Protocol of the Session on January 26, 2007

Denn tut man das nicht, wenn man das, was man verabredet, schon zwei Tage später wieder einkassiert und sagt: „Wer weiß, ob mein Wort nächste Woche noch gilt“, ist es mit der Verlässlichkeit und der Glaubwürdigkeit der Politik schlecht bestellt, und die latente Parteien- und Politikverdrossenheit nimmt zu.

Was ernster noch hinzuzufügen ist: Es geht hier um die Zukunft von Menschen. Die eignen sich nicht für parteipolitische Profilierungen, sondern wir müssen die Probleme lösen.

(Beifall bei der SPD)

Wir dürfen die berechtigten Erwartungen von Klarheit und Wahrheit, von Verlässlichkeit in der Politik nicht enttäuschen. Das fiele sonst auf uns selbst zurück.

Beim Neujahrsempfang der Landesregierung auf Schloss Gottorf haben Frau Bischöfin WartenbergPotter und Herr Weihbischof Jaschke diese Erwartung auch noch einmal ausdrücklich an uns formuliert und gesagt, wir seien da im Wort. Ich sage Ihnen: Es ist hilfreich, dass sich die Kirchen einmischen und sagen, dass sie das unterstützen, was wir tun.

Ich bin zuversichtlich, dass wir in Schleswig-Holstein bis zum Ablauf der Fristen einer Vielzahl von faktisch integrierten Menschen helfen werden. Wir werden übrigens die Zuwanderung in die Sozialsysteme vermeiden. Das ist ein Kampfbegriff. Die sind alle in den Sozialsystemen. Wir wollen, dass sie arbeiten dürfen. Die haben übrigens auch Talente, die wollen auch arbeiten und wollen nicht von Sozial

transfers leben. Wir müssen Ihnen aber die Möglichkeit dazu geben. Darum geht es.

(Beifall bei SPD und SSW)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Integration ist das Megathema der kommenden Jahre. Ich bekenne mich zu einer Integrationspolitik, die ohne illusionäre Verklärung und Verniedlichung der Probleme einerseits, aber auch ohne Stammtischparolen andererseits eine auf den Grundlagen unserer Verfassung fußende Integration als Zweibahnstraße von Geben und Nehmen in die Praxis umsetzt. Schleswig-Holstein kann und wird hierzu auch in der Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten und auch in dieser Frage den guten Ruf unseres Landes weiter ausbauen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Herrn Innenminister. Der Bericht war ein bisschen länger als angesagt. Es gilt jetzt auch für die Fraktionen, dass sie eine Minute und 42 Sekunden mehr Zeit haben.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die Antragsteller der Großen Anfrage, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich danke zunächst für die Antwort auf die Große Anfrage und den ergänzenden Bericht. Wir reden von 3.000 geduldeten Menschen in Schleswig-Holstein. Die Mehrheit dieser Menschen ist vor politischer Verfolgung, Krieg, erlittener Gewalt oder Bürgerkrieg - das erleben wir tagtäglich im Fernsehen - aus ihrer Heimat zu uns geflohen. Eine Duldung ist keine Aufenthaltsgenehmigung. Sie bedeutet nur eine zeitweise Aussetzung der Abschiebung. Die Betroffenen müssen jeden Tag damit rechnen, abgeschoben zu werden. Oft geschieht dies am frühen Morgen. Nur wenige Stunden liegen zwischen dem Klingeln an der Wohnungstür und dem Betreten des Flugzeugs. Lebensplanung kann nur von Tag zu Tag vorgenommen werden, und das häufig über viele, viele Jahre.

Es ist für uns alle schwer vorstellbar - ich sage das auch bewusst an die Adresse der Union, die diese Debatte mit Missachtung nicht verfolgt und eben auch nicht geklatscht hat, als der Innenminister geredet hat -,

(Widerspruch bei der CDU)

(Minister Dr. Ralf Stegner)

- ich habe es beobachtet

(Zurufe von der CDU)

- umso besser, Kollege Kalinka! - wie viel Kraft erforderlich ist, um in einer solchen Lage den Alltag zu bewältigen. Da bleibt wenig Energie für aktives Bemühen um Integration. Sprachkurse werden in der Regel nicht bezahlt, Eigenmittel dafür sind nicht vorhanden. Die Arbeitsaufnahme war bisher verboten. Und doch schaffen es viele Kinder und Jugendliche, sich im Rahmen von Schule, Berufsausbildung und Freizeitgestaltung zu integrieren. Sie kennen häufig das Ursprungsland ihrer Eltern kaum und sind faktisch zu Inländern geworden.

Das Bleiberecht für diese Menschen, für die viele Organisationen, Kirchen und auch wir und andere Parteien kämpfen, ist mitnichten ein Rundum-Sorglospaket aus dem Schlaraffenland, wie es oft populistisch dargestellt wird. Es geht schlicht um das, was für uns alle selbstverständlich ist, um die Möglichkeit, eine Lebensplanung vorzunehmen und das eigene Leben in die Hand zu nehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Trotz Zuwanderungsgesetz ist es über viele Jahre nicht gelungen, eine verbindliche Aufenthaltsregelung für diese Menschen zu finden. Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland. Der im November gefundene sogenannte Kompromiss der Innenminister hat eigentlich nur ein Gutes: Durch ihn wird endlich offiziell anerkannt, dass es Handlungsbedarf gibt. Für die Mehrzahl der Betroffenen ist er, so befürchte ich, ein Bleiberechtsverhinderungsbeschluss, denn er setzt voraus, was bisher verhindert wurde: Integration und wirtschaftliche Selbstständigkeit dieser Menschen.

Ich zitiere aus der Antwort auf die Große Anfrage:

„Personen, die nicht über einen Aufenthaltstitel verfügen, weil sie vollziehbar ausreisepflichtig sind, ist die Ausübung einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich nicht erlaubt. Eine Duldung hat nur vorübergehende Natur. Eine Abschiebung ist noch immer das Ziel. Eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt stünde einer späteren Aufenthaltsbeendigung entgegen.“

Das gilt für Menschen, die, wie wir aus der Antwort auf die Große Anfrage erfahren, häufig schon viele, viele Jahre in Deutschland leben. Hieraus wird klar: Die Integration war in unserem Rechtssystem erklärtermaßen unerwünscht. Wenn jetzt die Innenminister beschlossen haben, dass diese Menschen genau neun Monate Zeit haben, das nachzuholen,

was bisher verhindert wurde, und parallel dazu in den Kreisen immer noch Abschiebungen laufen, dann ist das keine Lösung.

Experten befürchten, dass höchstens 10 % bis 20 % die Hürde überwinden werden und der Rest scheitern wird. Das ist für die Betroffenen oftmals Zynismus. Jetzt häng es an der Landesregierung und an den Ausländerbehörden, wie sie diese Regelung umsetzen oder wie engmaschig sie das Sieb gestalten.

Ich fordere Sie auf: Geben Sie den Menschen die nötige Unterstützung. Ordnen Sie für diese Menschen einen Abschiebestopp an. Geben Sie den Menschen eine Chance.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn wir heute über die geduldeten Menschen ohne Aufenthaltstitel reden, dürfen wir nicht vergessen, dass diese nur die Spitze des Eisberges sind. Dahinter steht eine weitere Kategorie von Menschen, über die fast nicht geredet wird. Das sind jene, die es offiziell gar nicht gibt: die Illegalen.

Im Bundestag wurde gerade berichtet, dass die Anzahl dieser Menschen in Deutschland zwischen 100.000 und einer Million geschätzt wird. Sie führen eine Schattenexistenz, leben eingepfercht in illegalen Unterkünften, arbeiten für marginale Löhne unter den schlechtesten Bedingungen und ihre Kinder gehen illegal in die Schule - wenn die Lehrer ein Auge zudrücken.

Geduldete Menschen und illegale Menschen verhalten sich zueinander wie kommunizierende Röhren. Je mehr der Verfolgungsdruck auf die geduldeten Menschen wächst, desto mehr Menschen leben in der Illegalität. Diese Menschen werden vom Staat überhaupt nur unter dem Aspekt der Bekämpfung ihrer Existenz zur Kenntnis genommen. Aber hinter jedem illegal Beschäftigten steht ein illegaler Arbeitgeber. Menschen in der Illegalität leisten - so wurde jetzt im Bundestag berichtet - einen enormen Anteil am Umsatz bestimmter Branchen, insbesondere im Baugewerbe, in der Gastronomie und in privaten Haushalten. Sie bekommen keinerlei staatliche Leistungen - deswegen sind Sie auch nicht sonderlich interessant -, sie haben keine Krankenkasse und sie riskieren ständig, dass sie um ihren marginalen Lohn betrogen werden.

Es gibt auch eine juristische Tatsache, die oft vergessen wird. Alle Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, haben Anspruch auf Schutz durch den Staat im Sinne des Artikels 1 des Grundgesetzes. Rita Süßmuth stellt in ihrem jüngst er

(Karl-Martin Hentschel)

schienenen Buch zur Migration fest, dass es zwar illegale „gegen das Gesetz verstoßende Grenzübertritte, aber keine illegalen Menschen“ gibt. Es handelt sich immer noch um Menschen.

Nach wie vor ist die Migrationspolitik geprägt von Ignoranz der Realitäten und von Konzeptlosigkeit. Es liegt aber im Eigeninteresse unserer Gesellschaft, Menschen, die viele Jahre in Deutschland leben, auch eine Lebensperspektive zu geben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Unser Umgang mit Flüchtlingen muss von der Achtung der Menschenrechte und von der Erkenntnis geprägt sein, dass wir eine Situation schaffen können und müssen, von der beide Seiten profitieren, damit ein wirtschaftlicher und kultureller Gewinn für die aufnehmende Gesellschaft erzielt wird.

Schließen möchte ich mit der Benennung von zwei konkreten Zielen, die wir dringend erreichen müssen.

Erstens. Herr Minister, geben Sie den Menschen, die seit Jahren hier als Geduldete leben, eine echte Chance, ein Bleiberecht zu bekommen. Ich hoffe, dass das, was Sie gesagt haben, in den Kreisen auch gelingt, sodass sich Menschen, die Unterstützung brauchen, die geforderten Voraussetzungen erarbeiten können.

Zweitens. Wir brauchen eine menschenwürdige Mindestversorgung auch von Illegalen: Kindergarten- und Schulbesuch, anonyme Anlaufstellen für eine minimale Gesundheitsversorgung und, um Lohnforderungen einklagen zu können.

Gelänge es, diese beiden Forderungen umzusetzen, lebten wir noch lange nicht in einer wunderbaren Welt, aber es gäbe etwas mehr Humanität, und unserer Gesellschaft wie auch unserer Wirtschaft täte es gut.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hentschel. Für die CDU-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Peter Lehnert das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Bericht des Innenministeriums zum Thema der geduldeten Familien in SchleswigHolstein gibt uns wichtige Hinweise auf die weitere Vorgehensweise im Hinblick auf das Bleiberecht

für langjährig Geduldete. An dieser Stelle danke ich dem Innenministerium auch seitens der CDUFraktion für die Berichterstattung und für die umfangreiche Auskunft auf unsere Nachfragen.

Die maßgebliche Grundlage für das weitere Verfahren bildet dabei der Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17. November 2006. Mit den vereinbarten Regelungen kann den ausreisepflichtigen ausländischen Staatsangehörigen, die faktisch, wirtschaftlich und sozial im Bundesgebiet integriert sind, ein weiterer Aufenthalt gewährt werden. Dieses wird allerdings an eine ganze Reihe nachvollziehbarer Voraussetzungen gekoppelt.

Die Betroffenen müssen sich in Familien mit minderjährigen Kindern, die einen Kindergarten oder eine Schule besuchen, seit mindestens sechs Jahren, in allen anderen Fällen seit mindestens acht Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalten. Der tatsächliche Schulbesuch aller Kinder im schulpflichtigen Alter wird dabei durch Zeugnisvorlage nachgewiesen.

Sie sollen in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis stehen, das den Lebensunterhalt der Familie durch eigene legale Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen sichert, und es soll zu erwarten sein, dass dieser Lebensunterhalt auch in Zukunft gesichert sein wird.

Die betroffene Familie soll über ausreichenden Wohnraum verfügen. Alle einbezogenen Personen sollen bis zum 30. September 2007 über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.

Von dieser Regelung ausdrücklich ausgenommen sind Personen, die die Ausländerbehörde vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht haben, die behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert haben, die wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurden, die Bezüge zum Extremismus oder Terrorismus haben und jene, bei denen weitere Ausweisungsgründe vorliegen, die sie selbst zu verantworten haben.