Protocol of the Session on July 11, 2007

Der damalige Wirtschaftsminister Bernd Rohwer hatte dazu ausgeführt, was ich aus dem damaligen Protokoll zitiere:

„Wir alle wissen nicht, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausfallen wird. Wir wissen aber erstens, dass es höchst unklar ist, wann dieses Urteil kommt. Das kann noch Jahre dauern. Wir wissen zweitens, dass die Tatsache, dass das Verfahren läuft, in den Ländern, in denen wir ein Tariftreuegesetz haben, nicht zu den Problemen geführt hat, die Sie beschrieben haben.“

Ich stelle fest: Bernd Rohwer hatte in allen Punkten Recht. Das Bundesverfassungsgericht hat tatsächlich erst nach Jahren, nämlich am 11. Juli 2006, entschieden. Tenor der Entscheidung ist, dass das Berliner Vergabegesetz mit seinen Regelungen zur Tariftreue mit dem Grundgesetz und mit dem übrigen Bundesrecht vereinbar ist. Festgestellt wurde auch im Hinblick auf die Tariftreuegesetze anderer Bundesländer, dass nicht gegen die Koalitionsfreiheit, nicht gegen die Berufsfreiheit und nicht gegen das sonstige Bundesrecht verstoßen wird. Es besteht auch kein Widerspruch zu § 6 Tarifvertragsgesetz. Mit dieser Entscheidung ist ein langjähriger Streit über die Zulässigkeit beendet worden. Die behaupteten Vergaberechtsstreitigkeiten sind im Übrigen nicht eingetreten. Die Bautätigkeit ist nicht zum Erliegen gekommen. Das Gegenteil ist der Fall.

Was lernen wir daraus? Wenn Arbeitsplätze - in diesem Fall durch Lohndumping - massiv gefährdet sind und wenn der für unsere Wirtschaftsordnung so wichtige faire Wettbewerb gefährdet ist, dann darf man nicht weggucken. Man muss Farbe bekennen. Man muss entscheiden, auch wenn ein letztes, aber eben nicht ganz kalkulierbares Rechtsrisiko bleibt.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Das gilt zumal dann, wenn andere Länder ähnliche Wege mit Erfolg gegangen sind. Es geht bei der Tariftreue nicht um irgendein Randthema. Es geht auch nicht um die Zurückdrängung des Wettbewerbs und um einen Angriff auf unsere Wirtschaftsordnung. Nein, Tariftreue ist für unsere soziale Marktwirtschaft wesentlich bestimmend.

(Beifall bei SPD und SSW)

Unsere Wirtschaftsordnung fährt gut mit dem Wettbewerb. Wir müssen ihn wo immer möglich stärken. Dieser Wettbewerb muss aber fair bleiben und er muss sich an Regeln orientieren. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, gegenüber der CDU und FDP nun wirklich keine Abgrenzungsprobleme haben, formuliert zu Recht: Voraussetzung für jede Marktwirtschaft ist ein freier und fai

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

rer Wettbewerb. Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass sich jeder Akteur an die Spielregeln hält. Ich finde es schon bemerkenswert, wenn wir Sozialdemokraten an diese Spielregeln erinnern müssen.

Es bestand schon damals der Wunsch, den gesamten ÖPNV - also auch den Busverkehr - in den Geltungsbereich aufzunehmen. Der Kollege Callsen hatte dies mit dem Stichwort des Konnexitätsprinzip erwähnt. Das ist erst jetzt Wirklichkeit geworden. Es gab die Demonstration der Busfahrerinnen und Busfahrer hier in Kiel. Wir erinnern uns an die Ausschreibung der Firma Autokraft mit einer Lohnhöhe von 8,32 € pro Stunde. Jedem muss klar sein: Löhne von etwas mehr als 8 € bieten keine gesicherte Existenzgrundlage und sind keine Grundlage, um auf Dauer den Unterhalt einer Familie mit allen Kosten zu tragen. Das ist zu wenig.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Lars Harms [SSW])

Wenn dieses Beispiel Schule macht und keine Schranken gegen den maßlosen Wettbewerb errichtet werden, muss die gesamte Branche zwangsläufig in einen ruinösen Wettbewerb gehen, dessen Ausgang allein von der Lohnhöhe abhängig ist. Im Busbereich betrifft dies circa 5.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Für die Auftraggeber des öffentlichen Personennahverkehrs, also die Kreise und kreisfreie Städte in Schleswig-Holstein, stünde am Ende des ruinösen Wettbewerbs, dass sie bei der Vergabe sparen, aber im Gegenzug aus ihrem Steueraufkommen Sozialleistungen finanzieren müssen. Dies kann sozialpolitisch nicht richtig sein, es wäre aber auch wirtschaftspolitisch falsch.

Die Folgen von Lohndumping sind unweigerlich unqualifiziertes Personal, eine hohe Personalfluktuation, der Ausfall von Leistungen, das Nichterfüllen von Qualitätsmerkmalen, rechtlich bedenkliche Quersubventionen, jeweils verbunden mit der Forderung von Nachverhandlungen über die Entgelte. Auch deshalb gilt: fairer Wettbewerb ja, Lohndumping nein.

Den Kreisen und kreisfreien Städten als Aufgabenträger des straßengebundenen ÖPNV wird wegen des Konnexitätsprinzips freigestellt, ob sie das Tariftreuegesetz anwenden. Sie haben aber - das ist wichtig - juristisch eine gesicherte Rechtsgrundlage für ihre Ausschreibungen. Ich freue mich, dass sich in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses neben den Verbänden der mittelständischen Busunternehmen und den Gewerkschaften auch die kommunalen Landesverbände für die Tariftreueregelung im straßengebundenen ÖPNV ausgesprochen haben.

Aber bei allem Verständnis für die kommunalrechtlich gebotene Freiwilligkeit möchte ich an dieser Stelle an die Kreise und kreisfreie Städte appellieren: Überlassen Sie die Sicherung fairen Wettbewerbs nicht allein der Landesebene. Tragen auch Sie dazu bei, dass die hiesigen Betriebe, die ja auch Ihr Steueraufkommen mit sichern, im ruinösen Wettbewerb nicht unter die Räder kommen. Denken auch Sie daran, dass es sich für Sie auszahlen wird, auf klare Spielregeln für fairen Wettbewerb zu setzen. Übernehmen Sie deshalb die Regelungen im neuen Tariftreuegesetz.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW)

Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Betrieben - all dieser Bereiche, in der Bauwirtschaft, im Entsorgungsbereich, im Schienenpersonennahverkehr und jetzt eben auch im Bereich des Bus-ÖPNV - und ihren Familien geben wir mit der Verlängerung der Befristung im Gesetz Einkommenssicherheit bis Ende 2010 und damit auch Schutz vor Lohndumping. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag, den wir hiermit leisten.

Nach sehr intensiven und - ich gestehe auch ein, ich habe es eingangs bereits gesagt - schwierigen Verhandlungen haben wir das heute vorliegenden Ergebnis erzielt. Weil sie mich geärgert hat, erlaube ich mir, an dieser Stelle auch auf die Pressemitteilung des SSW hinzuweisen. Es ist eben nicht so gewesen, dass es der SSW geschafft hat, CDU und SPD von der Wichtigkeit und Bedeutung des Tariftreuegesetzes zu überzeugen.

(Beifall der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Jürgen Feddersen [CDU])

Anträge zu stellen, ist die eine und legitime Seite der Medaille. Die andere Seite bedeutet, dass es in schwierigen politischen Situationen, wie wir sie auch beschrieben haben, erfolgreich ist, entsprechende Verhandlungen zu führen, und zwar mit dem Ergebnis, diese 50.000 bis 60.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien tatsächlich zu schützen. Ich denke, das ist die viel wichtigere Seite dieses Beschlusses.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich sage auch: Die Beharrlichkeit der Sozialdemokraten bei diesem für unsere Betriebe und Arbeitnehmer so wichtigen Punkt hat sich erneut ausgezahlt.

Ich spreche hier noch einmal ganz bewusst meinen Dank an den Kollegen Callsen aus und ich erhoffe eine breite Zustimmung dieses Hauses für unseren Antrag.

(Bernd Schröder)

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Bernd Schröder und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wirtschaftsausschuss hat einen Kompromiss zum Tariftreuegesetz entwickelt und die FDPFraktion wird diesen Kompromiss heute nicht ablehnen.

(Beifall der Abgeordneten Johannes Callsen [CDU] und Olaf Schulze [SPD])

Um es ganz deutlich zu sagen: Wir haben nach wie vor erhebliche ordnungspolitische Bedenken, ob die Tariftreue die strukturellen Probleme auf unseren Arbeitsmärkten lösen kann. Wir glauben, dass sie das nicht tun wird. Möglicherweise verschlimmert sie sogar die strukturellen Probleme. Aber wir glauben auch, dass von ordnungspolitischen Grundsätzen allein noch kein Busfahrer satt wird und dass er auch seine Familie davon nicht ernähren kann. Man soll ordnungspolitische Grundsätze verfolgen, wenn man Gesetze aufstellt, man soll sie aber nicht in den Himmel heben.

Wenn wir heute der Erweiterung des Geltungsbereichs der Tariftreue um den öffentlichen Personennahverkehr für die nächsten dreieinhalb Jahre eine Chance geben, so ist das möglich geworden, weil dieses Gesetz in dreieinhalb Jahren wieder außer Kraft treten wird.

Wir sind im Wirtschaftsausschuss übereingekommen, dass die Wirkungen der Tariftreue auf die Strukturen und die Beschäftigten in den betroffenen Branchen wissenschaftlich untersucht werden, und zwar rechtzeitig, bevor das Gesetz ausläuft. Die Untersuchung wird zeigen, ob die Tariftreue das hält, was ihre Befürworter sich von ihr versprechen. So erhält der nächste Landtag eine stichhaltige Grundlage, um zu entscheiden, ob die Tariftreue nach 2010 weiter gelten soll. Genau zu dieser Entscheidung wird die Befristung des Gesetzes den nächsten Landtag zwingen.

Diese beiden Punkte, die umfassende Untersuchung der Wirkungen der Tariftreue und ihre eindeutige Befristung, haben uns veranlasst, das Gesetz heute nicht abzulehnen.

Nun zum Inhaltlichen. Die Tariftreue soll die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der betroffenen Branchen vor der Konkurrenz schlechter bezahlter

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen. So soll erreicht werden, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieser Branchen nicht nur einen angemessenen Lohn oder ein angemessenes Gehalt verdienen, sondern sie sollen diesen Lohn oder dieses Gehalt auch bekommen, zumindest wenn sie eingesetzt werden, um folgende öffentliche Aufträge des Landes zu erfüllen: Bauarbeiten, Abfallentsorgung, Schienenpersonennahverkehr und nun auch den straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr. Dies soll erreicht werden, indem die Unternehmen verpflichtet werden, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach einem der geltenden Lohn- und Gehaltstarife am Ort der Leistungserbringung zu bezahlen. Diese Verpflichtung ist bei der Vergabe der einschlägigen öffentlichen Aufträge ein K.-o.-Kriterium.

Unbestritten ist, dass die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zur Erfüllung der einschlägigen öffentlichen Aufträge beschäftigt werden, von der Tariftreue profitieren. Sie profitieren dann, wenn sie ohne Tariftreue schlechter bezahlt würden, als sie mit Tariftreue bezahlt werden.

Denjenigen, die sowieso besser bezahlt werden, nutzt die Tariftreue nicht direkt, aber sie kann ihnen indirekt nutzen, nämlich dann, wenn ihre Arbeitgeber ohne Tariftreue keine öffentlichen Aufträge bekämen, weil die Konkurrenz wegen niedrigerer Personalkosten preiswerter anbieten kann.

Unbestritten ist auch, dass die Tariftreue genau deswegen einem Teil der heimischen Unternehmen nutzt. Sie schützt sie vor preiswerterer Konkurrenz, weil sie den direkten Preisdruck mindert. Das ist wohl auch der Hauptgrund, warum die meisten Unternehmen und Unternehmensverbände der betroffenen Branchen die Tariftreue unterstützen oder diese sogar fordern.

Einige mögen jetzt sagen, mehr bräuchten sie auch gar nicht, und weitergehende Untersuchungen wären Verschwendung. Wir meinen, nicht nur die direkten, sondern auch die indirekten Wirkungen der Tariftreue sollten untersucht werden. Denn es könnte sein - ich drücke mich an dieser Stelle ganz bewusst vorsichtig aus -, dass die Summe dieser Nebenwirkungen die Bilanz der Tariftreue negativ werden lässt. Im Übrigen hat der Kollege Kubicki im Jahr 2003 in diesem Landtag vor nichts anderem gewarnt.

(Beifall bei der FDP)

Zum Beispiel könnte sich zeigen, dass zwar diejenigen heimischen Unternehmen profitieren, die die einschlägigen öffentlichen Aufträge erlangen konnten, dass die Branche insgesamt aber unter den Wir

(Bernd Schröder)

kungen der Tariftreue leidet. Dies könnte genau dann geschehen, wenn die öffentlichen Ausgaben für diese Zwecke nicht entsprechend gesteigert werden. Denn dann würden insgesamt weniger Aufträge vergeben und einige Unternehmen gingen dann nach Adam Riese leer aus. Dann würde vor allem ein Teil jener unter der Tariftreue leiden, die durch sie geschützt werden sollen. Es wären diejenigen, die wegen der Tariftreue keine Arbeit mehr hätten. Denn die Tariftreue kann nur Beschäftigten nutzen und nicht Menschen, die keine Beschäftigung haben.

(Beifall bei der FDP - Rolf Fischer [SPD]: Könnte, würde, dürfte, wäre!)

Es könnte sich auch zeigen, dass die Tariftreue weniger Vorteile als Nachteile mit sich bringt, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher für die gleichen Leistungen mit Tariftreue mehr bezahlen müssen als ohne Tariftreue, entweder weil sie für die entsprechenden Leistungen höhere Preise bezahlen müssen oder weil sie die höheren Steuern und Abgaben zahlen müssen, mit denen diese Leistungen finanziert werden müssen.

Dann würden die Verbraucherinnen und Verbraucher benachteiligt, weil ihre Nettoeinkommen real gekürzt würden.

Lieber Kollege Fischer, ich habe diese ganze Passage ausdrücklich im Konjunktiv vorgetragen, weil wir genau dieses Problem unabhängig untersuchen lassen wollen, während die Ausweitung der Tariftreue, die wir nicht ablehnen, wirkt. Wir wollen untersuchen lassen, ob unsere Befürchtungen zum Tragen kommen oder ob Sie recht behalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte bereits, wir wollen in den nächsten dreieinhalb Jahren ausprobieren, wie sich in den betroffenen Branchen unter anderem das Angebot und die Preise für die Kunden, die Kosten der öffentlichen Auftraggeber, die Beschäftigung in der Branche und die Marktstellung der heimischen Anbieter entwickeln. Ganz besonders wollen wir dies für den neu in das Gesetz aufgenommenen öffentlichen Personennahverkehr wissen. Denn die Busfahrerinnen und Busfahrer um die geht es beim öffentlichen Personennahverkehr ganz konkret - haben ein ganz besonderes Problem. Die meisten können ihr vergleichweise niedriges Gehalt nicht durch Nebenjobs aufbessern. Denn wegen der Vorschriften über die Lenk- und Ruhezeiten fahren sie an einem normalen Arbeitstag zwei Schichten, eine davon oftmals nachts. Zwischendurch haben sie mehrere Stunden Zwangspause, eine Zwangspause, in der sie dann

ruhen müssen, damit sie ihre Fahrgäste auch in der zweiten Schicht sicher ans Ziel bringen können.

Dies alles hat uns dazu veranlasst, trotz unserer erheblichen ordnungspolitischen Bedenken unsere Ablehnung des Tariftreuegesetzes zunächst für die nächsten dreieinhalb Jahre aufzugeben. Wir werden uns deshalb gleich bei der Abstimmung enthalten.