Protocol of the Session on May 26, 2005

Ich habe ja vorhin schon gesagt, dass die Debatte in der Vergangenheit insgesamt sehr leidenschaftlich geführt worden ist, und Anflüge von Leidenschaft haben wir auch heute Vormittag hier im SchleswigHolsteinischen Landtag empfunden. Ich möchte - das ist sozusagen mein Beitrag zum Thema Leidenschaft - etwas tun, wozu mich Herr Kubicki mit seinem Beitrag veranlasst hat, obwohl man es eigentlich nicht tun sollte, nämlich ohne Taschenrechner aus dem Ärmel Zahlen zu nennen, um gewisse Relationen aufzuzeigen.

2.000 Kontenabfragen pro Tag sind eine Masse, gar keine Frage. Auch der Finanzminister bestätigt das. Es gibt sicherlich einen gewissen Abfragestau durch die Neueinführung des Gesetzes, das ja erst ab 1. Mai dieses Jahres wirksam ist. Wenn man das auf alle Werktage und Bundesländer hochrechnet, sind es ungefähr 500.000 Anfragen pro Jahr.

Wir haben allerdings in Deutschland geführte Konten in der Größenordnung von 497 Millionen. Diese Zahl muss man dagegenstellen. 497 Millionen Konten in Relation zu den bisher abgefragten Konten - und uns steht ja bisher nur ein sehr enger Zeitraum zur Verfügung - bedeutet, dass wir irgendwo im Bereich von 0,1 % der in Deutschland geführten Konten liegen, die abgefragt worden sind. Ich glaube, damit sind wir noch sehr weit entfernt von einem Überwachungsstaat.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anke Spoorendonk [SSW])

Herr Kubicki, wollen Sie noch einen Wortbeitrag leisten? - Bitte, Sie haben zwei Minuten Zeit.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Nach welchem Paragraphen jetzt?)

- Nach § 58 Abs. 2!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Sauter, da ich Sie wirklich schätze und wir wie in der Vergangenheit zwischen 1992 und 1996 die Basis wieder finden müssen, auf der wir operieren, wäre die ordnungsgemäße Bezugsgröße die Anzahl der Einkommensteuer Zahlenden und nicht die Anzahl der Konten. Denn die Kontenabfrage be

(Wolfgang Kubicki)

zieht sich ja auf die Person und nicht auf die Anzahl der Konten.

(Zurufe)

Gibt es weitere Wortmeldungen? - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

(Unruhe)

Es ist sowohl Ausschussüberweisung als auch Abstimmung in der Sache beantragt worden. Ist das richtig?

(Birgit Herdejürgen [SPD]: Nein, nicht für beide Anträge! Über den Antrag der FDP Abstimmung in der Sache!)

- Okay, dann stimmen wir zunächst über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab, der in veränderter Form von Klaus Müller vorgetragen worden ist. Der Text ist Ihnen im Ohr, sonst kann ich Ihnen das noch einmal vorlesen. Wer zustimmen will, dass dieser Antrag an den Ausschuss überwiesen wird, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist bei Enthaltung der FDPFraktion mit den Stimmen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW so beschlossen und dem Finanzausschuss zur Beratung überwiesen.

Wir stimmen jetzt über den Antrag der FDP-Fraktion ab. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.

Ich schließe die Beratung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Kulturpolitik muss im Kabinett vorkommen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/57

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/92

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Hinsichtlich der Berichterstattung haben wir hier divergierende Anträge. Ich habe den Hinweis, dass darüber alternativ abgestimmt werden soll. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt den Antrag, die Landesregierung solle in der heutigen Tagung berichten, während die Fraktionen von CDU und SPD beantragen, die Landesregierung solle dem Landtag in der 5. Tagung, also in der September-Tagung, berichten.

Ich stelle den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Bericht der Landesregierung in dieser Tagung zu erhalten, zur Abstimmung. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Ich stelle alternativ den Antrag der Fraktionen von CDU und SPD zur Abstimmung. Wer den Bericht der Landesregierung in der September-Tagung des Landtages erhalten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Damit ist der Bericht im September zu geben.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für den Antragsteller BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte mich natürlich gefreut, wenn wir schon heute etwas darüber erfahren hätten, warum die Entscheidung so gefallen ist, wie sie gefallen ist. Sie hat nämlich nicht nur landesweit, sondern auch bundesweit Furore gemacht. Es war die erste Entscheidung der neuen Regierung, die bundesweit breit diskutiert worden ist, insbesondere auch in der Kulturszene. Es wäre schon interessant gewesen, dazu in der heutigen Debatte zumindest eine Stellungnahme zu bekommen. Aber unabhängig davon werden Sie ja nachher etwas dazu sagen.

Ich möchte jetzt gern unseren Antrag begründen, der über den Bericht hinaus zwei Forderungen zur Kulturpolitik des Landes aufstellt, nämlich dass die Kulturpolitik des Landes weiterhin einen hohen Stellenwert behält und dass die Kulturpolitik am Kabinettstisch vertreten sein soll.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ist Carstensen nicht im Kabinett? Das ist ja komisch!)

- Sehr geehrter Herr Garg, unser neuer Ministerpräsident will die Kultur zur Chefsache machen.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Was heißt Chefsache? Das ist eine ungewöhnliche Entscheidung. Heißt das, Entscheidungen zu treffen, ohne im Kabinett zu beraten? Heißt das, die Kunst zur persönlichen Glorie umzufunktionalisieren? Auch Ihr Parteikollege Bernhard Vogel in Thüringen hat als Ministerpräsident die Kultur zur Chefsache erklärt.

(Thomas Stritzl [CDU]: Ein kluger Mann!)

Er hat sich entschieden, das hervorragende Erfurter Theater zuzumachen, das einen glänzenden Ruf, eine

(Karl-Martin Hentschel)

lange Tradition und einen Spielplan auf der Höhe der Zeit hatte und weitgehend ausverkauft war.

(Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Wir sind hier in Schleswig-Holstein!)

Er tat dies vielleicht, weil es dieses Theater zur Freude seines Publikums verstand, der Politik mithilfe der Kunst einen Spiegel vorzuhalten - nicht nur zu Zeiten der DDR, sondern auch danach.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Was hat das mit Schleswig-Holstein zu tun?)

Die Erfurter bekamen dafür eine Oper, weil sie dem Kunstverständnis des Herrn Vogel besser entsprach. Ich frage mich: Sind Politiker für solche Entscheidungen immer die Richtigen?

Herr Ministerpräsident, Thüringen ist nicht Schleswig-Holstein und ich will Ihnen nichts unterstellen. Ich frage mich aber doch ein wenig, in welche Richtung sich die Kultur in Schleswig-Holstein entwickeln wird, wenn sie zur Chefsache oder zur persönlichen Spielwiese von Herrn Carstensen wird. Dazu lese ich in der „Eckernförder Zeitung“ vom 6. Mai 2005 - immerhin hat er sich an einer Stelle schon einmal geäußert -, dass Sie die 100 Kulturveranstaltungen am Rande der Heringstage mit dem schönen Satz loben: Wer sich hier nicht amüsiert, der kann gern zuhause bleiben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zuhause wartet dann noch ein viel größeres Amüsement in Form eines unglaublich amüsanten Fernsehprogramms.

Damit wir uns nicht missverstehen: Auch ich genieße Kultur, über die ich mich amüsieren kann. In einer Kulturnation verstehen wir unter Kultur aber in erster Linie etwas anderes als das süffige, leicht zu konsumierende Eventbusiness, das mehr und mehr droht, das zu verdrängen, was wir unter Hochkultur verstehen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Definieren Sie jetzt, was Hochkultur ist?)

Nicht alles, was im Kulturbereich stattfindet - es findet unendlich viel statt -, werden wir unterstützen können und nicht alles ist Gegenstand staatlicher Politik. Gerade im Kulturbereich kann die Politik nur sehr selektiv tätig werden. Es ist sehr entscheidend, in welcher Art und Weise die Politik hier tätig wird.

Unter einer Kultur, die gefördert werden muss, verstehe ich eine Kultur, die man sich erst erarbeiten muss, die einen dann aber mit Reflexion, Identitätsentwicklung, Verständnis für andere Menschen und Genüssen, die über den materiellen Konsum hinaus

gehen, reich beschenkt und die Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. Um Hebbel zu zitieren: „Die Kunst ist das Gewissen der Menschheit“.

Wir leben in einer Zeit der Ökonomisierung und der Privatisierung der Kultur und des Geschäftemachens. Die Kunst, Tischdecken zu verkaufen, preist die Werbung als Tischkultur. In einer Zeit der schnell konsumierbaren Häppchenkultur - Zitat von der feindlichen Übernahme des menschlichen Tagesablaufs durch das Fernsehen - haben wir das Wort „Format“ mehr von der Qualität bestimmt verstanden. Das hat Dieter Hildebrand so schön gesagt.

Wie langweilig jungen Menschen diese Kultur werden kann, zeigt sich dann vielleicht an solchen Ausbrüchen wie dem von Anfang Mai in Dresden, bei dem sich junge Männer ohne den geringsten Grund Straßenschlachten mit der Polizei geliefert haben.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Da ist doch über- haupt kein Zusammenhang!)

Der Zugang zu einer tiefgehenden Kultur, die länger als fünf Minuten fasziniert, wird diesen Menschen immer weniger angeboten. Ich glaube, dass die kulturelle Erziehung für unsere Gesellschaft in Zukunft noch viel wichtiger wird, als wir es bisher ahnen. Wie sagte doch Grillparzer: