Ich erteile das Wort der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht. Bitte schön!
Zeit von 1990 bis 2006 an Leukämie erkrankt. Es erfüllt mich mit Sorge und zunehmend auch mit Bitterkeit, wenn immer wieder neue Erkrankungsfälle gemeldet werden, ohne dass die Ursachenerklärung entscheidend vorankommt. Das macht der vorgelegte Bericht ohne Wenn und Aber deutlich.
Dieser Bericht zeigt aber auch, welche Aktivitäten sowohl die schleswig-holsteinische als auch die niedersächsische Landesregierung unternommen haben, um den Ursachen dieses Leukämieclusters auf die Spur zu kommen. Bereits kurz nach Bekanntwerden einer Leukämiehäufung bei Kindern auf der niedersächsischen Elbseite, also gegenüber den kerntechnischen Anlagen Krümmel und GKSS, wurden sowohl in Niedersachsen als auch in Schleswig-Holstein Expertenkommissionen zur Aufklärung der Ursachen dieser Leukämiefälle ins Leben gerufen. Vielen möglichen Verursachungsansätzen wurde seitdem nachgegangen. Lassen Sie mich einige in aller Kürze nennen.
Eine Frage ist zum Beispiel: Ist die Elbe die Ursache? So wurde nach weiteren Leukämieclustern entlang der Elbe gesucht. Es wurden Schadstoffmessungen in der Milch von Kühen vorgenommen oder es wurde nach Umweltbelastungen bei der Deicherhöhung mit Elbsediment gesucht.
Zweite Hauptfrage war die nach Besonderheiten der örtlichen Emissionssituation. So wurde nach eventuellen Belastungen mit ionisierenden Strahlen, Belastungen mit elektromagnetischen Feldern oder mit chemischen Schadstoffen aus der Industrie gesucht. Die Existenz von Altlasten auf Kinderspielplätzen war ebenfalls Thema. Weitere Risikofaktoren im häuslichen Bereich wurden in den Blick genommen, zum Beispiel die Innenraumbelastung, die Muttermilch, die Frage, ob der Anbau eigenen Gemüses eine Rolle spielen könnte, der Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln, und nicht zuletzt wurde auch das Trinkwasser untersucht.
Die schleswig-holsteinische Kommission ist insbesondere der Verursachungshypothese ionisierender Strahlung, also Radioaktivität, nachgegangen. Es wurden diverse Untersuchungen zur Radioaktivitätskonzentration in der Umgebung der kerntechnischen Anlagen vorgenommen, und zwar durch verschiedene Institute, auf Landesebene, auf Bundesebene und auf europäischer Ebene. Ergebnis: Keine der Untersuchungen hat eine erhöhte radioaktive Strahlung durch das Kernkraftwerk Krümmel oder das GKSS nachweisen können. Es konnte auch kein Zusammenhang zu den Leukämieerkrankungen dargelegt werden.
Der hohe personelle und finanzielle Einsatz durch beide Landesregierungen hat uns in der Ursachenaufklärung bedauerlicherweise bisher kaum vorangebracht. Über viele Jahre hinweg hat sich die Landesregierung darüber hinaus mit der von Bürgerinitiativen aufgestellten These eines vertuschten Atomunfalls befasst. Der Ingenieur Gabriel aus Weinheim behauptete, kernbrennstoffähnliche Kügelchen in der Elbmarsch gefunden zu haben. Er führte deren Existenz auf geheime Forschungen in der GKSS zurück. Diese Kügelchen, auch bekannt als PAC-Kernbrennstoff, sollen während eines Brandes auf dem GKSS-Gelände im Jahre 1986 großräumig in die Umgebung freigesetzt worden sein. Natürlich haben die Landesregierungen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen diese Vorwürfe sehr gründlich überprüft.
Das Ergebnis all dieser von verschiedenen Behörden, Forschungs- und Universitätsinstituten durchgeführten Untersuchungen ist: Die Elbmarsch ist nicht mit radioaktiven Kernbrennstoffen verseucht und es hat entgegen anderslautenden Spekulationen weder bei der GKSS noch beim Kernkraftwerk Krümmel im Jahre 1986 einen nuklearen Unfall oder Brand, verbunden mit einer Freisetzung von Radioaktivität, gegeben.
Ein solcher Unfall mit Radioaktivitätsfreisetzung wäre vom Kernreaktorfernüberwachungssystem der Landesregierung in Verbindung mit den behördlichen Routineumgebungsüberwachungsprogramm erfasst worden, was aber nicht der Fall war. In den Anlagen GKSS und Kernkraftwerk Krümmel und im Umkreis dieser beiden Anlagen befanden sich schon 1986 diverse Messstationen, von denen keine einzige eine Abweichung vom normalen Verlauf zeigte. Davon kann sich jeder noch heute überzeugen.
Es sind dennoch Bodenproben untersucht worden, unter anderem von der Universität Marburg, vom Niedersächsischen Landesamt für Ökologie, vom Forschungszentrum Jülich, vom Karlsruher Institut für Transurane, von der Kieler LUFA, vom ZDF und sogar von der Universität in Reno des US-Bundesstaats Nevada, und zwar von unterschiedlichsten Auftraggebern zu unterschiedlichsten Zeiten.
Ergebnis all dieser Untersuchungen war, dass die Bodenproben keine Hinweise auf künstliche Radioaktivität, insbesondere auf PAC-Kügelchen, ergaben. Dies stellte im Jahre 2003 auch die Strahlenkommission des Bundes fest.
Was war die Folge? Trotz all dieser negativen Untersuchungsergebnisse anerkannter Institute wurden Ende 2004 von Bürgerinitiativen erneut Bodenpro
ben genommen und der Universität Minsk übergeben. In einer Fernsehsendung des ZDF im Jahre 2006 wurde in wenigen Sätzen das dortige Resultat präsentiert, wonach die Bodenproben doch künstliche Radioaktivität enthielten. Ein wissenschaftlich nachvollziehbarer Bericht über diese Untersuchung ist sowohl den zuständigen Ministerien als auch der Öffentlichkeit bislang vorenthalten worden. Es war für das ZDF bedauerlicherweise auch nicht erwähnenswert, dass das Institut für Geowissenschaften der Universität Frankfurt am Main im Auftrag der Bürgerinitiativen im Jahr 2005, also ein Jahr später, keinen Hinweis auf künstliche Radioaktivität gefunden hatte, der sich nicht auf den AtomwaffenFall-out oder den Tschernobyl-Unfall zurückführen ließ.
Bemerkenswert in diesem ganzen Zusammenhang ist auch, dass keine der aus dem Labor Herrn Gabriels durch die Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Rückstellproben die von ihm behaupteten Teilchen enthalten hat - Behauptungen übrigens, die Herr Gabriel auch schon für die Region Hanau aufgestellt hatte und die sich auch dort nicht hatten bestätigen lassen.
Hieraus ergibt sich meines Erachtens Folgendes. Wenn die Verfechter der Atomunfallthese recht hätten, müsste einerseits das gesamte 110 Meldestellen umfassende Fernüberwachungssystem versagt haben, andererseits alle genannten seriösen Institute entweder schlampig gearbeitet oder sogar bewusst die Öffentlichkeit getäuscht haben, auch müssten die beiden Kommissionen der Landesregierungen über Jahre hinweg diese angeblich mit bloßem Auge erkennbaren Kügelchen als Ursache der Leukämieerkrankung schlicht übersehen haben und die bei dem Brand in der Regel eingesetzten mehreren Dutzend Feuerwehrleute müssten bis heute alle schweigen. Ich frage: Wie wahrscheinlich ist das alles?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dennoch, die erhöhte Rate an Leukämieerkrankungen und die immer wieder auftretenden Erkrankungsfälle beunruhigen die Bevölkerung, die Politik und auch mich ganz besonders. Das Schicksal der erkrankten Menschen berührt mich, lässt mir keine Ruhe. Wir lassen deshalb nichts unversucht und ich kümmere mich auch weiterhin um dieses Problem.
Ich habe inzwischen veranlasst, dass Kontakt zu dem renommierten Max-Planck-Institut für Chemie, Abteilung Geochemie, in Mainz aufgenommen wurde. Ich halte es für zielführend, dass alle bislang
vorliegenden Gutachten zu der Kügelchen-Problematik hinsichtlich ihres methodischen Vorgehens in ihrer Gesamtheit durch dieses Institut nochmals dargestellt und evaluiert werden. Vielleicht ergeben sich hieraus noch Hinweise auf Teilbereiche aus dem Themenkomplex Strahlung und Leukämie, die dann noch vertiefter überprüft werden können.
Auch die Ursachenforschung außerhalb des Themas Strahlung soll weiter vorangetrieben werden. Wir haben hier in Schleswig-Holstein mit Professor Schrappe einen ausgewiesenen Wissenschaftler am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, der sich mit der Molekularbiologie von Erkrankungen von Kindern befasst. Professor Schrappe hat mir vor wenigen Tagen ein innovatives Forschungsvorhaben erläutert, das zwar in erster Linie der Therapieoptimierung an Leukämie erkrankter Kinder dienen soll, von dem aber darüber hinaus möglicherweise auch Erkenntnisse zur Aufklärung der Leukämieursachen zu erwarten sind. Wohlgemerkt bezieht sich diese Untersuchung nicht ausschließlich auf die Leukämie in der Elbmarsch, sondern sie ist eine bundesweite Studie, aber sie könnte uns weiterbringen. Er hat vorgeschlagen, mit dem gleichen Studienansatz auch die an Leukämie erkrankten Kinder aus der Elbmarsch zu untersuchen.
Diese Vorschläge und gegebenenfalls weitergehende Fragestellungen sollen von uns auch in einem Symposium des Mainzer Kinderkrebsregisters aktiv eingebracht werden, einem Symposium, das in diesem Jahr unter internationaler Beteiligung stattfinden soll.
Ich habe das Krebsregister Schleswig-Holstein gebeten, die Fakten zu den Krebserkrankungen und die Bedarfe für weitere Aktivitäten zusammenzutragen, damit wir ein Gutachten mit der Perspektive Leukämie in der Elbmarsch haben. Zudem werde ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen in Hamburg und Niedersachsen dafür einsetzen, dass auch dort eine gesetzliche Meldepflicht für Krebserkrankungen geschaffen wird.
Daraus können Sie erkennen, dass ich darauf Wert lege, ambitioniert, aber auch mit Realismus und dem notwendigen Augenmaß vorzugehen. Gerade auch im Hinblick auf die Betroffenen müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir keine allzu großen Erwartungen hinsichtlich des Findens einer Kausalität wecken dürfen. Ich werde mich aber mit Nachdruck dafür einsetzen, weiter zu investieren, wann immer sich ein einigermaßen Erfolg versprechender Ansatz zeigt, um die Ursachenaufklärung
Ich danke der Frau Ministerin. - Bevor wir in die Aussprache eintreten, begrüße ich auf der Besuchertribüne sehr herzlich Mitglieder des CDAKreisverbandes aus Dithmarschen. - Seien Sie uns sehr herzlich willkommen!
Die Ministerin hat die Zeit geringfügig überschritten. Wir werden deshalb bei den Fraktionen auch großzügig sein. - Ich erteile jetzt für den Antragsteller BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Frau Ministerin. Mich hatte das etwas verwirrt, weil die Kollegen von SPD und CDU den Antrag ebenfalls unterstützen.
Frau Ministerin, vielen Dank an Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für diesen Bericht. Der Bericht Leukämiefälle im Bereich Geesthacht/ Elbmarsch gibt eine gute Übersicht über die Untersuchung zur Aufklärung der Leukämieerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in der Region. Summarisch lässt sich feststellen, dass eine Ursache oder mehrere miteinander verbundene Ursachen bis heute nicht festgestellt wurden, dass eine kausale Zuordnung auch in Zukunft schwierig sein wird und dass zurzeit auch kein Ansatz zu erkennen ist, der zum Aufklärungserfolg führen würde. Ich glaube, dass ich für alle Antragsteller sprechen kann, wenn ich sage: Wir hätten es gern anders!
Der Aufwand, die Ursachen zu klären, ist auf schleswig-holsteinischer und niedersächsischer Seite groß gewesen. Über viele Jahre wurden verschiedenste Ansätze verfolgt. Es gab auf schleswig-holsteinischer Seite radioökologische Untersuchungen, die berühmten Tritium-Messungen in Baumscheiben und die aufwendige epidemiologische Untersuchung - die haben Sie in Ihrem Bericht gar nicht explizit erwähnt. Dies unterstreicht, wie viele verschiedene Ansätze gefahren wurden. Auf niedersächsischer Seite ist Trinkwasser ebenso wie Beregnungswasser, Nahrungsmittel, Luft und Boden untersucht worden. Untersucht worden sind Aerosole, die sich an der Staustufe in Geesthacht bilden, und Hausstäube.
Fest steht, dass es eine sehr ausgeprägte Häufung von Leukämien bei Kindern gibt. Ein Cluster ist ein räumlich abgrenzbares Gebiet, in dem eine bestimmte Erscheinung signifikant häufiger auftritt als im Durchschnitt aller Gebiete beziehungsweise in dem beobachteten Gesamtraum. Das Cluster bei Geesthacht ist konzentrierter als anderswo auf der Welt. Ein zufälliges Auftreten dieser Häufung ist nach Aussagen der Wissenschaftler statistisch völlig ausgeschlossen.
Dieser räumliche Zusammenhang erzwingt eine Schlussfolgerung. Es gibt Gründe, die in der Region des Auftretens der Erkrankung zu suchen sind. Eine andere Schlussfolgerung kann sich nicht ergeben und diese Schlussfolgerung rechtfertigt auch den bisher betriebenen hohen Aufwand und die Zusicherung, auch in Zukunft den Ursachen in dieser Region nachgehen zu wollen und nachgehen zu müssen.
Wer in diesem Gebiet wohnt, macht sich Sorgen um die Kinder, um Verwandte und vielleicht auch um sich selbst. Den Familien, die von Krankheit und Tod betroffen sind, gilt unser Mitgefühl, denen, die sich sorgen, bringen wir Verständnis entgegen. Jeder kann sich selbst fragen, wie es wäre, wenn er dort wohnen würde. Man würde hoffen, dass es mit den Erkrankungen der Vergangenheit abgeklungen sei. Schließlich können mögliche Ursachen auch irgendwann einmal verschwinden. Der neue Fall und jeweils zu ihrer Zeit neue Fälle davor zeigen aber, dass es nicht vorbei ist. Es ist nicht vorbei. Das Neuauftreten von Krankheitsfällen belegt, dass die Ursachen, die wir nicht kennen, immer noch wirken.
In dem Bericht ist zu lesen, dass die Kausalzuordnung bei Clustern von Krebserkrankungen bisher nur ausnahmsweise gelingt. Das mag auch darin begründet sein, dass zum Entstehen eines Clusters geringere Fallzahlen ausreichen als zur statistisch abgesicherten Ursachenzuordnung. Daneben ist es auch möglich - wenn nicht vielleicht sogar naheliegend -, dass man es mit einem multifaktoriellen Geschehen zu tun hat, also mit mehreren miteinander verknüpften oder parallel wirkenden Ursachen.
Es gibt eine neue, noch laufende Fallstudie des deutschen Kinderkrebsregisters, deren Ergebnisse im Frühjahr 2007 vorliegen werden. Diese Studie beschäftigt sich zum einen mit der Frage, ob die Nähe des Wohnortes zu einem westdeutschen
Kernkraftwerk einen Risikofaktor für das Entstehen von Krebserkrankungen im Kindesalter darstellt. Zum anderen soll festgestellt werden, ob es gegebenenfalls andere Risikofaktoren bei an Leukämie erkrankten Kindern gibt, die nicht unmittelbar mit der Strahlenexposition durch die Nähe zu einem Kernkraftwerk, sondern durch andere, etwa eine Strahlenexposition beeinflussende Faktoren einhergehen, zum Beispiel berufliche Belastungen oder Strahlenbelastungen der Eltern, die dort arbeiten. So steht es im Bericht. Dies wollen wir abwarten und neu bewerten.
Seit 2002 häufen sich die Erkrankungen insbesondere im Ortsteil Grünhof-Tesperhude, wo die größte Nähe zu den radiologisch emittierenden Anlagen besteht.
Wir fordern aus diesem Grund den Stopp des Zubaus weiterer Anlagen, wie etwa des Zwischenlagers zur Aufbewahrung von abgebrannten Brennelementen, das jetzt in dieser Region, in der ohnehin sehr große Sorgen bei den Menschen bestehen, zusätzlich gebaut werden soll. Ich meine, die Minimierung von Strahlenemissionen ist das Gebot der Stunde.
Es war immer die Position von Schleswig-Holstein, dass ein Zwischenlager in der Nähe, nämlich in dem niedersächsischen Raum, wo eine genehmigte Anlage existiert, für Krümmel zuständig sein sollte und dass man auch für Brunsbüttel und Brokdorf mit einem Zwischenlager auskommen könnte. Daher haben wir wenig Verständnis für den Zubau einer neuen Anlage hier in der Region.
Der Sozialausschuss hat beschlossen, die Kollegen in Niedersachsen zu bitten, bei der dort geplanten Anhörung teilnehmen zu dürfen. Das ist ein Beschluss, den wir sehr unterstützen.