Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 59. Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich.
Erkrankt ist die Frau Abgeordnete Schwalm. Ich wünsche der Kollegin von dieser Stelle aus gute Besserung.
Wegen auswärtiger Verpflichtungen sind der Ministerpräsident Carstensen sowie die Landesminister Frau Dr. Trauernicht, Herr Dr. Stegner und Herr Wiegard beurlaubt.
Auf der Tribüne begrüße ich ganz herzlich Schülerinnen und Schüler der Realschule Bad Schwartau mit ihren Lehrkräften. - Seien Sie uns alle herzlich willkommen!
Damit treten wir in die Tagesordnung ein. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 und 37 zur gemeinsamen Beratung auf:
b) Veräußerung eines Grundstücks in Brunsbüttel Antrag zur Einwilligung des Schleswig-Holsteinischen Landtags in die Veräußerung gem. § 64 Abs. 2 LHO
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich erteile das Wort zunächst dem Herrn Berichterstatter des Finanzausschusses, Herrn Abgeordneten Günter Neugebauer. - Wenn Sie wollen, können Sie auf die Vorlage verweisen.
Herr Präsident, ich will mich nicht damit herausreden, dass mich andere soeben abgelenkt haben, sondern ich stehe zu meiner Verantwortung.
Ich schlage vor, dass wir zunächst zu Tagesordnungspunkt 26 kommen, Neubau von Kohlekraftwerken; es handelt sich um die Drucksache 16/1378. Ich erteile dazu dem Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit den geplanten Kohlekraftwerken werden alle Bemühungen, den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase in Schleswig-Holstein zu begrenzen, für viele Jahrzehnte zerschlagen.
Wir lehnen den Zubau an Kohlekraftwerken in Schleswig-Holstein ab. Der fossil-atomare Weg ist Vergangenheit.
Stattdessen brauchen wir jetzt die ökologische Energiewende und den Aufbruch ins Solarzeitalter. Der aktuelle Klimabericht der UNO stellt unmissverständlich fest, dass die Menschheit gegensteuern muss. Damit müssen wir jetzt anfangen.
Trotz der Erkenntnisse und trotz des stark gewachsenen Bewusstseins um die Folgen des drohenden Klimawandels unterstützt diese Landesregierung den Neubau von Großkraftwerken, die als Kondensationskraftwerke mit Kohle befeuert werden sollen. Die technische Lebenszeit dieser Kohlekraftwerke beträgt mehr als 40 Jahre. In Kiel soll ein neues Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 1,1 GW gebaut werden. Das bedeutet 30 m hohe Berge an Kohlevorrat, 1,8 Millionen t Kohle pro Jahr, ein riesiges Kesselhaus von 120 m Höhe, einen Schornstein von 180 m Höhe und 100.000 m3 Kühlwassereinsaugung und -ausstoß pro Stunde. Dieses Wasser wird in die Kieler Förde gewirbelt.
Das geplante Steinkohlegroßkraftwerk in Kiel wird jährlich Millionen Tonnen CO2 in den Kieler Himmel blasen.
In Brunsbüttel soll in einem Fall ein Kraftwerk mit 0,8 GW im Doppelblock gebaut werden. An anderer Stelle in Brunsbüttel soll ein weiteres 0,8 GW großes Kraftwerk entstehen. Allein diese Vorhaben summieren sich auf unvorstellbare 3,5 GW Leistung. Das ist so viel wie alle Atomkraftwerke in Schleswig-Holstein zusammen.
Die Großkraftwerksstruktur wird zementiert, statt auf viele effiziente kleinere Kraftwerke zu setzen, deren Abwärme zum Heizen und zur Warmwasserbereitung genutzt werden könnte. Diese Dinosauriertechnik der Kohlefeuerungsgiganten heizt die Förde und die Elbe auf. Der Weg zum Ausbau der effizienten Kraft-Wärme-Kopplung wird damit ökologisch blockiert.
In der Pressemitteilung des kohleschwarzen Wirtschaftsministeriums zum Verkauf des BrunsbüttelGrundstücks liest man - ich zitiere -:
„Austermann erinnerte an die moderne Umwelttechnik, mit der das neue Kraftwerk ausgestattet werde. Gegenüber älteren Steinkohlekraftwerken werden die Kohlendioxidemissionen um rund 20 % sinken und leisten damit einen erheblichen Beitrag zum Schutz des Klimas.“
So ein Schmarren, Herr Minister! So ein Schmarren! Das ist keine moderne Umwelttechnik, sondern lediglich ein leicht verbesserter Wirkungsrad im Vergleich mit den in Deutschland vorhandenen 30 bis 40 Jahre alten Dreckschleudern.
Das bedeutet, dass ein Kraftwerk heute in fünf Tagen dieselbe Menge klimaschädlicher Gase ausstößt wie ein altes in vier Tagen.
In dieser wie in allen Verlautbarungen der Landesregierung ist keine Silbe von den Treibhausbilanzen und den Auswirkungen auf den Klimaschutz in Schleswig-Holstein zu lesen. Statt bei der Stromerzeugung den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, wird dieser verdreifacht. Schleswig-Holstein verdreifacht seinen Ausstoß an klimaschädlichen Gasen. Damit werden alle weiteren Bemühungen zum Klimaschutz zerschlagen.
Der Kollege Dr. Garg fragte im Ausschuss vorsichtig, ob denn eine Kohlendioxidabspaltung nachgerüstet werden soll. Die Antwort war, auf dem Gelände gebe es genug Platz für eine solche Anlage. Tatsache ist jedoch, dass diese Technik nicht zur Verfügung steht. Man behauptet, dass sie komme. Man hat auch einige klitzekleine Versuchsanlagen im Bau. Wenn diese sogenannte Carbon-Sequestration-Technik kommt, muss im Falle der Nachrüstung das halbe Kraftwerk abgerissen werden. Der
Wirkungsgrad wird erheblich verschlechtert. Die Frage, wo das abgespaltene Kohlendioxid gelagert werden soll, ist völlig offen.
Mit der Fortsetzung der Kohleverbrennung zur Stromerzeugung würde Deutschland alle international eingegangenen Klimaschutzziele um Längen verfehlen. Tatsächlich begünstigt das Trio Merkel/ Glos/Gabriel diese Entwicklung durch Privilegien für Kohle beim Emissionshandel.
Die Bundesregierung hat interessanterweise einen Klimaschutzbeauftragten berufen: den Chef des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, Lars Josefsson. Es ist ein Affront und eine Realsatire, wenn Frau Merkel offenbar nicht mehr auf ihre Sachverständigenräte hören will, sondern auf einen Konzernchef, der für Kohleverbrennung steht wie kein Zweiter hier im Lande.
Statt Energiewende soll also importierte Billigkohle ins Land geschifft werden. Es ist allerdings eine Illusion anzunehmen, dass bei steigenden Energiepreisen und Verknappung der Vorräte die Kohle davon unberührt und billig bleibe. So wird es nicht kommen.
Wir haben Alternativen und können einen anderen Weg gehen. Wir müssen mit Einsparungen Ernst machen.
Die Windenergie in Schleswig-Holstein kann auf dem Meer und durch Anlagenerneuerung 140 % des Stromverbrauchs abdecken. Das steht sogar laut Presse in einem Grünbuch Windenergie des Energieministers. Die Biomasse kann locker 10 % beitragen. Die Kraft-Wärme-Kopplung kann von 20 auf 40 % ausgebaut werden, insbesondere dort, wo größere Heizanlagen durch KWK-Geräte ersetzt werden. Schleswig-Holstein kann bis zum Jahre 2020 190 % seines heutigen Stromverbrauchs - das sind 210 % seines reduzierten Bedarfs - regenerativ erzeugen.
Lastvariable Tarife können den Bedarf auf der Nachfrageseite steuern. Wir fordern die Landesregierung auf, der Blockadehaltung der Stromnetzbetreiber entgegenzutreten. Wir brauchen starke Netze, um die riesigen Potenziale regenerativer Erzeugung großräumig zu erschließen. Wir brauchen intelligente Netzsteuerungen, um dezentrale effiziente
regenerative Erzeugung für die Versorgung mit Strom optimal nutzbar zu machen. Wir brauchen einen schnellen Ausbau der Übertragungsnetze als Erdkabel, anstatt jahrelange Verzögerungen durch Freileitungsplanung, die nur gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzbar wäre. Wir setzen uns auch dafür ein, die früheren Planungen für eine Hochspannungsleitung nach Norwegen als ersten Bestandteil des zukünftigen transeuropäischen Netzes wieder aufzunehmen.
Die ökologische Energiewende ist machbar. Sie bringt außerordentlich positive Technik und Wirtschaftsimpulse. Manche reden auch von einer dritten industriellen Revolution. Man kann es heute in den verschiedenen Branchen bereits beobachten: vom Ingenieurbüro für Windtechnik bis hin zum Handwerksbetrieb vor Ort, der sich auf Wärmetechnik spezialisiert hat. Soll der Exportweltmeister Deutschland diese Technik bei sich entwickeln, oder sollen wir der Welt ein Beispiel mit Kohlekraftwerken geben? Die Große Koalition marschiert unter Führung von Kohleminister Austermann geschlossen, ohne sich diesmal zu streiten, interessanterweise - wo bleiben die Sozialdemokraten bei dieser Frage? -,
in die energiepolitische Vergangenheit. Wir wissen doch alle, das ist ein Weg, den wir nicht gehen dürfen. Kehren Sie um, erkennen Sie Ihre Verantwortung, verkaufen Sie das Grundstück in Brunsbüttel nicht!
Obwohl Schleswig-Holstein zu den von einer Erhöhung des Meerespiegels weltweit am stärksten betroffenen Regionen zählt, tritt die schwarz-rote Landesregierung den Klimaschutz mit Füßen. Obwohl Schleswig-Holstein weltweit zu den führenden Regionen der erneuerbaren Energien zählt, beschreitet die schwarz-rote Landesregierung brutal den Weg der Verbrennung fossiler Energieträger. Obwohl Schleswig-Holstein wie alle Regionen weltweit nur noch bis 2020 Zeit hat umzusteuern, soll die Kohleverfeuerung bis 2060 zementiert werden.
Im Dezember konnte man folgende dpa-Meldung lesen: „Die geplanten neuen Kohlekraftwerke gefährden nach Ansicht des Bundesumweltamtes die deutschen Klimaschutzziele.“ Ich füge hinzu: Sie schädigen unseren Wirtschaftsstandort, sie sind eine schwere Hypothek auf die Zukunft.