Bezahlen muss diese Entwicklung außerdem der Steuerzahler, denn die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen und Regionalschulen wird natürlich viel Geld kosten, nicht zuletzt für Erweiterungs- und Umbauten, Geld, das man in Steine investieren muss, statt es in Köpfe zu investieren. Auch da stellt sich die Frage, ob das der richtige Weg ist. Die Erklärung des Bildungsministeriums,
das sei ja Sache der kommunalen Schulträger und im Übrigen gebe es noch keine Kostenrechnung, ist so entlarvend, dass man darüber eigentlich nur staunen kann. Dabei ist klar: Jeder Euro, den ein kommunaler Schulträger für die neue Schulstruktur aufwenden muss, steht im Zweifelsfall vor Ort nicht für die inhaltliche Ausgestaltung eines Ganztagsangebots mit entsprechendem pädagogischen Profil zur Verfügung. Auch die Kommunen können zumal in Zeiten, in denen das Geld knapp ist, ihre Mittel nur einmal ausgeben.
Meine Damen und Herren, so entsteht eine neue Schullandschaft auf dem Reißbrett ohne vorhandene pädagogische und organisatorische Konzepte. Die müssen nämlich erst entwickelt werden, und zwar nach dem vereinten Motto der großen Koalition: Was das Neue bringt, wissen wir zwar noch nicht, aber wir reformieren schon einmal drauf los.
Wie substanz- und gedankenlos dabei die CDUIdee der Regionalschulen vorbereitet worden ist, lässt sich auch daran erkennen, dass der vorliegende Gesetzentwurf, über den wir hier reden, mit keinem einzigen Wort die Regionalschule erwähnt. Wir haben einen Antrag bekommen und wir wissen es aus der Pressemitteilung von Frau Erdsiek-Rave, dass die Regelung zur Zusammenführung von Haupt- und Realschulen erst im parlamentarischen Verfahren erarbeitet und eingebracht werden muss. Meine Damen und Herren, wer ein solch großes Rad dreht und das derart mit heißer Nadel strickt, der zeigt, mit welcher Substanz und mit welcher inhaltlichen Gedankentiefe er ein solches Projekt durchführt.
Es ging Ihnen offensichtlich nur um die Botschaft, aus der Koalitionsrunde mit der Nachricht herauszukommen, die SPD bekommt die Gemeinschaftsschule, die Sie schon im Koalitionsvertrag zugebilligt haben, und dann will die CDU eben die Regionalschule dazu bekommen. Die CDU bricht also um dieser Botschaft willen erneut ein Wahlversprechen. Sie hatte ja im Wahlkampf, was die Schulpolitik angeht - wie wir alle wissen - etwas anderes versprochen. Real- und Hauptschulen werden nun aufgelöst. So übertrifft die Union bei der Auflösung des gegliederten Schulwesens sogar noch den ursprünglichen Gesetzentwurf von Frau Erdsiek-Rave. Das ist wirklich erstaunlich.
Im Hinblick auf diese Entwicklung muss ich sagen: Das, was ich am 17. März letzten Jahres gemacht habe, nämlich in vier Wahlgängen Herrn Carstensen meine Stimme zu geben, auch in der Erwar
tung, die Union würde zu ihren Aussagen und Prinzipien im Bereich der Schulpolitik, der Bildungspolitik, stehen, war offensichtlich falsch. Das Vertrauen, das ich damals bei meiner Stimmabgabe hatte, war nicht gerechtfertigt. Ich habe damals auf eine falsche Karte gesetzt.
Meine Damen und Herren, beim letzten PISA-Ländervergleich konnten die schleswig-holsteinischen Realschüler in allen vier Testbereichen Mathematik, Lesen, Naturwissenschaften und Problemlösung ausgezeichnete Ergebnisse vorweisen, Ergebnisse, die fast so gut waren wie die der baden-württembergischen Realschulen, und das war Spitzenergebnis im Bund. Es waren Ergebnisse, die deutlich besser waren als die der schleswig-holsteinischen Gesamtschulen, besser auch als die der sächsischen Mittelschulen oder von Schulen mit mehreren Bildungsgängen in anderen Bundesländern. Diese Ergebnisse des zweiten PISA-Ländervergleichs sind harte Fakten, die niemand wegdiskutieren kann. Wenn die Realschulen aus der Schullandschaft des Landes verschwinden, dann ist es zweifelhaft, ob ihre Schüler in der neuen Schulart Regionalschule diese bisher guten Ergebnisse werden halten können. Ob man darüber hinaus mit der flächendeckenden Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen den Hauptschülern einen Dienst erweist, ist nach meiner festen Überzeugung keineswegs sicher. Es wäre für diese Schüler ein chancenreicherer und sinnvollerer Weg, die Option zu eröffnen, in einem 10. Pflichtschuljahr entweder - für die guten Schüler - einen Realschulabschluss oder - für die schwächeren Schüler - zumindest einen Hauptschulabschluss zu erreichen. Kombinierte Systeme, die im dünn besiedelten ländlichen Raum wegen eines dort noch weniger belasteten sozialen Umfelds durchaus funktionieren können - es gibt sie ja bereits an 40 Standorten im Lande -, werden im städtischen Bereich eher zu einer Flucht aus der Regionalschule beitragen und damit das Restschulproblem tendenziell von der Hauptschule auf die künftige Regionalschule übertragen. Insoweit stimme ich in der Einschätzung mit den Grünen absolut überein.
Seit dem Koalitionsgipfel zur Schulreform erreichen uns fast täglich Anrufe, Mails oder Briefe von Eltern oder Elternvertretern aus dem Realschulbereich, die sich über die Zukunft ihrer Schulen, ihrer Kinder Sorgen machen. Meine Damen und Herren, statt Haupt- und Realschulen flächendeckend zu Regionalschulen zusammenzulegen, wäre es viel vernünftiger, es bei der seit Jahren praktizierten Möglichkeit zu belassen, in dünn besiedelten Regionen bei zu geringen Schülerzahlen fallweise
kombinierte Systeme einzurichten. Das würde nicht nur gute Realschulen an sehr vielen Standorten am Leben erhalten, sondern auch Kosten sparen, die der Fusionsprozess zwangsläufig mit sich bringt.
Meine Damen und Herren, die zweite neue Schulart, die die große Koalition einrichten will, ist die Gemeinschaftsschule. Auch für diese Schulart gibt es zunächst nur eine programmatische Hülle, vor allem bestimmt durch den Begriff des längeren gemeinsamen Lernens. Konkrete pädagogische Konzepte müssen dafür aber erst entwickelt werden, zum Beispiel jetzt in Handewitt mit zehn Lehrerwochenstunden aus einem Förderfonds. Die Befürworter der Gemeinschaftsschule glauben, nur eine gemeinsame Beschulung in der Sekundarstufe I gewährleiste maximale Chancengerechtigkeit. Gegen die Annahme, dass in begabungs- und leistungsheterogenen Schulklassen eine Divergenzenminderung bei gleichzeitiger Schulleistungsförderung aller möglich sei, sprechen aber die Resultate zahlreicher Forschungsarbeiten von Studien aus Deutschland, zum Beispiel aus den 80er-Jahren von Treiber und Weinert, die LAU-Studien von Lehmann und anderen Ende der 90er-Jahre und weitere Untersuchungen von Heller aus diesem Jahrzehnt sowie Studien aus dem Ausland. Es gibt zahlreiche wissenschaftlich abgesicherte Ergebnisse, dass die Annahme, eine solche gemeinsame Beschulung werde zu besseren Ergebnissen für alle beteiligten Schüler führen, in die Irre läuft.
Gegen die These der generellen Überlegenheit des Schultyps Gemeinschaftsschule spricht ja im Übrigen auch der Befund der internationalen PISA-Untersuchung, wo sowohl gute als auch schlechte Ergebnisse breit verteilt sind sowohl auf differenzierte Systeme als auch auf Gemeinschafts- und Gesamtschulsysteme. Es ist offensichtlich nicht der Schultyp, die Schulform, die das gute Ergebnis bei PISA international erklärt, sondern es liegt in anderen Gründen. Ich glaube, die wesentlichen Gründe sind gute vorschulische Bildung und vor allem guter Unterricht. Wir haben in Deutschland zum Beispiel durch das SINUS-Programm gesehen, dass im Bereich des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts schon bei der zweiten PISA-Studie eine deutliche Verbesserung des Leistungsstandes erreicht worden ist. Man kann also sehr wohl mit gutem Unterricht die Bildungsergebnisse in den Schulen deutlich nach oben anheben.
Die Gemeinschaftsschule wird dies bei wesentlich geringerer Differenzierung und Förderung als bei den heutigen Gesamtschulen mit Sicherheit nicht leisten können. Ich darf in diesem Zusammenhang
auf das verweisen, was selbst aus den Gesamtschulen zu der Beglückungsaktion gesagt wird, die Sie nun mit den Gesamtschulen vorhaben, sie nämlich zu Gemeinschaftsschulen weiterzuentwickeln.
Ich zitiere aus dem offenen Brief, den die Elternbeiratsvorsitzende der IGS Neumünster an die Abgeordneten mit dem Hinweis darauf geschickt hat, dass sich die Gesamtschulen nun zu Gemeinschaftsschulen weiterentwickeln sollen, obwohl die Gemeinschaftsschule weder im Schulversuch erprobt noch eine vorgesehene Schulordnung vorgesehen ist. Da nimmt die Elternbeiratsvorsitzende auf den Wegfall der inneren Differenzierung, die bisher die Gesamtschule auszeichnet, Bezug und sagt, was die Folge sein wird. Sie sagt:
„Für schnell lernende Schüler wird die Gemeinschaftsschule damit unattraktiv, weil sich diese durch die fehlende Differenzierung und die notwendige Rücksicht auf lernschwache Schüler nicht die Grundlagen erarbeiten können, um den Übergang in die gymnasiale Oberstufe zu schaffen. Die Folge wird sein, dass alle Kinder mit einer Gymnasial- oder einer guten Realschulempfehlung nach der vierten Klasse auf das Gymnasium wechseln werden, um bestmöglich gefördert zu werden.“
Also auch hier gerät etwas ins Rutschen, was nach meiner Überzeugung nicht ins Rutschen gebracht werden sollte.
Zudem wird die Gemeinschaftsschule, wenn sie überhaupt funktionieren soll, viel Geld kosten, und zwar nicht nur wegen der erforderlichen Schulgebäude. Interessant ist die Frage, wie der neue Schultyp überhaupt personell ausgestattet werden wird. Die eine Möglichkeit ist, dass man sich am Durchschnitt der Personalausstattung des Schulwesens in der Sekundarstufe I orientiert. Das würde Chancengleichheit für beide Schultypen bedeuten.
Wenn Sie darüber hinausgehen und sich bei der Personalzuteilung für die Gemeinschaftsschule an dem orientieren, was heute bei der Lehrerstellenzuweisung an Gesamtschulen Standard ist, dann bedeutet das, dass jede hinzukommende Gemeinschaftsschule einen zusätzlichen Stellenbedarf generiert, der irgendwie abgedeckt werden muss. Wenn Sie dafür im Haushalt keine zusätzlichen Stellen vorsehen - im Haushaltsentwurf sind für die Gemeinschaftsschule keine Stellen eingeplant -, dann ist die einzige daraus folgende Möglichkeit die, dass Sie den Stellenbedarf durch einen Stellentransfer aus den anderen Schulkapiteln abdecken,
das heißt, aus den Bereichen der Hauptschulen, der Realschulen - künftig der Regionalschulen - beziehungsweise der Gymnasien werden Jahr für Jahr für neu entstehende Gemeinschaftsschulen Stellen abgezogen, wie es in den 90er-Jahren für die neu gegründeten Gesamtschulen gemacht worden ist.
Der Erosionsprozess, den Sie damit für den Rest des gegliederten Schulsystems einleiten, wird dort massive Belastungen nach sich ziehen. Das wird zu einer Art Kannibalisierung des verbleibenden gegliederten Schulsystems führen.
Deshalb sollten Sie in dieser Frage Farbe bekennen. Nach welchen Kriterien wollen Sie die Gemeinschaftsschulen, die nach diesem Schulgesetz eingeführt werden sollen, mit Lehrerpersonalstellen ausstatten? Wie soll das Personalbemessungsverfahren bei den Gemeinschaftsschulen konkret aussehen? Bleibt es dabei, dass die zu Gemeinschaftsschulen zusammengeführten bisherigen Schulen mit ihrem bisherigen Stellenbestand die Personalausstattung der Gemeinschaftsschulen liefern oder gibt es darüber hinaus einen Bonus, eine zusätzliche Lehrerstellenausstattung? Woher kommen die Mittel? Aus welchen Bereichen wollen Sie diese Stellen nehmen?
In mehreren Punkten sieht der Gesetzentwurf ein stärker verankertes Förderprinzip vor. Das klingt auf den ersten Blick sehr gut. Aber in der Praxis ist das Versprechen leider nicht eingelöst worden. Man muss sich einmal anschauen, wie der Förderfonds ausgestattet wird. Pro Jahr sollen dafür 40 Stellen zur Verfügung gestellt werden. Es sind Stellen, die aus den verschiedenen Schulbereichen - Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien - genommen werden sollen, aber unbesetzt bleiben.
Die Situation ist dann die folgende. Nach dem Haushaltsentwurf 2007/08 gibt es im Bereich der Hauptschulen keine einzige zusätzliche Stelle. Im Bereich der Realschulen ist das ebenso der Fall. In den Gymnasien wird es 23 zusätzliche Stellen im Jahr 2007 wegen der steigenden Schülerzahlen geben. Von diesem Stellenbestand, der bei Haupt- und Realschulen nicht wächst, ziehen Sie Stellen für den Förderfonds ab. Das heißt, Sie nehmen den Schulen Stellen de facto weg, die Sie anschließend durch ein Umverteilungssystem auf einen Teil der Schulen wieder umverteilen. Das ist nichts anderes als eine Mogelpackung.
Ich komme zu einem weiteren Kritikpunkt. Es handelt sich um die Neuregelung der Einschulung in die Grundschule. Wenn Sie die Möglichkeit zu Rückstellungen kategorisch abschaffen, wie es jetzt vorgesehen ist, dann wird auch die Situation in den Grundschulen durch einen höheren Anteil von Schülern starke Entwicklungsdefizite in die Schule bringen. Die Schule ist dann von den Arbeits- und Lernbedingungen noch weiter belastet, als es schon heute der Fall ist. Das kann den Bildungsergebnissen dieser Schulen nicht förderlich sein.
Ich kann nur darauf verweisen, was die Kinder- und Jugendärzte Ihnen und dem Ministerium sowie den Abgeordneten zu dieser Frage an Bedenken vorgetragen haben. Ich finde es wirklich unverantwortlich, diesen Weg zu gehen und den Kindern mit starken Entwicklungsdefiziten ein sinnvolles Förderinstrumentarium zu verweigern. Die Schulen werden das nicht leisten können.
Jetzt zum Fazit. Das neue Schulgesetz verfehlt nicht nur das Ziel, die Unterrichtsangebote und Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen zu verbessern, im Gegenteil, nach dem Willen der großen Koalition führt das zu Bildungsabbau und einer Verschlechterung der Lernbedingungen.
Zum Schluss darf ich mir noch eine Anmerkung erlauben. Ministerin Frau Erdsiek-Rave sagt, Integration durch Bildung müsse das oberste Gebot sein. Das ist ein schöner Satz, den ich voll unterstreichen kann. Aber ich frage mich, wie das mit der Praxis einer Landesregierung im Einklang steht, die im vorliegenden Haushaltsentwurf zum Beispiel die früher vorhandenen Alphabetisierungsmittel komplett auf null heruntersetzen wollte. Erst jetzt in der parlamentarischen Beratung haben wir als Abgeordnete durch ziemlich umfangreiche Anstrengungen erreichen können - da waren wir nämlich einhellig derselben Meinung -, dass das über die Nachschiebeliste rückgängig gemacht werden soll. Diese Regierung hat damit gezeigt, dass sie die Versprechungen und die angekündigten Prinzipien in der Praxis der Bildungspolitik nicht einzuhalten vermag.
Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel.
Zum einen mache ich eine Vorbemerkung zu Frau Herold. Ich hätte bis heute nicht gedacht, dass es mir einmal passieren würde, dass ich bei einer bildungspolitischen Rede einer CDU-Politikerin Beifall klatschen würde.
Die zweite Vorbemerkung mache ich zu dem, was Ekkehard Klug von der FDP gesagt hat. Ich kann ihn ja verstehen. Aber ich glaube, die Zeit ist weitergegangen. Nehmen wir einmal an, es wäre zu einer Ampel gekommen, dann wäre ich absolut sicher, dass die FDP einen Koalitionsvertrag unterschrieben hätte, der mindestens so weit geht wie das, was heute hier vorliegt.
Die Rolle des letzten Ritters der Verteidigung des dreigegliederten Schulsystems ist ehrenwert. Aber ich glaube, sie kriegt langsam spanische Züge.
Ich werde heute, Frau Erdsiek-Rave, etwas tun, was für eine Opposition ungewöhnlich ist. Ich werde die Regierungskoalition und das neue Gesetz erst einmal ordentlich loben. Danach werde ich einige kritische Punkte des Gesetzes besprechen. An dritter Stelle werde ich unseren ausführlichen Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung darstellen.
Der Ministerpräsident - ich höre zu, wenn er etwas sagt - hat die Opposition zu konstruktiver Mitarbeit an Gesetzen aufgerufen. Wir werden ihn diesmal beim Wort nehmen.