Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich. Ein Blick aus dem Fenster wird unsere Beiträge sicher beschleunigen.
Auf der Besuchertribüne begrüße ich sehr herzlich Schülerinnen und Schüler und ihre begleitenden Lehrkräfte des Marion-Dönhoff-Gymnasiums aus Mölln. - Seien Sie uns herzlich willkommen!
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich dem Herrn Innenminister Dr. Ralf Stegner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der nordrhein-westfälische Integrationsminister, der Kollege Laschet, hat mich neulich mit der Forderung überrascht, auch den Zuzug von Niedrigqualifizierten aus arbeitsmarkttechnischen Gründen zuzulassen. Diese Forderung zeigt dreierlei: Erstens, die Regelungen des Ausländergesetzes sind zu eng. Zweitens hat sich beim ausländerpolitischen Themenfeld etwas bewegt, viele sind aus ihren ideologischen Gräben herausgekommen. Ein Grund dafür ist sicher auch die Nachfrage nach entsprechenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Es zeigt drittens auch die nach wie vor gefährlich enge Ausrichtung politischen Handelns an ökonomischen Be
dürfnissen, wofür gerade in diesem Feld kein Anlass besteht, so sehr ich auch das begrüße, was der niedersächsische Kollege bezogen auf Hochqualifizierte gesagt hat.
Im Bericht zur Situation sogenannter geduldeter Familien in Schleswig-Holstein wird dieser Zwiespalt deutlich. Er zeigt, dass wir jede Chance nutzen sollten, die Situation von Menschen, von hier integrierten Familien mit Kindern, die keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, zu verbessern.
Er zeigt aber auch die mit den dafür notwendigen Kompromissen verbundenen Schwierigkeiten. Er bietet eine gute Datengrundlage für die Diskussion um eine humane und praktikable Bleiberechtsregelung und gibt deutliche Hinweise für eine Weiterentwicklung des Aufenthaltsgesetzes.
Lassen Sie mich gleich am Anfang den Ausländerbehörden der Kreise und kreisfreien Städte für ihre Mitarbeit herzlich danken, denn sie mussten das notwendige Datenmaterial zusammenstellen und in Teilen von Hand auswerten.
Dadurch konnten wir Ihnen eine sehr aktuelle Zahlenbilanz vorlegen, die allerdings schlaglichtartig die Situation im Oktober 2006 wiedergibt.
Lassen Sie mich zudem darauf hinweisen, dass hier nur die Situation geduldeter Familien betrachtet wird, 70 % der rund 3.000 geduldeten Ausländerinnen und Ausländer in Schleswig-Holstein.
Im Oktober haben sich 457 geduldete Familien mit insgesamt 1.880 betroffenen Menschen in Schleswig-Holstein aufgehalten. Davon waren 1.125 Kinder im Sinn der Formulierung der Großen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ein Drittel davon sind im Bundesgebiet geboren worden, 10 % waren junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 21 Jahren, die noch im Elternhaus leben und die überwiegend hier geboren wurden oder als Minderjährige ins Bundesgebiet eingereist sind. Etwa die Hälfte der Kinder geht hier zur Schule, macht eine Ausbildung, studiert oder befindet sich in ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen.
Die Hauptursachen für Duldungen sind in der Regel tatsächlich Abschiebungshindernisse wie unterbrochene Reisewege, fehlende Pässe oder Passersatzpapiere. Daneben ist die Zusammenarbeit mit den Vertretungen anderer Staaten im Bundesgebiet
Mit einer Duldung wird aufenthaltsrechtlich dokumentiert, dass - ich zitiere, wie es im Vokabular der Rechtsvorschrift heißt - „vollziehbar ausreisepflichtige Ausländerinnen und Ausländer gegenwärtig wegen tatsächlicher oder rechtlicher Vollstreckungshindernisse nicht abgeschoben werden können“. Die Duldung vermittelt anders als ein Aufenthaltsrecht keinerlei aufenthaltsrechtliche Sicherheit und wird in der Vielzahl der Fälle nur für Zeiträume bis zu drei Monaten, selten darüber hinaus erteilt. Diese vergleichsweise kurzen Erteilungszeiträume sowie deutliche Einschränkungen beim Arbeitsmarktzugang bieten geduldeten Menschen nur sehr begrenzte Möglichkeiten einer gesellschaftlichen, insbesondere wirtschaftlichen Integration.
Dies wäre dann sinnvoll, wenn die Betroffenen wieder ausreisen und sich der geduldete Aufenthalt nicht faktisch verfestigt. Er wird aber unhaltbar, wenn diese Abschiebehindernisse langfristig bestehen und es zu einer sogenannten Kettenduldung kommt. Gerade die wollten wir mit dem neuen Zuwanderungsgesetz doch beseitigen.
Von den 457 durch die vorliegende Antwort berücksichtigten Familien sind die meisten mehr als ein Jahr, 47 Familien sogar seit mehr als zehn Jahren hier geduldet. Nur 8 % halten sich kürzer als ein Jahr hier auf. Wieso so wenig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erhalten, bleibt Spekulation. Ich will allerdings darauf hinweisen, dass wir in Schleswig-Holstein Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen vergleichsweise häufig erteilen, weil wir seit Jahren die Praxis verfolgen, Spielräume zugunsten humanitärer Entscheidungen auch so weit es geht auszuüben. Dabei soll es auch bleiben.
Der eingangs geschilderte Wandel im Denken und ein nicht unwesentlicher politischer Druck - Sie wissen, gerade meine Amtsvorgänger und ich selbst haben für Schleswig-Holstein daran mitgewirkt haben dazu geführt, dass die Innenminister im November endlich eine Bleiberechtsregelung verabschiedet haben. Sie haben auch beschlossen, die Menschen, die eigentlich von der Bleiberechtsregelung begünstigt sind, aber die die Voraussetzungen der Sicherung des Lebensunterhaltes durch eigene legale Erwerbstätigkeit noch nicht erfüllen können, bis zum 30. September 2007 nicht abzuschieben. Sie erhalten eine Duldung und damit die Möglich
keit, eine Arbeitsstelle zu suchen und den eigenen beziehungsweise den Lebensunterhalt der Familien durch eigenes Erwerbseinkommen zu sichern.
Wir haben über eine sofortige Bleiberechtsanordnung und eine Informationsveranstaltung im Dezember 2006 versucht, dafür Sorge zu tragen, dass möglichst viele Betroffene über das informiert werden, was jetzt für sie möglich ist.
Die Anforderung, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, ist keine leichte. Allerdings waren im Oktober 2006 immerhin 82 Personen im Besitz einer solchen Arbeitserlaubnis. Manchmal stimmt die Bundesagentur für Arbeit dem nicht zu. Grund dafür ist, dass sogenannte bevorrechtigte Arbeitnehmer zur Verfügung stehen. Zur Wahrheit gehört aber auch - auch wenn uns das nicht gefällt -, dass es Jobs gibt, die ausländische Arbeitnehmer annehmen, die deutsche Arbeitnehmer gar nicht annehmen würden, und dass sie teilweise im grauen und schwarzen Bereich tätig sind. Wir müssen das mit der Vorrangprüfung natürlich ändern. Die Chance auf einen Arbeitsplatz steigt also, wenn das konsequent genutzt wird. Wichtig ist mir vor allen Dingen, dass Ausländer nicht zu schlechteren Bedingungen beschäftigt werden als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer.
Darum ging es Franz Müntefering bei seiner Einigung mit dem Kollegen Wolfgang Schäuble und in dieser Frage sind der Arbeitsminister, Kollege Uwe Döring, und ich vollständig einig. Wir wollen einen fairen Zugang zum Arbeitsmarkt, wir wollen nicht Hungerlöhne haben, mit denen sozusagen versucht wird, auf anderen Wegen etwas zu erreichen. Das ist nicht in Ordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich lese manche Artikel, zum Beispiel wie jüngst in der „Hamburger Morgenpost“ erschienen, die Unternehmen nennen, die die Situation von Geduldeten oder Aufenthaltsberechtigten ausnutzen und sie mit Hungerlöhnen von zwei bis drei Euro abspeisen. Meine Damen und Herren, ich finde es prima, dass eine Zeitung so etwas schreibt, weil das ein gesellschaftlicher Skandal ist.
Ob letztlich ein Mindestlohn in bestimmten Bereichen das Problem lösen kann, ist eine Frage, die in arbeitsmarktpolitischen Zusammenhängen gelöst werden muss. Darüber wird ja unter dem Stichwort „Fordern und Fördern“ an anderer Stelle auch gesprochen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auch kurz etwas zum Einsparpotenzial sagen, auch wenn das hier nicht im Vordergrund stehen darf. Viel wichtiger sind meines Erachtens die Fragen menschenwürdiger Lebensbedingungen und die Chancen auf Integration. Lassen Sie es mich einmal so sagen: Ein Mindestmaß an Humanität sollten wir uns einfach auch so leisten.
Ein Land, aus dem vor kaum mehr als sechs Jahrzehnten - wir haben morgen einen Gedenktag hier in Schleswig-Holstein, Herr Landtagspräsident Menschen fliehen mussten, die anderswo Aufnahme gefunden haben, und ein Land, das bei allem Wehklagen über die öffentlichen Haushalte zu den reichsten Ländern der Welt gehört, hat sich in solchen Fragestellungen auch seinen humanitären Verpflichtungen zu stellen, finde ich, und nicht dauernd darauf zu gucken, was an Einsparmöglichkeiten besteht.
Wir haben 2005 ungefähr 7,3 Millionen € für geduldete Personen ausgegeben. Das ist ein Betrag von 3.860 € pro Person, ungefähr 70 % der Gesamtkosten. Den Rest tragen die Kreise und kreisfreien Städte. Das sind Durchschnittsbeträge. Dies wird sich verändern.
Wenn wir eine geringere Problemlage haben als andere Bundesländer, dann liegt das auch daran, dass wir in der Vergangenheit zum Beispiel durch Härtefallkommissionen und andere Dinge mehr humanitäre Spielräume ausgenutzt haben als andere. Deshalb sind die Zahlen so relativ gering.
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu der Bewertung des Bleiberechtskompromisses sagen, den wir jetzt haben. Eine solche Bleiberechtsregelung ist ja sei langem von Vereinen, von Verbänden, von SPD und Grünen, von FDP und SSW und vielen anderen gefordert worden. Wir wollen, dass diejenigen, die sich hier integriert haben, dass Kinder, die hier groß geworden sind, die hier ihre Heimat haben, die zum Teil nur die deutsche Sprache sprechen, nicht in sogenannte Heimatlänger zurückgeschickt werden, egal was die Eltern vielleicht durch ausländerrechtliche Vergehen dazu beigetragen haben mögen. Ich meine, da gilt der Satz von Joseph Jaubert, der gesagt hat: Der Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen, aber das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen. Ich finde, in diesem Fall ist das auf jeden Fall die richtige Richtschnur.
Der Bleiberechtskompromiss vom November war die weitestgehende Regelung seit Jahrzehnten. Das will ich auch einmal sagen, bei allem, was man beklagen kann, weil wir bisher nicht weitergekommen sind. Er ist aber nur ein erster, fraglos richtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich finde es bedauerlich, wenn es jetzt schon wieder Rückzüge von den Vereinbarungen gibt, die Herr Müntefering und Herr Schäuble getroffen haben und die übrigens die Frau Bundeskanzlerin begrüßt hat; darauf will ich nur noch einmal hinweisen. Dann zu sagen, das wollen wir nun doch nicht mehr machen, finde ich nicht gut. Schade, dass der Kollege Wadephul nicht da ist. Ich finde es immer prima, wenn wir sagen, wir halten uns an alle Vereinbarungen, die wir miteinander geschlossen haben. Das sollte in jedem Politikbereich gelten, aber hier eben auch. Und wir sollten vor dem, was wir haben, nicht weglaufen.
Denn tut man das nicht, wenn man das, was man verabredet, schon zwei Tage später wieder einkassiert und sagt: „Wer weiß, ob mein Wort nächste Woche noch gilt“, ist es mit der Verlässlichkeit und der Glaubwürdigkeit der Politik schlecht bestellt, und die latente Parteien- und Politikverdrossenheit nimmt zu.