurückgezogen, sodass noch alles beim Alten ist.
Die Justizministerinnen und Justizminister haben anlässlich ihrer Herbstkonferenz im November 2005 folgenden Beschluss gefasst:
„Die Justizministerinnen und Justizminister bitten die Bundesministerin der Justiz, in der neuen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Rechtssicherheit bei der medizinischen Betreuung am Ende des Lebens gewährleistet und dabei insbesondere dem Institut der Patientenverfügung einen hohen Rang einräumt.“
Auf die weiteren Anträge und Gesetzesvorlagen der einzelnen Parteien - Minister Döring hat sie schon erwähnt - und verschiedener Abgeordnete, die parteiübergreifend Gruppenanträge und Gesetzentwürfe formuliert haben, möchte ich nicht näher eingehen. Dies ist im Bericht der Landesregierung ausführlich dargelegt.
Schleswig-Holstein hat mit dem Thesenpapier des Justizministers vom 16. Januar 2007 Stellung bezogen: Die aktive Sterbehilfe wird ausdrücklich abgelehnt. - Ich glaube, da sind wir uns hier in diesem Haus einig: Wir wollen auch nicht, dass der aktiven Sterbehilfe in irgendeiner Form Tür und Tor geöffnet wird.