Protocol of the Session on January 24, 2007

Dass die Rechnung der CDU nicht aufgeht, wird immer deutlicher. Durch die flächendeckende Einführung der Regionalschulen werden alle Schulträger von Haupt- und Realschulen gezwungen, sich entweder für die Regionalschule oder für das Modell Gemeinschaftsschule zu entscheiden. Vielfach wird dann aus unterschiedlichen Motiven eher das SPD-Modell favorisiert,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

wie kürzlich auch Frau Kollegin Susanne Herold auf einer CDU-Veranstaltung in Schönberg im Kreis Plön feststellen durfte.

Der Ausstieg aus einem gegliederten Schulsystem wird folglich mit der Vorgabe zur flächendeckenden Einführung von Regionalschulen eher vorangetrieben als aufgehalten - übrigens auch deshalb, weil beispielsweise „schwarze“ Bürgermeister wie im Schulverband Büchen damit liebäugeln, auf diese Weise Schulkostenbeiträge an Schulträger benachbarter Gymnasien in den Nachbarstädten zu vermeiden. Die massive Erhöhung der kommunalen Schulkostenbeiträge wird aufgrund dieses Motivs den Trend hin zur Gemeinschaftsschule nach meiner Überzeugung auch weiter verstärken.

Auch die Überlegung der Union - so von Susanne Herold in dem Zeitungsbericht über die Schönberger CDU-Veranstaltung dargelegt -, mittels eines Regionalschul-Modells könne man die meisten bestehenden Schulstandorte, insbesondere die meisten Hauptschulstandorte, erhalten, geht nach meiner Überzeugung in die Irre. Kleine Regionalschulen können mit den vorhandenen Lehrkräften niemals ein ordentliches Bildungsangebot in zwei Bildungsgängen gewährleisten. Somit kommt man übrigens auch aus bildungsökonomischen Gründen - in der Sekundarstufe I angesichts der demografischen Entwicklung nicht um die Zusammenlegung von Standorten herum, auch wenn dies zu einer gewissen Konzentration, die sicher maßvoll und im Rahmen einer vernünftigen Schulentwicklungsplanung erfolgen sollte, führt.

Vor diesem Hintergrund ist dann allerdings auch die von CDU und SPD geplante massiv gesteigerte Kostenbeteiligung der Eltern an der Schülerbeförderung zu besprechen. Das ist natürlich etwas, was einer vernünftigen Schulentwicklung gerade im ländlichen Raum entgegenwirkt. Das ist eine Maßnahme, mit der Sie gerade die Eltern der Schüler in den ländlichen Regionen im Land treffen, indem Sie an ihr Portemonnaie herangehen. Das ist etwas, was natürlich auch vernünftigen Konzentrationsprozessen in diesen ländlichen Regionen im Schulangebot tendenziell entgegenwirkt. Auch aus diesem Grund halte ich Ihr Vorhaben zur Kostenbeteiligung der Eltern an der Schülerbeförderung für falsch.

Ein letzter Punkt zum Thema Schulsystem: Es bleibt zweifelhaft, ob die künftigen Schulstrukturen tatsächlich für lernschwächere Schüler Vorteile mit sich bringen. Wird denn eine bisherige Realschule, die künftig als Regionalschule zwei Bildungsgänge vorhalten soll, den bisherigen Hauptschülern die Förderung zukommen lassen, die sie verdienen? Und wenn Gesamtschulen bereits heute jeden vierten Schulabgänger mit dem Hauptschulabschluss entlassen, was ist dann von Gemeinschaftsschulen zu erwarten, die sich anders als die bisherigen Gesamtschulen - ihre Schüler nicht aussuchen können, die also alle Schüler, die dort angemeldet werden, aufnehmen müssen? Wie gesagt, schon bei den Gesamtschulen geht ein Viertel der Schüler am Ende der Schulzeit mit dem Hauptschulabschluss ab. Ich kann nicht sehen, dass die Chancen eines früheren Gesamtschülers mit einem Hauptschulabschluss besser sind als die eines früheren Hauptschülers, der einen Hauptschulabschluss mitbringt.

Das heißt, die entscheidende Frage ist doch: Wie schaffen wir es, den Hauptschulabschluss einerseits in seiner Qualität zu steigern und andererseits noch mehr junge Menschen durch frühe Förderung in die Lage zu versetzen, eine höhere Stufe, einen höheren Bildungsabschluss, in diesem Fall die Mittlere Reife, zu erreichen? Das ist die entscheidende Fragestellung und darauf muss es Antworten geben.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt Schulleiter, die anzweifeln, ob die bisherigen Hauptschüler in den größeren gemeinsamen Formen die ihnen zustehende Förderung wirklich erhalten. Die Beantwortung dieser Frage ist offen. Sie wird sich erst in der Zukunft zeigen. Gerade im Hinblick auf die Förderung der lernschwächeren Schüler haben die Parteien, die das Schulsystem verändern, eine politische Bringschuld im Bildungsbereich zu erfüllen.

(Dr. Ekkehard Klug)

Neben einem guten Unterrichtsangebot werden ergänzende pädagogische Hilfen für eine erfolgreiche Arbeit der Schulen in Zukunft immer wichtiger. Deshalb will die FDP-Fraktion auch Schulsozialarbeit als Förderaufgabe des Landes im Schulgesetz verankern. Bereits bei den kürzlich geführten Haushaltsberatungen haben wir ein Förderprogramm zur Schulsozialarbeit an sozialen Brennpunkten mit jährlich 2 Millionen € als Startbudget beantragt. Viele Beispiele, wie etwa der kürzliche Hilferuf einer Hauptschule und einer Realschule vom Kieler Ostufer, zeigen, wie wichtig dies ist, um erfolgreiches Unterrichten zu ermöglichen. Es wäre schön, wenn Schulen, die öffentlich auf unzumutbare Verhältnisse aufmerksam machen und nach Hilfe und Unterstützung rufen, im Bereich der Schulsozialarbeit Rückendeckung und Unterstützung vonseiten des Ministeriums bekämen. Heute ist die Obrigkeit, wie wir wissen, eher darauf bedacht, solche Probleme unter der Decke zu halten, als für Abhilfe zu sorgen. Das Ministerium darf sich aber nicht als Problemabwiegelungsbehörde verstehen, sondern muss dort, wo die Probleme vor Ort brennen, Hilfestellung und Unterstützung geben.

(Beifall bei FDP)

Bei der Einschulung in die Grundschule muss es auch künftig Rückstellungsmöglichkeiten für ein Schuljahr mit einem angemessenen Förderangebot bis zum Erreichen der Schulreife geben. Die Koalition von CDU und SPD verweist auf die Möglichkeit, Schüler aus gesundheitlichen Gründen zu beurlauben. Das ist ein völlig unzureichendes Mittel; schließlich geht es hier durchweg nicht um kranke Schüler, sondern es geht um Schüler, bei denen es aus unterschiedlichen Gründen schlicht zu Entwicklungsverzögerungen gekommen ist. Ich will dazu nur ein konkretes Beispiel anführen: Oft haben Kinder, die als Frühgeburten zur Welt gekommen sind, eine solche verzögerte Entwicklung und brauchen ein Jahr mehr bis zur Schulreife. Das Schulgesetz von CDU und SPD erzwingt jedoch nach einer starren Stichtagsregelung die Einschulung von Kindern, die bei einer normalen Dauer der Schwangerschaft ihrer Mütter erst ein Jahr später schulpflichtig würden. Gerade dieses Beispiel macht deutlich, wie aberwitzig eine Schulpolitik ist, die alle über einen Kamm scheren will.

(Beifall bei FDP)

Gerade die Sozialdemokraten - dass die CDU dies mitmacht, kann ich sowieso nicht verstehen, das müssen Sie selbst erklären -, die doch immer das Hohelied der Einheitsformel für alle singen, seien daran erinnert, was nach einem Bericht auf der Website der BBC das neue bildungspolitische Cre

do der britischen Sozialdemokraten ist, nämlich die Notwendigkeit unterschiedlicher Wege für Schüler, die sich voneinander unterscheiden, auch anzuerkennen und im Schulsystem zu berücksichtigen, „the need for different routes for different pupils“. Wer allen Kindern gleiche Startchancen geben will, der muss gerade auch solche Unterschiede beachten und berücksichtigen. Wer jeden Sonderweg als Aussonderung diffamiert und ihn verbieten will, der ist, wie ich finde, einer geradezu bornierten Integrationsideologie verhaftet.

(Beifall bei FDP)

In einer Reihe von Änderungsanträgen setzt sich die FDP-Fraktion dafür ein, die Rahmenbedingungen für Schulen in freier Trägerschaft zu verbessern. Der Beitrag, den diese Schulen durch besondere Formen des Unterrichts und durch Schaffung von mehr Alternativen bei der Wahl der Schule leisten, wird künftig noch wichtiger sein. Er wird um so wichtiger sein, je mehr deutlich wird, dass viele Eltern die Entwicklung im staatlichen Schulwesen für problematisch halten, und dies oft leider aus guten Gründen. Wichtiger wird dann das Alternativangebot, das Schulen in freier Trägerschaft stellen. So halten wir es beispielsweise für gerechtfertigt, dass erfolgreichen Neugründungen zumindest nachträglich ein Teil der in der Wartefrist nicht gezahlten öffentlichen Finanzhilfe gewährt wird, und zwar in einem überschaubaren Zeitraum verteilt auf zehn Jahre, so dass das auch für die öffentlichen Haushalte keine unzumutbaren Belastungen mit sich bringt. Es ist eine Anerkennung und Würdigung der Leistungen, die die freien Schulen erbringen. Wir wollen die Zahlung der Zuschüsse an die jeweiligen Schülerkostensätze des Vorjahres binden. Das will die Große Koalition bei den dänischen Schulen tun, sie verweigert es aber den Waldorfschulen. Die Differenz zwischen der Regelung nach dem derzeitigen Gesetz und der künftigen Regelung liegt inzwischen bei 110 € pro Jahr. Wir sind der Auffassung, dass man hier mit den Schulen in freier Trägerschaft, in Sonderheit den Waldorfschulen, ehrlich umgehen und die gleiche Bemessungsgrundlage für die Schülerzuschüsse wie bei den dänischen Schulen anwenden muss.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als weitere Punkte will ich in aller Kürze noch erwähnen: Die FDP-Fraktion will die Verordnung von Mindestgrößen für einzelne Schularten an die Zustimmung des Landtages binden. Es kann nicht angehen, dass hier das Ministerium im Alleingang entscheidet. Die Landesverbindungslehrer sollen künftig frei von den Landesschülervertretungen ge

(Dr. Ekkehard Klug)

wählt werden können. Es geht nicht an, dass sich das Ministerium hier einen Ernennungsvorbehalt im Gesetz schafft. Schließlich tragen wir den Bedenken des Landesdatenschutzbeauftragten im Hinblick auf die Schülerstatistik Rechnung. Einen „gläsernen“ Schüler wollen wir nicht.

Meine Damen und Herren, heute wird der Landtag das Schulgesetz wohl so beschließen, wie es die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben. Möglicherweise wird mancher Koalitionsabgeordnete dabei Bauchschmerzen haben. Die „Lübecker Nachrichten“ haben am 26. November letzten Jahres über eine von Frau Kollegin Eisenberg besuchte Veranstaltung in Kücknitz berichtet:

„Eisenberg gab mehrfach zu erkennen, dass ihr die Richtung auch nicht passe. Aber der Koalitionsvertrag zwinge eben zum Kompromiss.“

Ich denke, Koalitions- und Parteiraison werden hier obsiegen. Dass aber gerade eine Große Koalition, die immerhin über 59 von 69 Mandaten verfügt, hier eine monolithische Geschlossenheit demonstrieren muss, ist nicht gerade ein Glanzstück des Parlamentarismus und vielleicht eher ein politisches Armutszeugnis.

Kollege Höppner - dies soll meine letzte Anmerkung sein, auch im Sinne der Ausgewogenheit - hat am 9. Dezember nach dem Bericht des „Ostholsteiner Anzeigers“ auf einer SPD-Veranstaltung zur Kritik am Schulgesetz Folgendes erklärt:

„Die Abgeordneten setzten nur das um, was ihnen das Bildungsministerium rate. Höppner nannte eine Eigenheit des Ministeriums, das Ministerin Ute Erdsiek-Rave derzeit führt: In keinem anderem Ministerium säßen so viele Fachleute, also Lehrer, wie im Bildungsministerium. Sein Schluss: Es sei wohl ein besserer Austausch zwischen den Schulen und dem Ministerium nötig.“

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Es wäre gut, wenn die SPD mehr Veranstaltungen dieser Art machen würde, über die dann so berichtet wird.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Das würde die politischen Verhältnisse in diesem Lande stärker befördern als Ihr neues Schulgesetz.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung traut sich an eine Schulreform. Toll! Trotz der zahllosen eingebauten Kröten habe ich diesen Mut bei der Einbringung des Gesetzes gelobt. Meine Fraktion hat in konstruktiver Weise Änderungsanträge gestellt, weil wir wollen, dass sich etwas bewegt, und weil wir gehofft haben, dass ein konstruktive Diskussion möglich ist. Heute stelle ich fest: Dieses Gesetz ist ein typisches Beispiel der Arbeit einer Großen Koalition. Man hat zusammengepackt, was nicht vereinbar ist. Die Bereitschaft der Großen Koalition, konstruktiv mit den Änderungsanträgen der Opposition umzugehen, war schlicht nicht vorhanden, übrigens auch nicht in Bezug auf die Vorschläge der Anhörung. An keiner Stelle hat sich die Koalition bewegt. Die Koalition war - das ist hier ausführlich geschildert worden - über Wochen ununterbrochen mit internen Beratungen und mit sich selber beschäftigt.

Mein erster Punkt ist die Schulzeitverkürzung in den Gymnasien. Sie führt dazu, dass zusätzliche Lehrerstunden vorrangig an die Gymnasien gehen. Das ist ungerecht. Zusätzliche Stunden müssen auf alle Schulen verteilt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann könnte man schrittweise an allen Schulen zum Ganztagsunterricht übergehen. Jahrelang hat die CDU hier im Landtag behauptet, sie wolle mehr für die Hauptschulen tun. Immer wieder haben Sie das hier vorgetragen. In Finnland zum Beispiel bekommen Schulen in Gebieten mit vielen sozial schwachen Eltern sogar zusätzliche Ressourcen. Sie machen genau das Gegenteil.

Wir sind dafür, dass die Möglichkeiten einer Schulzeitverkürzung in der Sekundarstufe I gleichmäßig in allen Schulen vorhanden sind und kein Privileg der Gymnasien sind. So, wie Sie das aber machen, müssen sich die Lehrpläne zwischen Regionalschulen, Gemeinschaftsschulen und Gymnasien zwangsläufig auseinanderentwickeln. Dann ist die nach PISA so viel beschworene Durchlässigkeit der Bildungsgänge beerdigt, und das ausgerechnet von einer sozialdemokratischen Bildungsministerin, die bundesweit für die Gemeinschaftsschule gestritten hat.

(Dr. Ekkehard Klug)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier wird auch deutlich, dass es der CDU immer nur ums Gymnasium gegangen ist. Alle anderen Bekundungen zur Hauptschule waren nur Krokodilstränen!

Meine Damen und Herren, mein zweiter Punkt ist die Oberstufenreform. Um in den Oberstufen Ressourcen einzusparen, will die Ministerin gleich das ganze Kurssystem abschaffen. Das Projekt heißt „Profiloberstufe“. Aber genau das ist es nicht. Profile gab es früher einmal. Da gab es naturwissenschaftlich und sprachlich orientierte Klassen. Profile gibt es auch an den Fachgymnasien der Berufsschulen. Dort gibt es Klassen mit wirtschaftswissenschaftlichem, technischem, sozialwissenschaftlichem oder gesundheitsorientiertem Profil. Ein Großteil unserer dringend gebrauchten Ingenieurstudenten übrigens kommt schon heute über die Fachgymnasien an die Hochschulen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Professor Vanselow von der Kieler Universität schreibt, dass viele gute Physikstudenten an einem normalen Gymnasium kaum noch eine Chance hätten, durch die Mittelstufe zu kommen. Grund dafür ist die einseitige sprachliche Orientierung unserer Gymnasien, die auch dazu führt, dass mittlerweile 20 % mehr Mädchen als Jungen Abitur machen. Einstein, der in Sprachen miserabel war, hätte in Zukunft keine Chance mehr, in Schleswig-Holstein Abitur zu machen.

Wir haben Ihnen Änderungsanträge dafür vorgelegt, wie man durch die Bildung größerer Oberstufen zu einem effizienten System kommen kann. Was Sie aber jetzt verabschieden, ist keine „Profiloberstufe“, sondern eine Einheitsoberstufe, bei der man nur noch ein Wahlfach hat. Dagegen laufen die Schülerinnen und Schüler der Gymnasien und Gesamtschulen zu Recht Sturm.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen in Deutschland in Zukunft nicht weniger Abiturientinnen und Abiturienten, wir brauchen mehr und nicht weniger Begabungen. Was Sie hier machen, ist kontraproduktiv und schädlich!

Meine Damen und Herren, mein dritter Punkt ist das Thema Selbstständigkeit der Schulen. Das vorliegende Gesetz der Landesregierung ist nicht nur ein verkorkster Kompromiss, diesem Gesetz fehlt auch das Wesentliche, was wir für eine Schulreform brauchen: die Lust und die Freiheit, etwas zu gestalten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In allen skandinavischen Staaten haben die großen Reformen damit begonnen, den Schulen mehr Freiheit zu geben und sie von staatlicher Gängelung und Bürokratie zu befreien. Schulen brauchen mehr Luft zum Atmen!