Protocol of the Session on February 22, 2007

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich.

Erkrankt ist der Herr Abgeordnete Hans Müller. Wir wünschen dem Kollegen noch einmal von dieser Stelle gute Besserung.

(Beifall)

Wegen auswärtiger Verpflichtungen sind die Minister Dr. von Boetticher und Wiegard beurlaubt.

Die Besucher begrüße ich, wenn sie vollzählig auf der Tribüne sind.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung gefahrenabwehrrechtlicher und verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/670

Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses Drucksache 16/1163

Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/1246

Ich erteile zunächst dem Berichterstatter des Innenund Rechtsausschusses, dem Herrn Abgeordneten Werner Kalinka, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Innen- und Rechtsausschuss hat sich mit dem ihm durch Plenarbeschluss vom 23. März 2006 überwiesenen Gesetzentwurf der Landesregierung zur Anpassung gefahrenabwehrrechtlicher und verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen, Drucksache 16/670, in mehreren Sitzungen, zuletzt am 14. Februar, befasst. In seiner Sitzung vom 5. Juli 2006 führte er mit 11 Vertretern von Interessenverbänden und Betroffenen eine mündliche Anhörung durch.

Im Laufe des weiteren Verfahrens legten sowohl die Fraktion der FDP als auch die Fraktionen von CDU und SPD umfangreiche Änderungsanträge vor. In der Schlussabstimmung wurde der Änderungsantrag der Fraktion der FDP mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. Die

Änderungen aus dem Antrag der Fraktionen von CDU und SPD wurden mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.

Dementsprechend spricht der Ausschuss mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Landtag die Empfehlung aus, den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Anpassung gefahrenabwehrrechtlicher und verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen, Drucksache 16/670, in der geänderten Fassung der rechten Spalte der in Drucksache 16/1163 enthaltenen Gegenüberstellung anzunehmen.

Gestatten Sie mir eine persönliche Anmerkung: Ich möchte dem Herrn Oppositionsführer trotz unterschiedlicher Meinungen für die konstruktive Begleitung ganz besonders herzlich danken.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall.

Erlauben Sie mir, bevor ich in die Aussprache gehe, dass ich jetzt auf der Besuchertribüne sehr herzlich Schülerinnen und Schüler und die begleitenden Lehrkräfte der Realschule Schönkirchen begrüße. Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Peter Lehnert das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzte grundlegende Änderung des Landespolizeirechts, über das wir heute diskutieren, liegt bereits 15 Jahre zurück. Seitdem hat sich viel verändert. Inzwischen leben wir in einem Europa der offenen Grenzen. Früher boten Grenzkontrollen relative Sicherheit, heute hat sich die Mobilität von Menschen und Geldströmen ständig erhöht. Auf solche veränderten Rahmenbedingungen müssen wir mit den Möglichkeiten des Schengener Abkommens reagieren, um Gefahren durch neue Formen des Verbrechens besser abwehren zu können. Kriminalität ist leider professioneller und gewaltbereiter geworden. Dies gilt nicht nur für den internationalen Terrorismus, sondern auch in den Bereichen des Menschenhandels und der Zwangsprosti

Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 53. Sitzung - Donnerstag, 22. Februar 2007 3777

tution. Durch die ständige Kommunikationsmöglichkeit über Handy oder Internet ist die Verabredung von Verbrechen oder deren Durchführung schneller und einfacher geworden. Die Welt des Internets bringt völlig neue Ausprägungen von Kriminalität mit sich, bei denen räumliche Entfernungen und auch Staatsgrenzen praktisch keine Rolle mehr spielen.

Auf diese veränderten Herausforderungen müssen wir uns einstellen und reagieren. Täten wir es nicht, würden wir grob fahrlässig handeln. Auch wir müssen diese neuen Techniken einsetzen, um Verbrechen zu verhindern und um unsere Vollzugsbeamtinnen und -beamten besser zu schützen.

Damit der wachsame Rechtsstaat mit Hilfe unserer Polizei wirkungsvoll auf solche neuen Anforderungen reagieren kann, werden aber auch zusätzliche Befugnisse benötigt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in der vom Innen- und Rechtsausschuss empfohlenen Fassung gehen wir deshalb einen weiteren wichtigen Schritt zu mehr Sicherheit in Schleswig-Holstein. Jedes einzelne Verbrechen, das dadurch verhindert wird, ist auch gleichzeitig ein wichtiger Beitrag für einen nachhaltigen Opferschutz.

Es hat, glaube ich, in diesem Parlament selten einen Gesetzentwurf gegeben, der so umfassend diskutiert wurde. So hat es neben den Anhörungen durch das Innenministerium und den zuständigen Innenund Rechtsausschuss auch noch zahlreiche Fachgespräche seitens der Fraktionen gegeben, um alle vorgetragenen Anregungen und Bedenken gewissenhaft zu erwägen und in die abschließende Beschlussempfehlung einfließen zu lassen. Allein der Umfang und der Inhalt der von CDU und SPD vorgelegten Änderungsanträge macht dies eindrucksvoll deutlich.

An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich beim Arbeitskreis Inneres, Recht und Kommunales der SPD-Fraktion und vor allem bei dem Vorsitzenden, dem Kollegen Puls, für die gute und konstruktive Zusammenarbeit bei diesem Gesetzentwurf bedanken.

(Beifall bei der SPD)

Wir nutzen gemeinsam mit dem vorliegenden Gesetz auch die Spielräume, die uns das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich einräumt. Die vorgesehenen Änderungen geben der Polizei konkret die rechtliche Handhabe zur so genannten Schleierfahndung, der präventiven Telekommunikationsüberwachung, der Videoaufzeichnung an Kriminalitäts- und Gefahrenbrennpunkten sowie zur Eigensicherung von Polizeibeamten bei Kontrollen. Letz

tere ist angesichts des schwierigen und teilweise leider auch gefährlichen Berufs, den diese ausüben, besonders wichtig. Bisher durfte die Polizei das nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass ein Gewaltverbrecher davor eher zurückschreckt, einen Polizisten anzugreifen, wenn er weiß, dass er dabei gefilmt wird. Darüber hinaus wird eine Rechtsgrundlage zur Erprobung des Kfz-Kennzeichenscannings geschaffen. Neben dem kurzfristigen Platzverweis kann die Polizei in Zukunft gegenüber Störern auch ein längerfristiges Aufenthaltsverbot aussprechen.

Personen, von denen besondere Gefahren ausgehen, können aufgrund richterlicher Anordnung zur gezielten Kontrolle ausgeschrieben werden. Mit diesem Maßnahmenbündel wollen wir den staatlichen Ermittlungsbehörden alle rechtsstaatlich zulässigen Mittel an die Hand geben, um möglichst schon vorbeugend Kriminalität zu verhindern oder aber bereits begangene Verbrechen möglichst umfassend und schnell aufzuklären.

Zur möglichst effektiven Bekämpfung der schweren sowie der organisierten Kriminalität brauchen die Ermittlungsbehörden neben moderner technischer und ausreichender personeller Ausstattung entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen. Alle drei Kriterien bilden die Voraussetzung für ein entschlossenes Vorgehen des Staates gegen das Verbrechen. Wenn CDU und SPD in einem umfangreichen Sicherheitspaket zahlreiche Maßnahmen miteinander vereinbart haben, so dienen diese dem Ziel, die Menschen in unserem Land noch effektiver vor Kriminalität zu schützen. Dabei gelten selbstverständlich alle rechtsstaatlichen Maßstäbe, die uns durch das Grundgesetz vorgegeben sind. Ich sage aber auch ganz deutlich, dass wir den uns zur Verfügung stehenden Handlungsrahmen voll ausschöpfen wollen. Ein starker Staat muss gerade das Recht der Schwächeren in unserer Gesellschaft schützen. Die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger darf nicht davon abhängig sein, ob man über ausreichend Finanzmittel verfügt, um sich diese Sicherheit über private Dienstleister zu erkaufen.

Wir setzen uns selbstverständlich auch mit den Fragen auseinander, die aus dem Bereich des Datenschutzes an uns herangetragen werden, und berücksichtigen sie in angemessener Weise. Datenschutz ist wichtig, geht aber nicht vor Sicherheit.

In der Frage der Rechtsgüterabwägung sind wir der Auffassung, dass es kein Recht auf freie und ungestörte Verbrechensausübung gibt. Um Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Freiheit und das Eigentum eines Menschen abzuwehren, muss

(Peter Lehnert)

die Polizei auch konkret handeln können. Wollte man das der Polizei verbieten, dann wäre beispielsweise die Unverletzlichkeit der Wohnung, in der ein Anschlag verabredet wird, ein höheres und schützenswerteres Rechtsgut als das Leben der von diesem Anschlag bedrohten Menschen. In einem solchen Szenario stünde unsere Werteordnung auf dem Kopf.

Der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten kommt eine große rechtsstaatliche Bedeutung zu. Deshalb hat auch das Bundesverfassungsgericht wiederholt die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung hervorgehoben, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet.

Dabei ist die besondere Bedeutung der Telekommunikationsverkehrsdaten für eine wirksame Strafverfolgung unter Fachleuten unbestritten. Die Befugnis, nach den §§ 100 g und 100 h der Strafprozessordnung Auskunft von Diensteanbietern über gespeicherte Telekommunikationsverkehrsdaten zu verlangen, hat sich in vielen Kriminalitätsbereichen für eine effektive Strafverfolgung als notwendig erwiesen. Zur Aufklärung von Straftaten mit komplexen Täterstrukturen, wie sie für den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität kennzeichnend sind, ist dieses Ermittlungsinstrument unverzichtbar. Nach Inkrafttreten der entsprechenden EU-Richtlinie wird diese nun in das jeweilige innerstaatliche Recht umgesetzt.

In Deutschland sind hierfür im Hinblick auf die Begründung einer Speicherungspflicht und die Festlegung der zu speichernden Datenarten im Wesentlichen Anpassungen im Telekommunikationsgesetz erforderlich. Dabei ist darauf zu achten, dass sowohl den berechtigten Interessen an einer wirksamen Strafverfolgung als auch dem effektiven Schutz der Grundrechte in ausgewogener Weise Rechnung getragen wird.

Darüber hinaus ist es natürlich wichtig, dass auch auf Bundesebene weitere Gesetzgebungsinitiativen in Gang gesetzt werden. Für die CDU-Fraktion möchte ich es ausdrücklich begrüßen, dass im Rahmen der Bundesgesetzgebung die Kronzeugenregelung wieder eingeführt werden soll. Diese ist insbesondere zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ein wichtiges Instrument. Gerade in den Bereichen, in denen organisierte Banden mit unterschiedlichen Täterstrukturen Verbrechen an Frauen einschließlich Menschenhandel und Zwangsprostitution begehen, ist die normale Ermittlungstätigkeit

auch mit verdeckten Ermittlern kaum durchzuführen. Deshalb ist eine Kronzeugenregelung dringend erforderlich, um dieser besonders aggressiven und skrupellosen Form der Kriminalität entschlossen entgegenzutreten.

Unser Staat hat die Pflicht und die Verantwortung, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes umfassend vor Kriminalität zu schützen. Wir sollten daher alle unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zulässigen Mittel anwenden und die berechtigten Hinweise von Polizei, Justiz und Kriminologie aufgreifen. Deshalb darf es in dieser Debatte nicht nur um einseitige Forderungen aus dem Bereich der Rechtspolitik gehen. Vielmehr müssen auch die dringenden und nachdrücklichen Aufforderungen aus dem Bereich der Ermittlungsbehörden, also aus dem Bereich der Praxis der Verbrechensbekämpfung mehr politisches Gehör finden als bisher. Dafür haben wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Sorge getragen.

Die latenten pauschalen Unterstellungen, zusätzliche Befugnisse für die Polizei könnten zu Missbrauch führen, stimmen nicht mit der Lebenswirklichkeit in Schleswig-Holstein überein. Vielen Kritikern geht es dabei scheinbar nur um die Pflege und Kultivierung überholter Klischeevorstellungen und lieb gewordener Vorurteile. In der Realität haben wir eine Bürgerpolizei, die zu Recht hohes Ansehen in der Bevölkerung genießt. Unsere Polizei verdient unser volles Vertrauen für den schweren und mitunter gefährlichen Dienst für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Mit der heutigen Beschlussfassung setzen wir ein deutliches Zeichen nicht nur für erweiterte Befugnisse unserer Sicherheitsbehörden, sondern vor allem auch zur Abwehr und Bekämpfung von Kriminalität.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lehnert. - Für die SPD-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Klaus-Peter Puls das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion unterstützt den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Verbesserung der Polizeiarbeit in Schleswig-Holstein in der von SPD und CDU geänderten Fassung. Der gelegentlich bezweifelte politische Handlungsbedarf ergibt sich unser Meinung nach aus der anhaltenden Bedrohung durch international und national organisierte Kriminalität,

(Peter Lehnert)

aber auch aus der zunehmenden Brutalisierung und Hemmungslosigkeit der Alltags- und Straßenkriminalität in unseren Städten und Gemeinden.

Terror ist weltweit unterwegs. Wir sprechen mit unvermindertem Schaudern und Entsetzen von den Anschlägen in New York und Washington. Wir sprechen, aufgeschreckt durch die jüngere Vergangenheit, von den glücklicherweise fehlgeschlagenen Kofferbombenattentaten, die zwischen Koblenz und Dortmund geplant waren. Wir wissen, dass konkrete terroristische Vorbereitungsaktivitäten vor unserer Haustür in Hamburg und in Kiel stattgefunden haben.

Schleswig-Holstein ist keine Insel der Glückseligkeit und selbstverständlich auch kein gefahrloser und bedrohungsfreier Raum. Wir als SPD-Landtagsfraktion stehen deshalb dazu, unserer Polizei für ihre verantwortungsvolle und gefährliche Arbeit auch zu ihrem eigenen Schutz alle verfügbaren rechtlichen und technischen Möglichkeiten an die Hand zu geben, ohne dass bürgerliche Freiheitsrechte dabei preisgegeben werden. Das Land und wir alle hier im Landesparlament haben eine Garantiefunktion nicht nur für die Freiheit, sondern auch für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.