Protocol of the Session on March 23, 2007

Man fragt sich natürlich: Warum haben wir diese Verhältnisse heute noch nicht? Der Grund ist einfach: Der Umbau im Zuge der Energiewende in Deutschland kostet nach den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaft in Berlin 800 Milliarden € Investitionen. Das ist nicht von heute auf morgen zu schaffen. Es wird uns die nächsten 50 Jahre beschäftigen.

Trotz der riesigen Summe muss gesagt werden: Das ist bezahlbar. Legt man die Summe auf 40 Jahre um, dann bedeutet es für jeden Bürger circa 250 € pro Jahr oder 20 € pro Monat. Dieser Betrag ist realistisch und könnte aufgebracht werden.

Nun kommt die spannende Frage: Müssen wir in der Übergangszeit neue Kohle- oder Atomkraftwerke bauen? Müssen wir die Laufzeiten verlängern, um die auslaufenden Kraftwerke zu ersetzen? Die Experten sagen: Nein. Wenn der Zubau regenerativer Kraftwerke schon heute billiger ist als der Zubau oder die Nachrüstung von Kohle- oder Atomkraftwerken, dann binden wir nur unsinnige Investitionen, die wir für den Umbau der Zukunft brauchen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Entscheidend ist, dass wir so schnell wie möglich mit dem Ausbau des Supernetzes, nämlich des

(Karl-Martin Hentschel)

Hochspannungsgleichstromnetzes, beginnen. Das ist keine Utopie. Schon lange wird New York über ein solches Netz mit Wasserkraftstrom von den Niagarafällen versorgt.

Für uns könnte der erste Schritt der Bau eines HGÜ-Kabels von Brunsbüttel nach Norwegen sein. Dann können wir bei viel Wind Strom nach Norwegen liefern, bei wenig Wind beziehen wir dann Strom aus den norwegischen Wasserkraftwerken, die den Strom heute schon für unter 4 ct liefern.

Meine Damen und Herren, jeder Euro, der heute noch in Kohle oder Atomkraft investiert wird, ist ein Euro, der beim Ausbau der regenerativen Energien fehlt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der einzige Grund, warum wir überhaupt noch eine Zeit lang fossile Energien benötigen, ist die Wohnungswärme. Der Umbau unseres gesamten Gebäudebestandes auf Niedrig- oder Passivhausstandard wird mit Sicherheit 50 bis 60 Jahre dauern. Bis dahin müssen wir aber unsere Wohnungen beheizen. Da macht es Sinn, die Wärme in Kraft-WärmeKopplungsanlagen zu erzeugen, die nebenbei Strom produzieren.

Aber auch dafür brauchen wir keine Kohlekraftwerke. Atomkraftwerke sind dafür völlig ungeeignet. Wie soll denn die Wärme von Brunsbüttel nach Kiel kommen? Der Transport wird nicht nur unbezahlbar, sondern auch ineffizient.

Neben Biogasanlagen können Gasturbinenkraftwerke eine wichtige Rolle als Übergangstechnologie spielen.

Die Vorraussetzung dafür, dass sich das lohnt, ist geradezu, dass die Atomkraftwerke regulär abgeschaltet werden. Sie sind und bleiben Dinosaurier einer Energievergangenheit, die beim Umbau der Energiewirtschaft durch ihre riesigen, unflexiblen Blöcke eher ein Hindernis als eine Hilfe darstellen.

In der aktuellen Debatte um die Laufzeiten geht es nicht um Klimaschutz. Klimaschutz dient den Konzernen lediglich als Argument für den durchsichtigen Versuch, mit längst abgeschriebenen Altreaktoren eine hohe Monopolrendite einzufahren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was die Monopolisten tatsächlich fürchten, ist die Konkurrenz: Denn der Umbau der Energiewirtschaft wird nicht zwangsläufig in den Händen von E.ON, RWE und Vattenfall liegen.

Natürlich ist es den Giganten ein Dorn im Auge, wenn heute Tausende von Bauern, Investoren, Fi

nanzierungsgesellschaften und Stadtwerken Sonnen-, Wind- und Biogasanlagen bauen und den Konzernen eine ungeliebte Konkurrenz bereiten.

Mit allen technischen und rechtlichen Mitteln versucht E.ON heute, die Energiewende zu verhindern oder hinauszuzögern. Jedes Jahr mehr Laufzeit ist für E.ON bares Geld. Für Schleswig-Holstein ist es aber ein verlorenes Jahr auf dem Weg in die Zukunft.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch ein Wort zu den Arbeitsplätzen. Die Warnungen vor dem Verlust von Arbeitsplätzen sind Demagogie. Schon heute beschäftigen die regenerativen Energien fünfmal so viel Menschen wie die Atomindustrie. Wenn ein Atomkraftwerk abgeschaltet wird, wird es 20 Jahre lang zurückgebaut. Es hat dann mehr Arbeitsplätze als vorher.

Die grüne Wirtschaftspolitik hat in den vergangenen zehn Jahren Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen. Kein Sektor der Wirtschaft ist so schnell gewachsen wie die regenerativen Energien und die Einspartechnologien.

Die größten Investitionen finden heute in den USA statt. In den Rocky Mountains werden Hunderte von Windmühlen aufgebaut, um die Fallwinde zu nutzen. Die Windmühlen stammen aus deutscher Produktion.

Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, während die anderen Windmühlen aufstellen. - Der Wind weht. Die Zukunft hat längst begonnen. Verabschieden wir uns von der Vergangenheit!

Stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Olaf Schulze das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war wieder einmal ein Versuch der Grünen, den Atompilz in die Große Koalition zu treiben. - Ausrücken nutzt nichts; Sie müssen schon dableiben und zuhören.

Wie mein Kollege Konrad Nabel in diesem Hause schon mehrfach ausgeführt hat, hätte ein Blick in den Koalitionsvertrag genügt, um sich zu informieren. In der Frage der weiteren Nutzung der Kernenergie sind wir uns bewusst, dass die jetzt im Atomgesetz normierten Restlaufzeiten gelten und

(Karl-Martin Hentschel)

zurzeit nicht zu verändern sind. Es besteht Einigkeit, dass die Landesregierung nicht initiativ wird, den Energiekonsens aufzukündigen. Wir werden uns im Bundesrat enthalten, wenn widerstreitende Auffassungen, zum Beispiel bei der Kernenergie, vorliegen. Dies gilt bis 2010. Es gilt weiterhin uneingeschränkt für beide Seiten, sowohl in Kiel als auch in Berlin.

Die anderen zwei Punkte des Antrages der Grünen sprechen gleichfalls keine neue Sprache, sondern beziehen sich auf bekannte, überholt geglaubte Diskussionen. Abschalten von Atomkraftwerken ist kein Widerspruch zur Erreichung der Ziele des Klimaschutzes.

Ich darf hier Bundesumweltminister Sigmar Gabriel zitieren, der längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke aus Gründen des Klimaschutzes eine Absage erteilte mit den Worten:

„Kernenergie macht weltweit nur 2,5 % am Endenergieverbrauch aus. So viele neue Atomkraftwerke könnten gar nicht gebaut werden, um den Klimawandel aufzuhalten.“

Sollte Atomstrom wirklich zum Klimaschutz beitragen, bräuchten wir weltweit Tausende neuer Atomkraftwerke. Was aber würde das bedeuten? Auch Uran ist ein endliches Gut. Die Uranvorräte wären in wenigen Jahrzehnten erschöpft. Ob hier die hochproblematische Schnelle-Brüter-Technologie helfen kann, ist fraglich. Die Entsorgung ist immer noch nicht gesichert. Die Gefahr der Ausbreitung von Atomwaffen in anderen Ländern wächst. Soll Klimaschutz durch Atomkraft etwa wirklich auf Kosten anderer Länder außerhalb Europas durchgeführt werden?

Aus meiner Sicht verschaffen längere Laufzeiten für alte und längst abgeschriebene Atomkraftwerke den Betreibern nur Extragewinne, nutzen aber dem Klima auf Dauer nichts. Dringend erforderliche Investitionen in neue, effiziente Kraftwerke würden weiter auf die lange Bank geschoben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hinzu kommt, dass Atomkraftwerke nur Strom produzieren, hingegen keine nutzbare Wärme. Wir brauchen jedoch die Kraft-Wärme-Kopplung, also Kraftwerke, die beides koppeln. Kraft-WärmeKopplung ist die Alternative, nicht Kernenergie. So haben Atomkraftwerke einen Wirkungsgrad von 30 bis 43 %. Bei Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung liegt er zwischen 80 und 90 %.

Ich bin mir sicher, dass uns nicht nur in SchleswigHolstein beides gelingen wird: die von der Bundes

regierung und der EU international angestrebten Ziele zu erreichen sowie eine Energiewende mit regionalen Energieerzeugungskonzepten herbeizuführen und die im Weg liegenden Atomkraftwerke, wie geplant, stillzulegen. Dies dient einer dezentralen, vom Ausland unabhängigen Energieversorgung und sichert und schafft nicht zuletzt deutlich mehr Arbeitsplätze als in der Atomenergie. Gerade wir in Schleswig-Holstein haben erlebt, wie in den letzten Jahren die erneuerbaren Energien zum Jobmotor wurden.

Herr Kollege Ritzek, es ist schon traurig, dass Sie so wenig Vertrauen in die deutsche Wirtschaft haben, dass Sie glauben, dass wir es nicht schaffen, in den nächsten Jahren so viel Windkraftanlagen im Offshore-Bereich zu bauen, dass wir von der Atomenergie wegkommen.

(Manfred Ritzek [CDU]: Herr Gabriel hat das gesagt!)

Gerade wir in Schleswig-Holstein sollten es besser wissen.

(Beifall bei der SPD)

Nun zur dritten Forderung im Antrag der Grünen. Auch insoweit hätte ein Blick in die lesenswerte Drucksache 16/581 - „Zukunftsfähige Energiepolitik für Schleswig-Holstein“ - geholfen. Wir haben stets formuliert, dass eine zukunftsfähige Energiepolitik nicht nur für Schleswig-Holstein auf drei Säulen basieren muss, auf Energieeinsparungen, auf Energieeffizienz mit Kraft-Wärme-Kopplung und auf erneuerbaren Energien in all ihren Facetten. Wir werden weiter alles daransetzen, dass eine integrierte Klima- und Energiepolitik in Deutschland und in Schleswig-Holstein umgesetzt wird. Einzelne populistische Schnellschüsse, wie sie von den Grünen in jüngster Zeit gerne abgefeuert werden, machen aus unserer Sicht wenig Sinn. Vielmehr brauchen wir ambitionierte Klimaschutzziele, die Innovationen anregen, Forschung und Technologie mit hohen Standards für eine deutliche Steigerung der Energieeffizienz, den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien und die Entwicklung CO2-armer Energietechniken bei fossilen Energieträgern.

Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wollen für die Zukunft bezahlbaren und ausreichend Strom für die privaten Haushalte genauso sicherstellen wie für die Wirtschaft. Deshalb setzen wir auf eine moderne, effiziente, dezentrale und damit zukunftsfähige Energieversorgung.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

(Olaf Schulze)

Wer sich über Monopole im Strommarkt beklagt, kann nicht dafür plädieren, die Monopolstellung durch längere Laufzeiten für Atomkraftwerke zu stärken. Auch das Argument, die Laufzeiten müssten verlängert werden, damit die erneuerbaren Energien ausgebaut werden können, ist falsch, da wir genau aus diesem Grund gemeinsam mit der Industrie den Energiekonsens geschlossen haben. Wir halten uns an Verträge und erwarten dies auch von der Energiewirtschaft.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD], Konrad Nabel [SPD] und Lars Harms [SSW])

Dass dies funktionieren wird, belegt die aktuelle Studie von Greenpeace. Hiernach könnte das letzte deutsche Atomkraftwerk schon 2015 vom Netz gehen und der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020, bezogen auf das Basisjahr 1990, um 40 % gesenkt werden.