Protocol of the Session on October 11, 2006

Aus der Antwort der Landesregierung geht hervor, dass das übergeordnete Ergebnis der Zwischenevaluierung des Programms „Soziale Stadt“ zu dem Schluss kommt, dass das Programm ein geeignetes Instrument ist, um den Folgen der wachsenden Gettoisierung entgegenzuwirken. Die Gesamtbewertung macht aber deutlich, dass nach vier Jahren der Programmumsetzung noch keine wesentlichen Verbesserungen der Gesamtsituation in den betroffenen Stadtteilen festzustellen sind.

Das soll heißen: Die „Soziale Stadt“ ist vor allem ein Bauprogramm, aber wenn es um soziale Benachteiligung geht, dann reden wir nicht nur von Infrastruktur und Wohnumfeldern. Dann geht es auch um Arbeit, um Bildung, um Soziales, um Integration von Einwanderern und um Gesundheitsförderung - um nur die wichtigsten Punkte zu nennen. Ohne einen gezielten Einsatz von Mitteln für bestimmte Gruppen kommen wir einfach nicht weiter.

(Anke Spoorendonk)

Nicht zuletzt brauchen die Kinder und Jugendlichen Unterstützung, um sich von einem belastenden sozialen Erbe zu lösen. Dafür müssen auch zukünftig Fördermittel zur Verfügung stehen.

(Beifall bei SSW und FDP)

Dass die Bundesregierung diesen Fehler erkannt hat, freut uns, denn es ist ja so, dass die Förderung nicht investiver Projekte jetzt zugelassen ist. Insgesamt wurden für das Programmjahr 2006 40 Millionen € Bundesmittel freigesetzt und für SchleswigHolstein wurden insgesamt 1,3 Millionen € zugelassen.

Angesichts der Probleme, die wir in den genannten Stadtteilen haben, fällt diese Summe natürlich auf einen extrem heißen Stein. Dass damit nur Modellvorhaben gefördert werden, kommt erschwerend hinzu. Damit müssen die Förderrichtlinien breiter gestaltet werden und es müssen noch weitere Förderprogramme erschlossen werden, wenn man hier Erfolge verzeichnen will.

Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Wohnungsunternehmen und damit auch öffentlich geförderter Wohnungsbestand in Schleswig-Holstein von der öffentlichen Hand oder von privaten Eigentümern an national oder international tätige Großanleger verkauft werden, ergeben sich Risiken, die derzeit nicht abschätzbar sind. Ich verweise noch einmal auf die Mitteilung in den „Kieler Nachrichten“ von heute.

Diese Entwicklung ist natürlich beunruhigend. Denn die Gefahr besteht darin, dass durch die Ablösung der sozialen Darlehen in Zukunft sozialer Wohnraum verloren gehen kann. Der Mieterbund macht weiterhin deutlich, dass sich in den betroffenen Regionen in Kiel die Versorgung sowie das Mietermanagement problematisch darstellen und die angesprochene Gettoisierung bereits zu beobachten ist.

Da sich diese Entwicklung scheinbar nicht ohne Weiteres abwenden lässt, ist es wichtig, dass Strategien entwickelt werden, die den sozialen Wohnraum weiter schützen. Ebenso sehen wir eine bundesgesetzliche Regelung zu Real Estate Investment Trusts - kurz REIT - mit Besorgnis. Insofern freuen wir uns darüber, dass die Landesregierung diese Auffassung teilt. Diese zumeist börsennotierten Immobiliengesellschaften, die sich mit dem Besitz und der Bewirtschaftung von Immobilien beschäftigen, bergen die Gefahr, dass kurzfristige Renditeziele an die Stelle einer nachhaltigen und sozial verantwortlichen Bestandsbewirtschaftung treten.

Natürlich kann das Land den Verkauf von Wohnbeständen nicht verhindern. Die Frage ist aber, welche Alternativen es zum Verkauf gibt. Die Landesregierung verweist in der Antwort auf verschiedene Modelle. Ganz zum Schluss möchte ich auf das erfolgreiche Modell in Flensburg hinweisen; nicht Pinneberg allein war es, sondern Flensburg.

(Beifall beim SSW)

Denn der Selbsthilfebauverein Flensburg hat die WoBau Flensburg in diesem Jahr übernommen und führt sie als Genossenschaftsmodell weiter. Das scheint ein Weg der Zukunft zu sein. Dass die IBank dabei tolle Arbeit geleistet hat, muss auch erwähnt werden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns im Ausschuss mit diesem Politikbereich beschäftigen - allerdings nicht unter der Überschrift „Schön, dass wir mal darüber geredet haben“. Es kommen schließlich neue Herausforderungen auf uns zu. Denn die Föderalismusreform lässt grüßen.

(Beifall beim SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage, Drucksache 16/1009, federführend an den Innen- und Rechtsausschuss sowie mitberatend an den Sozialausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! Enthaltungen? - Damit ist einstimmig so beschlossen worden.

Wir kommen nunmehr zu dem Dringlichkeitsantrag.

Leukämiefälle im Raum Geesthacht/Elbmarsch

Dringlichkeitsantrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SPD Drucksache 16/1030 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich lasse dann über die Dringlichkeit des Antrages Drucksache 16/1030 (neu) abstimmen. Ich weise noch einmal darauf hin, dass nach § 51 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist. Wer die Dringlichkeit bejaht, den bitte ich um das Handzei

(Anke Spoorendonk)

chen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Dringlichkeit mit der erforderlichen Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen bejaht worden.

Ich schlage Ihnen vor, den Antrag als Tagesordnungspunkt 28 a in die Tagesordnung einzureihen. Ich höre keinen Widerspruch. Mit dem Antrag wird die Landesregierung gebeten, einen schriftlichen Bericht zur 19. Tagung vorzulegen. Da eine Aussprache nicht vorgesehen ist, schlage ich Abstimmung in der Sache vor. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich im das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag Drucksache 16/1030 (neu) einstimmig angenommen worden.

Ich rufe nunmehr die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3, 4 und 34 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

Gesetzentwurf der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/354 (neu) - 2. Fassung

b) Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/656

Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses Drucksache 16/1001

Änderungsantrag der Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1035

c) Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über die Unterrichtung des Landtages durch die Landesregierung (Parlamentsinformati- onsgesetz - PIG)

Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/657

Bericht und Beschlussempfehlung des Innenund Rechtsausschusses Drucksache 16/1014

d) Änderung der Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/27

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Drucksache 16/40

Bericht und Beschlussempfehlung des Innenund Rechtsausschusses Drucksache 16/1011

Ich erteile dem Herrn Berichterstatter des Innenund Rechtsausschusses, Herrn Abgeordneten Werner Kalinka, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Innen- und Rechtsausschuss hat sich umfassend, aber zielorientiert an die Aufgabe gemacht. Insgesamt haben wir in den vom Herrn Präsidenten genannten Drucksachen eine 13 Seiten umfassende Beschlussempfehlung vorgelegt. Sie haben die Wahl: Ich kann diese 13 Seiten vorlesen oder in diesem Fall auf die Vorlagen verweisen. Das tue ich hiermit und wünsche eine gute Beratung.

Ich danke dem Herrn Berichterstatter für den ausführlichen Bericht. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das sehe ich nicht. Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen zweiten Lesung der eben vorgetragenen Gesetzentwürfe zur Änderung unserer Landesverfassung, des Gesetzes über die Unterrichtung des Parlaments sowie zur Änderung unserer Geschäftsordnung unterstreichen wir zunächst einmal durch die Einführung eines eigenen Verfassungsgerichts des Landes Schleswig-Holsteins die Eigenständigkeit unseres Landes zwischen den Meeren. Ich glaube, die Ausgestaltung gibt wieder, dass der Landtag im Gegensatz zu dem, was öffentlich vermutet wurde, in seiner Mehrheit, das heißt in diesem Fall durch das Wollen der großen Koalition von CDU und SPD, den Minderheitenschutz beziehungsweise die Schärfung der Rechte der Opposition gerade auch in den Zeiten einer so großen parlamentarischen Regierungsmehrheit sehr wohl im Auge gehabt hat.

(Präsident Martin Kayenburg)

Um bei einem praktischen Beispiel zu bleiben: Das führt dazu, dass nicht nur FDP und Grüne zusammen eine Verfassungsklage anstrengen könnten, sondern - bedingt durch die Herabsetzung - auch die FDP mit dem SSW oder der SSW mit den Grünen. Ich glaube, dass dies im Zeichen des Umgangs miteinander ein wichtiger Schritt ist. Es ist für die durch die große Koalition getragene Regierung nicht immer bequem, wenn sie sich einer Verfassungsklage ausgesetzt sieht. Es sind Fälle denkbar, in denen davon Gebrauch gemacht wird. Gleichwohl soll es so sein, dass die Schärfe und die Rechte der Opposition auch in Zeiten einer großen parlamentarischen Mehrheit durch dieses Instrument verstärkt werden. Es ist wichtig, dass diese Instrumente nicht leerlaufen, denn dies ist für das Verhältnis untereinander wichtig.

(Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

In einem weiteren Punkt gibt es eine Differenz zwischen CDU, SPD und FDP, Grünen, SSW. Das ist die Frage der Voraussetzungsqualifikation für die Möglichkeit, zu einem ehrenamtlichen Mitglied des zukünftigen Landesverfassungsgerichts berufen zu werden. Wir sagen, dass die Befähigung zum Richteramt das Minimum sein muss, und zwar gilt das für alle sieben Positionen. Keinem, der diese Qualifikation nicht hat, soll dies eine Minderqualifikation andichten, aber ich glaube schon, dass wir dann, wenn es um Verfassungsauslegungen geht, darauf Wert legen müssen, dass diejenigen, die sich im Einzelfall damit zu befassen haben, mit der Materie besonders vertraut sind. Das bringt insbesondere diese Qualifikation mit sich.

Ein weiterer Punkt ist dieser: Wenn man schon den Weg geht, sich von Karlsruhe abzukoppeln, was die Karlsruher freut, da sie dadurch weniger Arbeit haben, dann ist es aus Sicht des Landes wichtig, dass wir bei der Fortentwicklung des Landesverfassungsrechts und bei der Anpassung der Wirklichkeit auf dieselbe immer auch einen hohen Qualitätsanspruch sichern müssen, denn die Landesverfassung ist keine Spielwiese für zufällige Einfälle. Vielmehr muss sie immer wieder an ihren Grundfesten entlang ausgelegt und fortentwickelt werden. Gleiches gilt für die Rechtsprechung. Vor diesem Hintergrund ist dies ein besonders wichtiges Qualitätsmerkmal. Daher halten wir an diesem Erfordernis fest.

Einen Punkt haben wir nicht abschließend geregelt, aber ich glaube, wir sollten dafür offen sein. In der Frage, was wir mit den Obergerichten in Schleswig-Holstein mit Blick auf Hamburg machen, bin ich nach wie vor der Meinung: Falls Hamburg sei

ne Auffassung ändert und sich eine stärkere gerichtliche Zusammenarbeit als bisher vorstellen kann, dann sollte man dafür offen sein, eine Kooperationsmöglichkeit auf der Ebene eines Verfassungsgerichts zu ermöglichen und eines Tages ein gemeinsames Verfassungsgericht einzurichten. Unterhalb der Schwelle der Kooperation mit anderen obergerichtlichen Institutionen würde ich dies zur jetzigen Zeit allerdings als ein zu starkes Signal in Richtung Nordstaat erachten.