Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich auf der Besuchertribüne sehr herzlich die Damen und Herren der Altenbegegnungsstätte Neustadt begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!
Die Aussprache ist eröffnet. Für den Antragsteller erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Schümann, ich nehme an, auch Sie vermissen den Abgeordneten Kayenburg schmerzlich, der in der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Nordlicht“ auf Seite 11 mit den Worten zitiert wird:
„Ich bin deshalb der Ansicht, dass Schleswig-Holstein im Bundesrat gegen das Gesetzesvorhaben stimmen sollte.“
Unterschiedlicher kann man es nicht machen. Während der Landtagspräsident die Landesregierung auffordert, diesem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, gibt sich die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion im selben Blatt redlich
Die Große Koalition war mit dem Ziel angetreten, im Gesundheitswesen eine Jahrhundertreform auf die Beine stellen zu wollen. Durch diese Reform sollte nicht nur das Gesundheitssystem auf die Herausforderungen des demografischen Umbruchs vorbereitet werden, mit ihr sollte auch die Reformfähigkeit der Großen Koalition in Berlin unter Beweis gestellt werden. Die Lohnzusatzkosten sollten sinken. Dies sei eine Herzenssache der Kanzlerin, so ließ sie nach ihrer Wahl verlauten. Jetzt steigen die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, und zwar schneller als ohne jede Reform. Es sollte weniger Beitrags- und mehr Steuerfinanzierung geben.
Jetzt gibt es weniger Steuerfinanzierung, dafür aber mehr Beitragsfinanzierung. Es sollte mehr Effizienz, mehr Transparenz und mehr Wettbewerb geben. Jetzt gibt es einen Fonds, der Mehrkosten und Bürokratie verursacht, obwohl niemand diesen Fonds braucht. Niemand braucht diesen Fonds, bis auf die Verhandlungspartner der Großen Koalition, die mit einem völlig überflüssigen Instrument Handlungsfähigkeit beweisen wollten.
Begründet wird die Gesundheitsreform von beiden Verhandlungspartnern damit, dass diese Reform aus der Verantwortung für das Land heraus notwendig sei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage dies ganz im Ernst, weil auch die Kollegin Schümann in der letzten Debatte darauf hingewiesen hat, dass man politische Verantwortung habe. Ich sage den Kollegen von der Union an dieser Stelle: Verantwortung kann in manchen Fällen auch bedeuten, etwas nicht zu tun oder etwas zu unterlassen.
Im Hinblick auf die anstehenden Veränderungen geht es längst nicht mehr um Proteste einzelner Interessengruppen. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich um Proteste, die aus der gesamten Gesellschaft kommen. Patienten, Beitragszahler, Leistungserbringer, Kostenträger, Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Gewerkschaften protestieren, weil etwas grundlegend schiefläuft. Ich sage in aller Ruhe und mit dem notwendigen Ernst: Es ist an dieser Stelle notwendig, Verantwortung zu übernehmen. Im konkreten Fall heißt dies: Ziehen Sie den vorlie
Es ist erstaunlich, dass drei Oppositionsfraktionen, die völlig unterschiedliche Auffassungen darüber haben, wie ein Gesundheitssystem konkret ausgestaltet werden sollte, einen gemeinsamen Antrag eingebracht haben. Das ist Verantwortung. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen Ihrer Verantwortung erst noch gerecht werden!
Es genügt nicht, an irgendwelchen Stellschrauben irgendetwas zu verändern. Der Versuch der Länder, im Bundesrat in fast 100 Änderungsanträgen diese Stellschrauben neu zu justieren, muss schon deshalb scheitern, weil die grundlegende Struktur des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes in die komplett falsche Richtung läuft.
Statt einzelne Nachbesserungen einzubringen, die die konkreten Auswirkungen des Gesetzes allenfalls etwas abmildern können, muss noch einmal von vorn angefangen werden, denn diese Reform ist eben nicht aus ökonomischer oder aus gesundheitspolitischer Vernunft, sondern ausschließlich aus Koalitionszwang heraus entstanden.
Statt zu fragen, was gut für die Patienten, gut für die Leistungserbringer und gut für das Land ist, fragten die Strategen in den Parteizentralen von Union und SPD stets nur: Was könnte die eine Seite davon haben, wenn sie sich in einem Punkt durchsetzt, und wie können wir es möglichst verhindern, dass sich irgendeine Seite in irgendeinem Punkt durchsetzt? Genauso sieht das Ergebnis auch aus. Von der geplanten Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben lediglich der Griff in die Tasche der Beitragszahler und die Verfestigung der Strukturen, die zulasten der Leistungserbringer bereits im Gesundheitsmodernisierungsgesetz aufgenommen wurden. Statt die Kosten für Gesundheit vom Erwerbseinkommen zu entkoppeln und damit die Strafsteuer auf Arbeit in Form der heutigen Sozialversicherungsbeiträge zu senken, wurde genau das Gegenteil unternommen. Arbeit wird noch teurer und die Versorgung der Bevölkerung wird im Gegenzug eher schlechter als besser.
An dieser Stelle hilft es auch wenig, sich mit neuen Leistungen zu trösten, denn hätten die Verfasser dieses Gesetzes es mit den neuen Leistungen ernst gemeint, dann hätten sie auch einen Finanzierungsvorschlag für eben diese neuen Leistungen unterbreiten müssen. Nein, hier haben nicht große Partner, sondern kleinliche Gegner zulasten von Patienten, Leistungserbringern und Kostenträgern verhandelt, die jetzt aus Gründen der Gesichtswahrung nicht mehr zurückkönnen oder zurückwollen. Diese Reform ist nichts anderes als ein Kompromiss zwischen Union und SPD um des Kompromisses willen. Sie ist die Aktion Gesichtswahrung der Bundeskanzlerin, mehr nicht. Inhaltlich ist sie durch nichts zu begründen.
Diese Aktion führte sogar dazu, dass in allein 39 wesentlichen Punkten des Gesetzentwurfs nicht nur technische Umsetzungsprobleme, sondern auch ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken wissentlich in Kauf genommen werden. Wir - FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - wollen uns nicht darauf verlassen, dass der Bundespräsident diesen Gesetzentwurf stoppt. Mit dem gemeinsamen Antrag wollen wir diese Aktion Gesichtswahrung vorher beenden, bevor das Gesetz in seinen Auswirkungen den Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein akut bedroht. In diesem Punkt unterscheiden wir uns vom Landtagspräsidenten, der empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen. Wir wollen ihn vorher stoppen.
Es wurden in der Sache nicht zu begründende Entscheidungen getroffen. An zwei Beispielen will ich festmachen, warum in der Sache nicht zu begründende Inhalte auf den Weg gebracht worden sind. Das sind zwei Punkte, über die wir hier immer wieder diskutiert haben.
Erstens. Die Einführung eines Gesundheitsfonds. Die im sogenannten GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz angelegten Maßnahmen führen nicht zu mehr Wettbewerb zwischen den Kassen, sondern sie schalten diesen Wettbewerb vollständig aus. Standen bislang die gesetzlichen Krankenkassen durch autonom festgelegte Beitragssätze im Wettbewerb, reduziert sich nun genau dieser angebliche Wettbewerb auf den kassenindividuellen Zusatzbeitrag von maximal 1 % des Einkommens der Versicherten. Künftig bestimmt der Staat, wie viel Geld welche Kasse nach Anwendung eines morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs gezahlt bekommt. Wettbewerb Fehlanzeige.
Tarifliche Vielfalt ist in einem solchen Zuteilungssystem schlicht nicht mehr möglich. Stattdessen kommt es nicht nur zu wettbewerblichen Verwerfungen zwischen Krankenkassen mit hohem und niedrigem Grundlohnniveau, sondern es kommt auch unmittelbar zu Verwerfungen zwischen den einzelnen Bundesländern. Denn Transferobergrenzen sorgen im Rahmen einer Übergangsregelung dafür, dass die Kassen künftig regional unterschiedlich belastet werden und dass sie nicht einmal die Möglichkeit haben, diese Belastung durch eigenes Handeln abzuwenden.
Das heißt für die schleswig-holsteinischen Kassen ganz konkret: Selbst sehr wirtschaftlich arbeitende Krankenkassen mit guten Versorgungskonzepten können, weil sie ihre Mitglieder in einem Bundesland versichern, das ein niedriges Grundlohnniveau hat, nicht mehr ordentlich arbeiten.
An dieser Stelle, Frau Ministerin Trauernicht, warte ich immer noch auf Ihre Gegenzahlen. Die KV-SH hat längst Zahlen vorgelegt. Sie behaupten zwar, diese Zahlen seien nicht realistisch; aber wenn Sie das behaupten, dann müssen Sie heute von dieser Stelle aus Ihre Zahlen auf den Tisch legen. Ansonsten bleibt das eine leere Behauptung Ihrerseits.
Für den Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein bedeutet dies: Freiwillige Kassenleistungen, wie wir sie schätzen, die Vorsorgeprogramme, wie wir sie alle wollten, wird es in Schleswig-Holstein im Zweifel künftig nicht mehr geben, weil das Geld fehlt. Gleichzeitig wächst die Gefahr der Insolvenz. Eine Insolvenz der AOK Schleswig-Holstein würde beispielsweise nicht nur bedeuten, dass mit einem Schlag rund 750.000 Versicherte nicht mehr versichert wären, sondern auch, dass Leistungserbringer im Anschluss ebenfalls Insolvenz anmelden müssten, da ihnen ein Teil der Einnahmen wegbräche.
Zweitens. Der oft diskutierte Solidarbeitrag unserer Krankenhäuser. Kein anderes Bundesland hat die Gesundheitsausgaben pro Krankenhauspatient so stark gesenkt wie Schleswig-Holstein. Der Aufwand je stationärem Fall ging nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes bereinigt im vergangenen Jahr um 3,2 % zurück, während die Kosten bundesweit um 0,6 % stiegen, und das, obwohl die Kliniken in Schleswig-Holstein bereits die niedrigste Vergütung im Vergleich zu allen anderen westdeutschen Bundesländern erhalten.
Dennoch sieht der Gesetzentwurf einen pauschalen Sanierungsbeitrag der Krankenhäuser von insgesamt 1 % des Budgets vor. Alles in allem würde
das komplette Verhandlungsergebnis aus Berlin die schleswig-holsteinischen Krankenhäuser im Jahr 2007 mit gut 80 Millionen € belasten und dazu führen, dass einige Häuser aus den roten Zahlen nicht mehr herauskämen und schließen müssten.
Schleswig-Holstein hat zu Recht darauf gedrungen, diesen zusätzlichen Sanierungsbeitrag wieder zurückzunehmen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das alleine reicht nicht. Wir wissen, wie es letztlich aussehen wird, wenn im Bundesrat tatsächlich über dieses Gesetz diskutiert wird.
Ich sage an dieser Stelle ganz ernst: Ich würde mich ausgesprochen freuen, wenn wenigstens die Große Koalition in Schleswig-Holstein den Mut hätte, an dieser Stelle „Stopp“ zu sagen. Es geht nicht um das Gesicht der Kanzlerin. Es geht um 80 Millionen versicherte Patientinnen und Patienten.
Ich fordere Sie auf, ich bitte Sie, Ihren Einfluss geltend zu machen, dass dieser Gesetzentwurf zurückgezogen werden kann. Sie haben heute die Möglichkeit, indem Sie dem gemeinsamen Antrag der Oppositionsfraktionen Ihre Zustimmung geben.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Herrn Dr. Garg. - Für die CDU-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Ursula Sassen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über die Auswirkungen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes auf das Land SchleswigHolstein haben wir bereits auf den Tag genau vor zwei Wochen diskutiert und sind einmütig zu der Schlussfolgerung gekommen, dass der vorliegende Entwurf zur Gesundheitsreform überarbeitet werden muss.
Die lebhafte Diskussion der letzten Plenartagung zu diesem Gesetz hat gezeigt, dass die Informationen durch die Bundesregierung, die Aufklärungskampagnen der Krankenkassen und Verbände, die Ärzteproteste und auch die Anhörungen, wie sie die CDU-Landtagsfraktion kürzlich durchgeführt hat, dazu geführt haben, dass alle Parteien hier im Plenum kritisch Position bezogen haben. Dies wird in anderen Ländern ähnlich sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Signale in Berlin überhört werden.
Auch im vorpolitischen Raum gibt es aus dem Landesarbeitskreis, der Mittelstandsvereinigung und dem Wirtschaftsrat der CDU sowohl konstruktive Änderungsvorschläge als auch scharfe Kritik an der Gesundheitsreform. Wir alle wissen, dass die demografische Entwicklung in unserem Lande und die Tatsache, dass immer weniger Menschen in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stehen, eine Neustrukturierung des Gesundheitswesens erfordern.
Bei der Großen Koalition treffen zwei Pole aufeinander, die in puncto Gesundheitsreform nicht gegensätzlicher sein könnten, sodass diese Reform aus Sicht aller Beteiligten zu wünschen übrig lässt. - So ist das nun einmal. - Es ist unsere Aufgabe, durch das Einholen von Sachverstand und durch intensiven Meinungsaustausch mit allen Akteuren im Gesundheitswesen die Gesundheitsreform konstruktiv-kritisch zu begleiten.