Protocol of the Session on July 11, 2007

Wir wissen inzwischen um die Risikofaktoren. Es sind Armut und soziale Isolation, es sind wiederholte Krisen und Partnerschaftsgewalt, es sind aber

auch Merkmale bei den Eltern selbst. Häufig sind es sehr junge Eltern, insbesondere junge Mütter. Es gibt Beeinträchtigungen durch psychische Erkrankungen, durch Sucht. Eltern haben in ihrer eigenen Kindheit Misshandlung, Vernachlässigung oder wiederholte Erziehungsabbrüche erfahren. Es gibt schon Hinweise während der Schwangerschaft kaum Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft - und wenn dann die Kinder geboren sind, stellen sie aufgrund chronischer Erkrankung, Behinderung oder Verhaltsstörung deutlich erhöhte Anforderungen an die ohnehin schon überforderten Eltern. Kurzum: Wir wissen inzwischen, welche Risikofamilien wir erreichen müssen.

Es ist auch richtig, dass - angestoßen von Professor Fegert - eine Diskussion über die standardisierte Erfassung der Risikoindikatoren stattfindet. Wir haben letzte Woche auf der Gesundheitsministerkonferenz beschlossen, dass die Risikoindikatoren nicht in jedem Land anders aussehen sollten, sondern dass wir uns darum bemühen, in jedem Land einheitliche Risikoindikatoren zugrunde zu legen.

Deutlich wird, dass es eben keine Einzelfälle gibt, mit denen wir uns zu beschäftigen haben, sondern dass es eine große, eine viel zu große Anzahl von Kindern ist. 5 bis 10 % der Kinder, die geboren werden, sind von Vernachlässigung und Gewalt bedroht. Das bedeutet für Schleswig-Holstein bei 24.000 Geburten pro Jahr, dass wir bei 1.200 bis 2.400 Kindern Jahr für Jahr davon ausgehen müssen, dass sie nicht nur schlecht vom Start wegkommen, schlechtere Chancen haben als andere, sondern dass sie ganz unmittelbar von Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung bedroht sind.

Vor diesem Hintergrund haben wir zu dem ohnehin vorhandenen Kinderschutznetzwerk in SchleswigHolstein im vergangenen Jahr zwei zusätzliche Landesprogramme auf den Weg gebracht. Das ist einmal das Landesprogramm „Schutzengel für Schleswig-Holstein“, in dessen Kern die Familienhebammen stehen, um die Brücke zwischen der Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen zu schlagen, ein Programm, das hier schon häufig diskutiert worden ist. Dieses Programm muss über dieses Gesetz nicht nur stabilisiert, sondern noch erweitert und verbessert werden.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Es gibt ein weiteres Programm, das wir kürzlich auf den Weg gebracht haben, das dem Anspruch Rechnung trägt, alle Familien erreichen zu wollen. Es ist doch unsere Erfahrung, dass alle Familien Unterstützung und Entlastung gebrauchen können. Das

(Lars Harms)

ist das Landesprogramm „Willkommen im Leben“. Alle Geburtskliniken des Landes zusammen mit allen Familienbildungsstätten wenden sich mit dem deutlichen Signal an die Eltern neugeborener Kinder: Wir unterstützen Sie und zeigen Ihnen Wege bei Problemen. Auch dies ist ein wichtiges Landesprogramm, von dem ich mir wünsche, dass es mit diesem Gesetz verankert und verstetigt wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem vorgelegten Gesetzentwurf werden wichtige Ziele verfolgt. Dass es Übereinstimmung zwischen diesem Gesetz und den Eckpunkten für ein Kinderschutzgesetz gibt, ist kein Zufall, kein Versehen, sondern Absicht und zeigt, wie gut die Kooperation zwischen den Regierungsfraktionen und der Landesregierung bei diesem Thema ist. Aber ich habe keinen Zweifel, dass die Unterschiede zu den Oppositionsfraktionen nur sehr gering sind angesichts der intensiven Debatte und der Tatsache, dass wir alle in den letzten Monaten zu dieser schwierigen, aber auch herausfordernden Thematik dazugelernt haben.

Ich will die wesentlichen Ziele noch einmal nennen: Bestehende und neue Angebote, die ich gerade genannt habe, sollen mit dem Kinderschutzgesetz gesetzlich verankert werden. Es wird mit diesem Kinderschutzgesetz die Möglichkeit eröffnet, dass weitere Modellprojekte, Programme und Aktivitäten der Landesregierung hinzukommen.

Ein zweites Ziel: Neben dem frühen Helfen werden soziale und gesundheitliche Frühwarnsysteme verankert werden; Sie haben es schon angesprochen. Das Prinzip lautet: früher wahrnehmen, schneller machen, besser kooperieren. Das genau ist der Schwachpunkt, den wir zu beheben haben. Das zeigen alle Untersuchungen und Studien, die auf dem Tisch liegen, und alle Analysen. Wir brauchen eigentlich keine neuen Angebote, sondern die vorhandenen Angebote müssen auf eine andere Art und Weise verantwortlich und verbindlich miteinander verzahnt werden. Deswegen spielen die sozialen Frühwarnsysteme hier auch eine so große Rolle.

Ein weiteres Ziel ist, dass es nicht sein kann, dass die Hilfe, das Engagement vom Lebensort, vom Wohnort der Kinder und ihrer Eltern abhängt. Deshalb müssen verpflichtend überall im Land lokale Netzwerke implementiert werden, damit die Kooperation der verschiedenen Bereiche von der Jugendhilfe über das Gesundheitswesen bis hin zu den Familiengerichten sichergestellt wird.

Die Früherkennungsuntersuchungen spielen eine zentrale Rolle in diesem Gesetz. Es hat zu dieser

Thematik erhebliche Debatten gegeben. Unsere Wunschvorstellung war, dass der Bund dies gesetzlich regelt, damit es nicht zu unterschiedlichen Regelungen in den Ländern kommt. Das war auch deshalb unsere Wunschvorstellung, weil wir den bürokratischen und finanziellen Aufwand für unser eigenes Land möglichst gering halten wollten, um die Ressourcen in die Weiterentwicklung unserer frühen Hilfen investieren zu können. Fakt ist, dass die Bundesregierung diesem Wunsch aller Länder nicht nachgekommen ist und wir jetzt die Situation haben, dass in jedem Land ein unterschiedlicher, ein anderer Ansatz entsteht. Wir werden also einen Flickenteppich haben. Deshalb müssen wir sehen, dass wir insbesondere mit Hamburg zu einer gleichen Lösung kommen, damit wir die Umlandprobleme tatsächlich auch lösen können.

Unser Ziel war es, mit möglichst geringem Aufwand ein Optimum an Effekt zu erreichen. Warum sind uns diese Früherkennungsuntersuchungen so wichtig? Weil sie die einzige Möglichkeit sind, systematisch Kinder im Verlauf ihres Lebens zu erreichen und damit ein Netzwerk zu knüpfen, das so dicht ist, dass die Chance größer wird, dass kein Kind durch dieses Netzwerk fällt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin davon überzeugt, dass mit dem vorgelegten Gesetzentwurf eine sehr gute Konstruktion gefunden worden ist. Sollte sich im Verlauf der Debatte zeigen, dass es eine bessere gibt, sollte sich dem niemand verschließen. Aber die intensiven Erörterungen mit Fachleuten zeigen, dass es meines Erachtens keinen besseren Weg gibt. Deswegen bitte ich, diesen Weg zu unterstützen, weil dies natürlich auch ein Herzstück dieses Kinderschutzgesetzes ist.

(Beifall bei SPD und CDU)

Damit aber nicht nur gesundheitliche Probleme von Kindern erkannt werden, sondern insbesondere auch Hinweise auf Vernachlässigung und Gewalt, werden wir unser Augenmerk bei der weiteren Verbesserung darauf legen müssen. Hier ist die Bundesregierung wirklich noch in der Pflicht, über die gesetzliche Krankenversicherung zu Verbesserungen bei der Art der Untersuchung zu kommen. Sie hat dies auch nach wie vor zugesagt. Auch die Frage der fehlenden Untersuchungen im Alter von drei Jahren ist ein Thema für die Bundesebene, das noch auf der Tagesordnung steht.

Lassen Sie mich sagen: Drei Grundgedanken prägen dieses Gesetz. Das ist die frühe Förderung und die Stärkung der Erziehungskompetenz von Eltern, um eine wirksame Prävention bei Vernachläs

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

sigung und Kindeswohlgefährdung zu haben. Das sind die sozialen und gesundheitlichen Frühwarnsysteme, die interdisziplinären Kooperationen, um insbesondere Problemfamilien früh zu erkennen und unterstützen zu können. Und das ist die Einschätzung, dass zu einem wirksamen Kinderschutz klar geregelte Verfahrenswege und Verantwortlichkeiten gehören.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in vielen Ländern werden zurzeit Aktivitäten für einen besseren Kinderschutz entwickelt. Ich bin davon überzeugt, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bundesweit wahrnehmbar ein Signal gesetzt wird, nämlich das Signal, dass Kinderschutz bei uns in Schleswig-Holstein eine politische Herzensangelegenheit des gesamten Landtages und der Landesregierung ist.

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke der Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir treten in die Abstimmungen ein. Zunächst möchte ich über den Tagesordnungspunkt 2, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Öffentlichen Gesundheitsdienst, abstimmen lassen. Der Ausschuss empfiehlt die Ablehnung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/519. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf Drucksache 16/519 ist mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP bei Enthaltung des SSW abgelehnt worden.

Wir kommen dann zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9, Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 16/1439 dem Sozialausschuss - ich gucke den Innen- und Rechtsausschuss an, ob er will - zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist so geschehen.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Mittagspause eintreten, habe ich ein paar geschäftsleitende Anmerkungen zu machen und noch einen Hinweis zu geben. Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich dankenswerterweise darauf geeinigt, dass der Tagesordnungspunkt 14 - das ist das Landeswassergesetz - und der Tagesordnungspunkt 24 - Arbeitshilfe zum einheitlichen Umgang mit dem § 35 a SGB VIII - ohne Ausspra

che behandelt werden. Wir werden die Sitzung dann um 15 Uhr mit Tagesordnungspunkt 6 - Änderung der Landesverfassung - fortsetzen. Es folgt dann Tagesordnungspunkt 5, Tariftreuegesetz, und dann entsprechend der Reihenfolge Tagesordnungspunkt 31, GRAMARK.

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass im Schleswig-Holstein-Saal um 13:30 Uhr zum dritten Mal eine Auszeichnung von Schulen aus allen Teilen des Landes mit dem niederdeutschen Schulsiegel stattfindet, und zwar der Schulen, die sich in ihrer Unterrichtsgestaltung in besonderer Weise um die Förderung des Niederdeutschen verdient gemacht haben. Wir sind alle herzlich eingeladen.

Wir treten jetzt in die Mittagspause ein.

(Unterbrechung: 12:59 bis 15:02 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wieder eröffnet. - Der Innenminister schlägt sich auf die richtige Seite.

(Heiterkeit)

Ich begrüße Sie alle sehr herzlich.

Bevor wir wieder in die Tagesordnung eintreten, teile ich Ihnen mit, dass die Abgeordneten Lothar Hay und Karl-Martin Hentschel beurlaubt sind.

Lassen Sie mich auf der Tribüne zusammen mit Ihnen, die Sie hier im Parlament anwesend sind, Mitglieder der Senioren-Union aus Reinfeld aus dem Kreis Stormarn sowie Schülerinnen und Schüler der Humboldt-Schule aus Kiel mit ihren Lehrkräften begrüßen. - Seien Sie uns alle herzlich willkommen!

(Beifall)

Wir treten wieder in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Landesverfassung

Gesetzentwurf der Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1291

Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses Drucksache 16/1490

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

Ich erteile dem Berichterstatter des Innen- und Rechtsausschusses, Herrn Abgeordneten Werner Kalinka, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Landtag hat den Gesetzentwurf der Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 16/1291, zur Änderung der Landesverfassung durch Plenarbeschluss vom 21. März 2007 federführend an den Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend an den Sozialausschuss überwiesen.

Beide Ausschüsse haben sich in mehreren Sitzungen mit dem Gesetzentwurf befasst. Im Einvernehmen mit dem beteiligten Sozialausschuss empfiehlt der Innen- und Rechtsausschuss den Gesetzentwurf dem Landtag einstimmig in der folgenden geänderten Fassung zur Annahme:

„Artikel 1

Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein.

Die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein in der Fassung vom 13. Juni 1990, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.10.2006, wird wie folgt geändert:

Folgender Artikel 6a wird eingefügt: